Titel: | Rechts-Schau. |
Autor: | Werneburg |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 158 |
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Rechts-Schau.
Rechts-Schau.
Die Streikklauselinden Lieferungsverträgen. In den Lieferungsvertragen
zwischen dem Unternehmer eines größeren Betriebes und seinem Kunden, dem Abnehmer
seiner Fabrikate, Waren usw., wird häufig die sogenannte Streikklausel aufgenommen,
um die Folgen, die das Bürgerliche Gesetzbuch an die infolge des Streiks eintretende
Unmöglichkeit der Erfüllung des Lieferungsvertrages auf Seiten des Unternehmers zu
dessen Gunsten zu beseitigen; denn es ist nicht ausgeschlossen, daß dem
Gegenkontrahenten des Unternehmers Schadensersatzansprüche gegen letzteren wegen der
nunmehrigen Unmöglichkeit der Vertragserfüllung zustehen, was jedenfalls immer dann
zutrifft, wenn dem Unternehmer bezüglich der Verursachung des Streiks ein
Verschulden, wenn auch nur ein Mitverschulden, zur Last fällt. Die Streikklausel
bezweckt also, den Unternehmer im Falle eines Streiks von jeglicher Haftung seinem
Gegenkontrahenten aus dem Lieferungsvertrage glatt zu entbinden, wie wenn der
Lieferungsvertrag überhaupt nicht abgeschlossen worden wäre. Bemerkenswert ist nun
die Auslegung, die das Reichsgericht diesen Streikklauseln in seiner Entscheidung
vom 19. Oktober 1912 gegeben hat.
In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Transportvertrage befand sich nämlich
folgende Bestimmung: Höhere Gewalt, Mobilmachung, Krieg, Aufruhr, Arbeiteraussände
jeder Art, Quarantäne, Wintersgefahr, Eisgang auf dem Rhein oder seinen
Nebenflüssen, Hochwasser und andere Naturereignisse, Verkehrsstörung, Mangel an
Verkehrsmitteln, behinderte Schiffahrt, speziell ein Wasserstand von 1,20 m Cauber
Pegel und darunter entbinden uns für die Dauer dieser Verhältnisse von der Abnahme
und Beförderung der uns angedienten Güter, welche bei Eintritt dieser Verhältnisse
noch nicht in das Rheinschiff überladen werden.
Zu der Frage, wann der Befreiungsgrund eines Arbeiterausstandes vorliegt, äußert sich
nun das Reichsgericht in dieser Entscheidung folgendermaßen:
Für die Wirkung eines Arbeiterausstandes als Befreiungsgrund erscheint es nach Treu
und Glauben und nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als notwendig, daß der
Arbeiterausstand gerade den dem Vertrage zu Grunde liegenden Geschäftszweig
betroffen hat, sei es, daß eine derjenigen Arbeitergruppen, deren Tätigkeit zur
Ausführung des Vertrages erforderlich ist, selbst in den Ausstand getreten ist, sei
es, daß eine der beteiligten Arbeitergruppen, wenngleich selbst arbeitswillig, durch
den Ausstand anderer Arbeitsgruppen in der Entfaltung der Tätigkeit beeinträchtigt
wird, immer aber erscheint ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem
Arbeiterausstande und der Vertragserfüllung in der Weise notwendig, daß der
Arbeiterausstand eine Verringerung der Entfaltung von Arbeitskräften in denjenigen
Arbeitergruppen zur Folge hat, die zur Ausübung der Vertragshandlungen üblicherweise
heranzuziehen sind. Ist das der Fall, so liegen die Voraussetzungen der
Streikklausel vor und der interessierte Vertragsteil kann sich auf die Klausel
berufen, ohne abwarten zu müssen, ob sich ihm durch Heranziehung auswärtiger
Arbeitskräfte vielleicht die Möglichkeit bieten wird, den Vertrag ohne
Vermögenseinbuße zu erfüllen. Andererseits vermag die Tatsache allein, daß der
Ausstand einer bei der Vertragserfüllung nicht beteiligten Arbeitergruppe eine
Lohnerhöhung bei anderen nicht in den Ausstand getretenen Gruppen oder sonstige
Preissteigerungen zur Folge gehabt hat, die Wirksamkeit der Klausel nicht zu
begründen. Derartige Begleiterscheinungen können ebensogut durch andere Vorkommnisse
hervorgerufen sein; sie sind keine charakteristischen Folgen eines
Arbeiterausstandes, dessen Wesen sich vornehmlich darin äußert, daß in dem
besonderen Geschäftszweige, in dem die streikenden Arbeiter tätig gewesen sind, eine
planmäßige Verringerung des Angebotes von Arbeitskräften stattfindet.
Bemerkenswert ist an dieser Entscheidung zunächst, daß sie für die Wirkung der
Streikklausel als Vertragserfüllungs-Befreiungsgrund die Grundsätze von Treu und
Glauben sowie die allgemeine Verkehrsauffassung als maßgebend zu Grunde legt.
Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben geht der Sinn der Streikklausel nicht
dahin, daß dem Unternehmer nun durch die Streikklausel ein leichtes Mittel in die
Hand gegeben wird, um von ihm lästig empfundenen Lieferungsverträgen in deren
Erfüllung ohne jegliche Haftung seinem Gegenkontrahenten gegenüber frei zu kommen.
Vielmehr ist es Sache des Unternehmers, der sich in Streitfällen bezüglich der
Wirksamkeit der Streikklausel auf diese beruft, den strikten und schlüssigen Beweis
zu führen, daß gerade diejenigen Arbeitergruppen, die in den Ausstand getreten sind,
zur Erfüllung des getätigten Lieferungsvertrages unbedingt erforderlich waren; denn
es kann rechtlich keinem Zweifel unterliegen, daß dem Unternehmer, der sich zwecks
Befreiung von seinen Vertragsverpflichtungen auf die in dem Lieferungsvertrage
enthaltene Streikklausel beruft, deren Voraussetzungen zu beweisen hat, falls
sein Gegenkontrahent aus dem Lieferungsvertrage deren Voraussetzungen bestreiten
sollte; das ist, wenn auch indirekt, in dem Reichsgerichtsurteile ebenfalls zum
Ausdruck gekommen und entspricht auch den allgemeinen Prozeßgrundsätzen. Damit
dürfte dem Unternehmer der Weg abgeschnitten sein, sich mit Hilfe der Streikklausel
bei Arbeiterausständen, die tatsächlich auf die Vertragserfüllung aus seinen
Lieferungsverträgen ohne bemerkenswerten Einfluß bleiben, was mit den allgemeinen
Verkehrsanschauungen im Einklänge steht.
Ebenso bedeutsam ist bei der Reichsgerichtsentscheidung, daß nach ihr eine nur
mittelbare Einwirkung des Streiks in der Richtung, daß eine Erhöhung der Löhne der
arbeitswilligen Arbeitergruppen des Unternehmers – also eine Erhöhung der
Produktionsunkosten der zu liefernden Fabrikate usw. – eingetreten ist, zugunsten
des Unternehmers die Wirksamkeit der Streikklausel nicht begründet; denn ein
derartiges Ereignis ist eben ein Vertragsrisiko, das nicht dem Gegenkontrahenten des
Unternehmers aufgebürdet werden kann, sondern allein den Unternehmer treffen muß;
derartige Begleiterscheinungen können ebensogut durch andere Vorkommnisse, wie
gerade durch einen Arbeiterausstand hervorgerufen sein, wie das Reichsgerichtsurteil
zutreffend ausführt, man braucht hier nur beispielsweise an Erhöhungen der
Produktionsunkosten zu denken, die durch eine Verteuerung der Materialien verursacht
werden. Daß in diesen Fällen der einzelne Lieferungsvertrag für den Unternehmer
nicht mit dem erhofften Gewinn, sondern lediglich mit einem Ausgleich zwischen
Auslagen und Gegenleistungen oder sogar mit einem Verlust abschneidet, kommt zwar
wirtschaftlich in Betracht, kann aber an der rechtlichen Beurteilung der Sachlage
nichts ändern. Der Ausgleich hierfür liegt für den Unternehmer darin, daß er dann
bei günstigerer wirtschaftlicher Lage zu Gewinnen kommt, die seine Vorkalkulationen
vielfach übersteigen werden.
Rechtsanwalt Dr. Werneburg.