Titel: Die Spiralseile.
Autor: P. Stephan
Fundstelle: Band 324, Jahrgang 1909, S. 801
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Die Spiralseile. Von P. Stephan, Dortmund. (Schluß von S. 788 d. Bd.) Die Spiralseile. Bei passender Wahl des Steigungswinkels a für die einzelnen Lagen kann man erreichen, daß die von einer achsialen Zugkraft herrührenden Spannungen σmax überall – mit Ausnahme des Kerndrahtes – annähernd denselben Betrag haben. Denn die Gleichung für σmax läßt sich schreiben σmax=PFA wobei abkürzungsweise gesetzt ist A=[sinα2(1+1nζ3)μ(Ra+Ri)2P(1+eζ3nr)]+{[...]2+[cosα(1ζ1+1nζ5)μ(Ra+R1)P(1ζ1+eζ5nr)]2} Ebenso kann die für die Seildehnung geltende Gleichung geschrieben werden: ε=λl=PEFB, worin zu setzen ist: B=sinα2,6cosαtgα+ζ1rne[sinα+2,6cosαtgαζy4(1+JxJy)]μ(Ra+Ri)P[1+2,6tgα+ζ1n(1+2,6tgαζ24(1+JXJy))] Da nun die Längenänderung in Richtung der Seilachse für alle Drähte dieselbe sein muß, so ist λl konstant; ferner ist nach der jetzt gestellten Anforderung σmax eine Konstante. Demgemäß erhält man durch Division beider Gleichungen AB= const. =σmaxεE als Bedingung für die gleiche Höchstbeanspruchung aller Drähte – mit Ausnahme des Kerndrahtes. Allerdings ist der praktische Wert einer derartigen Seilkonstruktion ein sehr geringer, denn zu den Achsialkräften treten immer noch Querkräfte, die das Ergebnis ganz wesentlich abändern. Unter dem Einfluß einer Querkraft V nimmt das mit der Kraft Q gespannte Seil die Form der Fig. 13 an. Bildet die Tangente an einen beliebigen Punkt der Mittellinie des Seiles mit der Richtung der Kraft Q den Winkel β, so zerlegt sich Q in eine Zugkraft Q cos β und eine Schubkraft Q sin β. Da die Drähte gegen die Seilrichtung um den Steigungswinkel a geneigt sind, müssen beide Kräfte nochmals nach dem Winkel α zerlegt werden; man erhält so mit P=Qm als Zugkraft, die auf einen bestimmten Drahtquerschnitt wirkt, P cos β sin α + P sin β cos α = P sin (α + β) und als entsprechende Schubkraft P cos β cos α + P sin β sin α = P cos (α – β). Da β stets ein kleiner Winkel bleibt, so werden die oben berechneten Beanspruchungen σ1 und τ3 durch die Verbiegung des Seiles nur ganz unerheblich vergrößert. Wohl aber tritt infolge des Biegungsmomentes eine wesentliche Formänderung des Seiles ein, und zwar beeinflussen sich alle ineinander gesteckten und nebeneinander liegenden Drähte derart, daß sich das Seil wie ein Ganzes verhält. Man bemerkt ja selbst bei lose geschlagenen Hanfseilen erst dann selbstständige Bewegungen der einzelnen Litzen, wenn die Biegung weit über das zulässige Maß hinausgeht.
[Textabbildung Bd. 324, S. 801]
Fig. 13.
Wird der Abstand der Seilmitte von der Richtung der Kraft Q an einer Stelle, die von dem beliebig gewählten Nullpunkt um die Strecke x entfernt ist, mit y bezeichnet (Fig. 13), so ist das Biegungsmoment, das auf einen Drahtquerschnitt entfällt, Py . sin α, während die Seitenkraft P cos α am Hebelarm y ein verdrehendes Moment liefert. Für die Formänderung heben sich die Drehmomente in ihrer Gesamtheit auf. Zur Berechnung der durch die Biegungsmomente hervorgerufenen Lage der Seilmittellinie dient die bekannte Gleichung, die aber hier wegen der gegenseitigen Beeinflussung der einzelnen Drähte etwas anders zu schreiben ist: d2ydx2ΣEJ=ΣPysinα. oder d2ydx2ΣEJ=yΣPsinα. Setzt. man zur Lösung- dieser Differentialgleichung y = eax, worin e die Basis der natürlichen Logarithmen ist, so wird dydx=aeax und d2ydx2=a2eax, und es folgt damit Σ EJ · a2eax=eax Σ P sin α, eine Gleichung, die für alle x gilt, also auch für x = 0. Wird dieser Wert eingesetzt, so geht sie über in EJ . a2 = ∑P sin α oder a=±ΣPsinαΣEJ. Die allgemeine Lösung der Grundgleichung lautet nun y = C 1 e+ ax + C 2 e ax. Setzt man hierin x = 0, so folgt für den Anfangspunkt y° = C1 + C2. Da die Seilkurve sich der x-Achse asymptotisch anschließt, ist für x = – ∞ y = 0 = C1 . 0 + C2 . e+ a . ∞, zu deren Erfüllung also C2 = 0 erforderlich ist. Somit bleibt nur y0 = C1, also y = y° . eax. Damit wird dxdy=y0aeax. Für die Stelle x = l, wo die Last V dem Seil aufliegt, ergibt nun das Kräftedreieck tgβmax=12VQ2V24V2Q da V gegenüber Q immer klein ist, oder dydxmax=V2Q=y0aeal. Ebenso wird ymax = y0 . eal. Durch Division beider Gleichungen erhält man ymax=V2aQ oder mit dem obigen Wert von a ymax=V2QΣEJΣPsinα Das Ergebnis weicht von dem von Isaachsen errechneten4) nur dadurch ab, daß statt QP sin α gesetzt ist. Da es sich hier um die Formänderung des ganzen Seiles handelt, so erscheint es von vornherein richtig, ∑EJ = Es . ∑J zu setzen, worin Es die oben aus den Zugversuchen bestimmte Elastizitätsziffer des Seiles ist. Mit dem Ausdruck ΣPsinα=Q(j1sinα1m1+j2sinα2m2+...), worin j die Anzahl der gleichartigen Drähte in einer Lage angibt, erhält man dann aus der abgeleiteten Formel beim halbverschlossenen Seil mit ∑J = 0,142 cm4
für Q = 10000 kg, V = 725 kg: y max = 0,185 cm, Q = 10000 „ , V = 1050 „ ; = 0,269 „ ,
beim verschlossenen mit ∑J = 0,1384 cm4 für Q = 10300 kg, V = 780 kg: ymax = 0,167 cm, beim offenen Seil mit ∑J = 0,1135 cm4
für Q = 6030 kg, V = 375 kg: y max = 0,146 cm, = 16040 „ , = 765 „ : = 0,079
Zur Nachprüfung jener Werte wurde die eine Einspannungsmuffe des Seiles an einem Laufkran angehängt und die andere durch schwere Gewichte belastet. Ungefähr in der Mitte des Seiles wurde eine Schlaufe bezw. Rolle angebracht, von der aus vermittels eines dünnen über eine Rolle laufenden Drahtseiles oder einer Kette ein seitlicher Zug in der angegebenen Höhe auf das Seil ausgeübt wurde5). Seine Form wurde durch Winkelmessungen mit einem Theodolithen aufgenommen, nachdem der Abstand der Theodolithachse von der Seilachse gemessen war. Aus der Richtung der gerade bleibenden Seilenden und der Größe der senkrecht daran hängenden Last ließ sich der tatsächlich ausgeübte Seitenzug nachrechnen, der sich infolge der Reibungswiderstände der Ablenkungsrolle und nicht ganz wagerechten Lage des Zugseiles etwas geringer ergab als das angehängte Gewicht betrug. Die Auftragung der Seilkurve in großem Maßstabe lieferte dann die folgenden Werte:
beim halbverschlossenen Seil ymax = 0,18 bezw. 0,25 cm, verschlossenen ymax = 0,17 cm, offenen ymax = 0,16 bezw. 0,08 cm.
Die Zahlen schließen sich den oben errechneten mithin reichender Genauigkeit an. Würde mit E = 2150000 gerechnet werden, so wäre keine Uebereinstimmung mehr vorhanden. Die Versuche zeigten deutlich, daß die Krümmung des Seiles vom Lastangriffspunkt nach beiden Seiten sehr schnell abnimmt und schon bei wenigen Zentimetern Abstand unmerklich wird, wie Isaachsen ebenfalls schon angegeben hat. Die direkt unter der Last sich ausbildende Krümmung hat den Halbmesser ρ=1d2ydx2=EsΣJqymax2VEsΣJΣPsinα. Z.B. erhält man für das untersuchte halbverschlossene Seil mit Q = 12500 kg und V = 500 kg, ymax = 0,178 cm und ρ = 266 cm. Das Biegungsmoment Pymax . sin α ruft nun noch eine zusätzliche Biegungsspannung hervor: σb=PsinαymaxW=Psinαymaxζ3Fe Die andere Seitenkraft von P bewirkt das Auftreten der Verdrehungsbeanspruchung τb=PcosαymaxWa=Pcosαymaxζ5Fe Damit ist die Gesamtbeanspruchung eines Drahtes gegeben durch σ=σ1+σ2+σb=QF[sinαm(1+1nζ3+ymaxeζ3)μ(Ra+Ri)Q(1+enrζ3)] τ=τ2+τ4+τb=QF[cosαm(1ζ4+1nζ5+ymaxeζ5)μ(Ra+Ri)Q(1ζ4+enrζ5)] die zu einer Hauptspannung zusammenzusetzen sind. Beispielsweise erhält man so mit Q = 12500 kg und V= 500 kg für das halbverschlossene Seil
in Lage 3a: σmax = 4830 kg/qcm, \frakfamilyS = 1,85, 3b: 5285 „    , 1,69, 2: 6200 „    , 1,44, 1: 6785 „    , 1,32.
Die übliche Formel σ0=QΣF liefert σ0 = 1630 kg/qcm, wobei das Seil, dessen ∑F = 7,77 qcm ist, und dessen Stahlmaterial die mittlere Zerreißfestigkeit Kz = 11 500 kg/qcm besitzt, eine rechnerische Sicherheit \frakfamilyS0=5,48 hat, die oft in der Praxis gewählt wird. Tatsächlich sind die wirklich vorhandenen Sicherheitszahlen, die in der vorstehenden Zusammenstellung angegebenen! Da die Streckgrenze des Materials etwa zwischen 7500 bis 8500 kg/qcm liegt, so beträgt die auftretende Spannung in der äußersten Lage das 0,65- bezw. 0,70-fache der Streckgrenze, was bei ruhender Belastung im Sinne des Wöhlerschen Gesetzes durchaus zulässig erscheint; dagegen überschreiten die entsprechenden Beträge 0,83 bezw. 0,90 für die beiden inneren Lagen bereits das zulässige Maß. Die vorstehende Rechnung läßt den Wert der vierrädrigen Laufwerke von Luftseilbahnen besonders in die Augen springen, da große Einzellasten sonst auch sehr starke Seile noch überbeanspruchen. Um der letzteren Schwierigkeit zu entgehen, wählen jetzt Ceretti & Tanfani für die Laufbahn einer zur Personenbeförderung dienenden Anlage starke, nur aus Runddrähten hergestellte Litzenseile, deren Seile ebenfalls aus einem siebendrähtigen Stahlseil besteht. Trotz der verhältnismäßig rauhen Oberfläche wird ihr Verschleiß voraussichtlich sehr gering sein, weil die Biegungsbeanspruchung in dem gegenüber den einfachen Spiralseil viel nachgiebigeren Litzenseil entsprechend kleiner ist, so daß also zu unzulässig hohen Formänderungen keine Veranlassung vorliegt. Noch ungünstiger als an der freien Strecke werden die Verhältnisse dicht vor dem Auflagerschuh einer Stütze. Dort ist das Seil für gewöhnlich etwas nach oben gewölbt; kommt nun ein Wagen heran, so drückt das Rad eine nach unten gehende Wölbung in das ausgespannte Seil. Die Beanspruchung ist also eine wechselnde, für die nur ein Teil der bei ruhender Belastung geltenden Spannung zulässig ist. So erklärt es sich, daß gerade dicht vor einer Stütze öfters Drahtbrüche vorkommen, die ja, wenn sie vereinzelt sind, keinen erheblichen Schaden bedeuten. Ueberhaupt gibt die obige Rechnung eine Erklärung dafür, daß ganz geringe Fehlstellen, die oft unmerklich sind, mit der Zeit zum Bruch des Drahtes führen. Bei der kleinen, durch die übliche Berechnung nachgewiesenen Beanspruchung sind diese Drahtbrüche sonst nicht zu erklären. Für die Ermittlung der auf dem Auflagerschuh selbst infolge des Gegendruckes der Stütze auftretenden Beanspruchung sind die obigen Formeln nur nach einer Abänderung verwendbar. Da man den Auflagerschuh immer mit großer Krümmung ausführt, so kann das Seil sich nicht nach dem Halbmesser krümmen, den es annehmen würde, wenn die Kraft V punktförmig auf das freie Seil wirkte. Natürlich bleibt die Beanspruchung auch entsprechend geringer. Das Einfachste ist, mit dem gegebenen ρ des Auflagerschuhes aus der oben stehenden, für ρ geltenden Gleichung den Wert V' zu berechnen, der dieselbe Formänderung hervorruft und dann diesen Betrag V' in die für ymax gegebene Gleichung einzusetzen. Der wirkliche Wert des Stützdruckes ergibt viel zu hohe Spannungen. Addiert man die ymax enthaltenden Glieder in der angegebenen Weise zu den den Ausdruck A der Gleichung σmax=PFA bildenden, so kann man damit auch für eine beliebige größte Durchbiegung ymax oder das entsprechende Verhältnis VQ der Querkraft zur Längskraft ein Seil gleicher Hauptbeanspruchung in allen Drähten – abgesehen vom Kerndraht – konstruieren. Zu den obigen Darlegungen ist zu bemerken, daß die Versuche keine Präzisionsversuche waren, vielmehr mit sehr einfachen Mitteln unter zum Teil recht ungünstigen Umständen ausgeführt worden sind. Immerhin dürften sie geeignet sein, einen ersten Anhalt zur Beurteilung der Spiralseile und zu ihrer Berechnung für einen bestimmten Rad- oder Stützendruck zu geben. Freilich sind zur vollständigen Klärung der Sache noch weitere Versuche erforderlich, die festzustellen hätten, ob die oben errechneten Zahlenverhältnisse auch für alle Seile derselben Art Geltung besitzen6).