Titel: | Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten Sauerstoffs. |
Autor: | L. Michaelis |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 209 |
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Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten
Sauerstoffs.
Von Dr. L. Michaelis.
Beitrag zur Frage der Fabrikation komprimierten
Sauerstoffs.
Komprimierter Sauerstoff für industrielle und medizinische Zwecke wird seit
Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dargestellt. Nachdem einige
Werke, welche das Verfahren von Boussingault in
Verwendung genommen hatten, infolge der Unvollkommenheit dieses Verfahrens den
Betrieb wieder eingestellt hatten, gelang es den beiden Brüdern Brin, das Verfahren von Boussingault derartig zu verbessern, daß mit Vorteil und in ökonomischer
Weise Sauerstoff technisch erzeugt werden konnte.
Das Verfahren der Brüder Brin besteht darin, über
Bariumoxyd, welches auf eine bestimmte Temperatur erhitzt ist, Luft zu leiten und
hierdurch Bariumsuperoxyd zu bilden. Dieses Bariumsuperoxyd, auf einige Grade höher
erhitzt, als seine Bildungstemperatur betrug, zerfällt in Bariumoxyd und Sauerstoff.
Dieser einfache, schon von Boussingault beobachtete
Prozeß wurde von Brin dadurch technisch brauchbar
gestaltet, daß die Imprägnation des Bariumoxydes unter Druck und die Spaltung des
Bariumsuperoxydes im luftverminderten Raume vorgenommen wurde, so daß Bildungs- und
Zersetzungstemperatur sehr nahe aneinandergerückt wurden; ferner wurde die
übergeleitete Luft vollständig von Kohlensäure und Feuchtigkeit befreit und
hierdurch die Bildung von kohlensaurem Baryt und Aetzbaryt ausgeschlossen. Das
Verfahren ist im Laufe der Jahre noch mannigfach verbessert worden, aber nach
Information des größten und am besten eingerichteten Londoner Werkes einer weiteren
Verbesserung nicht mehr fähig.
In der Mitte der neunziger Jahre entstanden Werke zur Darstellung von komprimiertem
Sauerstoff auf elektrolytischer Basis. Hier sind es vor
allen fünf Verfahren, welche in der Technik Eingang gefunden haben:
1. Garuti, 2. Schuckert, 3. Dr. Schmidt,
Zürich, 4. Hasard Flamand, 5. Renard.
Allen genannten Verfahren gemeinsam ist die Zersetzung alkalischer Lösungen durch den
elektrischen Strom; sie unterscheiden sich, indem das Verfahren von Schmidt und Renard mit
porösen Diaphragmen aus nicht leitendem Material, das Verfahren von Garuti und Schuchert mit
durchbrochenen oder vollen leitenden Scheidewänden arbeitet.
Eine kurze Zeit war in Deutschland auch das Verfahren Kassner in Betrieb, das durch Peitz (D. R. P.
55604) seine endgültige Ausgestaltung erfahren hat. Bei diesem Prozeß wird
Calciumplumbat, aus Bleiglätte und Kalk zusammengeschmolzen, in
nacheinanderfolgenden Phasen 1. mit atmosphärischer Luft, 2. mit Dampf, 3. mit
Kohlensäure, 4. mit Dampf behandelt, von denen jedes einzelne Gas eine Temperatur
von 700° haben muß, bevor es in die Plumbat-Retorten eintritt. Es hat sich in der
Praxis gezeigt – die Kohlensäurewerke C. G.
Rommenhöller
A.-G. hatten in ihrer Herster Anlage einige Jahre
lang den Betrieb aufgenommen – daß das Calciumplumbat oft schon nach wenigen Tagen
die Fähigkeit der Sauerstoffaufnahme oder Abgabe verliert. Die Anlage ist bereits
seit vier Jahren außer Betrieb.
Zu diesen Verfahren tritt als jüngstes, aber schon jetzt bedeutendstes, seit etwa fünf Jahren die Darstellung des Sauerstoffes aus
flüssiger Luft, welche ganz besonders den Arbeiten Lindes zu verdanken ist. Schon bei seiner ersten
Luftverflüssigungsmaschine, welche nach dem Entspannungssystem arbeitete, das heißt,
den physikalischen Grundsatz ausnutzte, daß komprimierte Gase bei der Entspannung
innere Arbeit leistend sich bedeutend abkühlen, hatte Linde beobachtet, daß die durch die Abkühlung bis auf 195° unter Null
gewonnene verflüssigte Luft etwa 30 v. H. Sauerstoff enthält. Die beiden
Hauptbestandteile der atmosphärischen Luft, die bekanntlich nur ein Gemisch und
nicht eine chemische Verbindung darstellen, zu deren Trennung eine besondere
Arbeitsleistung erforderlich sein würde, unterscheiden sich in verflüssigtem
Zustande auch noch durch eine bedeutende Differenz der Siedepunkte, etwa 13°, was
aber bei der Nähe des absoluten Nullpunktes gemäß der mechanischen Wärmetheorie
einer Differenz von etwa 40° in der Nähe der Temperatur siedenden Wassers
entspricht. Der anscheinenden Einfachheit, diese beiden
Flüssigkeiten durch fraktionierte Destillation zu trennen, stand in Theorie und
Praxis jene Schwierigkeit gegenüber, die man auch bei der Separation von Wasser und
Alkohol beobachten kann, nämlich, daß bei Erwärmung nicht der leichter siedende
Bestandteil allein verdampft.
Grundlegende Arbeiten Lindes, die von 1896–1902
reichten, verdichteten sich endlich zu seinem jetzt bekannten Rektifikationsapparate, in welchem den aufsteigenden
sauerstoffreichen Dämpfen von flüssiger Luft frisch erzeugte normal zusammengesetzte
flüssige Luft entgegenrieselt, welche den Sauerstoff der aufsteigenden Dämpfe an
sich nimmt, die äquivalente Menge Stickstoff freiläßt, und sich am Boden des Gefäßes
als hochprozentiger flüssiger Sauerstoff ansammelt. Da gleichzeitig die in der
enormen Kälte liegende Arbeit zum größten Teile wiedergewonnen wurde, ergibt sich,
daß das Verfahren, dessen Einzelheiten hier zu erörtern zu weit führen würde, ein
durchaus kontinuierliches ist; aus 100 cbm kompr. Luft kann man 21 cbm chemisch
reinen Sauerstoff und 79 cbm Stickstoff erhalten.
Was nun den Absatz der einzelnen Länder anbelangt, so liegen genauere Zahlen über
England, Deutschland, Frankreich und Belgien vor. Hiernach beträgt der Verkauf
komprimierten Gases in England etwa 150000 cbm, in Deutschland etwa 400000 cbm, in
Frankreich etwa 300 000 cbm, in Belgien etwa 100000 cbm.
Ueberaus lehrreich sind die Verbrauchszahlen in Deutschland. Im Jahre 1899
betrug der Verbrauch in Deutschland, welches auch noch die Nordländer, Oesterreich,
Rußland versorgte, etwa 5000 cbm, im Jahre 1900 verdoppelte, im Jahre 1901
verdreifachte er sich. Dann setzte die Firma Rommenhöller mit der Produktion ein, und im Jahre 1902 betrug der
Verbrauch etwa 35000 cbm. Dieser Verbrauch stieg im Jahre 1903 auf etwa 50000, im
Jahre 1905 auf etwa 90000 und 1906 werden von den Vereinigten Sauerstoffwerken regelmäßig monatlich über 10000 cbm
geliefert, 1907 über 24000 cbm monatlich. Rechnet man hierzu die Produktion der
Oxydric mit etwa 60000 cbm, die der Akkumulatorenfabrik
Hagen mit etwa 10000, von Bayer-Elberfeld etwa
mit der gleichen Zahl, so ergibt das einen augenblicklichen Verbrauch von etwa
400000 cbm und eine Steigerung in 6 fahren von 5000 cbm auf
400000 cbm.
Was die Kosten der Einrichtungen nach den verschiedenen Systemen anbelangt, so seien
Anlagen in Vergleich gezogen, welche eine Produktion von etwa 250 cbm Sauerstoff in
24 Stunden haben.
Diese Kosten stellen sich für eine Brins-Anlage nach den
neuesten eingehenden Erfahrungen:
1. 1 Ofen, Halbgenerator mit einer
Ver- brennungskammer und einer Retorten- kammer auf jeder
Seite
M. 15000
2. 1 Luftkompressor zum Oxydieren und Desoxydieren
des Bariums
„ 20000
3. 1 Heizdampflokomobile
„ 7000
4. 1 Automat zum Verteilen der Luft für den
Ofen
„ 5000
5. 1 Reinigerbatterie, bestehend aus: 2 Kalkreiniger
und 2 Aetznatronreiniger mit Rohrleitung
„ 4000
6. Erstmalige Füllung des Ofens mit Baryt = 2250 kg
für 100 kg M. 120 =
„ 2700
7. 1 Satz Retorten, der im günstigsten Falle alle 4
Jahre zu erneuern ist
„ 3000
––––––––
M. 56700
Die gleiche Anlage nach Schuckert stellt sich wie folgt:
1. 234 Elektrolyseure à M. 350 =
M. 81900
2. Füllung
„ 5100
3. 1 Kraftmaschine, 160 PS
„ 40000
4. Dynamo
„ 7000
5. Gleitschienen
„ 0500
6. Schalttafel
„ 1000
–––––––––
M. 135500
Die Kosten für eine Linde-Anlage betragen:
1. 1 Maschine No. 4
M. 39500
2. Heißdampfkessellokomobile 35 PS
„ 7500
––––––––
M. 47000
Aus vorstehendem ergibt sich, daß in den Anlagekosten die Lindesche Anlage die billigste ist. Bei sämtlichen Anlagen sind Montage,
die Kompressoren zum Komprimieren des Sauerstoffes u.a.m. unberücksichtigt
geblieben, so daß nur die effektive Auslagen für die unmittelbar zur Herstellung von
Sauerstoff notwendigen Maschinen Berücksichtigung
gefunden haben.
Die Verhältnisse verschieben sich aber weit zugunsten der Lindeschen Anlage bei Berücksichtigung der Platzfrage. Eine Brinsche und eine elektrolytische Anlage erfordern
nämlich je einen Raum, welcher ungefähr zehnmal so groß als bei einer Lindeschen Anlage ist. Eine Brinsche Anlage, welche bei sehr hohen Temperaturen –
etwa 800° – arbeitet, muß vollständig unterkellert sein und bildet eine Fabrik für
sich. Eine elektrolytische Anlage muß gleichfalls in Bau und Anlage ganz besonderen
Bedingungen entsprechen. Es müssen, zumal bei der elektrolytischen Anlage, große
Gasometer vorgesehen werden, um die sich in doppelter Quantität entwickelnden Mengen
Wasserstoff aufzunehmen. Ferner muß bei beiden Anlagen Tag- und Nachtbetrieb
vorhanden sein. Bei der Brinschen Anlage deswegen,
damit der Arbeiter am Morgen ein gewisses Quantum zum Komprimieren vorfindet. Denn
die Art des Prozesses bringt es mit sich, daß etwa alle fünf Minuten die Oxydation
eintritt, – also kein Sauerstoff erzeugt wird – und daß die Oefen über Nacht nicht
auskühlen dürfen, da die Produktion an ganz bestimmte Temperaturen gebunden ist. Bei
der Elektrolyse ist die Ausbeute gleichfalls an eine bestimmte Temperatur gebunden,
welche im Bade durch den Strom erzeugt wird, weshalb man durch kontinuierliche
Arbeit Vorsorge treffen muß, daß die Bäder die Temperatur gleichmäßig
beibehalten.
Bei dem Linde-Prozeß kann der Betrieb angefangen und
abgebrochen werden, wann man will, und die Entwicklung des Sauerstoffes ist eine
kontinuierlich gleichbleibende. Der Betrieb kann in seiner kompendiösen Form – zu
obiger Produktion sind nur etwa 50 qm Raum notwendig – und da er nur mit
Kraftübertragung arbeitet, jedem Betrieb eingefügt werden. Mehrere Lindesche Anlagen befinden sich in Oberstockwerken von
Gebäuden, die sonst anderen Zwecken dienen.
Die Elektrolyse erfordert ferner ein ganz besonders sorgsam arbeitendes Personal. Der
Sauerstoff ist stets mit Wasserstoff verunreinigt, und man muß durch Verbrennung
über platinierten Asbest für die Entfernung des Wasserstoffes Sorge tragen. Der Brinsche Prozeß liefert minderwertigen Sauerstoff, und
es ist nicht denkbar, ohne große Verluste dauernd ein Produkt herzustellen, welches
einen Gehalt von nur etwa 93 v. H. hat. Es liegt das daran, daß im Beginn der
Desoxydation, also der jeweiligen Sauerstoffentwicklung, die Retorten noch mit Luft
gefüllt sind. Wenn auch die von der Brins Oxygen Co.
konstruierten Maschinen derartig eingerichtet sind, daß sie das erstentwickelte Gas
in die Luft ausstoßen, so ist der Gasstrom doch ein vollständig wechselnder und
schwankt in seiner Reinheit von 88 v. H. bis auf etwa 97 v. H. Nur durch Preisgabe
großer Mengen Sauerstoff kann man hier ein hochprozentiges Produkt erhalten. Der Linde-Prozeß liefert dagegen in völlig gleichmäßigem
Strome Sauerstoff in jeder gewünschten Reinheit, bis zu chemisch reinem
Produkte.
Was nun die Kosten f. d. cbm Sauerstoff, nach den einzelnen Verfahren hergestellt,
betrifft, so sollen hier nur diejenigen des elektrolytischen Prozesses und des Lindeschen Prozesses verglichen werden. Nach meinen
eigenen langjährigen Erfahrungen ist man im Brins-Prozeß zu sehr von Zufälligkeiten abhängig, als daß dieser Prozeß
gegenüber den anderen zu den technisch sicheren gezählt werden könnte. Die geringste
Temperaturschwankung im Ofen, die geringste Verunreinigung der Luft, falls die
Reiniger nicht genügend funktionierten, verändern den gesamten Baryt. Barium-Oxyd,
äußerlich und in der Analyse als ein vollständig einwandfreies Produkt
identifiziert, verändert sich häufig im Ofen vollständig, so daß hierdurch schon
Tausende an Betriebskosten in wenigen Tagen verloren wurden.
Für den elektrolytischen Prozeß stellen sich die Kosten wie folgt:
Betriebskosten einer elektrolytischen Anlage; die
Angaben entstammen der Praxis.
Darstellung 250 cbm Sauerstoff in 24 Stunden. Ausbeute f. d. Ampere-Stunde 0,2 l
Sauerstoff. Hieraus ergeben sich 12 KW/Std. zu 1 cbm Sauerstoff und für 10 cbm
demnach 160 Pferdekraftstunden.
Betriebskosten 160 PS/std. à 2 Pfg. × 24
M. 76,80
Elektroden Ersatz f. d. Tag
„ 7,50
Laugenersatz 15 kg f. d. Tag
„ 4,50
Schmiermaterial, Wasser
„ 10,–
Arbeitslohn drei Mann, zwei Taglöhner (Tag und
Nacht)
„ 21,–
–––––––––
M. 119,80
Produktion 250 cbm, 1 cbm = 48 Pfg.
Hierzu Amortisation der Anlage, die, selbst M. 135000 kostend, durch den großen
Platzbedarf und die notwendigen Gebäude einen Aufwand von mindestens M. 250000
verursacht.
Betriebskosten einer Lindeschen Anlage:
Maschine No. 4 Kraftbedarf 35 HP f. d. Stunde 2
Pfg
M. 16,80
Schmiermaterial f. d. Stunde 30 Pfg.
„ 7,20
Kühlwasser f. d. Stunde 1,6 cbm
„ 4,80
Arbeiter: zwei Mann, ein Taglöhner
„ 13,–
––––––––
M. 41,80
Produktion 250 cbm, f. d. cbm 12,7 Pfg.
Hierzu Amortisation der Anlagekosten im Betrage von etwa M. 47000, welche Summe durch
den minimalen Raumbedarf nicht, oder um unwesentliches erhöht wird. Bei der
Entscheidung über die eventuelle Installation spricht auch die chemische
Großindustrie mit. In Deutschland werden durch die Badische
Anilin- and Sodafabrik und die Chemische Fabrik
Griesheim und die Deutschen Solvaywerke
jährlich etwa 20–25 Mill. cbm chemisch reinen Wasserstoffs in die Luft geschickt. Es
ist sicher, daß die elegante Darstellung des Chlors auf elektrolytischer Basis bald
auch in anderen Staaten heimisch werden wird – in Oesterreich, Spanien, Südrußland,
Frankreich und Amerika z.B. längst schon heimisch ist. Bei den meisten dieser
Verfahren entsteht als Nebenprodukt chemisch reiner Wasserstoff. Bei der Elektrolyse
schwacher Alkalien zu Sauerstoff oder Wasserstoff bilden volle zwei Drittel der
Gesamtproduktion: Wasserstoff. Man erhält also bei einer elektrolytischen Anlage
nach Garuti oder Schuckert
zu zwei Drittel ein Produkt, das die chemische Großindustrie als Abfall gewinnt,
daher zu jedem Preis abgeben kann. Hier ist wieder das Lindesche Verfahren dasjenige, welches ohne Nebenprodukt in völliger
Gleichmäßigkeit die Produktion ausnutzt.
Was nun die Anwendungsgebiete des Sauerstoffes anbelangt, so findet derselbe in der
Medizin zu nutzbringenden Preisen eine ausgedehnte Verwendung. Nach jahrelangen
Kämpfen ist ihm durch sehr eingehende und sorgsame Arbeiten, welche hauptsächlich in
der Königl. Charite zu Berlin entstanden sind, ein großes, nicht mehr bestrittenes
Anwendungsgebiet zugefallen. In der Anwendung in der Hygiene haben vor allen Dingen
die Schreckenstage in Courrieres weite Kreise aufgeklärt.
Sein Hauptanwendungsgebiet ist aber bedingt durch seine Eigenschaft, die Temperatur
der Flamme außerordentlich zu erhöhen, da der die Temperatur der Flamme
herabsetzende Stickstoff nicht mit erhitzt werden braucht.
Hier findet der komprimierte Sauerstoff Verwendung in der Glashüttenindustrie zur
Darstellung der sogenannten Schottlochzylinder, zum Absprengen der Walzen, und es
gibt in Deutschland Glashütten, welche einen Bedarf von etwa 10000 cbm komprimierten
Sauerstoff f. d. Jahr haben. Er findet ferner Verwendung nach dem sogen. Köln-Müsener-Verfahren zum Abschmelzen der
Abstichlöcher bei Rohgang des Hochofens und zum Reinigen der Düsen, sobald
dieselben voll Eisen gelaufen sind. Für alle diese Zwecke kann nur komprimierter
Sauerstoff Verwendung finden, da das Gas unter einem hohen Druck angewendet werden
muß.
Die größte Anwendung aber findet der komprimierte Sauerstoff in der Schweißtechnik.
Gerade auf diesem aussichtsvollsten Verwendungsgebiete zeigt sich besonders das
Uebergewicht der Lindeschen Anlagen.
Die Elektrolyse liefert 1 Volumen Sauerstoff und 2 Volumina Wasserstoff. Die
Schweißpraxis aber erfordert 1 Volumen Sauerstoff und 5 Teile Wasserstoff.
Theoretisch verbrennt naturgemäß 1 Teil Sauerstoff mit 2 Teilen Wasserstoff zu
Wasserdampf. Im Augenblick aber, in welchem Wasserdampf glühendes Eisen trifft,
tritt die jedem Chemiker wohlbekannte Reaktion
3 Fe + 4 H2O = Fe3 O4 + 4 H2
ein, das heißt, das Eisen verbrennt zu Zunder. Um diese, den
ganzen Erfolg ausschließende Reaktion zu hindern, muß man einen starken an der
Verbrennung selbst nicht teilnehmenden Ueberschuß von Wasserstoff den Flammen
beimengen.
Hat man daher z.B. eine Anlage von 100 cbm Sauerstoff und 200 cbm Wasserstoff, so
kann man nur 40 cbm Sauerstoff verwenden, falls man den Wasserstoff ausnutzen will.
Hat man dagegen für 100 cbm Sauerstoff Verwendung, dann muß man bezüglich des
Wasserstoffes die Produktion auf 500 cbm erhöhen.
Eine weitere sehr bedeutende Erschwerung der Wasserstoff-Sauerstoff-Schweißung bilden
folgende Umstände: Durch die außerordentliche Leichtheit und die große
Strömungsgeschwindigkeit des Wasserstoffes bildet die Knallgasflamme eine ungefärbte
sehr große Flamme, welche in allen Teilen gleich heiß ist. Die von ihr gelieferte
Hitze reicht nur hin, um Bleche bis etwa 6 mm zu schweißen.
1000 l Wasserstoff wiegen etwa 89 g; die Verpackung für diese Raummenge etwa 20 kg.
Da nun entleerte Flaschen zum halben Frachtsatz rückbefördert werden, ist für die
Verbrennung von 1000 l Sauerstoff ein Verpackungsgewicht von 150 kg Wasserstoff zu
verfrachten. Hierdurch entstehen so außergewöhnlich hohe Kosten, daß trotz ihrer
großen Vorzüge die Wasserstoff-Sauerstoff-Schweißung nur langsam eindringen konnte
und zu der wesentlichen überraschenden Steigerung der Sauerstoff-Produktion nur in
geringem Grade beitrug.
Hier greift die Erfindung des Ingenieurs Fouché in der
glücklichen Weise ein. Zum Verbrennen in 1000 l Sauerstoff gehören nur 700 l
Acetylen, und da 1 kg Carbid etwa 25 Pf kostet und eine garantierte Ausbeute von 300
l hat, kosten 700 l Acetylen etwa 60 Pfg.
Die Fracht für den Wasserstoff wird daher stets ein
vielfaches des gesamten Aufwandes, den das Acetylen erfordert, betragen.
Nun hat aber die Acetylen-Sauerstoff-Flamme infolge ihrer konzentrierten Form und
ihrer hohen Temperatur den Vorzug, Bleche bis zu einer Stärke von 25 mm zu
schweißen.
Das Verfahren hat sich in ungeheurer Schnelligkeit eingebürgert. Im ersten Jahre sind
etwa 600, im zweiten etwa 1200, im dritten bis jetzt über 5000 Anlagen geliefert
worden; der Sauerstoffverbrauch ist hierdurch in einer starken Aufwärtsbewegung
begriffen.
Trotzdem z.B. in Paris die Werke l'Oxygène eine tägliche
Produktion von 150 cbm, l'electrolyse française 170 cbm
und l'Oxydrique française von 200 cbm haben, konnte die
Fabrik Vaugirard, (Lindesches
System) nach kurzem Bestehen die tägliche Produktionsfähigkeit von 120 auf
600 cbm erhöhen und jetzt sogar auf 1200 und in gleicher Weise sieht sich die nach
dem Lindeschen Verfahren arbeitende Fabrik Duffour, Igon & Co. in Toulouse genötigt,
ihre Produktion von 100 cbm zu verdoppeln.
Die Fabrik Dr. Locatelli, Mailand hat nach
einhalbjährigem Bestehen die Produktionsfähigkeit des Werkes verdreifacht unter
gleichzeitiger Errichtung zweier neuer Anlagen im Süden Italiens.
Ganz besonders aber wird durch das Gebiet des Schneidens die Frage des
Sauerstoffverbrauchs tangiert. Der billige Sauerstoff, in großem Maßstabe erzeugt,
hat es ermöglicht, daß die alten Versuche, Eisen mit Sauerstoff zu verbrennen, in
großem Maße aufgenommen sind und hier zu ganz überraschenden Resultaten geführt
haben.
Das Ausschneiden von Mannlochlöchern, das Abschneiden und Ausklinken von
Trägern, das Abschneiden von Blechen, das Ausschneiden von Lokomotivrahmen, das
Abschneiden von Angußstücken bei Stahlguß und Temperguß, kurz alle Arbeiten, welche
bisher mühsam mittels der Kreissäge oder der Schere gemacht sind, können heute
vorteilhaft mittels eines einfachen Sauerstoff-Schneidebrenners ausgeführt werden,
indem man mit einer Flasche Sauerstoff an das Stück herangeht und das trennende
Stück abschneidet.
Zu dem überraschenden Aufschwung der Sauerstoffindustrie des letzten Jahres hat
dieses elegante und billige Verfahren nicht zum wenigsten beigetragen.