Titel: Schraubengetriebe mit selbsttätiger Druckregulierung.
Autor: Wilh. Rehfus
Fundstelle: Band 325, Jahrgang 1910, S. 225
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Schraubengetriebe mit selbsttätiger Druckregulierung. Von Dr. Wilh. Rehfus, Kiel. Schraubengetriebe mit selbsttätiger Druckregulierung. Einleitung. Der Maschinenbau weist eine Gruppe von Triebwerksteilen auf, welche durch große Einfachheit der Konstruktion und eine ganz eigentümliche Wirkungsweise gekennzeichnet ist. Trotz der Verschiedenheit ihrer Verwendungsart und der konstruktiven Ausbildung, läßt sich doch folgender einheitliche Grundgedanke erkennen: Ein vorhandenes Drehmoment wirkt auf ein Gewinde und ruft eine achsial gerichtete Kraft hervor; diese Achsialkraft erzeugt an irgend einer widerstehenden Fläche ein Reibungsmoment, das zur Fortleitung oder zur Vernichtung des zugeführten Drehmomentes dient. Die Größe des durch den Gewindedruck entstandenen Reibungsmomentes ist unter sonst unveränderten Verhältnissen immer dem Drehmoment proportional, und diese direkte Abhängigkeit von Drehmoment und Reibungsmoment bildet die grundlegende Eigenschaft, woraus die Wirkungsweise der noch näher zu betrachtenden Triebwerksteile sich ergibt. Ihre Zahl ist zu groß, um sie alle hier anführen zu können. Die vorliegende Abhandlung soll daher auch nur eine Zusammenstellung der charakteristischen Anwendungsarten mit Beschreibung und rechnerischen Erläuterung ihrer Wirkungsweise bilden, worin auch einige noch nicht bekannte neue Konstruktionen des Verfassers Platz gefunden haben. I. Betrachtungen über eine gewöhnliche Mutterschraube. Dem Zweck der Einführung in das Gebiet der zu behandelnden Getriebe soll ein einfaches Beispiel aus dem Maschinenbau dienen: Textabbildung Bd. 325, S. 225 Fig. 1. Eine Maschinenschraube mit Mutter und vierkantigem, versenktem Kopf sei durch das Loch einer Wandung gesteckt, wie in Fig. 1 dargestellt, und werde durch ein an der Mutter wirkendes Drehmoment M1 derart beansprucht, daß im Schraubenbolzen, welcher durch den viereckigen Kopf festgehalten wird, eine Zugkraft von der Größe N und ein Drehmoment von der Größe M3 entsteht. Es soll nun festgestellt werden, welche Beziehungen zwischen den Größen M1 und M3 bestehen. Bevor das Moment M1 am Gewinde des Schraubenbolzens zur Wirkung kommt, wird es um den Betrag des Reibungsmomentes, welches an der Auflagefläche der Mutter ihm entgegenwirkt und mit M2 bezeichnet sein mag, verkleinert. Der Rest ist dann M3, also M3= M1– M2 . . . . . 1) dieses Moment erzeugt am Gewinde des Schraubenbolzens eine Achsialkraft von der Größe N=\frac{M_3}{\frac{d}{2}\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)} . . . . 2) wobei d den mittleren Gewindedurchmesser, α den Steigungswinkel des Gewindes und ρ den Reibungswinkel der im Gewinde sich berührenden Materialien bezeichnet. Mit der Kraft N wird die Mutter auf ihre Auflagefläche gedrückt, und daher ist das Reibungsmoment M_2=N\,.\,\mu\,.\,\frac{R+r}{2} nach „Hütte“, 18. Aufl., Abt. 1, Seite 211 als das Reibungsmoment von eingelaufenen Flächen, wenn R und r den äußeren und inneren Radius der ringförmigen Auflagefläche der Mutter und μ den Reibungskoeffizienten dieser Fläche bedeutet. Führt man den Betrag für N aus Formel 2 in die letzte Formel ein und dann den daraus folgenden Wert von M2 in Formel 1, so ändert sich diese in M_3=M_1\,\frac{d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)}{d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)+\mu\,(R+r)} . . 3) und liefert die gesuchte Beziehung zwischen M3 und M1. Dieses ganze Moment Ms wird bei einer nicht drehbaren Schraube durch den Vierkantkopf aufgenommen. Textabbildung Bd. 325, S. 225 Fig. 2. Bei einer drehbaren Schraube dagegen, wie sie in Fig. 2 dargestellt ist, liegt der Kopf, wie die Mutter, irei mit einer ringförmigen Fläche an der Platte, durch welche die Schraube gesteckt ist, und dem Moment M3 im Schraubenbolzen wirkt jetzt das neue Moment M4 = Reibungsmoment an der Auflagefläche des Kopfes entgegen. Als neu tritt hier ferner das Moment M5 = M4M3 = Drehmoment am Kopf der Schraube auf, wobei sein Drehsinn als positiv gelten soll, wenn er der gleiche ist wie der von M1. Der Uebersichtlichkeit wegen mögen hier für die verschiedenen Momente neue Benennungen eingeführt werden und zwar für M1 Muttermoment, M2 Mutterreibmoment, M3 Schaftmoment, M4 Kopfreibmoment, M5 Kopfmoment; ferner sollen für die sich oft wiederholenden Werte folgende Abkürzungen gelten: μ2 (R2 + r2) = m (Anfangsbuchstabe von Mutterreibmoment) μ4 (R4 + r4) = k (       „           „ Kopfreibmoment) d tg + ρ) =s (       „           „ Schaft, Spindel) R2 und r2, sowie R4 und r4 sind die Radien der entsprechenden Reibflächen, ebenso μ2 und μ4 die dazu gehörigen Reibungskoeffizienten. Im folgenden werden nun die Beziehungen der einzelnen Momente unter sich, insbesondere die von M1 und M5 aufgestellt, um sie nachher zur Erklärung der verschiedenen Schraubengetriebe verwenden zu können. Durch die Wirkung des Muttermomentes M1 entsteht in der Schraubenspindel eine achsiale Zugkraft, welche nach Formel 2 eine Größe besitzt von N=\frac{M_3}{\frac{d}{2}\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)} oder nach Einführung eines anderen Wertes von M3 nach Formel 1 N=\frac{2\,.\,M_1}{\mu_2\,(R_2+r_2)+d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)} oder abgekürzt N=\frac{2\,.\,M_1}{m+s}. Dieser Kraft proportional sind die beiden Reibungsmomente M2 und M4 an der Mutter und am Kopfe und zwar ist M_2=N\,.\,\mu_2\,\frac{R_2+r_2}{2}=N\,.\,\frac{m}{2} . . . 4) M_4=N\,.\,\mu_4\,\frac{R_4+r_4}{2}=N\,.\,\frac{k}{2} . . . 5) oder nach Einsetzen des vorher gefundenen Wertes von N M_2=M_1\,\frac{m}{m+s} M_4=M_1\,\frac{k}{m+s} . . . . 6) Das Schaftmoment M3 bleibt unverändert, nach Formel 3 M_3=M_1\,\frac{d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)}{\mu_2\,(R_2+r_2)+d\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)} oder abgekürzt M_3=M_1\,\frac{s}{m+s} . . . 7) Setzt man die Werte von M3 und M4 aus den Formeln 6 und 7 in die durch die Definition von M5 gegebene Beziehung M5 = M4 – M3 ein, so erhält man die Gleichung: \frac{M_5}{M_1}=\frac{k-s}{m+s}, welche den Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen bildet und den Namen „Hauptgleichung“ erhalten soll. Sie gibt uns über die Größe und den Drehsinn des Kopfmomentes M5 Aufschluß und läßt darin drei charakteristisch verschiedene Möglichkeiten unterscheiden: \frac{M_5}{M_1} kann positiv, Null oder negativ sein, je nachdem k größer, gleich oder kleiner als s ist. 1. Fall. Die einstweilen noch als konstant betrachteten Reibungskoeffizienten, die Gewindesteigung und die hier in Betracht kommenden Dimensionen der Schraube seien z.B. so getroffen, daß k größer ist als s. Daraus folgt durch Vergleich der Formel 6 und mit Formel 7, daß das Kopfreibmoment M4 größer ist als das Schaftmoment M3, daß also die Schraube sich selbsttätig sperrt. Das Muttermoment M1 kann dann beliebig groß werden, ohne jemals imstande zu sein, die Schraube zu drehen. Denn je größer M1 wird, desto mehr nehmen auch die Momente M3 und M4 zu, und zwar immer proportional mit M1, was sich ohne weiteres aus den Formeln 6 und 7 ergibt. Wenn also einmal das Kopfreibmoment M4 größer ist als das Schaftmoment M3, was ja hier vorausgesetzt ist, so wird es auch immer so bleiben, ganz unabhängig von der Größe des Muttermomentes M1. Soll jedoch die Schraube im Sinne von M1 gedreht werden, so ist dies nur möglich, wenn noch das Moment M5 am Kopfe der Schraube wirksam wird. Der Drehsinn von M5 ist dann nach der Haupt-Gleichung ebenso, wie der von M1, positiv, weil die linke Seite dieser Gleichung wie die rechte nach Voraussetzung positiv sein soll. Die absolute Größe dieses Momentes ergibt sich aus derselben Gleichung zu M_5=M_1\,.\,\frac{k-s}{m+s}. 2. Fall. Wenn k = s und daher M5 = 0 ist, so befindet sich das ganze System an der Grenze der Selbstsperrung und gewissermaßen in einem indifferenten Gleichgewichtszustand. Das Muttermoment M1 allein vermag nie das Gleichgewicht zu stören, welche Größe dieses Moment auch annehmen mag, aber die geringste Aenderung von m, k oder s genügt, um die Bewegung oder die gesicherte Selbstsperrung der Schraube hervorzurufen. Dieser Zustand kann auch als Grenzfall betrachtet werden, wobei es gerade noch möglich ist, die Mutter mit einem Schraubenschlüssel anzuziehen, ohne gleichzeitig den Kopf der Schraube festhalten zu müssen 3. Fall. Liegt die dritte Möglichkeit vor, daß k kleiner als s und somit auch das Kopfreibmoment M4 kleiner als das Schaftmoment M3 und das Kopfmoment negativ ist, so kann das Muttermoment ohne gleichzeitiges Vorhandensein des Kopfmomentes überhaupt nicht bestehen, weil es keinen Widerstand vorfindet und sich auch keinen Widerstand durch Selbstsperrung verschaffen kann wie vorher. Das Kopfmoment muß also dem Muttermoment entgegenwirken und zwar mit der Größe M_5=M_1\,\frac{s-k}{m+s}. Die gefundenen Resultate seien noch einmal kurz zusammengefaßt. Eine, durch eine Platte gesteckte, mit Kopf und Mutter versehene Schraube, an welcher ein beliebig großes, jedoch stets gleichgerichtetes Drehmoment an der Mutter (Muttermoment M1) und ein Drehmoment am Kopf (Kopfmoment M5) angreift, befindet sich im Gleichgewichtszustand, wenn die Bedingung \frac{M_5}{M_1}=\frac{k-s}{m+s}=\frac{\mu_4\,(R_4+r_4)-d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho)}{\mu_2\,(R_2+r_2)+d\,.\,\mbox{tg}\,(\alpha+\rho} erfüllt ist. Ohne Wirkung von M5 ist die Schraube selbstsperrend, wenn k > s im Gleichgewichtszustand, wenn k = s nicht selbstsperrend, wenn k < s. Um den Gleichgewichtszustand herzustellen, muß im ersten Fall M5 positiv, zweiten M5 = Null, dritten M5 negativ sein. (Fortsetzung folgt.)