Titel: Die Festigkeitsberechnung der Schwungräder.
Autor: Joh. Heinrich Bauer
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 390
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Die Festigkeitsberechnung der Schwungräder. Von Joh. Heinrich Bauer in Brackwede i. W. (Fortsetzung von S. 380 d. Bd.) Die Festigkeitsberechnung der Schwungräder. 3. Die Beanspruchung bei einer Verzögerung der Kranzmasse. Wird die Welle des Schwungrades durch irgend einen Widerstand gehemmt, so wird diese Hemmung durch die Arme auf den Kranz übertragen, und es entstehen in Armen und Kranz Biegungsbeanspruchungen. Bezeichnet W die Größe dieses Widerstandes bezogen auf den Schwerpunktskreis des Kranzes von dem Gewichte G1, so ist die Verzögerung des Kranzes: b=WG1g. Allgemein kann über die Größe von W nichts ausgesagt werden. Es muß der Erfahrung und Einsicht des Konstrukteurs überlassen bleiben, darüber je nach dem Verwendungszweck des Schwungrades eine Annahme zu machen.
[Textabbildung Bd. 323, S. 390]
Fig. 8.
Durch das Voreilen der Kranzmasse entsteht beim Anschluß eines jeden Armes an den Kranz ein unbekanntes Einspannmoment Ma und eine unbekannte Reaktionskraft K, wie in Fig. 8 erläutert ist. Die gleichartige Belastung eines jeden Segments ermöglicht es wieder, nur ein Segment ins Auge zu fassen, das zu diesem Zwecke, begrenzt durch die Symmetriewinkel α, herausgeschnitten wird. Die an den Schnittstellen auftretenden Materialspannungen werden zusammengefaßt in eine Normalkraft N1,0 eine Schubkraft T1,0 und ein Biegungsmoment M1,0 und zwar müssen diese in beiden Schnittflächen einander gleich sein mit Rücksicht auf die Wiederholung in jedem Segment. Die Gleichgewichtsbedingungen lauten nach Fig. 9: 1. Projektion senkrecht zur Richtung von K: 2N1,0sinaT1,0cosα+T1,0cosα +02αF1γ1Rbgsin(αφ)dφ=0. 2. Projektion auf die Richtung von K: N1,0cosαN1,0cosαK+2T1,0sinα +F1γ1Rbg02αcos(αφ)dφ=0. 3. Die Momentengleichung in Bezug auf B als Momentenpunkt: $$M1,0+T1,0Rsin(π2α)N1,0R[1+cos(π2α)]+KR(1cosα)MaF1γ1R2bg02α[1cos(2αφ)]dφM1,0=0.$$ Aus diesen Gleichungen ergibt sich: N1,0 = 0, d.h. in der Mitte zwischen zwei Armen ist die Normalkraft gleich Null. T1,0=K2sinαF1γ1Rgb.
[Textabbildung Bd. 323, S. 391]
Fig. 9.
Da: F12 R π γ1 = G1 (Kranzgewicht) ist: T1,0=K2sinαG12πbg . . . . 20) Und das Einspannmoment am Arme wird: Ma=KRαπG1Rbg . . . . 21) Zur Aufstellung des Biegungsmomentes in irgend einem Querschnitt unter dem Winkel φ denkt man sich das Segment in zwei Aeste zerlegt.
[Textabbildung Bd. 323, S. 391]
Fig. 10.
Für den ersten Ast von der Schnittfläche bis zum Arme ergibt sich nach Fig. 10. MI1,φ=M1,0+T1,0RsinφF1γ1R2bg0φ(1cosΨ)dΨ MI1,φ=M1,0+KR2sinφsinαφ2πG1Rbg Für den zweiten Ast von dem Arm bis zur Schnittfläche B ergibt sich das Biegungsmoment für einen Querschnitt unter dem Winkel φ zu: MII1,φ=M1,0+T1,0Rsinφ+KR(1cos(φα)) F1γ1R2bg0φ(1cosΨ)dΨMa MII1,φ=M1,0KR2sin(2αφ)sinα+2αφ2πG1Rbg Wird in dieser Gleichung (2 a – φ) = β gesetzt, so geht sie über in: MII1,φ=M1,0KR2sinβsinα+β2πG1Rbg. In den beiden Gleichungen für MI1,φ und MII1,φ ist der Wert des Biegungsmoments M1,0 unbekannt. Dieser Wert wird wieder aus der Bedingung ermittelt, daß AM1,0=0 sein muß. Die Formänderungsarbeit der Biegung für den Sektor ist A=120αMI21,φREJ1dφ+12α2αMII21,φREJ1dφ AM1,0=0=0αMI1,φdφ+α2αMII1,φdφ=0 φ=0φ=α(M1,0+KR2sinφsinαφ2πG1Rbg)dφ +φ=αφ=2α(M1,0KR2sinβsinα+β2πG1Rbg)dφ=0. Beachtet man, daß φ = 2 α – β für die Einführung der Grenzen und, daß d φ = – d β ist, so schreibt sich der Ausdruck: φ=0φ=α(M1,0+KR2sinφsinαφ2πG1Rbg)dφ β=αβ=0(M1,0KR2sinβsinα+β2πG1Rbg)dβ=0. Hieraus ergibt sich durch Integration: M1,0 = 0, d.h. In der Mitte zwischen zwei Armen ist das Biegungsmoment gleich Null. Das Biegungsmoment für die beiden Aeste schreibt sich also: MI1,φ=KR2sinφsinαφ2πG1RbgMII1,φ=KR2sinβsinα+β2πG1Rbg}  22) Die Winkel φ und β werden von den Endquerschnitten der beiden Aeste an gerechnet. Die Biegungsmomente in gleichen Abständen von den Enden unterschieden sich nur durch das Vorzeichen voneinander, so daß die gezogene Faser in dem einen Aste außen und in dem anderen innen liegt. Bei Schwungrädern mit schmiedeeisernen Armen wird die Verbindung der Arme mit dem Kranze meistens durch Schrauben bewirkt. In den Schraubenlöchern ist eine geringe Nachgiebigkeit möglich. Man darf also als wahrscheinlich annehmen, daß der Arm auf den Kranz kein Biegungsmoment überträgt. In diesem Falle ist: Ma = 0. Aus Gleichung 21 ergibt sich dann: K=απG1bg oder: K=απW=Wn Das Biegungsmoment im Kranze: $$M1,φ=α2πWRsinφsinαφ2πWR=αWR2π{sinφsinαφα}$$ Den größten Wert wird dieses Moment annehmen, wenn cosφ=sinαα ist. Ist aber der Arm mit dem Kranze vergossen, so ist noch die unbekannte Reaktionskraft K zu ermitteln, indem hierbei die Formänderung des Armes mit berücksichtigt werden muß. Am Arme wirken beim Anschluß an den Kranz die Reaktionskraft K und das Einspannmoment Ma . K und Ma ersetzen die inneren Kräfte und sind mit entsprechendem Vorzeichen einzuführen. Das Biegungsmoment für einen Querschnitt im Abstande ρ ist nach Fig. 11: Mϱ=MaK(Rϱ)ϱRFaγagbRη(ηϱ)dη. Wie früher schon erwähnt, soll der Arm konstanten Querschnitt haben.
[Textabbildung Bd. 323, S. 392]
Fig. 11.
Mϱ=απG1Rbg+KϱFaγab6Rg(2R33R2ϱ+ϱ3). Für die weitere Entwicklung der Rechnung ist es vollkommen ausreichend, nur die Formänderungsarbeit der Biegung zu berücksichtigen und jene der Normal- und Schubspannungen zu vernachlässigen. Die Formänderungsarbeit der Biegung für den Sektor bestehend aus Kranzbogen und Arm ist: A=22EF10αM21,φRdφ+12EJa0RM2ϱdϱ MI1,φ und MII1,φ unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen, welcher Unterschied beim Quadrieren verschwindet, so daß beide Aeste zusammengezogen werden dürfen. Die Integration der Formänderungsarbeit des Armes wird bis zum Mittelpunkt ausgedehnt. Die dadurch bedingte Ungenauigkeit ist geringfügig und kleiner als 3 v. H. Die Kraft K wird jenen Wert annehmen, der die Formänderungsarbeit zu einem Minimum macht. AK=0=2EJ10αM1,φM1,φKRdφ +1EJa0RMϱMϱKdϱ=0 2J10α(KR2sinφsinαφ2πG1Rbg)R22sinφsinαdφ Missing or unrecognized delimiter for \right Missing or unrecognized delimiter for \left Aufgelöst gibt dies: K=G1J11πsinααcosα2sinα+1J1(α2πG1+Ga30)1J12αsin2α8sin2α+13Jabg. Hierin bedeutet Ga = Fa R γa (Gewicht eines Armes), ferner wird gesetzt: 1πsinααcosα2sinα=f5(α) 2αsin2α8sin2α=f6(α). Dann schreibt sich nach Umformung: K=JaJ1f5(α)+α2π+Ga30G1JaJ1f6(α)+13W . . . . 23) Ga30G1 ist meist ein so kleiner Wert, daß er ohne Bedenken vernachlässigt werden kann, wodurch sich die Formel vereinfacht auf: K=JaJ1f5(α)+α2πJaJ1f6(α)+13W . . . 24) Eine weitere Vereinfachung dieser Formel ist noch möglich, wenn bei schweren Schwungrädern das Trägheitsmoment des Kranzquerschnittes J1 ein Vielfaches jenes des Armquerschnittes Ja ist, so daß JaJ1 ein kleiner Bruch ist, dessen Größe bei höheren Armzahlen durch die kleinen Werte von f5 (a) und f6 (a), die der Tabelle entnommen werden können, noch mehr verkleinert wird. Die bezüglichen Summanten der Formel können dann vernachlässigt werden. Im Grenzwert würde dies besagen J1 = ∞, d.h. der Kranz ist starr und nimmt an der Formänderung keinen Anteil. Diese Vereinfachung erscheint für praktische Verhältnisse umso mehr zulässig, als die Annahme von W an eine gewisse Unsicherheit geknüpft ist. Im übrigen bleibt es unbenommen bei Zweifeln auf die strenge Formel 24 oder 23 zurückzugreifen. Formel 24 schrumpft dann zusammen auf: K=32απW, απ=1n. K=32Wn . . . . 25) Die Formeln 25 bezw. 24 können auch zur Festigkeitsberechnung von Kranz und Armen bei Seil- bezw. Riemenscheiben benutzt werden, wenn darin an Stelle von W die zu übertragende Umfangskraft P=75Nv gesetzt wird. Hierin ist N die zu übertragende Leistung in Pferdestärken. Bei Scheiben mit geringen Kranzhöhen tut man gut nach Formel 24 zu rechnen, für alle anderen Fälle genügt Formel 25. Nach Ermittelung von K ist der Belastungszustand des Rades auf Grund der Gleichungen 20, 21 und 22 bekannt. Um auch die Zugspannungen zu berücksichtigen, ist es notwendig, die Normalkraft N1,φ in einem Querschnitt unter dem Winkel noch aufzustellen. Nach Fig. 10 lautet die Gleichgewichtsbedingung für den ersten Ast: NI1,φT1,0sinφ0φF1γ1RbgcosΨdΨ=0, also NI1,φ=K2sinφsinα . . . . 26) und für den zweiten Ast lautet die Gleichgewichtsbedingung: NII1,φT1,0sinφ+Kcos(φα)0φF1γ1RbgcosΨdΨ=0 NII1,φ=K2sin(2αφ)sinα=K2sinβsinα . . . . 26a) Die Normalkräfte in symmetrisch gelegenen Querschnitten der beiden Aeste unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen. Das Biegungsmoment im Kranz beim Armanschluß ist nach Gleichung 22 im ersten Ast MI1,α=KR2α2πG1Rbg, im zweiten Ast MII1,α=KR2+α2πG1Rbg. Das Biegungsmoment in Arm beim Kranzanschluß ist: Ma=MI1,αMII1,α=KRαπG1Rbg in Uebereinstimmung mit Gleichung 21. Das Biegungsmoment im Arm beim Nabenanschluß ergibt sich aus Mρ für ρ = r zu Mr=απG1bgR+KrGabg2R2r(Rr)6R. Bei normalen Verhältnissen ist r=R6, so daß sich die Gleichung vereinfacht auf: Mr=(απ+67216GaG1)G1bgR+KR6 . . . . 27) Ist nun JaJ1 ein so kleiner Wert, daß von der vereinfachten Formel 25 Gebrauch gemacht werden darf, so ist das Biegungsmoment: Im Kranz beim Armanschluß: Im ersten Ast: MI1,α=+WR4n, im zweiten Ast: MII1,α=WR4n. Im Arm beim Kranzanschluß: Ma=WR2π. Im Arm beim Nabenanschluß: Mr=(34n+67216GaG1)WR. Die Materialspannungen werden aus diesen Momenten in der bekannten Weise berechnet. (Schluß folgt.)