Titel: | DER HEUTIGE STAND DER AVIATIK UNTER BEZUGNAHME AUF DIE BERLINER AUSSTELLUNG. |
Autor: | A. R. Brünner |
Fundstelle: | Band 327, Jahrgang 1912, S. 364 |
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DER HEUTIGE STAND DER AVIATIK UNTER BEZUGNAHME
AUF DIE BERLINER AUSSTELLUNG.
Von Zivilingenieur A. R. Brünner,
Berlin.
BRUENNER: Der heutige Stand der Aviatik unter Bezugnahme auf die
Berliner Ausstellung.
Inhaltsübersicht.
Deutsche Fortschritte bei Aeroplanen – Zuverlässigkeit echt
deutscher Motoren – erfolgreiche Aeroplantypen – Vorrang der Eindecker – markante
Typen.
––––––––––
Vor einigen Jahren veranstaltete Deutschland zum ersten Male eine aeronautische
Spezialausstellung, die bekannte ILA in Frankfurt a. M. Sie bestand hauptsächlich
aus Ballons, Luftschiffen usw.; doch war von Aeroplanen so gut wie nichts zu sehen.
Von der Zeit an, speziell seit dem vielbesprochenen Kanalflug des Franzosen Bleriot, warf man sich auch bei uns mächtig auf diesen
Sport und nunmehr hat man auch eine aviatische Ausstellung veranstaltet, die zeigen
sollte, wie weit man in dieser kurzen Spanne Zeit gekommen ist. Ein neuer
Werdeabschnitt hat begonnen, der klar erkennbar in zwei Richtungen arbeitet: Einmal
in der Weiterführung der technischen Entwicklung unter Verwertung jeglicher
Neuergebnisse, zum anderen in der praktischen Nutzbarmachung des Erreichten im
Dienste der Kultur, der Forschung, des Verkehrs und des Heerwesens. Die Industrien
sind weit über das ganze Reich, die Mitteilungen über die erzielten technischen
Fortschritte, über Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung auf den zahlreichen
in Frage kommenden Gebieten in der Tages- oder Fachpresse weit verstreut.
Textabbildung Bd. 327, S. 364
Fig. 1. Apparat der Dresdener techn. Hochschule zur Messung der Stabilität und
Motorleistung von Aeroplanen.
Die Allgemeine Luftfahrzeugausstellung, die erste in ihrer Art in der
Reichshauptstadt, verdiente um so größeres Interesse, als es zum ersten Male
geschah, daß die deutsche Flugzeugindustrie geschlossen vor das große Publikum trat,
um zu zeigen, daß sie nicht mehr im Verborgenen blüht, sondern daß ihr ein Platz an
der Sonne gebührt, wie der deutschen Automobilindustrie, die vor Jahren schon sich
ihre dominierende Stellung auf dem Weltmarkte erobert hat und sie mit Zähigkeit
gegenüber der Konkurrenz des Auslandes behauptet. Handgreifliche Vergleiche mit den
Erzeugnissen des Auslandes zu ziehen, ist zwar nicht möglich, weil wir es mit einer
rein nationalen Schau zu tun haben, denn das Ausland hat sich ferngehalten und tritt
nur in einzelnen Sonderabteilungen, z.B. in der wissenschaftlichen, hier und da in
die Erscheinung (Fig. 1 u. 2). Die ALA also war deutsch, und das erhöht ihren Wert.
Um die im vorigen angedeuteten großen Zwecke zu erfüllen, war der Zeitpunkt sehr
geschickt gewählt. Denn er fiel zusammen mit dem Abschluß der winterlichen
Konstruktions- und Werkstättentätigkeit, als deren Ergebnisse mit anbrechendem
Frühjahr die neuesten Errungenschaften vorgeführt werden konnten. Insofern lag der
Termin der ALA wesentlich günstiger als der des Pariser Salon (Dezember). Das Neue
trat vor allen Dingen in der Flugzeugindustrie zutage: in den Typen 1912, die
bezeichnenderweise öfters Typ ALA genannt worden sind, damit kennzeichnend, welche
Hoffnungen auf diese Veranstaltung gesetzt wurden. Es war zu erwarten, daß diese
unter dem Zeichen der Flugmaschine stehen würde. Der erste Blick in die weiten Räume
bestätigte diese Erwartung in vollstem Maße. Der deutsche Luftfahrzeugbau hat sich,
nunmehr von der Anwendung ausländischer, vor allem der rotierenden französischen Gnôme-Motoren frei gemacht. An ihre Stelle ist der
wassergekühlte deutsche Motor mit stehendem Zylinder getreten, aus dem bisherigen
Automobilmotor für den Sonderzweck im einzelnen umgestaltet. Da eine eigene
Flugzeugmotorenindustrie infolge mangels genügenden Absatzes sich bei uns noch nicht
zu halten vermochte, im Gegensatz zu Frankreich, dessen Flugmaschinen daher zum
weitaus größten Teil Spezialflugmotoren mit rotierenden oder V-förmig oder sternförmig gestellten
meist luftgekühlten Zylindern zeigen, so war es eine natürliche Erscheinung, daß die
deutschen Maschinen, da sie den großen Automobilfirmen entstammen, auch eine sehr
enge Anlehnung an die Baugrundsätze des Automobilmotors aufweisen. Erwähnenswert
sind die Euler-Flugmaschinen; August Euler hatte den Euler-Doppeldecker
ausgestellt, auf dem Prinz Heinrich von Preußen, der bekanntlich bei Euler das Fliegen erlernte, auf dem Euler-Flugplatze bei Darmstadt dann das Pilotenexamen bestand und am 22.
April vergangenen Jahres mit dieser Maschine 50 km in 40 Minuten zurücklegte. Außer
dem „Prinz-Heinrich-Doppeldecker“ hatte Euler noch
zwei weitere Flugzeuge und einen Luftschiffzerstörer mit Maschinengewehr
ausgestellt. Die dritte Maschine auf dem Euler-Stand war
die Euler-Dreidecker-Wasserflugmaschine. Dieser Apparat
war der einzige Dreidecker, der in der ALA zu sehen war. Diese Maschine wird durch
einen 70 PS-Gnôme-Motor betrieben und soll eine große
Tragfähigkeit besitzen.
Von den Albatroswerken waren zwei prächtige
Militärflugzeuge ausgestellt, von denen die eine diesjährige Type am meisten
interessiert, die auch auf der letzten Pariser Luftschiffahrt-Ausstellung als
deutsches Fabrikat viel Aufsehen erregte. Die Albatroswerke können ebenso wie die Rumplerwerke als ein Beispiel für die gute Entwicklungsfähigkeit der
deutschen Flugzeugindustrie angesprochen werden. Beide Werke fabrizieren ihre
Normaltypen bereits in Serien, Albatros z.B. in Serien zu
zehn Stück. Wenn auch vielleicht die Apparate nicht gleich fix und fertig
aufmontiert werden, so werden doch alle Teile in dieser Anzahl fertiggestellt, und
es bedarf nur des Zusammenbaues. Hierdurch ist bereits die Vorbedingung für eine
leichte Auswechselbarkeit aller Teile gegeben. Gleichzeitig werden dadurch
Reparaturen erheblich verbilligt, was jeder dankbar anerkennen wird, der in früheren
Zeiten einmal „Bruch“ bezahlen mußte. Sehr ähnlich in den äußeren Formen,
namentlich was die Tragflächen anbelangt, ist der Doppeldecker der Deutschen Flugzeugwerke ausgefallen, der sich für das
obere Tragdeck ebenfalls die Taubenform mit ihren elastischen Flügelenden als
Vorbild ausgewählt hat. Auch dieses Flugzeug ist als Militärdoppeldecker ausgebildet
und mit Rücksicht auf leichteste Transportfähigkeit gebaut. Der Apparat ist schnell
zerlegbar. Beide Apparate sind mit einem hundertpferdigen Argus-Motor ausgerüstet. Das Typische an beiden ist die Verbindung der
Vorteile des Ein- und Zweideckers, indem nämlich von ersterem der bootsförmige,
der Luft nur geringe Angriffsflächen bietende und die Insassen auf das beste
schützende Körper übernommen worden ist, während die breitausladenden doppelten
Tragflächen die Vorteile des Doppeldeckers bezüglich der großen Tragfähigkeit
bieten.
Textabbildung Bd. 327, S. 365
Fig. 2. Entwurf zu einem fliegenden Fahrrad, zugleich Schlepp- und
Steuerapparat für Freiballons und Aeroplane.
Der größten Beliebtheit scheinen sich die Eindecker zu erfreuen, waren doch z.B. auf
der Berliner Ausstellung von 27 Maschinen 17 dieser Type zu sehen. Hier sind die
gemachten Fortschritte am bemerkenswertesten. Besonderes Interesse bietet die
völlige Einkapselung des Piloten, eine immer mehr zur Aufnahme kommende Methode. Am
strengsten ist dies bei der Rumpler-Taube durchgeführt.
Die Aussicht für den Piloten ist infolge geschickten Einsetzens der
Marineglasscheiben ganz unbeschränkt. Die elegante Linienführung der Karosserie
setzt den Luftwiderstand soweit wie möglich herab. Die zweite Taube in dem gleichen
Stand ist der bekannte vielbewährte Militärtyp mit hundertpferdigem Argus-Motor. In der ALA war auch die stärkste
Flugmaschine der Welt zu sehen, nämlich die Rumpler-Loutzkoy-Riesentaube mit zwei je hundertpferdigen Argus-Motoren und zwei Schrauben, ein Apparat, der auch
bereits geflogen ist, wenngleich noch nicht mit voller Kraft.s. D. p. J., Seite 171 d. Bd. Seine
Geschwindigkeit dürfte 150 km/Std. zweifellos erheblich überschreiten. Recht große
Verschiedenheit findet sich heute noch in dem wesentlichen Teil der Flugmaschinen,
in dem für die Tragflächen gewählten Profil. Es ist dies nicht verwunderlich, weil
in dieser Hinsicht die Forschung selbst es zu feststehenden und allseitig
anerkannten Ergebnissen noch nicht gebracht hat. Es ist empfehlenswert, sich hierauf
einmal anzusehen: das Profil der Taube, des Luftverkehrs-Eindeckers Typ Nieuport-Schneider und des Dr. Huth-Eindeckers. Wir finden grundlegende Unterschiede. Von dem Profil der
Tragfläche sind ganz unmittelbar abhängig: Tragkraft, Geschwindigkeit und
Stabilität, also die Gleichgewichtserhaltung. Dies sind Forderungen, die sich,
soweit die Kenntnisse heute gediehen sind, durchaus noch nicht mit ein und demselben
Profil gleichzeitig und in günstigster Form lösen lassen. Je nach den Absichten des
Erbauers entscheidet man sich für eine Flächenform, die in ihrer Gestalt die eine
oder andere der genannten Forderungen am besten zu erfüllen scheint und zwischen den
verschiedenen Forderungen ein leidliches Kompromiß ergibt. Eigenartige Krümmungen
der Tragfläche zeigt der Garuda-Eindecker. Die
Konstrukteure haben sie nach langen Modellversuchen in strömendem Wasser entworfen.
Die Propeller dieser Werke haben schon Weltruf, und vollkommen kann man auf das
französische Fabrikat, die bisher fast allein anerkannte Chauviere-Schraube, verzichten. In dem Bestreben, möglichst gute Aussicht
nach vorn und nach den Seiten zu haben, sind Doppeldecker gebaut, bei denen sich
nach französischem Muster die Sitze ganz vorn befinden, ohne jeden Schutz vor
strömender Luft.
Die genannten sind nur die markantesten Neuigkeiten und würde es zu weit führen, die
übrigen auf der Ausstellung gezeigten zu beschreiben.