DIE BIEGUNG KRUMMER ROHRE.Von H. Lorenz in
Danzig.LORENZ: Die Biegung krummer Rohre.Inhaltsübersicht.Aus den Gleichgewichtsbedingungen des Wandelements eines
gekrümmten Rohres wird unter der Annahme der Erhaltung der doppelten Symmetrie des
Rohrquerschnitts für die Aenderung der Rohrkrümmung durch ein äußeres Moment eine
neue einfache Formel abgeleitet und deren Uebereinstimmung mit Versuchsergebnissen
nachgewiesen.––––––––––Ein gerades Rohr verhält sich gegenüber einem Biegungsmomente, dessen Achse senkrecht
zu einer Mantelgeraden steht, genau wie ein voller Balken mit demselben
Trägheitsmoment des Querschnitts. Besitzt dagegen die Achse des Rohres von
vornherein eine Krümmung 1 : ρ, so fällt deren
Aenderung unter dem Einfluß eines Biegungsmoments
erfahrungsgemäß viel größer aus als man nach der für volle krumme Stäbe mit dem
Trägheitsmoment Θ des Querschnitts und dem
Elastizitätsmodul E gültige Formel
. . (1)erwarten sollte, während gleichzeitig der Querschnittsumfang
eine Formänderung erleidet. Dieser Vorgang findet seine Erklärung in der Tatsache,
daß die auf der Querschnittsebene senkrechte Biegungsspannung vermöge der
Rohrkrümmung eine Normalkomponente zur Rohrwand besitzt und daher diese wie ein
(ungleichförmiger) Außen- oder Innendruck abzuplatten oder aufzublähen sucht. Dies
setzt wiederum die Wirkung eines Biegungsmomentes
auf den Querschnittsumfang voraus, dem unter
der Annahme einer kleinen Wandstärke h im Verhältnis zu
den sonstigen Querschnittsabmessungen innerhalb der Wand eine mittlere Schubspannung
τ in der Normalrichtung entsprechen möge.
[Textabbildung Bd. 327, S. 577]
Fig. 1.Wir schneiden nun nach Fig. 1 aus dem eben gekrümmten
Rohr durch zwei benachbarte, um den Winkel dχ
gegeneinander geneigte Querschnittsebenen mit der gemeinsamen Geraden ZZ ein keilförmiges Rohrelement heraus und bezeichnen
den Schwerpunktsabstand SO des doppelt symmetrisch
angenommenen Rohrquerschnitts von ZZ, d.h. den
Krümmungshalbmesser der Rohrachse mit r0, den Abstand AC eines
beliebigen Punktes A des Rohrumfanges von ZZ mit r. Denkt man sich
das keilförmige Rohrelement durch Drehung um ZZ
erzeugt, so beschreibt der Punkt A den Bogen AA' = ds'
= rdχ mit dem Krümmungsmittelpunkt M' im Schnitt der Normalen der Rohrwand in A und der Geraden ZZ. Der
zugehörige Krümmungshalbmesser AM' = ρ' ist dann, wenn
y den Neigungswinkel der Tangente an der Rohrwand
in A bedeutet . . (2)Auf der Normalen AM' liegt ferner
auch der Krümmungsmittelpunkt M'' eines Bogenelements
AB = ds'' = ρ' d φ der
Rohrwand, das mit AA' ein rechteckiges Wandelement AA'
B'B = ds' ds'' begrenzt, welches in Fig. 2 der
Deutlichkeit halber nochmals herausgezeichnet sein möge. An dessen Schnittflächen
hds' und hds'' wirken
nun die Normalspannungen σ'' und σ' mit der nach innen gerichteten Komponente
,
der ein konstanter Innendruck p mit der Normalkraft p ds' ds'' entgegensteht. Außerdem aber greift infolge
der oben erwähnten Biegung des Querschnittsumfanges längs AA' die Schubspannung τ mit einer Normalkomponente τhds' = τrhdχ an, die auf der gegenüberliegenden Seite, d.h. im
Abstande r + dr von ZZ aufzugenommen hat, so daß hiervon eine nach außen gerichtete
Normalkomponente
übrig bleibt. Diese steht mit den oben angeführten Kräften im Gleichgewicht,
wennoder wegends' = r d χ, dr = ds'' sin φist. Hierin wollen wir nach Analogie eines Rotationskörpers um
die Achse ZZ die Spannung σ' als Ringspannung, und σ'' als Meridianspannung
bezeichnen.
[Textabbildung Bd. 327, S. 578]
Fig. 2.Setzen wir weiterhin voraus, daß, wie beim geraden Rohr die Scheitel des doppelt
symmetrischen Querschnittes erhalten bleiben, so wird dort das Biegungsmoment
ausgezeichnete Werte besitzen, und demgemäß
die zugehörige Querkraft, welche unter Vernachlässigung der Aenderung von ρ' durch die Formel . . . . . (4)dargestellt wird, an den Scheiteln verschwinden. Für ein Rohr
mit kreisförmiger Achse und einer Bogenlänge χ ist
aberT = τrχh . . . . . . (4a)oder nach Gleichung 4 . . . .
. (4b)so daß nach unserer Annahme die
Schubspannung τ in den vier Scheiteln des doppelt
symmetrischen Querschnitts verschwindet.Schneiden wir daher aus unserem Keil Fig. 3 durch
Parallelkreise durch den Punkt A und den Scheitel D einen Bogen heraus, so wirkt auf diesen in der
Richtung ZZ der Innendruck p mit der Kraft und
entgegengesetzt im Schnitte durch A die Kraft (σ''cos φ – τ sin φ) hrdχ, während im Schnitte durch D keine Querkraft vorhanden ist. Mithin bedingt das Gleichgewicht in
der Z-Richtung
. . (5)und liefert nach Elimination der Meridianspannung σ'' mit Gleichung 3oder mitFür die rechte Seite dieser Formel dürfen wir aber mit Rücksicht auf Gleichung 2 auch
schreibenso daß wir als Ergebnis der Elimination von σ'' aus Gleichung 3 und 5
. . (6)erhalten. Herrscht insbesondere im Rohr kein Druck, so
vereinfacht sich mit p = 0 diese Gleichung in
. . . . (6a)und ergibt für die Normalkraft auf
dem Querschnitt durch Integration über dessen Umfang
. . (7)entsprechend der sogen. reinen Biegung
durch ein Moment ohne Stabkraft.
[Textabbildung Bd. 327, S. 578]
Fig. 3.Als Beispiel wollen wir den Fall eines Rohres mit kreisförmiger
Umfangslinie des Querschnittes untersuchen, wobei der Radius a mit dem Krümmungshalbmesser ρ'' des Meridians übereinstimmt. Der Bedingung des Verschwindens der
Querkraft 4 a in den vier Scheiteln des Querschnitts werden wir am einfachsten
gerecht durch den Ansatzτ r = τ0 r0 sin
2 φ . . . . . (8)worausund mit Gleichung 6a .
(9)hervorgeht. Die Ringspannung wird
demnachproportional dem Abstande von der Parallelen zu ZZ durch den Kreismittelpunkt, die somit die
neutrale Achse des Querschnittes bildet. Weiter folgt für das Biegungsmoment um
diese Achse mit r – r0 = y
(9a)worin das Trägheitsmoment um die neutrale AchseΘ' = πa3h . . . . . (10)zu setzen ist.Das Biegungsmoment , welches den Kreisquerschnitt
zu deformieren sucht, folgt mit Gleichung 8 aus 4b und ds'' = adφoder
. . (11)Hierin bestimmt sich die Konstante
aus der Bedingung, daß zwei
gegenüberliegende Querschnittsscheitel keine Verdrehung gegeneinander erleiden, d.h.
daßoder wird. Mithin
bleibt
. . (11a)mit dem Trägheitsmomente . . . . .
(12)Nunmehr berechnet sich die auf einen Sektor von der Oeffnung
χ entfallende Formänderungsarbeit
. (13)oder mit Benutzung der Ausdrücke 9 a, 10, 11a, 12Hierin ist r = r0 + a cos φ, also angenähert wegen der Kleinheit des Verhältnisses a : r0also,wonach Gleichung 13a übergeht in
. . (13 b)Da nun die ganze Formänderungsarbeit durch das äußere Moment
geleistet wird, welches eine Verdrehung des
Ringsektors um Δχ bedingt, so haben wir auch . . . . .
(14)und eingesetzt in Gleichung 13b
. . . (15)Bei der Ableitung dieser Formel, bezw. der Einführung des
Momentes durch Gleichung 4 b wurde
vorausgesetzt, daß dieses längs des Ringsektors χ
konstant sei. Trifft dies nicht zu, so ist natürlich dχ
anstelle von χ und dΔχ für Δχ zu setzen, so daß man für die Querschnittsverdrehung eines Rohres mit kreisförmigem Querschnitt
allgemeiner
. (15a)schreiben und diese Gleichung auch der Berechnung im Falle veränderlicher Biegungsmomenteund Krümmungsradien r0 der
Rohrachse zugrunde legen darf.Die Formel unterscheidet sich von derjenigen des vollen gekrümmten Stabes durch den
Klammerausdruck, der für h = 0 unendlich wird und mit h = ∞ in Gleichung 1 übergeht.
Ein massiver Balken kann demnach als ein Rohr mit unendlicher Wandstärke aufgefaßt
werden. Der Klammerausdruck nähert sich aber auch dem Werte Gleichung 1 bei
unbegrenztem Anwachsen des Krümmungshalbmessers r0 der Rohrachse. Für r = ∞ geht daher Gleichung 15a
in die Differentialgleichung der elastischen Linie des ursprünglich geraden Stabes
über, die somit auch für ein gerades Rohr mit kreisförmigem Querschnitt gilt.Von der Richtigkeit der letzteren Folgerung kann man sich jederzeit durch
Biegungsversuche an geraden dünnwandigen Rohren überzeugen, während zur Prüfung
unserer Formel 15a Beobachtungen von Bantlin1)A. Bantlin:
Formänderung und Beanspruchung federnder Ausgleichsrohre, Z. d. V. d. I.
1910, S. 45. an Rohrkrümmern zur Verfügung stehen. Diese boten v.
Kárman2)Th. v. Kárman: Ueber
die Formänderung dünnwandiger Rohre, insbesondere federnder Ausgleichsrohre.
Ebenda 1911, S. 1889. Anlaß zur Aufstellung einer Theorie der
Biegung krummer Rohre, die im Gegensatz zu der hier vorgetragenen sich nicht auf das
Gleichgewicht der Spannungen am Wandelement stützt, sondern von der Formänderung der
Umfangslinie im Querschnitt ausgeht. Insbesondere wird für die
Tangentialverschiebung eines Umfangspunktes eine periodische Reihe angeschrieben und
daraus die Formänderungsarbeit entwickelt. Da die Koeffizienten der Reihe statisch
unbestimmte Größen darstellen, so berechnen sie sich wie derartige Kräfte aus dem
Verschwinden der partiellen Ableitungen der Formänderungsarbeit nach ihnen, d.h. aus
der Bedingung des Minimums dieser Arbeit, die somit die Gleichgewichtsbedingung
ersetzt. Unter Beschränkung auf nur ein Glied der Reihe von der Form c sin 2 φ analog unserem Ansatz Gleichung 8 für die Querkraft,
bezw. die mittlere Schubspannung erhält v. Kárman an
Stelle von Gleichung 15a die Gleichungwelche ebenfalls für h = ∞ und r0 = ∞ in die Formel für den vollen krummen bezw. den geraden Balken
übergeht, während für h = 0 der Klammerausdruck 0,1 wird.Man übersieht, daß man ganz allgemein sowohl die Kármansche Formel als auch unsere Gleichung in der Formschreiben kann, worin K einen aus
den Klammerausdrücken zu berechnenden Koeffizienten des
Trägheitsmoments bedeutet, der im Falle einer veränderlichen Rohrkrümmung
mit dieser variiert. Dies trifft nun für die Bantlinschen
Versuche zu, die sich auf sogen. Ausgleichsrohre bezogen,
deren Achse sich nach Fig. 4 aus drei Kreisbogen mit
den beiden Radien r1
und r2 zusammensetzt,
während der Querschnitt längs des ganzen Rohres unveränderlich ist. Bedeutet alsdann
Δx die Verschiebung des Angriffspunktes der Kraft
P gegen die Mittellinie O1M, so ist
die Formänderungsarbeit einer Hälfte des Ausgleichsrohres
oder mit dem Moment
in bezug auf einen Punkt D der Rohrachse im Abstand Z von der Kraftrichtung
[Textabbildung Bd. 327, S. 580]
Fig. 4.so daß . . .
. . (17)wird. In dieser Gleichung ist ds
ein Längenelement der Rohrachse, Θ das mit dem Faktor
K behaftete Trägheitsmoment der Rohrachse, der für
die Bogenstücke A B und B
C verschiedene Werte K1 und K2 besitzt. Mithin zerfällt die rechte Seite von
Gleichung 17 in zwei Teile, nämlich
(17a)wofür wir auch kürzer Δ x = Δ x1+ Δ x2 schreiben
können. Die beiden Integrale lassen sich leicht auswerten durch die Substitionen Z =
Z1 + r1 cos χ und ds1 = r1dχ bezw. Z = r2 (1 – cos χ), ds2 = r2dχ und ergeben$$\int\limits_B^C\,Z^2\,d\,s_2={r_2}^3\,\int_0^{\chi_2}\,(1-\mbox{cos}\,\chi)^2\,d\,\chi={r_2}^3\,\left({\frac{3}{2}\,\chi_2+\frac{\mbox{sin}\,2\,\chi_2}{4}+2\,\mbox{sin}\,\chi_2\right).$$Nun war für diesen flußeisernen Krümmer, vergl. Fig. 4
Weiterhin ergibt die Rechnung mit P = 300 kg, E = 2100000 kg/qcm,,woraus mit K1– K2 = 1 eine
Totalverschiebung des Kraftangriffs Δx = 0,43 cm folgen
würde. Nun ist aber,mithin nach Gleichung 15anach v. KármanMithin liefert unsere FormelΔx = 0,397 . 3,92 + 0,033 . 7,44 =
1,80 cmund die v. KármanscheΔx = 0,397 . 3,20 + 0,033 . 4,75 =
1,43 cm,während der Versuch BantlinsΔ x = 1,72 cmergeben hatte. Die Uebereinstimmung unserer Theorie mit der
Wirklichkeit ist demnach eine sehr befriedigende und übertrifft sogar diejenige v.
Kármans ganz erheblich. Der noch übrigbleibende
kleine Unterschied ist hinreichend durch die Vernachlässigung der Querkonstruktion
in unserer Theorie gerechtfertigt.Nach dieser wichtigen Feststellung wollen wir die größten Spannungen berechnen, die
im Querschnitt des Rohres auftreten. Die größte
Ringspannung ist offenbar nach Gleichung 9 und 9 a mit r – r0 = a . . .
. . . (18)während die dazu normale
Biegungsspannung sich mit Gleichung 11 a und 12 zuberechnet. Hierzu tritt noch die Meridianspannungσ'' = τ tg φ, so daß eine
Gesamtspannungoder genau genug
. . (19)resultiert mit den Höchstwerten für φ = 0 und ,wofür wir auch mit Rücksicht auf die Bedeutung von τ0 aus Gleichung 9
. (19 a)schreiben dürfen. Hiervon kommt, da
stets ein kleiner Bruch sein soll, nur der erste
Wert als absolut größter in Betracht. Dividieren wir diesen in Gleichung 18, so
folgt
. . . . . (20)wonach also für a2 > r0 h, wie in dem besprochenen Ausgleichsrohre die Spannung der Querbiegung der Umfangskurve die Ringspannung
weitaus überwiegt.Zum Schluß möge darum noch die Formänderung des ursprünglich
kreisförmigen Rohrquerschnitts ermittelt werden, wobei wir an die
Gleichungen 11 a und 12 anknüpfen können. Es ist nämlich die Verdrehung an der
Stelle φ
. . (21)und daraus die Verschiebung eines
Punktes in der Richtung r gegenüber dem inneren
Scheiteloder
. . (22)Ebenso ergibt sich die Achsialverschiebung (in der Richtung ZZ)
zu
. . . . . (23)Die totale Zusammendrückung des Kreisquerschnittes in radialer
oder achsialer Richtung ist demnach (Fig. 5)und wir erkennen, daß der ursprüngliche
Kreisquerschnitt durch ein positives Moment, welches den
Krümmungsradius r0
des Rohres zu vermindern strebt, in der Richtung von r, durch ein negatives Moment dagegen in der Richtung ZZ zusammengedrückt wird.
[Textabbildung Bd. 327, S. 581]
Fig. 5.