AUSLÄNDISCHE LOKOMOTIVEN AUF DER AUSSTELLUNG IN
TURIN 1911.Von Schwickart, Ingenieur in
Köln-Kalk.SCHWICKART: Ausländische Lokomotiven auf der Ausstellung in Turin
1911.Inhaltsübersicht.Im Anschluß an den Bericht über die von deutschen Firmen
ausgestellten Lokomotiven in Turin (D. p. J. 1911 Bd. 326 S. 705 u. ff.) sind hier
die der ausländischen Firmen kurz behandelt.––––––––––Hervorragend vertreten in Turin war Italien mit 16 Lokomotiven, von denen sechs Stück
Heißdampf- und zwei Stück Zahnradlokomotiven waren. Ihm schließen sich Frankreich
mit sechs, Belgien mit vier und die Schweiz mit einer Maschine an. Bevor ich die
neueren Typen betrachtete, schicke ich die Beschreibung zweier ebendort
ausgestellter historischer Lokomotiven der Italienischen Staatsbahnen voraus. Es
sind dies eine 1–A–1 Schnellzuglokomotive Gruppe 102 (Baujahr 1857) von Beyer & Peacock in Manchester und eine
2–B–0-Güterzuglokomotive Gruppe 499 (Baujahr 1853) von Cockerill in Seraing. Deren Hauptabmessungen sind in Tab. 1
wiedergegeben.Tabelle 1.
Diese beiden Lokomotiven bieten ein beredtes Beispiel für den großen Fortschritt des
Eisenbahnwesens. Für unsere heutigen Begriffe ist eine
„2–B–0-Güterzuglokomotive“ ein Unding. Das Drehgestell zeigt nur 895 mm
Radstand, die Zylinder liegen stark geneigt neben der Rauchkammer, der Rahmen ist
als Sprengwerk ausgebildet.A. Personen- und
Schnellzuglokomotiven.Die Bauart und Hauptabmessungen der Personen- und Schnellzuglokomotiven sind in Tab.
2 wiedergegeben.Sowohl die Weltausstellung in Brüssel wie in Turin waren mit einer Reihe
2–C–1-(Pacific)-Lokomotiven beschickt. Dieser Typ wurde 1907 von der
Paris-Orléans-Bahn zuerst in Europa eingeführt und von der Elsässischen Maschinenbau-Gesellschaft entworfen und gebaut. Wie schon der
Name Pacific-Typ erkennen läßt, stammt diese Bauart aus Amerika und wurde die erste
Maschine dieser Art 1886 von der Lehigh Valley Ry. in
ihren eigenen Werkstätten in Wilkensbarre unter dem Namen „Strong“
fertiggestellt. Diese 2–C–1-Lokomotiven sollen die 2–C–0-Lokomotiven ergänzen, da
diese als Naßdampfmaschinen auf 10 v. T. zu schwache Kessel haben. Ein Beispiel wird
diese Darlegung weiter illustrieren. Die Reichseisenbahnen besitzen eine
2–C–0-Lokomotive von etwa 115 t Dienstgewicht (mit Tender) und 48 t
Adhäsionsgewicht. Der Triebraddurchmesser beträgt 1850 mm, die Heizfläche 209 qm.
Diese Maschine soll einen Zug von 400 t auf 10 v. T. mit 60 km Geschwindigkeit
befördern.Die Zugkraft errechnet sich zuZ = 115 (5 + 10) + 400 (3,6 + 10) =
7165 kg.Die eff. Leistung, am Radumfang gemessen, ergibt
oder 7,7 PS/qm
Heizfläche. Sowohl die Zylinder (2 . 340, 2 . 560/640 mm), wie das Adhäsionsgewicht
lassen diese Leistung zu, dagegen ist der Kessel auf den qm Heizfläche um 0,7 PS zu
hoch beansprucht. Die Kesselheizfläche muß demnach 1600 : 7 = 230 qm betragen. Der
Kessel wird also schwerer und ist eine sechste Achse zum Tragen der Maschine
erforderlich. Die Reichseisenbahnen ließen auch 1909 eine 2–C–1-Lokomotive mit 238
qm Heizfläche bauen. Günstiger liegt der Fall bei Lokomotiven mit Ueberhitzung. So
hat die Vierling-2–C–0-Heißdampflokomotive der Preußischen Staatsbahnen bei 60 km
Geschwindigkeit 1602 PS oder 10,38 PS/qm erreicht. Natürlich kann dies nicht als
Dauerleistung gelten. Bei dem Pacific-Typ müssen manche Nachteile mit in Kauf
genommen werden, so der große Gesamtradstand bedingt durch die Feuerbüchse und den
hohen Eigenwiderstand.Die 2–C–1-Vierling-Heißdampf-Schnellzuglokomotive der Belgischen Staatsbahnen (Nr. 1
der Tab. 2) ist von der Brüsseler Weltausstellung her bekannt und sollen nur ihre
Leistungen erwähnt werden. Die Maschine ist hauptsächlich für die Luxemburgische
Strecke, die anhaltende Steigungen von 16 v. T. aufweist, bestimmt. Bei der
Versuchsfahrt betrug das Zuggewicht 459 t, das Lokomotivgewicht 159 t. Die
Fahrtergebnisse sind in Tab. 3 wiedergegeben.Es bleiben demnach 17 bis 35 v. H. der Zugkraft in der Maschine. Die Kesselleistung
ist etwas höher als in „Garbe“ angenommen wird und kann durch die Formel 4,35
√u = n/qm Heizfläche ausgedrückt werden.Die 2–C–1-Vierling-Schnellzuglokomotive der Paris-Lyon-Mittelmeerbahn (Nr. 2 der Tab.
2), in den Werkstätten der Gesellschaft erbaut, ist in der Maßskizze (Fig. 1) wiedergegeben. Sie trägt die Nr. 6101 und
wurde am 25. August 1909 in Dienst gestellt, während welcher Zeit sie 75000 km
durchlaufen hat. Gleichzeitig mit dieser Maschine wurde eine
2–C–1-Verbund-Naßdampflokomotive entworfen, deren Abmessungen in Tab. 4
aufgezeichnet sind.Tabelle 2. Personen- und Schnellzuglokomotiven.Lokomotiven.
[Textabbildung Bd. 327, S. 277]
Lokomotive Nr.; Gattung;
Bahnverwaltung; Belg. Staatsb.; Paris-Lyon-M.; Paris-Orléans; Ital. Staatsb.;
Schweiz. Bundesbahnen; Franz. Ostb.; Ital. Staatsb.; Erbauer; Cockerill1),
Seraing; Comp. Fives-Lille; Ernesto2), Breda Mailand; Lokomotivfabr. Winterthur;
S. Batignolles, Paris; Ernesto Breda, Mailand; Constr. Meccaniche Saronno;
Armstrong & Cie., Sampierdarena; Heißdampf oder Naßdampf; Zylinderanordnung;
Zylinderdurchmesser; Kolbenhub; Triebraddurchmesser; Laufraddurchmesser;
Schleppraddurchmesser; Fester Radstand; Ganzer Radstand; Feuerbüchsheizflache;
Rohrheizfläche; Ueberhitzerheizfläche; Gesamtheizfläche; Anzahl der Rohre;
Durchmesser der Rohre, licht.; Rohrlänge; Rostfläche; Kesseldruck; Leergewicht;
Dienstgewicht; Adhäsionsgewicht; Wasservorrat; Kohlenvorrat; Tender; Anzahl der
Achsen; Fester Radstand; Ganzer Radstand; Wasservorrat; nicht ausgestellt;
Kohlenvorrat; Dienstgewicht; Leergewicht; 1) dieselbe Lokomotive von Léonard,
Lüttich ausgestellt; 2) dieselbe Lokomotive von Officine Meccaniche, Mailand
ausgestellt.Tabelle 3.
Geschwindigkeit km/Std.5060708090Zugkraft am Radumfang kg86007850750070006800Zugkraft am
Tenderzug- haken „71756200540048754425Widerstand von Loko- motive und Tender „14251650190021252375Leistung am Radumfang PS15921745185020752268Leistung v. Lokomotive u. Tender,
verbraucht „204367492615793Leistung auf den qm Heizfläche = n PS/qm6,67,27,78,69,4Umdrehungen/Sek. u2,32,73,13,64
Mit beiden Lokomotiven wurden auf der 133 km langen Strecke Laroche–Blaisy-Bas, mit
Steigungen von 1 bis 5 v. T. gegen Ende auf kurze Strecken bis 8 v. T.
Versuchsfahrten vorgenommen, deren Ergebnisse in Tab. 5 und 6 aufgestellt sind.
[Textabbildung Bd. 327, S. 278]
Fig. 1. 2–C–1-Vierling-Heißdampflokomotive der
Paris-Lyon-Mittelmeerbahn.Aus dem Fahrdiagramm abgelesene Kesselleistungen, auf den Radumfang bezogen, sind in
Tab. 7 zusammengestellt.Ueber die Bauart der Lokomotive ist folgendes zu sagen. Wie bei den 2–C–1-Lokomotiven
der FranzösischenTabelle 4.
Südbahn und Paris-Orléans-Bahn hat die Feuerbüchse
trapezförmigen Grundriß. Der Rost ist um 12° geneigt, um einen Radstand von nur 3030
mm zwischen den beiden letzten Achsen zu erreichen und der Feuerbüchse vorn eine
hinreichende Tiefe zu geben. Die Rostbreite beträgt hinten 2086 mm, vorn 1022 mm bei
einer Länge von 2135 mm. Die obere Feuerbüchsbreite ist fortlaufend 1516 mm. Die
Kupferbleche haben eine Stärke von 14 mm bezw. 25 mm in der Rohrwand.Die 26 mm starken Rahmenbleche sind nur durch Querstreben aus Blech und Stahlformguß
verbunden; Längsstreben fehlen. Das vordere Drehgestell zeigt dieTabelle 5.
Mittl.Wasser-verbrauchauf das
kgverbrann-ter Kohlebezog.lMittl. Verbrauchauf d.
PS/Std., amTriebradumfanggemessen, bez.Mittl. Verbrauchauf d.
PS/Std., amTenderzughakengemessen, bez.KohlekgWasserlKohlekgWasserlLokomotiv-Nr. 60017,31 1,55311,27 2,66119,39 „ 61017,12 1,35 9,57 2,22115,74Unterschied0,19 0,203 1,70 0,44 3,65Wert in v. H.2,6013,0715,0816,5318,82
bekannte Ausführung. Die hintere Laufachse ist in ein
Bisselgestell eingebaut und durch Spiralfedern abgefedert; die Rückstellung wird
durch Keilflächen bewirkt. Sämtliche gekuppelten Achsen sind durch Balanciers, die
auf Schneiden liegen, verbunden, so daß die Maschine theoretisch in vier Punkten
gestützt ist. Die Innenzylinder sind aus einem Stück gegossen und wirken auf die
erste Kuppelachse, die Außenzylinder auf die zweite Kuppelachse. Die Wangen der
Kropfachse sind durch Schrumpfringe verstärkt und in die Kurbeln Sicherheitsbolzen
eingesetzt.
[Textabbildung Bd. 327, S. 279]
Fig. 2. 2–C–1-Vierling-Heißdampf-Schnellzuglokomotive Gruppe 690 der
Italienischen Staatsbahnen.
[Textabbildung Bd. 327, S. 279]
Fig. 3. Steuerlingsanordnung der Lokomotive Nr. 4 (Fig. 2).Die Schieber sind als Kolbenschieber mit breiten federnden Ringen ausgebildet und
haben 220 mm Dtr. Der größte Schieberweg beträgt bei 30 mm Einströmdeckung und 4 mm
Ausströmdeckung 121 mm. Während die äußeren Schieber durch Heusinger-Steuerung angetrieben werden, erfolgt die Bewegung der inneren
durch einfache Umkehrhebel.Sowohl die Zylinder wie die Schieber werden durch einen Kondensations-Schmierapparat
mit 8 Abgabestellen geschmiert. Die Maschine ist ferner mit Gegendampfbremse,Tabelle 7.
Umdrehungen id. Sek. u2,653,453,733,814Leistung auf den qm Heiz- fläche = n
PS7,97,788,348,438,6a in n = a√u4,854,234,354,334,3
Dampfsandstreuer, Bauart Gresham,
der die erste Kuppelachse vorn und die letzte Kuppelachse hinten sandet,
Geschwindigkeitsmesser, System Flaman, und Dampfheizung
ausgerüstet. Eine Westinghouse-Henry-Schnellbremse
bremst, mit je zwei Klötzen auf die fünf ersten Achsen wirkend, 50 v. H. des
Lokomotivgewichts ab. Die Lastverteilung ist von vorn nach hinten: 11,2, 11,2, 18,5,
18,5, 18,5, 14,9 t.Ebenfalls Vierling-Heißdampf-Schnellzuglokomotiven sind die 2–C–1-Maschinen, Gruppe
690, der italienischen Staatsbahnen (Nr. 4 der Tab. 2), ausgestellt von Ernesto Breda, Mailand, und Officine Meccaniche, Mailand. Auch bei diesen zeigt die Feuerbüchse
trapezförmigen Grundriß von 1570 mm hinterer und 822 mm vorderer Breite bei einer
Länge von 2800 mm. Es sei hier nachgetragen, daß diese Bauart zuerst bei der
Lokomotive, Type 12 der Belgischen Staatsbahnen, angewendet wurde, die 1894 in
Antwerpen ausgestellt war. Wie Fig. 2 zeigt, ist der
Rost im hinteren Teil wagerecht angeordnet, im vorderen Teil stark heruntergezogen;
auf diese Weise konnte der Achsstand der beiden hinteren Achsen sogar auf 2000 mm
gekürzt werden. Die weitere Bauart des Kessels ist aus Fig. 2 zu ersehen. Die 30 mm starken Rahmenbleche haben einen lichten
Abstand von 1230 mm. Das Drehgestell ist an vier Pendeln aufgehängt, eine Wiege
fehlt. Die Rückstellung erfolgt durch Bufferfedern. Die drei gekuppelten Achsen sind
durch Balanciers miteinander verbunden. Die hintere Laufachse wird in einem Deichselgestell
ohne Rückstellung geführt. Sämtliche Zylinder wirken auf die zweite Kuppelachse. Je
ein Zylinderpaar besteht aus einem Gußstück und werden die Kolben einer
Maschinenseite von einem gemeinsamen Schieber gesteuert. Die Kanäle sind, um in
jedem Falle äußere Einströmung zu erhalten, gekreuzt. Die eigenartige
Steuerungsanordnung ist in Fig. 3 dargestellt.
Als Sonderausrüstung ist ein Gölsdorf-Wasserreiniger zu
nennen. Weiterhin besitzt die Maschine Coale-Sicherheitsventile, Friedmannsche Injekteure,
Zara-Regulator, Flaman-Geschwindigkeitsmesser, Schnellbremse, Bauart Westinghouse und Dampfheizung, Bauart Haag.(Fortsetzung folgt.)