Titel: | Ueber die Einwirkung von Strukturänderungen |
Autor: | Hermann Gewecke |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 737 |
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Ueber die Einwirkung von
Strukturänderungen
auf die physikalischen, insb. elektrischen
Eigenschaften von Kupferdrähten und über die Struktur des Kupfers in seinen
verschiedenen Behandlungsstadien.
Von Dipl.-Ing. Hermann Gewecke,
Darmstadt.
Ueber die Einwirkung von Strukturänderungen.
A. Einleitung.
Der Einfluß von durch mechanische Bearbeitung oder Wärmebehandlung- hervorgerufenen
Strukturänderungen in Metallen auf deren physikalische Eigenschaften ist schon der
Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden. Leider zeigen diese in ihren
Resultaten vielfach große Verschiedenheiten, nicht nur hinsichtlich der
Größenordnung der festgestellten Aenderungen, sondern auch oft in bezug auf das
Vorzeichen derselben. Es dürfen daher die diesbezüglichen Untersuchungen keineswegs
als abgeschlossen gelten.
Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Kupfers; einerseits wegen seiner
bedeutenden technischen, speziell elektrotechnischen Verwendung – die festgestellten
Aenderungen beispielsweise des Leitvermögens, erreichen die Größenordnung von
einigen Prozenten, kommen also praktisch schon in Frage –, dann aber auch aus
theoretischen Rücksichten, weil das Verhalten des Kupfers als eines reinen Metalles
einigermaßen als typisch gleiten kann, zum wenigsten für die anderen dehnbaren
Metalle, wie Gold, Silber, Platin usw. Gegen die Wahl von Eisen und Stahl als
Untersuchungsmaterial spricht eben, daß sein Verhalten zu sehr von der jeweiligen
Zusammensetzung abhängt. Von den verschiedenen Möglichkeiten der mechanischen
Bearbeitung wurde dem Drahtziehen, als einem bei der Fabrikation wirklich
stattfindenden Vorgange der Vorzug gegeben. Es wurde fernerhin der Einfluß der
Wärmebehandlung, der die Drähte bei der Herstellung ja auch unterworfen sind, und
die daher technisch von Bedeutung ist, genauer untersucht
Von den physikalischen Eigenschaften wurde, als technisch besonders wichtig, das
elektrische Leitvermögen bestimmt und nur nebenbei zur Stütze der ersteren
Untersuchungen dieselben vereinzelt ausgedehnt auf den Temperaturkoeffizienten des
Leitvermögens, die Zerreißfestigkeit und das spezifische Gewicht. Zum Schluß wurde
dann noch. die Struktur des Kupfers als solche in den verschiedenen Stadien der
Behandlung studiert.
Die im Folgenden dargestellten Untersuchungen werden hoffentlich zur Klärung, des
Verhaltens der Metalle bei Strukturänderungen einiges beitragen.
B. Abhandlung.
I. Mechanische Bearbeitung (Drahtziehen).Aenderung des
Leitvermögens und der Dichte bei gezogenen Kupferdrähten.
1. Aeltere Arbeiten.
Der Einfluß von Strukturänderungen auf das Leitvermögen der Metalle ist lange
unberücksichtigt geblieben. Als Erster findet einen solchen Einfluß bei
verschiedener mechanischer Behandlung A.
MoussonA. Moussun: Arch. d. sc. phys. XXXI. p.
111. 1855.. Er hat unter anderem Kupferdrähte gezogen und
dabei eine Abnahme des Leitvermögens gefunden. Merkwürdigerweise konstatiert
er für Eisen eine Zunahme desselben mit abnehmendem Drahtdurchmesser. Der
Einfluß des Drahtziehens ist dann erst wieder in neuerer Zeit von M. WeberM. Weber: Inaug.-Diss. Berlin
1891. an Aluminiumlegierungen untersucht worden, bei
denen er eine Abnahme des Leitvermögens infolge des Ziehens findet.
Für ausgeglühten extra weichen Stahldraht findet M.F.
OsmondM F. Osmond: Lum elektr. 46. p 96.
1902. keine Aenderung des Leitvermögens beim Hartziehen
(s. a. Mac. du GregorMac.
Gregor: Proc. Roy. Soc. Edinburg 1875/76. p.
79.) und A. Donaldson und R. WilsonA. Donaldson u. R. Wilson Proc. Roy. Soc. Edinburgh 27.
p. 16. 1907., die das gleiche für gedehnten Silberund
Bleidraht feststellen). Dieses negative Resultat ließe sich vielleicht – die
Genauigkeit der Messungen vorausgesetzt – daraus erklären, daß man annimmt,
die verwendeten Metalle würden in dem weichgeglühten Zustande eine so
geringe Strukturänderung durch das Ziehen erfahren, daß dieselbe bei der
erreichten Genauigkeit nicht aufgefunden wurde. (Vergleiche auch: Wiedemann, Elektrizität I p. 502. 2.
Aufl.).
Eine aus der Praxis hervorgegangene Arbeit von L.
AddicksL. Addicks: The electrical conductivity
of commercial copper Am. Inst, of electr. Eng New-York Nov. 20.
1903. stellt u.a. die Leitfähigkeit von geglühtem und
dann auf verschiedene Durchmesser gezogenem Kupferdraht fest. Die
Abhängigkeit zwischen prozentualer Querschnittsabnahme und den Prozenten des
ursprünglichen Leitungsvermögens werden in einem Diagramm dargestellt und
ergeben eine stetige schwachgekrümmte Kurve. Eine Querschnittsverminderung
um etwa 90 v.H. ergibt eine Verminderung der Leitfähigkeit um etwa 2
v.H.
R. WegnerR. Wegner: Inaug.-Diss. Zürich
1905. hat in gleicher Weise das Leitvermögen einer Serie
von auf verschiedene Durchmesser heruntergezogenen Platin – Iridium –
Drähten untersucht und findet in dem Verlauf der Abhängigkeit obiger Größen
voneinander keinerlei Gesetzmäßigkeit. Leider wird nicht angegeben, ob der
Draht vor dem Ziehen ausgeglüht war.
Die Aenderung der Dichte durch das Ziehen haben
zuerst J.H. Gray und J.B. HendersonJ.H. Gray und J.B. Henderson: Proc. Roy. Soc. 54. p. 286.
1893. untersucht an Kupfer und Mangankupfer. Sie finden
bei
Kupfer zuerst eine Zunahme der Dichte und bei weiterem Ziehen eine
geringe Abnahme derselben.
G.W.A. KahlbaumG.W.A.
Kahlbaum: Ann. der Physik. 14 p. 587. 1904. hat
Platindraht in kaltgezogenem und geglühtem Zustande untersucht. Er findet
durch das Kaltziehen eine Abnahme der Dichte von I v.T. Keine
Gesetzmäßigkeit im Verlauf der Dichte konstatiert R.
WegnerR. Wegner: 1. c.p. 24. in
seiner Arbeit. Dagegen findet W. SchlettW. Schlett: Inaug.-Diss. Marburg. 1907.
p. 42. bei Platin und Nickel eine Abnahme der Dichte
durch Kaltziehen von etwa 2 v.T.
Es zeigen also die bisherigen Versuche kein übereinstimmendes Verhalten der
Dichte sowie des Leitvermögens beim Ziehen an; vielleicht ein Zeichen dafür,
daß zwei Einflüsse wirksam sind, die sich entgegenarbeiten. – Teilweise
liegt der Mangel an Uebereinstimmung vielleicht auch an den oft ungenügenden
oder fehlenden Angaben des Ausgangsmaterials und daher der Unmöglichkeit,
die Beobachtungen miteinander zu vergleichen. –
Daher soll im Folgenden zunächst das Drahtziehen theoretisch einer näheren
Untersuchung unterzogen werden.
2. Theorie des Drahtziehens.
Angaben über die Theorie des Drahtziehens finden sich, soviel mir bekannt,
nur in JaspingHartlebens
Verlag: Wien, Pest und Leipzig 1884., „Draht-
und Drahtwaren“ p. 120, sowie in Karmarsch-FischerVerlag von E. Hartig, Hannover
1886., „Mechanische Technologie,“ Bd. I. 6. Aufl.
p. 293, und dann aus neuerer Zeit in Theobald
DemuthWien und
Leipzig, Franz Deuticke
1907., „Mech.Technologie der Metalle und des Holzes“
p. 134. Alle diese Angaben gehen jedoch über die Fig. 1. Grundformel für die zur
Querschnittsverringerung nötige Kraft nicht weit hinaus. Es erscheint daher
wohl gerechtfertigt, auf die Theorie des Drahtziehens im folgenden etwas
näher einzugehen.
Textabbildung Bd. 324, S. 738
Fig. 1.
Wird ein Draht durch ein Ziehloch gezogen, so wirken auf ihn zwei Kräfte,
einmal die Kraft des Ziehens an dem Drahtende vom neuen Durchmesser d und dann der Druck, den die Wände des
Ziehlochs auf den zu verändernden Draht vom Durchmesser D ausüben. Die letztere besteht aus mehreren
Einzelkräften, deren Richtung senkrecht steht zu den Tangenten an die Kurve
des Ziehlochs (s. Fig. 1). Wir nehmen zu
unserer Betrachtung die Form des englischen Zieheisens, die der Rechnung
bequemer zugänglich ist (Fig. 2).
Wir bezeichnen die Zugkraft mit K und den
Gesamtdruck normal zu der Fläche des Ziehlochs mit N und können nun N zerlegen in eine
Kraft H in Richtung von K, die gleich K aber dieser
entgegengesetzt ist, und in eine Komponente V
senkrecht dazu, die ein Zusammenpressen des Drahtes bewirkt.
Nach den älteren Angaben (s. z.B. Karmarsch-Fischer, l.c.p. 263) wird nun die Kraft K proportional der Querschnittsverminderung
gesetzt, also
K = c(Q – q),
es läßt sich aber weiter sagen, daß diese Kraft
umgekehrt proportional sein muß einer noch unbekannten Potenz von einer
Funktion des Steigungswinkels a im Ziehloch.
Wir gelangen am bequemsten zu einfachen Ausdrücken für die auftretenden
Kräfte, wenn wir von dem Begriff der Arbeit ausgehen. Die Arbeit, die dazu
gehört, einen Draht von bestimmter Länge auf einen kleineren Durchmesser
herunterzuziehen, ist, wenn wir von den Reibungsverhältnissen vorläufig
absehen, eine konstante Größe. Da der Weg, den die kleinsten Teilchen des
Drahtes zurücklegen müssen, um aus der größeren Entfernung von der Achse
beim Durchmesser D in die geringere Entfernung
von derselben beim Durchmesser d zu gelangen,
für eine bestimmte Querschnittsabnahme gleichfalls konstant ist, so muß auch
die Kraft Fin Richtung dieses Weges für alle Steigungswinkel und also alle
Längen des Ziehlochs konstant und nur abhängig sein von der
Querschnittsverminderung. Also
V = c(Q – q) . . . . . . (1)
wobei c ein Faktor ist,
dessen Größe abhängt vom Material des Drahtes, von der Beschaffenheit des
Ziehlochs, der Schmierung, der Geschwindigkeit des Ziehens usw. Nun ist nach
Figur 2
\mbox{tg}\,\alpha=\frac{H}{V}; H = V tg α
also
H = ctg α (Q – q) . . . . . (2)
Textabbildung Bd. 324, S. 738
Fig. 2.
Die Funktion des Winkels α ist also der Tangens und tritt in der ersten
Potenz auf. Daß nur der Tangens in den Ausdruck für K eingehen kann, sagt uns auch eine einfache Ueberlegung, wenn wir
wieder von dem Arbeitsbegriff ausgehen. Die Arbeit, die durch Ziehen an dem
Drahtende vom Durchmesser d zu leisten ist, muß
für ein zu ziehendes Drahtstück von bestimmter Länge bei gegebener
Querschnittsverminderung konstant sein. Da mit dem Steigungswinkel im
Ziehloch sich der Weg ändert, auf dem die Querschnittsverminderung
hervorgebracht wird, so muß sich auch die Kraft K mit dem Winkel ändern, und zwar muß, wenn α = 0, also die Länge
des Ziehlochs l = ∾ ist, K = 0 sein, und wenn α = 90°, also die
Querschnittsverminderung auf einer unendlich kleinen Länge hervorgebracht
werden soll, K = ∾ sein. Das ist aber nur
möglich, wenn wir den Tangens von a einführen, also
H = ctg α (Q – q).
Um aus den Formeln mehr herauslesen zu können, formen
wir dieselben um.
tg\,\alpha=\frac{D-d}{2\,l}
H=c\,\frac{D-d}{2\,l}\,\pi\,\frac{D^2-d^2}{4}=\frac{\pi\,c\,D^3}{8\,l}\,\left[1-\left(\frac{d}{D}\right)^2\right]\,\left(1-\frac{d}{D}\right)
(1a)
V=\pi\,c\,\frac{D^2-d^2}{4}=\frac{\pi\,c\,D^2}{4}\,\left[1-\left(\frac{d}{D}\right)^2\right]
. . . . (2a)
Die Fläche des Ziehlochs, auf der der Draht
deformiert wird, ist
F=\frac{\pi\,l}{\mbox{cos}\,\alpha}\ \frac{D+d}{2}.
Die Gesamtdruckkraft senkrecht zur Fläche des
Ziehlochs ist
N=\frac{V}{\mbox{cos}\,\alpha},
also der spezifische Flächendruck:
p=\frac{N}{F}=\frac{2\,\pi\,c\,D^2\,\left[1-\left(\frac{d}{D}\right)^2\right]}{4\,\pi\,l\,D\,\left[1+\frac{d}{D}\right]}=\frac{c\,D}{2\,l}\,\left(1-\frac{d}{D}\right)
(3)
Aus den Formeln 1a, 2a und 3 ergibt sich für das gleiche
Material und unter Vernachlässigung der Reibung:
Die Zugkraft K wächst mit der dritten Potenz des
Anfangsdurchmessers und sinkt, wie schon ausgeführt, mit der Länge des
Ziehlochs. Außerdem wächst K noch mit einer
komplizierten Funktion des abnehmenden Verjüngungsfaktors d/D, d.h. der
steigenden Querschnittsverminderung.
Jedenfalls ist dieses letztere Glied größer als bei der Druckkraft V, welche mit dem Quadrat des Durchmessers und
mit der Abnahme des quadratischen Verjüngungsfaktors wächst.
Der spezifische Flächendruck p im Ziehloch
wächst mit der ersten Potenz des Durchmessers und der Abnahme des
Verjüngungsfaktors und sinkt mit der Länge.
Unter Berücksichtigung der Reibung werden die Verhältnisse etwas
komplizierter. Bezeichnet R die Reibungskraft
in der Ebene der Ziehlochwand, so ist
R=\mu\,N=\mu\,\frac{V}{\mbox{cos}\,\alpha}=\mu\,\frac{H}{\mbox{sin}\,\alpha},
wobei μ den als konstant angenommenen
Reibungskoeffizienten und N, wie erwähnt, den
Normaldruck zur Fläche des Ziehlochs bedeutet. R zerlegt sich in Rv und Rh in Richtung von V und H. (Siehe Figur 3).
Dann ist
Rv= R sin α = μV tg
α = μH
Rh= R cos α = μV =
μH cotg α
Bv subtrahiert sich von V, Rh addiert
sich zu H. Die beiden den Draht beeinflussenden
Kräfte sind also unter Berücksichtigung der Reibung
Ktotal= H + Rh= H(1 + μ cotg
α)
= c tg α (Q – q)(1 + μ cotg
α)
= c(Q – q)(tg α + μ) .
. . . (4)
und
Vtotal = V – Rv = V(1 – μ tg α)
= c(Q – q)(1 – μ tg
α)
und das Verhältnis beider Kräfte:
\frac{K}{V}=\frac{tg\,\alpha+\mu}{1-\mu\,tg\,\alpha}
Wir sehen, daß die Reibung die beiden auf den Draht wirkenden Kräfte in
entgegengesetzter Weise beeinflußt: Es wächst K
mit wachsender Reibung, und es sinkt V mit
ihr.
Die Wirkung des Drahtziehens ist also eine Funktion der Wirkungen der den
Draht beeinflussenden Zug- und Druckkraft, die jede für sich, wie wir aus
der unten folgenden Literaturzusammenstellung ersehen werden,
Leitvermögen sowohl wie Dichte des Drahtes in verschiedener Weise
beeinflussen. Ueber die Art dieser Funktion jedoch läßt sich wohl nichts
aussagen.
Eine wirksame Beeinflussung derselben würde wahrscheinlich durch Veränderung
des Verjüngungsfaktors d/D erzielt werden, da dieser in den Formeln für
K und V in
verschiedener Potenz auftritt, sowie durch Veränderung des
Reibungskoeffizienten, der ja für K und V, wie aus den Formeln ersichtlich,
entgegengesetztes Vorzeichen hat. Solche Versuche würden voraussichtlich
über die Möglichkeit von Schwankungen der erwähnten Funktion und somit ihrer
Wirkungen auf Leitvermögen und Dichte einigen Aufschluß geben.
Die Länge des Ziehlochs zu variieren, die ja K
in bedeutendem Maße beeinflußt, würde größere Mittel erfordern, da man zu
dem Zweck verschiedene Zieheisen würde herstellen müssen.
Die Aenderung des Reibungskoeffizienten durch verschiedene Schmierung zu
bewerkstelligen, erscheint wegen der Unmöglichkeit, die
Schmierungsverhältnisse exakt zu definieren, nicht ratsam. Die Form des
Ziehlochs und die Beschaffenheit der Wände, die ja auch den
Reibungskoeffizienten wesentlich beeinflussen, ließe sich auch nur mit
größeren Mitteln verschieden gestalten.
In leichter zu verfolgender Weise ändert die Ziehgeschwindigkeit den
Reibungskoeffizienten, und zwar bewirkt sie, wie durch neuere Versuche
festgestellt ist, im allgemeinen eine Abnahme desselbenZur Erklärung dieser Erscheinung siehe
O. Faller, Zweibrücken: „Eine
neue Anschauung über die Reibung,“ Vortrag auf d. Vers. d.
Naturforscher, München 1899.; beeinflußt wird diese
Abnahme allerdings noch durch die infolge der schnelleren Umlagerung der
kleinsten Teilchen hervorgerufene Temperaturerhöhung, die auf die
Schmierungsverhältnisse einwirkt. Es wird also durch den mit der
Ziehgeschwindigkeit sinkenden Reibungskoeffizienten die Kraft K verkleinert und V vergrößert.
Textabbildung Bd. 324, S. 739
Fig. 3.
Allerdings hat die Ziehgeschwindigkeit noch einen anderen Einfluß. Mit
zunehmender Geschwindigkeit wird nämlich infolge der nötigen größeren
Massenbeschleunigung des gesamten Drahtes eine geringe Zunahme von K eintreten. Von größerer Bedeutung aber ist
der zunehmende Widerstand gegen die Formveränderung. Es werden ja beim
Ziehen die Moleküle aus ihrer ursprünglichen Lage in eine neue gebracht. In
je kürzerer Zeit dies geschieht, desto größer ist die Beschleunigung, mit
der das Teilchen aus seiner Ruhelage herausgebracht wird, und also desto
größer die Kraft, die dazu nötig ist, da für jedes einzelne Teilchen von der
Masse m, das mit der Beschleunigung p aus seiner Ruhelage in eine neue Lage
gebracht wird, die Kraft
k = m
. p
ist.
Modifiziert werden diese Verhältnisse noch durch die mit der Geschwindigkeit
veränderliche Molekularreibung.
Die rechnerische Behandlung dieser Wirkung der Ziehgeschwindigkeit würde auf
bedeutende Schwierigkeiten
stoßen, daher ist sie als in dem Faktor c
enthalten angenommen. Der vergrößerte Widerstand gegen Formänderung
vergrößert also c, bewirkt somit auch ein
Anwachsen von K und V.
Der Versuch muß lehren, ob der Einfluß auf den Reibungskoeffizienten genügend
groß ist, um gegenüber dem Anwachsen beider Kräfte zur Geltung zu
kommen.
Der Verjüngungsfaktor läßt sich, wenn nur der Unterschied zwischen dem
Durchmesser des Ausgangsdrahtes und dem des zuletzt gezogenen Drahtes
genügend groß ist, leicht verändern. Man kann z.B. bei einem vorhandenen
Zieheisen durch Ueberschlagen eines oder mehrerer Löcher eine genügende
Variation des Verjüngungsfaktors erzielenIn Weißbach, Ingenieur- und Maschinenmechanik Band III, 2.
Hälfte, 2. Aufl. Braunschweig, Fr. Vieweg
& Sohn 1901 wird, wie mir nachträglich bekannt wurde,
die Theorie des Ziehens auf p. 1532 ff. eingehender behandelt;
jedoch ist die Art der Behandlung eine von der meinen abweichende,
und die Berechnung ist auch wesentlich angestellt, um den
Verjüngungsfaktor und die Anzahl der Durchzüge festzustellen, weicht
also von meiner Aufstellung erheblich ab..
Um über die absoluten Werte der auftretenden Kräfte und spezifischen Drucke
einigen Aufschluß zu bekommen, werde die Rechnung für einen Kupferdraht vom
ursprünglichen Durchmesser von 1,0 mm durchgeführt. Der Draht wird auf 0,9
mm heruntergezogen, der Verjüngungsfaktor ist also 0,9/1,0 = 0,9. Die zum
Ziehen nötige Kraft beträgt bei einem schon hartgezogenen, nicht mehr
ausgeglühten Draht, wie durch Versuche festgestellt wurde, etwa K = 17,5 kg für die obige Drahtstärke. Die
Länge, auf welcher der Draht auf seinen kleineren Durchmesser gezogen wurde,
war, wie eine Nachmessung an dem halbdurchgezogenen Drahtstück zeigte, l = 0,6 mm.
Wir haben nun ohne Berücksichtigung der Reibung
\frac{K}{V}=\frac{D-d}{2\,l}=\frac{0,1}{2 \cdot
0,6}=0,083=tg\,\alpha
Unter Annahme eines Reibungskoeffizienten von μ = 0,20Die Annahme ist mit Rücksicht auf den
hohen Flächendruck eine ziemlich willkürliche. – – der
Draht war geölt – – steigt der Wert auf
\frac{K_{\mbox{total}}}{V_{\mbox{total}}}=\frac{tg\,\alpha+\mu}{1-\mu\,tg\,\alpha}=\frac{0
\cdot 083+0 \cdot 20}{1-0 \cdot 083\,\times\,0 \cdot 20}
Da
K = 17 . 5 kg
so wird
V=\frac{17 \cdot 5}{0 \cdot 287}=61
kg
und
N=\sqrt{K^2+V^2}=63 \cdot 4 kg
Die Fläche, auf die der Druck wirkt, ist in erster
Annäherung, als Zylindermantel vom mittleren Durchmesser D = 0,95 genommen,
Dπl
= 0 . 95 × π × 0 . 6 = 1 . 80 qmm
der spezifische Flächendruck also
p=\frac{N}{F}=\frac{63 \cdot 4}{1 \cdot 80}=35\mbox{
kg/qmm}=3500\mbox{ Atm.}
Der auf den Draht ausgeübte Druck hat also eine Größe, die schon im Stande
ist, die Struktur desselben wesentlich zu beeinflussen. Die von G.W.A. KahlbaumG.W.A.
Kahlbaum: Ann. d. Physik 14 p. 581, 1904.
angegebene Grenze (10.000 Atm.), bei der schon eine Lockerung der Moleküle
eintritt, erreicht er jedoch für die Drahtstärke von 1 mm nicht.
Literaturübersicht über die Wirkung von Zug und
Druck.
a) Aenderung des
Leitvermögens.
Ueber den Einfluß des Druckes auf das Leitvermögen sind die einzelnen
Beobachter zu sehr abweichenden Resultaten gelangt. O. Chwolson und S. Lussana
konstatieren eine dauernde Zunahme des Leitvermögens durch Druck für
einzelne Metalle, z.B. auch für Kupfer, für andere Metalle dagegen eine
Abnahme.
Erich Lisell dagegen u.a. bestreiten das
Auftreten einer solchen permanenten Aenderung des Leitvermögens mit dem
Druck.
Jedenfalls kann man sagen, daß, wenn überhaupt eine dauernde Aenderung
eintritt, was wenigstens bei sehr großen Drucken – wo der Druck als solcher
eine dauernde Gestaltsänderung hervorruft – wohl wahrscheinlich ist,
dieselbe sehr klein sein muß und wohl in einer Zunahme des Leitvermögens
besteht.
Auch über die Wirkungen des Zuges auf das Leitvermögen gehen die Resultate
der verschiedenen Forscher sehr auseinander. Eine Verminderung des letzteren
konstatieren H. Tomlinson, Götz und Kurz, Gray und Henderson und Bantone. Keine dauernde
Aenderung wollen beobachtet haben Max Gregor,
Meck und Murray, Donaldson und Wilson. Bei schwachen Zügen haben einzelne
Beobachter sogar eine Zunahme des Leitvermögens gefunden.
Zieht man jedoch nur die einwandfreiesten und sorgfältigsten Messungen in
Betracht, so geht aus ihnen die Wirkung des Zuges auf das Leitvermögen der
Metalle und speziell des Kupfers mit großer Uebereinstimmung hervor, daß das
spezifische Leitvermögen abnimmt mit Zunahme der Dehnung. Eine Ausnahme
tritt nur ein bei ganz schwachen Belastungen, insbesondere bei Kupfer und
Kobalt, wo das Leitvermögen zunächst steigt, um dann später bei größerer
Belastung zu sinken, wie aus den Arbeiten von de
Marchi, Tomlinson, Gray und Henderson
und Cantone hervorgeht.
b) Aenderung der Dichte.
Für die Dichte erhalten G.W.A. Kahlbaum und W. Spring bei Drucken bis zu 10000 Atm. eine Zunahme, bei
höheren Drucken eine Abnahme.
Die Aenderung der Dichte durch Zug besteht nach den Beobachtungen von H. Tomlinson, Gray und Henderson und von W. Schlett in einer
Abnahme derselben, wie auch zu erwarten ist, bis zum schließlichen
Bruch.
–––––
Für den Ziehprozeß ergeben sich aus den vorliegenden Untersuchungen die
nachstehenden Folgerungen:
Die beiden auftretenden Kräfte, der Zug und der Druck üben sowohl
hinsichtlich des Leitvermögens als auch der Dichte entgegengesetzte
Wirkungen auf den Draht aus: Das Leitvermögen steigt vermutlich etwas mit
dem Druck, durch Zug dagegen sinkt es, aber in weit höherem Maße; ebenso
steigt die Dichte mit dem Druck und sinkt mit dem Zug.
Eine Ausnahme tritt nur ein bei sehr hohen Drucken, bei denen die Dichte
wieder abnimmt, und vielleicht auch das Leitvermögen; eine Bestimmung für
das letztere war von G.W.A. KahlbaumG.W.A. Kahlbaum: Ann. d. Physik 14. p.
580. 1904. bis zu den Drucken, wie er sie für seine
Dichtebestimmungen verwendete, beabsichtigt, ist aber nicht mehr zustande
gekommen. Bei schwachen Dehnungen tritt mitunter
ein Wachsen des Leitvermögens ein, wie verschiedene Beobachter (s. o.)
festgestellt haben, das erst bei stärkeren Zügen einem Sinken des
Leitvermögens weicht. Ein Wiederanwachsen des Leitvermögens bei sehr starker
Dehnung wird zwar von H. TomlinsonH. Tomlinson: Phil. Trans. 174 p. 39.
1883. behauptet, aber nicht durch Versuche belegt und ist
auch unwahrscheinlich.
Es läßt sich daher die Wirkung des Drahtziehens nicht voraussagen. Je nachdem
die eine oder andere Kraft in ihrer Wirkung überwiegt, wird eine Zu- oder
Abnahme von Leitvermögen und Dichte eintreten. Da nicht übereinstimmend
festgestellt ist, in welchem Maße die beiden Kräfte auf Leitvermögen und
Dichte einwirken, so wäre es auch verständlich, wenn gleichzeitig ein
Anwachsen der Dichte und eine Abnahme des Leitvermögens mit dem Ziehen
einträte, indem der Druck auf die Dichte, und der Zug auf das Leitvermögen
den größeren Einfluß ausübt.
Um über die Art der durch das Ziehen hervorgerufenen Aenderungen Aufschluß zu
bekommen, sollen zunächst an aus der Praxis entnommenen Serien von gezogenen
Drähten Messungen angestellt werden.
(Fortsetzung folgt.)