Die Materialfestigkeit und Zugspannung im fertig
geschlagenen Niet.Von Professor M. Rudeloff.(Mitteilung aus dem Königl. Materialprüfungsamt zu
Groß-Lichterfelde West.)Die Materialfestigkeit und Zugspannung im fertig geschlagenen
Niet.Bei Beurteilung der Festigkeit von Nietverbindungen kommt vornehmlich in Frage
der Gleitwiderstand zwischen den vernieteten Teilen und erst, wenn dieser überwunden
ist, neben Biegungsspannungen in den Nieten deren Schubfestigkeit und der Widerstand
der vernieteten Teile (Bleche usw.) gegen Verdrücken der Lochränder und Zerreißen.
Die Aufeinanderfolge des Widerstandes gegen Gleiten und des Scherwiderstandes der
Nieten ist bekanntlich darin begründet, daß das Niet infolge Schrumpfens beim
Erkalten und infolge Verminderung seines Durchmessers unter der in ihm entstehenden
Zugspannung das Nietloch nicht vollständig ausfüllt und daher Schubbeanspruchungen
auf die Niete erst einwirken können, wenn die vernieteten Teile sich um den
Unterschied im Halbmesser des Loches und des Nietschaftes gegen einander verschoben
haben.Der Gleitwiderstand wird erzeugt durch die im geschlagenen Niet herrschende
Zugspannung, die dadurch entsteht, daß die Länge des Nietes beim Erkalten abnimmt
und die Nietköpfe nun gegen ihre Auflager gepreßt werden. Die Größe dieser
Zugspannung im Niet ist vornehmlich abhängig von dem Betrag, um den das Niet nach
Fertigstellung des Schließkopfes in der Länge schrumpft, ferner aber auch davon,
wieviel von der beim Schrumpfen auftretenden Zugspannung dadurch wieder verloren
geht, daß eventl. von der mit dem Erkalten des Nietes wachsenden Schrumpfspannung
die jeweilige mit der Temperatur des Nietes sich ändernde Streckgrenze des Materials
überschritten wird.Bezeichnet λ die Schrumpfung, d.h. die Ausdehnung, die
das Niet von der Länge l in mm bei der
Wärme-Ausdehnungszahl γ durch Erwärmen um t° erleidet, so ist für Eisenλ = t . l
. γ = t . l . 0,0000123 mm.Bei verhinderter Verkürzung des Nietes infolge fester Auflage
beider Nietköpfe entspricht dem Schrumpfen um λ die
ZugspannungWenn man hierin mit Rücksicht auf den geringen Wert von λ einführt:l – λ = l,so ist angenähertDer Wert von E nimmt mit
wachsendem t ab.Aus dem Dargelegten folgt, daß die Festigkeit einer Nietverbindung, wenn man von
den Festigkeitseigenschaften der vernieteten Bleche absieht, bedingt wird durch die
vom Zustande der aufeinander liegenden Flächen abhängigen Reibungszahl, von der im
Niet herrschenden Zugspannungen, also von der Endtemperatur beim Nietschlagen, und
schließlich von der Scherfestigkeit des Nieteisens.Zur Bestimmung des Gleitwiderstandes bei verschiedenen Pressungen (Zugspannungen im
Niet) sind seit 1906 nach einem von mir angegebenen Verfahren mehrere
Untersuchungsreihen angestellt, deren Besprechung einer besonderen Arbeit
vorbehalten sind. Im Nachstehenden sollen die Ergebnisse einer für das
Reichs-Marine-Amt ausgeführten Versuchsreihe besprochen werden, die bezweckte,
festzustellen, wie groß die Veränderungen der Elastizitäts-
und Festigkeitseigenschaften sind, die das Nietmaterial, wie es in der
gewalzten Nieteisenstange vorliegt, bis zur Fertigstellung
des geschlagenen Nietes erleidet.Als Probematerial standen zur Verfügung:1. 2 Stangen Nieteisen von 1,35 cm ⌀ und 100 cm Länge aus
Flußeisen,2. 20 aus Abschnitten der unter 1 genannten Stange gepreßte
Niete von 1,4 cm ⌀ und 4,0 cm Schaftlänge, und3. eine Nietverbindung (Fig. 1,
s. S. 403), die aus 2,0 cm dicken Platten unter Verwendung von 12 Nieten
gleichen Ursprunges wie die unter 2 genannten Proben hergestellt war.Die Untersuchung erstreckte sich auf:1.Zugversuchea) mit dem Nieteisen,b) mit gepreßten Nieten, undc) mit geschlagenen Nieten aus der Nietverbindung (Fig. 1) entnommen;2.Scherversuchea) mit dem Nieteisen,b) mit gepreßten Nieten;3.Kerbschlagversuche mit Proben in den drei Zuständen
wie unter 1;4.Kugeldruckproben zur Ermittlung der Härteänderung
des Materials durch das Pressen und Schlagen des Nietes.1. Zugversuche.Zur Ermittlung der Zugfestigkeit des Nieteisens wurden drei Stangenabschnitte
(Versuch 1–3, Tab. 1) im Anlieferungszustande, d.h. ungeglüht und unbearbeitet, sowie zwei
Abschnitte (Versuch 4 u. 5 a) nach dem Ausglühen bei 900° C und Abdrehen auf 0,72 cm
⌀ geprüft.Zur Ermittlung des Einflusses des Nietpressens und des Schlagens des fertigen Nietes
auf die Zugfestigkeit des Eisens wurden ferner aus sechs gepreßten und aus den vier
geschlagenen Nieten 5, 6 sowie 11 und 12 (Fig. 1),
kleine Rundstäbe ebenfalls von 0,71–0,76 cm ⌀ entnommen und von ihnen je 4 bezw. 2
Stück ungeglüht (Versuch 13, 14, 13 a und 14 a sowie 5 und 6, Tab. 1) und je 2
Stück, nach vorherigem Ausglühen bei 900° C (Versuch 15, 16 und 11, 12, Tab. 1),
geprüft.Um schließlich die Größe der bei der Nietverbindung in dem geschlagenen Niet
herrschenden Zugspannung feststellen zu können, wurden Zugversuche mit fertig
geschlagenen Nieten ausgeführt, bei denen die durch das Schlagen und Erkalten des
Nietes hervorgerufene Spannung noch in der Probe herrschte (Probe 1 und 3, Tab. 2).
Dies wurde dadurch ermöglicht, daß aus der Nietverbindung zylindrische Probestücke
X von 2,8 cm ⌀ nach Fig.
2 herausgeschnitten wurden, die in der Mitte die Niete 1 und 3 enthielten
(s. Fig. 1).Zum Einspannen wurden die beiden äußeren der drei Bleche, die Laschen a–a (Fig. 3) am Umfang
mit Gewinde versehen und die Niete dann, unter Anschluß des Gewindes der Laschen a an Zugstangen, zerrissen.Zum Vergleich wurden ferner gleiche Probestücke X, die
die Niete 2 und 4 (Fig. 1) enthielten, geprüft,
beiTabelle 1.Ergebnisse der Zugversuche mit Proben aus dem Nieteisen,
sowie aus den gepreßten und geschlagenen Nieten.
[Textabbildung Bd. 325, S. 402]
Probe Nr.; Zustand; Entnahme; der
Probe; aus; Abmessungen; Durchmesser; Querschnitt; Messlänge; Spannungen kg/qcm;
Streckgrenze; Bruch; Verhältnis; Bruchdehnung; Querschnitts vermindg.;
Bruchaussehen; Mittel; wie eingeliefert, ungeglüht; Nieteisenstange; gepressten
Nieten; fiertig geschlagenen Nieten: Nieteisenstange; nicht ermittelt; Mattgrau,
feinschupoig, Trichterbildung.Tabelle 2.Zugversuche mit fertig geschlagenen Nieten.Nietdurchmesser = 1,4 cm; Nietquerschnitt = 1,54 qcm.
ProbeNr.(s.Fig. 1)Zustand der ProbenMittlere Nietlänge(Abstand der
Nietköpfe)in cmVerkürzung desNietes bei
dessenEntnahme aus d.Nietverbindung–
εcmZugspannungdes Nietes in
derNietverbindungσ = – ε Ekg/qcmMaterialspannungim
Nietschaftkg/qcmBe-merkungenvornachStreck-grenzeσSBruchσBdem Freilegen des Schaftes13Schaft nicht freigelegt(s. Fig. 3) Anfangsspan-nung wie in der
Verbindg.––––40304080(4550)(4140)Der Brucherfolgtedurch
Durch-ziehen (Ab-scheren) derNietköpfe24Schaft freigelegt (s. Fig.
3)ohne Anfangsspannung4,06534,08434,06334,08420,0006250,00003112506040604510(4900)(4630)
denen aber das Mittelstück b entfernt, der Niet
n also spannungslos war.
[Textabbildung Bd. 325, S. 403]
Fig. 1.
[Textabbildung Bd. 325, S. 403]
Fig. 2.
[Textabbildung Bd. 325, S. 403]
Fig. 3.Die beiden letztgenannten Proben dienten zugleich dazu, festzustellen, um wieviel die
Niete in der Konstruktion (Nietverbindung) elastisch gedehnt waren, um aus dieser
Dehnung, die bei Entfernung des Bleches b (Fig. 3) sich in Verkürzung des Nietes äußern mußte,
die Zugspannung des geschlagenen Nietes wie folgt annähernd berechnen zu können.Bezeichnet– λ die Gesamtverkürzung des
Nietes beim Entfernen des Mittelstückes b (Fig. 3),l die an der Verkürzung
teilnehmende Länge des Schaftes,E den Elastizitätsmodul des
Eisens,so berechnet sich die Zug-Spannung die Nietes in der
Konstruktion zuDie Messung der Verkürzung – λ erfolgte auf dem
Dickenmesser von Zeiß durch Bestimmung der Gesamtlänge
h zwischen den äußeren Kopfflächen und zwarα) nach dem Herausschneiden des
Zylinders x (Fig.
2) aus der Nietverbindung,ß) nach dem Aufschneiden des
Gewindes auf die Mantelflächen der beiden Laschen a
(Fig. 3) undγ) nach dem Entfernen des Bleches
b (Fig.
3).Jede Messung wurde viermal ausgeführt, wobei die in Tab. 3 zusammengestellten
Einzelwerte erhalten sind.Tabelle 3.Längenänderungen des Nietes beim Lösen der Verbindung.
ProbeNr.VersucheNr.Länge des Nietes in cm gemessenam heraus-geschnittenenZylinderαnach demGewinde-schneidenβnach den Ent-fernen d. mitt-leren
Blechesγ212344,06544,06524,06524,06534,06474,06494,06504,06484,06324,06334,06334,0632Mittel4,06534,06494,0633412344,08414,08454,08404,0847Nichtermittelt4,08394,08444,08394,0845Mittel4,08434,0842
Hiernach betrug die Verkürzung – λ bei Probe 2 – λ = α – γ = 0.002 cm.Dem entspricht bei der Gesamtlänge des Schaftes l = 3,2
cm und bei Annahme des Elastizitätsmoduls zu 2000000 kg/qcm, die ZugspannungAn Probe 4 konnte keine nennenswerte Verkürzung des Nietes bei dessen Freilegung
festgestellt werden.Aus den Ergebnissen der Zugversuche (Tab. 1) ergibt sich, daß das Material der
gepreßten Niete (Probe 15 u. 16) sowie das der fertig geschlagenen Niete (Probe 11
u. 12) nach dem Ausglühen annähernd die gleichen Festigkeitseigenschaften besaß wie
das Material der Nieteisen-Stange (Probe 4 u. 5 a). Setzt man die Werte der
letzteren gleich 100, so ergeben sich folgende Verhältniszahlen:
Das ungeglühte Material besaß in den gepreßten und in den fertig geschlagenen Nieten
(s. Proben 13–14 a und 5–6, Tab. 1) nahezu die gleichen Werte für σS und σB; während die der
Nieteisen-Stange wesentlich niedriger liegen. Setzt man die letzteren wieder gleich
100, so erhält man folgende Verhältniswerte:
Vergleicht man schließlich noch die Werte der ungeglühten Proben mit denen der
geglühten aus den gleichartigen Proben, indem man die letzteren gleich 100 setzt, so
ergeben sich folgende Werte:
σSσBδWerte für die geglühten Proben100100100Un-geglühteProbenNieteisenstangeGepreßtes NietFertig geschlagenes Niet105171187961191287189–
Tabelle 4.Ergebnisse der Scherversuche, (s. S.
417.)
Aus den angeführten Verhältniszahlen ergibt sich, daß
die Streckgrenze σSund Brachfestigkeit σBdes Nieteisens durch das Pressen des Nietes ganz erheblich
gesteigert wird, daß diese Veränderungen durch Ausglühen, also auch durch das
Erhitzen des gepreßten Nietes vordem Schlagen wieder beseitigt werden, daß aber dann
durch das Schlagen des Nietes wieder die gleichen, wenn nicht noch größere
Festigkeitssteigerungen bewirkt werden, wie durch das Pressen des
Nietes.(Schluß folgt.)