Titel: | VANADIUM-STAHL UND -EISEN, IHRE EIGENSCHAFTEN UND VERWENDUNG IM MASCHINENBAU. |
Autor: | Dierfeld |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 482 |
Download: | XML |
VANADIUM-STAHL UND -EISEN, IHRE EIGENSCHAFTEN UND
VERWENDUNG IM MASCHINENBAU.
Von Regierungsbaumeister Dierfeld, Berlin.
DIERFELD: Vanadium-Stahl und -Eisen, ihre Eigenschaften und
Verwendung usw.
Inhaltsübersicht.
Nach kurzen Bemerkungen über die Entdeckung des Elements, seiner
Eigenschaften und die Gefügeänderung von Stahl bei Vanadiumzusatz werden Analysen
der heute gefertigten Vanadiumstähle und allgemeine Angaben über ihre Verwendung im
Maschinenbau gebracht. Dann folgen eingehendere Erörterungen der besonde en
Eigenschaften der gebräuchlichsten Stahltypen und ihrer Anwendung mit Mitteilungen
von Versuchsergebnissen; den Beschluß bildet eine kurze Besprechung der Einwirkung
von Vanadium auf Gußeisen und schmiedbarem Guß.
–––––
Vanadium, eines der siebenzig Elemente, aus denen die Erdrinde besteht, wurde im
Jahre 1801 von Del Rio in Mexiko entdeckt und von ihm
„Erythronium“ genannt. Dreißig Jahre später fand der Schwede Sefström das Element in den heimatlichen Eisenerzen und
taufte es zu Ehren der skandinavischen Gottheit „Vanadium“. Erst nach einigen
Jahrzehnten jedoch wurde das Element von Sir Henry Roscoe
isoliert; dieser benutzte es dann lediglich zur Herstellung von Anilinfarben und in
gewissem Maße zum Glasfärben.
Das Element Vanadium ist weit verbreitet, kommt jedoch überall nur in geringen Mengen
vor; es wird zum Teil in den Bleivanaditen von Nordspanien und in den schwedischen
Eisenerzen, zum Teil zerstreut in den Vanaditsandsteinen der Weststaaten von
Nordamerika gefunden. Trotzdem den Metallurgen schon seit längerer Zeit bekannt war,
daß die außergewöhnlichen Eigenschaften des schwedischen Eisens wesentlich auf den
Gehalt an Vanadium zurückzuführen sei, und daß durch Beifügung von Vanadium in
geringen Mengen die Qualität von Stahl und Eisen beträchtlich verbessert werden
könne, hätte dieses Element doch nur vorwiegend wissenschaftlichen Wert behalten,
wenn nicht vor drei Jahren ein ausgedehntes und ungemein reiches Lager von sehr
hochwertigen Vanadiumerzen in den Anden Perus von Ingenieuren der American Vanadium Company entdeckt worden wäre, das den
Weltbedarf auf viele Jahre hinaus decken kann.
Das reine Vanadium ist von silberweißer Farbe, oxydiert leicht und hat einen
sehr hohen Schmelzpunkt. Man beobachtete jedoch, daß eine Verbindung von Eisen und
Vanadium, das sog. Ferrovanadium, einen vergleichsweise niedrigen Schmelzpunkt
hatte, und daß die Beifügung desselben in geringen Mengen die Festigkeit von Stahl
und Eisen erhöht, sie zähe macht und raffiniert. Das Ferrovanadium, ein chemisches
Produkt der American Vanadium Co., hat einen so niedrigen
Schmelzpunkt, daß es auch Gußeisen beigefügt werden kann; es enthält fast gar keinen
Kohlenstoff und besitzt einen Vanadiumgehalt von 30–40 v. H. Die Verbindung ist in
beliebigen Mengen und zu vergleichsweise mäßigem Preise käuflich, und ihre
Verwendung bei der Stahl- und Gußeisenbereitung nach Vorschrift der amerikanischen
Gesellschaft bietet keine Schwierigkeiten.
In Deutschland sind die vorzüglichen Eigenschaften von Vanadium-Stahl- und
-Gußeisensorten zu wenig bekannt, sonst würden sie weit mehr im Automobil- und
Flugmaschinenbau verwandt werden, d.h. überall dort, wo es auf größte Festigkeit der
Bauteile bei geringstem Gewicht ankommt. Auch im Lokomotivbau eröffnet sich ein
weites Anwendungsgebiet.
Deshalb erscheint es angebracht, die Wirkung des Vanadiums auf Stahl und Gußeisen,
sowie die Eigenschaften und Verwendbarkeit solcher Vanadiumlegierungen kurz zu
besprechen, wobei ich Material und Versuchsprotokolle benutze, die mir von der American Vanadium Co. in Pittsburg freundlichst zur
Verfügung gestellt wurden.
Bevor auf die Einwirkung von Vanadium auf die Festigkeit von Stahl und Gußeisen
eingegangen wird, soll kurz die Beeinflussung des Gefüges von gewöhnlichem Stahl
durch Vanadiumzusatz und verschiedene Wärmebehandlung erörtert werden.
Gewöhnlicher Konstruktionsstahl besteht hauptsächlich aus Eisen mit mehr oder weniger
Kohlenstoff und geringem Gehalt an Schwefel Phosphor, Mangan und Kieselsäure. Der in
diesem Stahl enthaltene Kohlenstoff ist chemisch mit einer bestimmten Menge Eisen verbunden,
bildet das sog. Perlit und verteilt sich in Klumpen oder auch in netzförmigen Adern
über die Hauptmasse des kohlenstoffreien Eisens, das Ferrit. Das Auftreten des
Perlits hinsichtlich Größe, Plättchenform, regelmäßiger und unregelmäßiger
Verteilung usw. hängt im wesentlichen von der Art der Wärmebehandlung des Stahles,
der Abkühlung usw. ab.
Textabbildung Bd. 326, S. 482
Im allgemeinen ist das Perlit in ungeglühtem Kohlenstoffstahl verteilt, wie in dem
Mikrophotogramm Fig. 1
schwarz hervortritt. Die weiße Fläche bedeutet das kohlenstofffreie Eisen oder
Ferrit. Alle Mikrophotogramme Fig. 1 bis 8 sind von geätzten
Querschnitten mit Vertikalbeleuchtung und 360facher Vergrößerung hergestellt. Glüht
man den Stahl der Fig.
1 aus, so werden die schwarzen Perlitflächen gesprengt und in kleinen
Kolonien zerstreut, wie aus Fig. 2 zu ersehen ist. Den Einfluß des Vanadiumzusatzes läßt Fig. 3 deutlich
erkennen; eine ausgeprägte Kolonisierung des Perlits ist nicht mehr vorhanden, da
Perlit- und Ferritflächen mehr ineinander übergehen. Infolgedessen ist die Zähigkeit
und Ausdauer dieses Stahles bedeutend erhöht. Schreckt man Chrom-Vanadiumstahl Type
A in einem Oelbad bei 900° C ab, so nimmt er eine Struktur an, wie in Fig. 4.
Textabbildung Bd. 326, S. 482
Tabelle 1.
Analyse
Prozeß
Tiegel
Anwendungsgebiet
Sauer Martin
Basisch Martin
Type A, normalKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,230,401,000,16
0,270,451,000,16
0,210,401,000,16
Achsen für Automobile, Kolben und Kolbenstangen
fürDampfhämmer, Kurbelrollen und -Zapfen, alle Teile, diehohe
statische und dynamische Festigkeit mit großer Zähig-keit verbinden
soll. Schieberstangen, Transmissionsteileund Bolzen
Type A, mildKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,200,350,900,14
0,230,400,900,14
0,180,350,900,14
Einsatzgehärtete Teile wie Zahnräder, Zapfen,
Steuernocken,Differentialwellen usw., Gaszylinder, nahtlose Rohre,
Luft-kessel, Behälter für komprimierte Kohlensäure, Sauerstoffund
Wasserstoff. Dynamowellen.
Type A, vollKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,260,481,000,18
0,300,501,000,18
0,240,481,000,18
Lokomotivachsen, Schub-, Kuppel- und
Kolbenstangen,Kurbelwellen und -Zapfen, Exzenterbügel,
Güterwagenachsen.
Analyse
Prozeß
Tiegel
Anwendungsgebiet
Sauer Martin
Basisch Martin
Type BKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,150,270,500,12
0,180,300,500,12
0,130,250,500,12
Bolzen, Deck-Rumpfbleche für Schiffe,
Kesselbleche, Fahrrad-und Ueberhitzerrohre, hohle Wellen, Kondensator-
undSchiffskeselrohre, Nieten, gewalzte Träger, Säulen.
Type CKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,170,350,800,16
0,200,400,800,16
0,150,350,800,16
Bolzen, Schiffsbleche, Yachtbleche, Fahrradrohre,
Nieten,gewalzte Träger und Säulen.
Type D, normalKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,410,801,100,18
0,470,901,250,18
0,380,801,100,18
Kleine Federn aller Art, Steuerungsteilefür
Lokomotiven.Federn für Automobile, Lokomotiven,
Eisenbahnwagen.Eisenbahnwagenräder.
Type D, mildKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,350,751,000,16
0,400,801,100,16
0,330,751,000,16
Zahnräder, die ständig in Eingriff stehen.
Lokomotiv-schmiedeteile, die mild getempert werden.
Type EKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,090,200,300,12
0,130,250,300,12
––––
Automobilschmiedestücke, Feuerbuchsbleche,
besonders Ein-satzhärtestahl, Kammwellen, Zahnräder für
Wechselgetriebeder Motorwagen. Kugellagerringe.
Type FKohlenstoff v. H.Mangan
„Vanadium „
–––
0,090,200,12
–––
Anker, Stehbolzen, Kessel- und
Feuerbuchsbleche.
Type GKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
0,550,601,000,18
0,600,651,100,18
––––
Bandagen für Lokomotiv- und Wagenradreifen sowie
fürMühlenwalzen.
Type HKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
––––
––––
0,850,451,000,25
Aexte, Maißel, Sägenstahl, Scheerenblätterstahl,
Kugellager-ringe, Kugelmühlenbleche, rotierende Gesteinbohrer,
Werk-zeugstahl und Werkzeuge bes. Fräsköpfe.
Type J (Stahlguß)Kohlenstoff v.
H.Mangan „Chrom „Vanadium „
0,25–0,300,250,50–0,600,20
––––
––––
Automobilgußstücke, Lokomotivgußstücke aller Art,
Loko-motivkreuzköpfe und Führungen. Kupplungen.
Type KKohlenstoff v. H.Mangan
„Chrom „Vanadium „
––––
––––
0,450,301,000,20
Spindeln, Kluppen, Kluppenringe, Stanzen,
Rohrschneide-werkzeuge. Werkzeugstahl und Werkzeuge.
Spezialstahl
Artilleriebleche und -Platten, Deckschutzbleche,
Panzer-platten, Geschosse, Kassenschränke, Schnienen, Weichen
undKreuzungen, hydraulische Zylinder. Geschützschilder,
Magnet-stahl, Torpedorohre.
Textabbildung Bd. 326, S. 484
Tabelle 2. Nr.; Stahl;
Wärme-Behandlun; Angenäherte chemische Analyse; Statische Zahlen; Dynam. Zahl:
Wechselzahl; Qualitätszahl; Bemerkungen; Elastizitätsgrenze 2000–4000 kg/qcm; 1
Milder Vanadiumstahl; geglüht; Martin; 2 Altes Kesselblech; roh; nach Benutzung;
3 Milder Kohlenstoffstahl; ölgetemp. 900/425; Wellenstahl; 5
Kohlenstoff-Schmiedestahl; besonders ausgesucht; ölgetemp. 900/550; 7
Vanadiumstahl, Einsatz gehärtet; Zahnrad-Stahl; 8 Chrom-Nickelstahl; Tiegel; 9
Kohlenstoff-Stahlguß; Sauer Martin; 10 Vanadium-Stahlguß; für Waggonräder; 11
Chrom-Vanadium-Stahlguß; Basisch Martin Kohlenstoffreich; Elastizitätsgrenze
4000–7000 kg/qcm; 12 Nickel-Schmiedestahl; 14 Chrom-Vanadium-Schmiedestahl; bez.
als Type „A“; 15 Kohlenstoff-Federstahl; Martin; 16
Chrom-Vanadium-Federstahl; Tiegel bez. als Type „D“; 17
Chrom-Nickel-Vanadium-Federstahl; Auto-Stahl; 18 Nickel-Vanadiumstahl; temper.;
20 Chrom-Nickel-Vanadiumstahl; Elastizitätsgrenze 7000 kg/qcm und darüber;
Martin Feder temper.; Kurbelwelle temp.; Type „A“
dargestellt. Glüht man diesen abgeschreckten Stahl aus,
so wird sein Gefüge zersetzt; das Ferrit verbreitet sich fein zerteilt, wie Fig. 5 (ausgeglüht bei
550° C und 15 Min. Zeitdauer) zeigt. Wird die Ausglühtemperatur gesteigert, so
fangen die Perlite an, sich zu sammeln mit einer Geschwindigkeit, die viel schneller
als die Ausglühhitze zunimmt. Fig. 6 zeigt die
Ansammlung der Perlite bei erhöhter Ausglühtemperatur. Der Stahl ist derselbe wie in
Fig. 4 und 5, mit dem Unterschied,
daß das Ausglühen bis 630° C fortgesetzt wurde. Durch diese Ansammlung der Perlite
wird die Festigkeit des Stahles ungünstig beeinträchtigt; es ist nicht
empfehlenswert, die Ausglühhitze über einen gewissen Grad zu steigern.
Bemerkenswert ist auch der Einfluß des Einsatzhärtens auf das Gefüge von
Vanadiumstahl. Der besonders für diesen Prozeß geeignete Chrom-Vanadiumstahl Type E
hat im Ruhezustande ein Gefüge, wie durch Fig. 7, ein
ausgesprochen mildes Material darstellend, wiedergegeben ist, während die Struktur
eines Kernstückes, das von einem aus solchem Stahl im Einsatz gehärteten Gegenstande
abgeschnitten wurde, in Fig.
8 ersichtlich wird. Die große Aehnlichkeit der Gefüge in Fig. 5 und 8 zeigt, daß man durch
diesen Prozeß bei dem E-Stahl fast genau dasselbe physikalische Ergebnis erzielt wie
bei leicht übertempertem A-Stahl.
In Tabelle 1 sind Analysen (Annäherungswerte) und Verwendungsgebiete der
gebräuchlichsten Vanadiumstahle aufgeführt.
Die Stahle sollten möglichst frei von Schwefel und Phosphor sein; der in der
Tabelle angegebene Vanadiumgehalt bezeichnet den im fertigen Stahl enthaltenen
Prozentsatz. Hierzu muß noch zur Reinigung des Stahles (Entfernung von Stickstoff
und Sauerstoff) eine weitere Menge Vanadium beigegeben werden, welche mit diesen
Elementen in die Schlacke übergeht. Unter normal günstigen Schmelzbedingungen kann
man annehmen, daß dieser „Verlust im Zusatz“ etwa 0,07 bis 0,10 v. H. des
Stahlgewichtes beträgt.
Die Einwirkung von Vanadium auf die Festigkeit und Widerstandsfähigkeit des Stahles
gegen „Ermüden“ ist in Tabelle 2 vergleichsweise dargestellt. In dieser Tafel
sind unter der Rubrik „Wechselzahl“ dynamische Zahlen gegeben, welche mittels
wechselnden Stoffes auf einer Turner-Landgraf
-Wechselschlagmaschine unter normalen Bedingungen ermittelt wurden.
Die statischen Versuche wurden an Stäben von 12,5 mm und 50 mm Länge
vorgenommen. Die Ergebnisse für die einzelnen Stahle sind in der sog.
„Qualitätszahl“ zusammengefaßt, welche das Produkt aus Elastizitätsgrenze
× Querschnittsverminderung × Wechselzahl, geteilt durch 106, ist.
Näheres über die Eigenschaften der gebräuchlichsten Stahltypen und ihre Anwendung im
Maschinenbau ist im folgenden angegeben; soweit möglich, wurden zugleich
interessante Versuchsergebnisse behandelt.
(Fortsetzung folgt.)