Titel: | Rechts-Schau. |
Autor: | Werneburg |
Fundstelle: | Band 334, Jahrgang 1919, S. 11 |
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Rechts-Schau.
Rechts-Schau.
Zur Rechtsnatur der Unfallverhütungsvorschriften.
Nach der Bestimmung des § 848 der Reichsversicherungsordnung sind die
Berufsgenossenschaften verpflichtet, die erforderlichen Vorschriften zu erlassen
über die Einrichtungen und Anordnungen, welche die Mitglieder zur Verhütung von
Unfällen in ihren Betrieben zu treffen haben und zweitens über das Verhalten, das
die Versicherten zur Verhütung von Unfällen in den Betrieben zu beobachten
haben.
Demgemäß besteht also für die Berufsgenossenschaften eine gesetzliche Verpflichtung
zum Erlaß derartiger Unfallverhütungsvorschriften. Fraglich ist, in welcher Weise
die Berufsgenossenschaften zur Erfüllung dieser Verpflichtung gezwungen werden
können und ob überhaupt ein Zwang auf sie hierzu ausgeübt werden kann. Die
Bestimmungen der §§ 31 und 32 RVO., auf die bisweilen bezug genommen wird, passen
hier jedenfalls; denn gemäß § 31 Abs. 2 RVO. kann die Aufsichtsbehörde die
Mitglieder der Organe der Berufsgenossenschaft durch Geldstrafen bis zu 1000 Mark
anhalten, das Gesetz und die Satzung zu befolgen. Auch die Bestimmung des § 689 RVO.
dürfte anwendbar sein, so daß also, solange sich die Organe der Berufsgenossenschaft
weigern, den Erlaß der Unfallverhütungsvorschriften vorzunehmen, – das gehört
ohne Zweifel zu ihrer Geschäftsführung –, das Reichsversicherungsamt selbst den
Erlaß der Unfallverhütungsvorschriften zweckentsprechender Art treffen kann.
Nach der gesetzlichen Bestimmung sind die erforderlichen Vorschriften von der
Berufsgenossenschaft zu treffen. Hierzu wurde, bei der Beratung des Gesetzes von
einem Regierungsvertreter hervorgehoben, daß sich aus der Stellung der
Berufsgenossenschaft als Trägerin einer öffentlich-rechtlichen Versicherung die
entsprechenden Verpflichtungen ergäben; es müsse deshalb dafür gesorgt werden, daß
so wichtige ihnen anvertraute öffentlich rechtliche Aufgaben, wie es die
Unfallverhütung sei, auch in dem erforderlichen Umfange ausgeführt würden. Mit
dieser Erklärung ist nun aber eine nähere Begriffsbestimmung nicht gegeben worden,
da eben dieser Begriff ein dehnbarer ist. Denn es ist offensichtlich, daß diejenigen
Vorschriften, die für den Betrieb eines Unternehmers tatsächlich unbedingt
erforderlich sind, für den Betrieb eines anderen Unternehmers, dessen Tätigkeit eine
ganz andersgeartete ist, entbehrlich und überflüssig, eventuell sogar ganz sinn- und
zwecklos, sind. Es kann also nur von Fall zu Fall, nicht ganz allgemein, die
Entscheidung darüber getroffen werden, welche Vorschriften mit Rücksicht auf den
betreffenden Betrieb des Unternehmers als erforderlich und sachentsprechend dahin zu
geben sind. Den Maßstab hierfür bildet dann eben der Betrieb, welchen das
Unternehmen zum Gegenstände hat. So ist es klar, daß bei Betrieben, die die
Fabrikation feuergefährlicher oder leicht explodierender Stoffe zum Gegenstande
haben, eine viel genauere und eingehendere Abfassung der
Unfallverhütungsvorschriften stattfinden muß, als bei solchen Betrieben, bei denen
bezüglich der Fabrikate eine solche Gefahr überhaupt nicht oder doch nur in viel
geringerem Maße besteht. Demnach ist es Pflicht des Betriebsunternehmers, der
Berufsgenossenschaft in vollständiger und einwandfreier Weise genaue Mitteilungen
über den Charakter seines Betriebes zu machen, um dieser die Möglichkeit zu geben,
auch tatsächlich die erforderlichen Vorschriften sachgemäß zu treffen. Im übrigen
ist aber auch von der Reichsversicherungsordnung eine sachentsprechende Abfassung
der Unfallverhütungsvorschriften durch die Bestimmung des § 853 RVO. gewährleistet,
denn nach dieser sind ja bei der Beratung und bei dem Beschluß von dem
Genossenschaftsvorstand Vertreter der Versicherten zuzuziehen.
Die erforderlichen Vorschriften sind von der Berufsgenossenschaft über die
Einrichtungen und Anordnungen zu erlassen, welche die Mitglieder zur Verhütung von
Unfällen in ihren Betrieben zu treffen haben. Einrichtungen sind jedenfalls bauliche
und maschinelle Sicherheitsvorkehrungen; im weiteren Sinne fallen hierunter nach dem
Standpunkt des Reichsversicherungsamtes aber auch von Anfang an alle Maßnahmen, die
eine möglichst unfallsichere Betriebsführung bezwecken., Daraus ergibt sich, daß die
Berufsgenossenschaft schon bezüglich der ganzen Anlegung von feuergefährlichen
Betrieben die erforderlichen Vorschriften zu erlassen hat, um eine spätere
unfallsichere Führung des Betriebes zu ermöglichen. Auch müssen selbstverständlich
früher getroffene Anlagen des Betriebes, die mit den jetzigen
Unfallverhütungsvorschriften im Widerspruch stehen, von dem Unternehmer sofort
beseitigt werden, und zwar selbst dann, wenn ihm die baulichen Aenderungen größere
Kosten verursachen. Ergänzend hierzu sind erforderlichenfalls die Bestimmungen der
Reichsgewerbeordnung als maßgebend zur Anwendung zu bringen, da auch diese
selbstverständlich derartige baulichen Aenderungen erforderlich machen können, wenn
deren Voraussetzungen vorliegen. Ein Maßstab in dieser Richtung ergibt sich aus §
848 RVO. selbst; denn nach dessen Wortlaut sollen diese Einrichtungen zur Verhütung
von Unfällen der Versicherten dienen. Dieser Zweck muß also stets gegeben sein, wenn
von dem Unternehmer die Anlage besonderer baulicher Anlagen verlangt wird.
Die Vorschriften seitens der Berufsgenossenschaft müssen ferner Bestimmungen darüber
enthalten, welches Verhalten die Versicherten zur Verhütung von Unfällen in den
Betrieben zu beobachten haben. Auch hier kann für die Zweckmäßigkeit derartiger
Bestimmungen kein allgemeiner Grundsatz aufgestellt werden, da eben die Frage,
welches Verhalten des Versicherten als zweckmäßig und erforderlich erscheint, sich
ganz nach der Natur des Betriebes richtet. Je nach der Lage des Falles werden also
in dieser Hinsicht voneinander verschiedene Vorschriften am Platze erscheinen, wobei
auch hier die Angaben des Unternehmers und der Versicherten der Berufsgenossenschaft
die Handhabe zur Abfassung zweckentsprechender und angebrachter Vorschriften geben
werden.
Bemerkenswert ist, daß der Erlaß von Vorschriften, die allgemein den Schutz von Leben
und Gesundheit bezwecken, nicht zu den Befugnissen der Berufsgenossenschaft
gehören. Die Verpfichtung in dieser Richtung liegt aber dem Betriebsunternehmer
ob. Das ergibt sich aus der gesetzlichen Bestimmung des §618 BGB., nach welcher der
Dienstberechtigte die Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur
Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und
Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind,
so zu regeln hat, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Gesundheit und Leben so
weit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Eine Lücke des
Gesetzes besteht also nicht. Selbstverständlich ist es ganz unzulässig und
rechtsunwirksam, in die Unfallverhütungsvorschriften Bestimmungen aufzunehmen, die
mit dem Zweck derselben, dem der Unfallverhütung, in gar keinem Zusammenhange
stehen, wie zum Beispiel Bestimmungen, die die Freiheit des Arbeitsvertrages
einschränken; hierzu gehören auch solche Bestimmungen, die in sonstiger Beziehung
die Eingehung des Arbeitsvertrages erschweren, wie zum Beispiel solche Vorschriften,
daß die Arbeiter sich vor ihrer Annahme einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen
haben.
Die Bestimmungen darüber, welches Verhalten die Versicherten zur Verhütung von
Unfällen in den Betrieben zu beobachten haben, müssen mit der nötigen Klarheit
abgefaßt werden, also mit anderen Worten so, daß sie von den Versicherten auch in
leichtester Weise aufgefaßt und verstanden werden können. Hierbei ist insbesondere
auf den Bildungsgrad der versicherten Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen; demnach sind
also schwer verständliche Ausdrücke technischer oder wissenschaftlicher Art zu
vermeiden, vielmehr eine Ausdrucksweise zu wählen, die auch dem Laien verständlich
ist. Neben der Klarheit der Ausdrucksweise ist aber auch die erforderliche
Bestimmtheit bei der Abfassung dieser Vorschriften zu beobachten. Es ist daher im
einzelnen genau und zweifelsfrei anzugeben, welche positiven Handlungen der
Versicherte vorzunehmen hat und was er im einzelnen zu unterlassen hat. Mangels der
erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit sind vor allem auch solche Vorschriften
unzulässig und wirkungslos, die sich darauf beschränken, auf nähere
Ausführungsanweisungen des Vorstandes der Berufsgenossenschaft zu verweisen; denn es
kann dem Versicherten nicht zugemutet werden, sich einem längeren Studium der
gesamten, gar nicht zum Aushang gebrachten Ausführungsanweisungen zu unterziehen, da
es ihnen hierzu schon an der notwendigen Zeit und Auffassungsgabe regelmäßig fehlen
wird.
Gemäß § 848 Abs. 3 RVO. ist in den Unfallverhütungsvorschriften der
Berufsgenossenschaft zu bestimmen, wie sie den Versicherten bekannt zu machen sind,
so daß also eine bestimmte Art der Bekanntmachung von dem Gesetz nicht
vorgeschrieben ist, vielmehr Art und Weise derselben dem Ermessen der
Berufsgenossenschaft überlassen worden ist. Der Unternehmer hat derartigen
Vorschriften stets Folge zu leisten, also insbesondere stets die Bestimmungen zum
öffentlichen Aushange in seiner Betriebsstätte zu bringen, falls diese Art der
Bekanntmachung – wie es wohl ausnahmslos der Fall sein wird – in den
Unfallverhütungsvorschriften selbst angeordnet ist. Auch hier wird im übrigen die
Art der Bekanntmachung je nach der Art des Unternehmens im einzelnen eine
verschiedene sein, so daß also einheitliche Grundsätze nicht bestehen, zumal jedes
Gesetz selbst hierüber schweigt. Werden von dem Unternehmer in seinem Betriebe
Ausländer beschäftigt, so ist es seine Pflicht, eine genaue Ueberseizung der
Vorschriften in die Sprache der Ausländer anfertigen zu lassen, damit sie auch von
diesen Arbeitnehmern verstanden werden können.
Rechtsanwalt Dr. Werneburg.