Titel: | Die Transportanlagen der Mines de Houilles du Grand Hornu, St. Ghislain in Belgien. |
Autor: | Hans Wettich |
Fundstelle: | Band 325, Jahrgang 1910, S. 777 |
Download: | XML |
Die Transportanlagen der Mines de Houilles du
Grand Hornu, St. Ghislain in Belgien.
Von Dipl.-Ing. Hans Wettich.
Die Transportanlagen der Mines de Houilles du Grand Hornu, St.
Ghislain in Belgien.
Die Kohlengruben von Grand Hornu und das zugehörige Hüttenwerk liegen in einer
Entfernung von annähernd 2 km von dem Kanal, der von Condé nach Mons führt und etwa
3 km von der Staatsbahn Erbisoeul – St. Ghislain, dort, wo auf diese Linie die
Eisenbahn St. Ghislain – Mons stößt, in der Nähe der kleinen Stadt St. Ghislain bei
Mons. Mit der Eisenbahnlinie Erbisoeul – St. Ghislain ist das Bergwerk durch ein
Privatanschlußgleis von mehr als 1 km Länge verbunden, das sich auf dem
Bergwerksgelände verzweigt und am Kanal Condé – Mons endet. Unter den so gegebenen
Verhältnissen konnte die Produktion des Bergwerks mit der Eisenbahn verladen
und an den Kanal zur Verladung in Schiffe gefördert werden. Diese Flachbahn brachte
ferner die Berge auf eine Halde in der Nähe des Kanals.
Der Betrieb in dieser Form bot jedoch verschiedene Schwierigkeiten. Die Flachbahn
mußte zum Teil öffentliche Wege benutzen. Die Verladung der Kohle in die Kähne, die
Verteilung der Berge auf der Halde erforderte viele Hände; die Abfertigung,
Bedienung und Begleitung der Züge verlangten ebenfalls zahlreiche Mannschaften. Im
Jahre 1901 traten daher die Gruben einer Vereinfachung des Transportbetriebes näher,
die in der Anordnung einer Drahtseilbahn bestand. Dieser Verkehrsweg, dessen Linienführung und
Einzelheiten von der bekannten Drahtseilbahnfabrik von Adolf
Bleichert & Co. in Leipzig-Gohlis
ausgearbeitet wurden, und den diese Firma dann zur Ausführung brachte, hatte
gleichzeitig verschiedene Aufgaben zu erledigen und bietet daher besonderes
Interesse. Es waren zunächst die Kohlen von dem bisherigen Kohlenbahnhof der
Anschlußbahn zu dem Verladeschuppen am Kanal zu fördern, dann hatte die Bahn die
entfallenden Berge abzuführen und auf freier Strecke selbsttätig abzustürzen, und
schließlich war ihr die Aufgabe gestellt, Holz, Eisenteile usw., wenn auch nur in
kleineren Mengen, von dem Kanal zur Kohlengrube zu fördern. Die Verladung in
Eisenbahnwaggons, die nur einen geringeren Teil der Produktion betrifft, sollte wie
bisher mit Hilfe der Privatflachbahn durchgeführt werden, und zwar von den
vorhandenen, gleichzeitig für die Drahtseilbahn einzurichtenden Füllrümpfen in der
Separation aus, der die Kohlen auf einer Hochbahn durch Kettenzug zugeführt
werden.
Die gerade Entfernung zwischen Belade- und Entladestation beträgt etwa 1850 m, das
Gefälle in der Transportrichtung etwa 12 m. Trotz des nahezu ebenen Geländes war es
jedoch nicht möglich, die Bahn in gleicher Höhe über dem Erdboden zu führen,
namentlich wegen der Höhe der in Aussicht genommenen, unter der Strecke selbsttätig
aufzuschüttenden Halde. Aus diesem Grunde mußten auf dem unteren Teil der Strecke
die Stützen für die Tragseile in mehr als 25 m Höhe ausgeführt werden, um die Berge
bis zu dieser Höhe aufschütten zu können. Dann wurde verlangt, die Eisenbahnlinien
und Straßen durch Schutzbrücken zu decken und den Kanal durch ein Schutznetz zu
sichern. In der industriereichen Gegend (vergl. Fig.
1 und 2) überspannt die Bahn aber nicht
weniger als fünfmal ein Eisenbahngleis, einmal ein Straßenbahngleis, fünf Wege und
einen Kanal. Es wurden dementsprechend allein vier feste Schutzbrücken nötig, um den
Verkehr der Eisenbahnen und Straßen gegen etwa aus den Seilbahnwagen herausfallende
Stücke zu sichern und ein metallisches Schutznetz war über dem Kanal erforderlich.
Grundstücksverhältnisse bedingten außerdem einen Knick in der Linienführung, der
durch eine selbsttätig durchfahrene Winkelstation gebildet wird.
Die Ausrüstung der Bahn besteht aus Tragseilen in verschlossener Konstruktion von 36
mm ⌀ für das Volltragseil, bezw. von 26 mm ⌀ für den Rückgang der leeren Wagen. Das
Zugseil hat 15 mm ⌀. Im übrigen ist die Ausführung der Bahn die bei den Bleichertschen Konstruktionen übliche und bewährte.
Hervorzuheben ist, daß anstelle der bei früheren Konstruktionen angewandten
Spannketten Spannseile zur Anwendung gelangt sind, wodurch die Sicherheit des
Betriebes zweifellos gesteigert ist. Die Stundenleistung beträgt 150 Wagen zu 500 kg
Förderlast bei der Förderung von Kohle und 150 Wagen zu 750 kg bei der Förderung von
Bergen, also 75 t für Kohle und 112 t für Berge. Der Betrieb ist demnach ein
verhältnismäßig recht schwerer. Die Wagen folgen sich in einem zeitlichen Abstande
von 24 Sekunden und in einem räumlichen von 48 m bei einer Fahrgeschwindigkeit von 2
m/sek. In den Belade- und Entladestationen halten sich immer einige Wagen auf,
namentlich sind hier die zu beladenden und entladenden Wagen festzuhalten, so daß
die Strecke mit insgesamt 70 Wagen besetzt Wurde. Für Kohlen- und Bergetransport
dienen dieselben Fahrzeuge, als welche die üblichen Stahlkippkasten verwendet
wurden, die mit auswechselbarer Holzeinlage versehen sind und deren Laufwerke
Gußstahlrollen besitzen. Die Tragseile sind in den Beladestationen verankert und
Werden in der Entladestation am Kanal durch Spanngewichte gespannt.
Der Antrieb befindet sich in der Beladestation und
Textabbildung Bd. 325, S. 777
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 325, S. 777
Fig. 2.
erfolgt durch einen Elektromotor, der bis zu 50 PS in
seiner Energie gesteigert werden kann, um die Bahn, die bei der Förderung auf Halde
25 PS und bei Förderung von Kohlen 20 PS benötigt, auch bei ungünstigen
Witterungsverhältnissen, bei Schnee, Glatteis und Rauhreif im Betriebe halten zu
können. Das Zugseil wird, wie bei den Bleichertschen
Konstruktionen üblich, auf der Strecke von den Fahrzeugen selbst getragen und ruht
im übrigen auf Rollen, an den Tragmasten.
Textabbildung Bd. 325, S. 778
Fig. 3.
Die Beladestation (Fig. 3 u. 4) besteht aus einzelnen Rümpfen, in die die Berge
von dem Grubengeleis aus durch Grubenwagen abgestürzt werden. Jeder Rumpf besitzt
eine verschließbare Auslaufschurre, aus der die Wagen der Drahtseilbahn selbsttätig
durch einfaches Oeffnen und Schließen der Klappen gefüllt werden können. Die Bahn
geht vor den Rümpfen an starren Hängebahnschienen entlang. Auf der anderen Seite des
Gleises befinden sich die Füllrümpfe für die angelieferte Kohle. Von dem Auslauf
eines weiteren Kohlenfüllrumpfes aus geht ein Transportband zu einer zweiteiligen
Schurre, von der wechselweise immer eine Seite geöffnet werden kann. Die Kohle wird
dann (furch das Transportband abgezogen, in die Schurre abgestürzt und von hier aus
den zu beladenden Drahtseilbahnwagen zugeführt. Die Fallhöhe der Kohle ist dabei
verschwindend klein. Die Wagen werden dann von Hand über eine Weiche zurückgeschoben
und kuppeln sich beim Auslauf aus der Station selbsttätig an das Zugseil an. Für die
Kupplung ist der Kuppelapparat „Automat“ von Adolf
Bleichert & Co. zur Anwendung gelangt, wie
bei allen neueren von dieser Firma ausgeführten Bahnen wegen seines selbsttätigen
Arbeitens, seiner Greiffestigkeit und Betriebssicherheit, und besonders deswegen,
weil dieser Apparat in der Lage ist, verschiedene Zugseildurchmesser mit gleicher
Sicherheit zu erfassen. Das ist im vorliegenden Fall besonders wichtig, weil das
Zugseil bei dem schweren Betriebe, dem es unterworfen ist, sich notwendigerweise
längen und seinen Durchmesser verändern muß. Dieser Vorteil ist auch im Winter
nicht zu unterschätzen, wenn der Kuppelapparat durch Rauhreif, Glatteis oder aus
anderen Gründen vereiste Teile des Zugseiles greifen soll. aslso größerem
Durchmesser gewachsen aein muß. Die Wagen werden dann mit auf die Strecke genommen
und, sofern duf Halde gefördert wird, selbsttätig an en hierfür bestimmten Stellen
auf freier Strecke gekippt (s. Fig. 5).
Textabbildung Bd. 325, S. 778
Fig. 4.
Textabbildung Bd. 325, S. 778
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 325, S. 778
Fig. 6.
Textabbildung Bd. 325, S. 778
Fig. 7.
Sobald die Halde den gesamten zwischen der Eisenbahn und der La Haine, bezw. den
zwischen der Eisenbahn und der Fahrstraße vorhandenen Raum (s. Fig. 2) gleichachsig zur Seilbahn bis zur Höhe von 25
m angefüllt haben wird, ist eine Verteilung des Haldengutes nötig. Hierfür ist auf
der Höhe der Halde eine selbsttätige Verteilbahn (Fig.
6 und 7) vorgesehen. Sie besteht aus einer
verschiebbaren Doppelfüllrumpfanlage und zwei Geleissträngen, auf denen zweli
Kippkübelwagen von 3 – 4 cbm Inhat verkehren. Die Konstruktion ist von der üblichen
Form selbsttätiger Verteilbahnen etwas verschieden, da die beiden Verteilwagen nicht
durch ein Seil, das über eine Rolle führt, miteinander
verbunden sind.
Die Wagen besitzen vielmehr, um sich der zunehmenden Verbreiterung der Halde
anpassen zu können, besondere Seile, die sich auf Trommeln aufwickeln, die auf der
selben Welle sitzen.
Textabbildung Bd. 325, S. 779
Fig. 8.
Textabbildung Bd. 325, S. 779
Fig. 9.
Textabbildung Bd. 325, S. 779
Fig. 10.
Textabbildung Bd. 325, S. 779
Fig. 11.
Sofern einer der Wagen beladen abwärts geht, wird der zweite
leer zurückgezogen. Die Haldenkrone muß dabei eine geringe Neigung erfahren. Das
Seil des hochgezogenen Wagens wickelt sich auf, Während sich das des vollen,
niedergehenden Wagens abwickelt. Auf diese Weise kann das ganze, für die Halde zur
Verfügung stehende Gelände im Laufe der Zeit bis zu einer Höhe von 20 – 25 m
aufgeschüttet werden, ohne daß große Kosten für die Verteilung und für die Verlegung
des Gleises entständen. Die Bedienung auf der Halde kann, abgesehen von dem
gelegentlichen Vorlegen und Verlängern der Gleise, von einem Mann ausgeführt werden.
Die Seilbahnwagen gehen dann in umgekipptem Zustande zu der jenseits des Kanals
gelegenen Entladestation (s. Fig. 8–10), umlaufen hier selbsttätig die
Endumführungsscheibe und gehen dann zur Beladestation zurück.
Wird Kohle gefördert, so wird der Anschlag auf der Halde ausgerückt und die Wagen
folgen sich ununterbrochen bis zur Entladestation am Kanal, die in Fig. 11 im Bau, in Fig.
12 nach der Fertigstellung wiedergegeben ist. Je nachdem nun der Inhalt
der Kästen aus Feinkohle oder Stückkohle besteht, findet eine verschiedene
Beladungsweise der Kähne statt. Die Wagen mit Feinkohle gelangen auf eine Weiche,
von der aus sie ohne weiteres in eine Auslaufschurre auskippen können, über die die
Feinkohle in die Kähne gelangt. Die Stückkohle sollte auf Wunsch des Bergwerks
möglichst geschont werden. Zu dem Zwecke sind zwei selbsttätige
Niederlaßvorrichtungen vorgesehen, in der Form, daß die Fahrzeuge mit Stückkohle auf
einen toten Strang oberhalb der Kähne verfahren werden (vergl. Fig. 9) und hier auf ein ausrückbares Stück
Hängeschiene gelangen, das mit dem Gehänge eines Bremswindwerkes verbunden ist. Der
Seilzug für dieses Gehänge ist am anderen Ende der Entladestation mit einem
Gegengewicht versehen. Rückt nun die Bedienung die Sperrung aus, so werden die
kompletten Seilbahnwagen in den Schiffsraum niedergebremst, da das Gewicht von Wagen
und Last größer als das Gegengewicht ist, Ist der Wagen im Schiff entriegelt und
dabei entleert, so zieht das Gegengewicht den Wagen selbsttätig wieder hoch, der
dann oben über die Weiche wieder zurück auf die Strecke gebracht wer den kann.
Textabbildung Bd. 325, S. 780
Fig. 12.
Textabbildung Bd. 325, S. 780
Es ist so das Möglichste für die Schonung der Kohle getan. Die
Kohlenkähne sind etwa 30 – 40 m lang, haben eine Lukenbreite von 4 m, eine
Hauptspantbreite von 5 bis 5,5 m, eine Hauptspanttiefe von etwa 2,4 m. Im Deck des
Kahnes befinden sich etwa 5 – 7 Luken, die durch schmale Decksbalken voneinander
geschieden sind. Es war daher nötig, die Niederlaßvorrichtungen wenigstens auf eine
kurze Strecke verfahrbar zu machen, um ein Verholen der festgemachten Kähne zu
vermeiden. Somit ist der Ablaufstrang mit einer Schleppwelche verbunden und auf
Räder gesetzt, so daß er eine gewisse Beweglichkeit in der Längsachse der Schiffe
besitzt. Die Konstruktion der Entladestation selbst bot insofern einige
Schwierigkeiten, als von Staats wegen verlangt wurde, den neben dem Kanal
befindlichen Treidelsteg frei zu lassen. Es besteht demnach die Entladestation in
der Hauptsache aus einer Reihe von Tragpfeilern mit rückwärtiger Verankerung und
nach vorn auslegerartig auskragendem Anbau (s. Fig.
10).
Textabbildung Bd. 325, S. 780
Fig. 15.
Der Winkel des Bahnknickes beträgt 162°. Die selbsttätig durchfahrene Winkelstation
(Fig.
13 und 14) besteht aus Hängebahnschienen für die Laufwerke und in jedem Strange
drei Ablenkrollen für die Zugseile.
An Bedienung erfordert die Anlage vier Mann in der Beladestation, zwei Mann in der Entladestation
und wenn auf Halde gefördert wird, keine Bedienung in der Entladestation, aber einen
Mann auf der Halde. Beim Rücktransport nimmt die Bahn etwa 200 – 250 kg Hölzer,
Schienen und dergl. zum Bergwerk mit.
Textabbildung Bd. 325, S. 781
Fig. 16.
Die Bahn, von der Fig. 15 und 16 Streckenbilder und Fig.
17 eine Schutzbrücke über die Eisenbahn Erbisoeul – St. Ghislain zeigt,
die wegen ihrer Höhe und oblongen Form bemerkenswert ist, wurde im Sommer 1903
aufgestellt und läuft bisher zur vollsten Zufriedenheit des Bergwerks. Zu beachten
ist dabei, daß das Werk die Leistung wesentlich über das ursprünglich vorgesehene
Maß gesteigert hat, und daß so die Betriebsbedingungen außerordentlich erschwert
wurden. Trotzdem hat sich nie die geringste Unregelmäßigkeit gezeigt, es ist
auch nie ein Versagen der Kuppelapparate eingetreten, die im Gegenteil zu jeder
Jahreszeit vollkommen selbsttätig arbeiten, ohne das Zugseil zu beschädigen. Die
heute im Dienste befindlichen Seile sind noch dieselben, die seinerzeit bei der
Montage aufgelegt wurden; trotz täglicher intensiver Beanspruchung hat sich nach dem
Zeugnis des Bergwerks keine Verschlechterung gezeigt.
Textabbildung Bd. 325, S. 781
Fig. 17.
Die Anlage ist außerdem ein typisches Beispiel für die vorzügliche
Anpassungsfähigkeit des Bleichertschen Seilbahnsystems
an gegebene Verhältnisse und für die Möglichkeit geschickter Lösung gestellter
Aufgaben verschiedenster Art unter Bedarf eines Mindestmaßes von Bedienung.