Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 37 |
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher,
Tegel bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 26 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
Bei den Schnellzuglokomotiven war die 2 C-Type mit vorderem Drehgestell und
dreigekuppelten Achsen besonders stark vertreten, da infolge des ständig erhöhten
Zuggewichtes das Reibungsgewicht von nur zwei gekuppelten Achsen meistens nicht mehr
ausreicht. Um für Leistungen über 2000 PS einen möglichst großen Kessel unterbringen
zu können, ist man namentlich in Belgien und in Frankreich nach dem Vorgehen der
Badischen und Bayerischen Staatsbahnen bereits übergegangen zur noch größeren 2C1-
oder Pacific-Bauart mit Einstellung einer hinteren Laufachse. Die neueren
Versuchsfahrten der Preußischen Staatsbahnen haben aber ergeben, daß die
2C-Bauart mit Vierlings-Heißdampfmaschine bei entsprechender Dimensionierung selbst
den höchsten Anforderungen im gegenwärtigen Schnellzugbetriebe vollkommen genügt,
wobei für diese Type die große Einfachheit des Triebwerks und dementsprechend die
billigeren Anschaffungs- und Unterhaltungskosten sehr mitsprechen.
Bei den Güterzuglokomotiven fehlte die jetzt bei den meisten Hauptbahnen sehr
verbreitete 1D-Type mit vier gekuppelten Achsen und vorderer Laufachse, Belgien hat
diese Gattung sogar ganz übersprungen und ist von der
Tabelle 3. Heißdampf-Lokomotiven.
Textabbildung Bd. 326, S. 38
Maschinen-Gattung; Dienstbetrieb;
Bahn; Kesselverhältnisse; Ausnutzung; Heizfläche; Rostfläche; Feuerbuchsheizfl.;
Ueberhitzerfläche; Gesamtheizfläche; Zylinderinhalt; Reibungsgewicht;
Dienstgewicht; Kesseldruck; Charakteristik Garbe; aus dem Kessel; aus der
Maschine; aus der Reibung; Zugkraft; Höchst-Geschwindigkeit; Höchste
Umdrehungszahl; Größte Dauerleistung; Dauer-Geschwindigkeit; Leistung;
Verdampfungsfläche; Dienstgewicht; Ordnungszahl aus Tabelle 2; Maschinen mit
Schlepptender; Tender-Lokomotiven;; Deutsche Industriebahnens; Zwilling;
Vierling; Vierzyl.-Verbund; Schnellzüge; Güterzüge; Personenzüge; gemischte
Züge; Tramway-Züge; Preuß. Staatsbahn, Breslau; Italienische Staatsbahn
Sächsische; Preuß. Staatsbahn, Erfurt; Belgische Staatsbahn; Französische
Ostbahn; Midibahn; Bayerische Staatsbahn; Paris-Orleans-Bahn; Belgische
Staatsbahn; Preuß. Staatsbahn, Frankfurt; Saarbrücken; Paris-Orleans-Bahn
Belgische Staatsbahn; Preußische Staatsbahn, Mainz; Tessinbahn, Belgien;
Belgische Vicinalbahnen
Tabelle 4. Naßdampf-Lokomotiven.
Textabbildung Bd. 326, S. 38–39
Maschinen mit Schlepptender;
Tender-Lokomotiven; Preuß. Staatsbahn, Hannover; Dänische Staatsbahn;
Französische Nordbahn; Preußische Staatsbahn, Essen Paris-Lyon-Mittelmeerbahn;
Italienische Staatsbahn; Brasilianische Nebenbahnen; Katangabahn, Congo;
Belgische Nordbahn; Französische Guineabahn; Belgische Nebenbahnen; Langreobahn,
Spanien; Deutsche Nebenbahnen; Belgische Nebenbahnen; Congobahnen; Belgische
Vicinalbahnen; Belgische Industriebahnen; Deutsche Industriebahnen
C-Güterzuglokomotive direkt übergegangen zu der 1 E
Bauart mit gleichem Kessel und gleichem Triebwerk wie bei der 2C1-Type.
In der Tab. 3 ist eine Reihe von interessanten Vergleichswerten der ausgestellten
Lokomotiven zusammengestellt, die Spalte 28 gibt die Ordnungszahl der Maschinen aus
Tab. 2 (s. S. 24/25 d. Bd.) wieder.
Die Werte der Spalte 5 sind mit Rücksicht darauf, daß die Feuerbuchsheizfläche des
Kessels bezüglich der Verdampfung bekanntlich etwa den vierfachen Wert der
Rohrheizfläche besitzt, gerechnet nach der Formel
\frac{4\,H\,f+H\,r}{R}
Die erhaltenen Zahlen schwanken in sehr weiten Grenzen zwischen 51–90, je nach der
Größe der Rostfläche, entsprechend der Güte des verwendeten Brennstoffes; die oberen
Werte von 90–60 gelten für gute Steinkohle, die unteren Werte dagegen für weniger
gute Kohlensorten, wie sie in Belgien noch vielfach Verwendung finden.
Spalte 6, sowie die Spalten 8–11 liefern dem Konstrukteur bewährte Unterlagen beim
Entwürfe von neuen Lokomotiven, sie enthalten fast durchweg Werte innerhalb der
üblichen Grenzen mit Ausnahme der C + C Mallet-Naßdampflokomotive für die Guineabahn, deren Wert
J/H =
1,23
zu groß ist, d.h. der Kessel mit seinen Abmessungen für
Heizfläche und Rostfläche ist bei dieser Maschine zu klein.
Die Garbesche Charakteristik für Heißdampflokomotiven
mit der Formel
C=\frac{d^2\,.\,s}{D\,.\,Q\,a}
in Spalte 13 zeigt bei einigen langhubigen Maschinen etwas
große Werte bis 30,5, währenddem die belgischen Tenderlokomotiven auffallend kleine
Werte bis herunter auf 19,1 aufweisen. Bei den Vierzylinder-Verbundlokomotiven sind
hierbei die Abmessungen eines Niederdruckzylinders eingesetzt.
Die Zugkraft ist nach drei verschiedenen Gesichtspunkten berechnet mit
Z aus der Kesselleistung,
Z1 aus
den Maschinenabmessungen,
Z2 aus
dem Reibungsgewichte,
wofür der übliche Reibungskoeffizient 6 gewählt ist.
Aus den Maschinenabmessungen ergibt sich die am Triebradumfange wirkende Zugkraft
zu
Z_1=\alpha\,.\,p\,.\,\frac{{d_1}^2\,s_1}{D}
für Zweizylinder-Zwillingslokomotiven;
Z_1=\alpha\,.\,p\,.\,\frac{2\,{d_1}^2\,s_1}{D}
für Vierlings-Lokomotiven;
Z_1=\alpha\,.\,p\,.\,\frac{{d_2}^2\,s_2}{D}
für Vierzylinder-Verbundlokomotiven. Darin bedeutet
p = Kesselüberdruck in at,
d1 = Durchmesser eines Hochdruckzylinders in cm,
d2 = „ eines Niederdruckzylinders in cm,
s1 = Kolbenhub des Hochdruckzylinders in cm,
s2 = „ des Niederdruckzylinders in cm,
D = Treibraddurchmesser in
cm;
der Faktor a ist bei
Zwillings-Heißdampflokomotiven a = 0,7, bei
Zwillings-Naßdampflokomotiven α = 0,5. Bei
Vierzylinder-Verbundlokomotiven gelten für den Faktor α
nach dem Kolbenflächenverhältnis f2/f1 die folgenden Werte
Naßdampf
f2/f1
Heißdampf
α = 0,44
2
α = 0,61
0,42
2,25
0,59
0,40
2,5
0,56
0,38
2,9
0,53.
Besonders riesige Zugkräfte ergeben sich hiernach für die
beiden 1 E-Güterzuglokomotiven mit 22200 kg bezw. 20000 kg.
Die vom Kessel hergegebene Zugkraft in Spalte 14 berechnet sich zu Z= 270 N/V aus der in
Spalte 22 enthaltenen Dauerleistung der Maschinen. Nach
den neueren Untersuchungen von Strahl über die
Anstrengung der Dampflokomotiven (im Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens
1908, S. 360) wird die Leistung der Lokomotiven am zweckmäßigsten bezogen auf die
Rostfläche, d.h. auf die Fläche, wo die in Arbeit umzusetzende Wärme erzeugt wird.
Darnach können für 1 qm Rostfläche – die Verwendung ungefähr gleichwertiger
Stückkohle für alle Maschinen vorausgesetzt – die in Spalte 24 angegebenen Werte N/R in PSi/qm eingesetzt werden, welche, mit R multipliziert, die von der Feuerungsanlage bei 12 at
hergegebene Höchstleistung im Beharrungszustande ergeben. Für größere
Dampfspannungen erhöht sich die Leistung um rund 3 v. H. für jede Atmosphäre. Z.B.
für die 2 C-Vierlings-Heißdampflokomotive der Belgischen Staatsbahn beträgt demnach
die Leistung für 1 qm Rostfläche
N/R=480\,.\,\frac{[100+(14-12)\,.\,3]}{100}=510
PSi/qm
für die 2C1-Heißdampf-Vierzylinder-Verbundlokomotive der
Französischen Midibahn mit 16 at
N/R=500\,.\,\frac{[100+(16-12)\,.\,3]}{100}=560
PSi/qm
und für die 2B2-Naßdampf-Vierzylinder-Verbundlokomotive der
Französischen Nordbahn mit gar 18 at
N/R=360\,.\,\frac{[100+(18-12)\,.\,3]}{100}=425
PSi/qm
Textabbildung Bd. 326, S. 40
Fig. 7.
Die Beharrungsgeschwindigkeit V' in Spalte 23, bei
welcher diese Dauerleistung ohne Ueberanstrengung des Kessels erreicht werden kann,
berechnet sich zu
V'=\frac{n'\,.\,D}{5310}.
Die Umdrehungszahl der Triebräder i. d. Minute beträgt
hierbei
für
Zweizylinder-Naßdampf-Zwilling
n'
= 200
„
„ „ Verbund
= 217
„
„ Heißdampf-Zwilling
= 234
„
Vierzylinder-Naßdampf-Verbund
= 250
„
„ Heißdampf-Verbund
= 267
Textabbildung Bd. 326, S. 41
Fig. 8.Rauchröhrenüberhitzer. Patent W. Schmidt.
Die hiernach berechneten Leistungen dienen natürlich nur dazu, um überhaupt einen
Vergleich zu erhalten, die tatsächlich erreichbaren Leistungen der einzelnen
Maschinen bei Versuchsfahrten bezw. im regulären Dienstbetriebe sind bekanntlich
abhängig von einer Reihe wichtiger Faktoren – Heizwert des Brennstoffes, Qualität
der Mannschaft in Bezug auf richtige Einstellung des Reglers, sachgemäße Regulierung
der Steuerung, sorgfältige Unterhaltung und Verteilung des Feuers auf dem Roste, –
die sich nicht durch eine Formel ausdrücken lassen. Bei den drei- und zweiachsigen
Naßdampf-Tenderlokomotiven für Nebenbahnen ist die Leistung mit den üblichen Werten
von 4,5–3,5 PSi für 1 qm Heizfläche gerechnet.
Spalte 18 zeigt das Verhältnis Qa/Z2 also den Reibungskoeffizienten beim Anfahren der
bei den Heißdampflokomotiven infolge der großen Zylinderzugkraft bis auf 3,5
herabgeht. Um hierbei das Schleudern der Räder zu vermeiden, ist eine sehr
geschickte Handhabung des Reglers zur Abdrosselung des Dampfes besonders bei
Zwillingsmaschinen notwendig; außerdem werden auf einigen Bahnhöfen der Preußischen
Staatsbahnen die Schienen kurz vor der Einfahrt des Zuges am Standorte der Maschine
zum nachherigen Anfahren mit Sand bestreut.
Einen Gütefaktor für den Entwurf ergibt die Spalte 19 mit dem Verhältnis Z/Qa = Zugkraft für 1 t Dienstgewicht der Lokomotive
(ohne Tender), ebenso die Spalte 27 durch das Verhältnis N/Q
= Dauerleistung für 1 t Dienstgewicht. Die Spalten 20 und 21 zeigen die
zulässige Höchstgeschwindigkeit in km/Std., bezw. die höchste Umdrehungszahl der
Treibräder i. d. Minute.
Wie aus den Tabellen ersichtlich, erschienen von den 56 ausgestellten Lokomotiven
nicht weniger als 33 Stück als Heißdampfmaschinen, gewiß ein sehr beredtes Zeugnis
für die endgültige Erkenntnis der vorzüglichen Eigenschaften des Heißdampfes und
dessen Ueberlegenheit als Arbeitsträger gegenüber dem Naßdampf. Währenddem das
abgelaufene Jahrzehnt von 1900 bis heute der erfolgreichen Einführung der
Dampfüberhitzung im Lokomotivbetriebe diente, wird sich also die künftige
Entwicklung der Dampflokomotive auf der Grundlage des Heißdampfes mehr und mehr der
Verbesserung und Vervollkommnung der Dampfmaschine selbst und deren Steuerung
zuwenden.
Textabbildung Bd. 326, S. 41
Fig. 9.Elemente zum Rauchröhrenüberhitzer. Patent Wilhelm Schmidt.
Von all den vielen Patenten für Lokomotivüberhitzer hat der Rauchröhrenüberhitzer von
W. Schmidt, in Kassel-Wilhelmshöhe, dem
verdienstvollen Begründer der Heißdampflokomotive, die weiteste Verbreitung gefunden
und die mit Schmidt-Ueberhitzern im Betriebe
befindlichen Lokomotiven verteilen sich bereits über alle Länder der Erde wie
folgt:
Belgien
482
Uebertrag
6368
Dänemark
47
Schweiz
134
Deutschland
3150
Spanien
95
Finnland
23
Türkei
22
Frankreich
414
Ungarn
17
Griechenland
9
Aegypten
1
Großbritannien
106
Argentinien
34
Holland
59
Brasilien
29
Italien
307
Chile
4
Luxemburg
1
Engl. Kolonien
50
Norwegen
29
Franz. Kolonien
32
Oesterreich
453
Holländ. Kolonien
33
Portugal
24
Syrien
3
Rußland
474
Uruguay
2
Rumänien
556
Ver. St. v. Amerika
256
Schweden
234
–––––––––
–––––––––
Gesamtzahl
7080
Zusammen
6368
Von den 33 in Brüssel ausgestellten Heißdampflokomotiven waren 32 Stück
ausgerüstet mit dem Schmidtschen Rauchröhrenüberhitzer,
dessen Bauart aus den Fig. 7 und 8 ersichtlich ist.
Der Langkessel enthält in der oberen Hälfte des Heizrohrraumes zwei bis vier Reihen
übereinanderliegende Rauchrohre von 118–136 mm lichtem Durchmesser, welche wie die
Siederohre in die Feuerbuchswand etwas eingezogen und in beiden Rohrwänden durch
Aufwalzen eingedichtet sind. In jedem dieser Rauchrohre befindet sich ein
Ueberhitzerelement, bestehend aus zwei ∪-Röhren, die in der Rauchkammer durch eine
Schleife zu einem einzigen Rohrstrange vereinigt sind, wodurch der Dampf mit großer
Geschwindigkeit darin zweimal hin- und zurückgeführt wird. Die Ueberhitzerelemente
(Fig. 9) bestehen aus nahtlos gezogenen
Stahlröhren von 25–32 mm; lichtem Durchmesser und 4 mm Wandstärke, wobei die etwa
600 mm vor der Feuerbuchsrohr wand liegenden Krümmungen entweder durch
eingeschraubte Kappen aus Stahlguß bezw. aus dem infolge seiner hohen
Feuerbeständigkeit besonders geeigneten Flexilis-Tiegelstahl, oder aber mittels
Schweißung hergestellt werden. Auf die weitere eingehende Beschreibung der
Einzelheiten kann wohl verzichtet werden, da die früheren VeröffentlichungenD. p. J. 1906, Bd. 321, S. 737 und 1909, Bd.
324, S. 158. in Verbindung mit den hier wiedergegebenen
Abbildungen über die Wirkungsweise dieses Ueberhitzers genügend Aufschluß geben. Die
ganze Einrichtung ist einfach und jedes Element gut auswechselbar, das Gewicht
verteilt sich auf die ganze Rohrlänge des Kessels. Die Reinigung der Rohre von Ruß
und Asche erfolgt durch Ausblasen mit Dampf oder Druckluft (aus der Bremsleitung)
von der Feuerbuchse oder von der Rauchkammer aus. Bei mehreren der ausgestellten
Heißdampflokomotiven war das Innere der Rauchkammer weiß oder rot gestrichen, so daß
durch die geöffnete Rauchkammertür der Ueberhitzer, sowie die Anbringung und
Bewegung der Klappen gut sichtbar wurde.
Die Beschreibung der einzelnen Lokomotiven erfolgt nach der Aufzählung in Tab. 2 (s.
S. 24/25 d. Bd.).
(Fortsetzung folgt.)