Titel: | Weizenmühle für 120 Sack tägliche Leistung mit z. T. automatischem Mahlverfahren und Bremsuntersuchung einer Françis-Turbine. |
Autor: | Wilh. Müller |
Fundstelle: | Band 312, Jahrgang 1899, S. 7 |
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Weizenmühle für 120 Sack tägliche Leistung mit z.
T. automatischem Mahlverfahren und Bremsuntersuchung einer Françis-Turbine.
Von Wilh. Müller in
Cannstatt.
Bremsuntersuchung einer Françis-Turbine.
Ende 1897 wurde das Anwesen des Mühlebesitzers Adolf
Lutz in Calw durch Brandunfall bis auf die Grundmauern zerstört; der
Wiederaufbau der Mühle begann voriges Frühjahr und konnte trotz teilweise
ungünstiger Witterungsverhältnisse so gefördert werden, dass das Gebäude im Lauf des
Sommers unter Dach kam. Der Wasserbau bot einige Schwierigkeit bezüglich Bewältigung
des Grundwassers, da wegen der Turbinenkammer sehr tief unter die alte Kanalsohle
gegangen werden musste; dank der günstigen Augusttage gelang auch dieser Teil des
Baues in verhältnismässig kurzer Zeit, so dass die Mühle im November 1898 wieder in
Betrieb genommen werden konnte.
Eine Beschreibung des bei dieser Anlage zur Ausführung gebrachten, zum Teil
automatischen Mahlprozesses, welcher auch nach den Erfahrungen der mit süddeutschen
Verhältnissen vertrauten Mühlebesitzer in vorliegendem Falle am geeignetsten
erschien, sowie der Gesamteinrichtung dürfte allgemeines Interesse beanspruchen.
Betriebskraft.
Der Besitzer entschied sich für eine regulierbare Françis-Turbine mit stehender
Welle als Betriebsmotor.
Die Wassermenge der Nagold in Calw wird im Mittel zu 2 bis 2,5 cbm in der Sekunde
angenommen. Um die Wasserkraft nach Möglichkeit ausnutzen zu können, wurde nach
dem Vorschlag des Erbauers der Turbine, J. M. Voith
in Heidenheim, die absolute Grösse des Motors mit 54 bemessen; zunächst
wäre die Mühle mit etwa 30 zu betreiben, und wenn später elektrisches
Licht und Kraft abgegeben werden sollte, für wasserarme Zeit eine
Reservedampfmaschine aufzustellen. Diese Grösse der Turbine hat noch den Vorzug,
dass sie bei Rückstau mehr Wasser verarbeitet als eine kleinere und somit den
ungestörten Betrieb innerhalb weiter Grenzen sicher verbürgt.
Die Garantie für den Wirkungsgrad lautete:
Leistung
voll
beaufschlagt,
Nutzeffekt
79
%
54
„
¾
„
„
80
„
41
„
„
½
„
„
76
„
26
„
Auffallen könnte es zunächst, dass die Garantie für den Wirkungsgrad bei ¾
Beaufschlagung höher ist, als mit voller Füllung; bei Radialturbinen mit
Saugrohr und aussenliegendem Leitapparat, die eigentlich für ¾ Füllungsgrad
konstruiert werden, ist dies begründet, indem Querschnitte, Winkel und
Geschwindigkeiten mittlere, günstigste Werte aufweisen, somit dabei die
geringsten Verluste stattfinden. Folgende Berechnungsgrundlagen waren bei
Konstruktion der Turbine massgebend:
Wassermenge in der Sekunde
= 4,100 cbm
Nutzgefälle
= 1,250 m
Maximale Leistung
= 54
Umdrehungen in der Minute
= 28
Umdrehungen des 1. Vorgeleges in der Minute
= 112
Umdrehungen der Haupttransmission in der Mühle in
der Minute
= 120
Die Turbine (rechtslaufend) arbeitet als Ueberdruckturbine und nutzt wegen des
unter dem Unterwasserspiegel ausmündenden betonierten Saugrohrkrümmers stets das
ganze zur Verfügung stehende Gefälle aus (Fig. 1
bis 3), was in trockener Jahreszeit bei
zurückgehendem Unterwasser von besonderem Wert ist. Sie besteht aus:
1 Leitapparat mit 32 drehbaren gusseisernen Schaufeln, Schaufelhöhe = 448 mm,
Deckel und Tragkreuz, 1 Laufrad mit 28 eingegossenen Blechschaufeln, 2100 mm
Durchmesser, 460 mm Schaufelhöhe, Welle aus Stahl, Oberwasserzapfen; die
Regulierung der Turbine und richtige Umdrehungszahl der Vorgelegewelle wird
durch Einstellen der drehbaren Leitschaufeln am Handrad bewirkt, wobei ein
Zeigerwerk auf dem Mühlboden die Ablesung der Leitschaufelöffnung, also die Beaufschlagung
der Turbine, dem jeweiligen Kraftbedarf entsprechend, gestattet. Bei Aufstellung
eines Turbinenregulators und Anbringung eines Schwungrades auf der
Vorgelegewelle kann ein automatischer Regler mit dem Reguliergetriebe
unmittelbar in Verbindung gebracht werden.
Textabbildung Bd. 312, S. 7
Fig. 1. Françis-Turbine von Voith in Heidenheim.
Die Verstellung der Leitschaufeln wird durch eine neuartige Anordnung (D. R. P.
Nr. 99590), an einem Regulierung angelenkte Stangen, die in einer Erweiterung
der Leitschaufel nach aussen verdeckt liegen, bewirkt (Fig. 4 und 5). Der über dem
äusseren Ende der Fink'schen Drehschaufeln
bewegliche Ring, welcher über jeder der ersteren mit schrägem Schlitz versehen
ist, in welchem ein Mitnehmerstift der betreffenden Schaufel eintritt, bewegt
bei Drehung des Ringes gleichzeitig alle Schaufeln, wobei die Mitnehmerstifte in
den Schlitzen gleiten. Damit keine Unreinigkeiten zu den beweglichen Teilen
gelangen können, ist die Gelenkverbindung zwischen Regulierring und Leitschaufel
in einer taschenförmigen Aussparung derselben untergebracht. Die Turbine hängt
mittels Ringzapfen an einer 45 mm starken durchbohrten Spindel; die Abmessungen
der Ringspur sind 45 mm innerer und 110 mm äusserer Durchmesser. Zur Beurteilung
des Zapfendrucks mögen nachstehende Gewichtsangaben dienen:
1
Laufrad, 2100 mm Durchmesser
= 2174
kg
1
Turbinenwelle aus Stahl, 2660 mm lang, 160 mm dick
= 563
„
1
konisches Holzkammenrad, 2400 mm Durchmesser
= 1787
„
Der Deckel des Leitapparates trägt ein Führungslager, im übrigen zeigt die
Turbine bekannte Ausführungsformen. Auf Zugänglichkeit ist bei der
Turbinenanlage besonders Rücksicht genommen. Die Kraftübertragung auf die
Vorgelegewelle erfolgt durch ein konisches Räderpaar 144 : 36 Holz in Eisen auf
eine horizontale Vorgelegewelle und von hier auf die Hauptwelle im
Mühlgebäude mittels 340 mm breiten Riemens mit besetzten Kanten.
Behufs Feststellung des Wirkungsgrades der Turbine wurde eine Prony'sche Bremse auf der Vorgelegewelle neben der
Antriebscheibe aufgelegt mit wirksamem Hebel L =
2,631 m, der auf eine Dezimalwage drückte. Das Eigengewicht des Bremshebels,
nach Schluss der Versuche tariert, ergab sich zu 37 kg.
Der Effekt der Turbine einschliesslich Reibung des Vorgeleges bestimmt sich
zu
N_{\mbox{b}}=\frac{2\,\pi\,.\,2,631\,P\,.\,n}{60\,.\,75}=0,005226\,P\,.\,n
wobei
Nb den an der
Vorgelegewelle gemessenen Effekt in Pferdestärken, P kg die Belastung desselben n die
Umdrehungszahl der Vorgelegewelle in der Minute bedeutet.
Am Beobachtungstag, 5. November 1898, war der Wasserstand unter Mittel und
reichte zu ½ Beaufschlagung eben hin. Der Zeiger der in acht Abschnitte
eingeteilten Skala am Regulierhebel stand bei allen Versuchen auf 4, die
Messungen konnten deshalb über ½ Beaufschlagung nicht ausgedehnt werden.
Die Versuche wurden von Prof. Hauk, Ingenieur R. Flatt und dem Verfasser vorgenommen. Das Gefälle
wurde von Marken aus gemessen, deren Nullpunkte wiederholt einnivelliert waren.
Die Ablesungen erfolgten je nach 5 Minuten.
Die Marke für den Oberwasserspiegel unmittelbar beim Profil für die Wassermessung
Fig. 1. befand sich etwa 1 m hinter der
Abstellfalle, desgleichen diejenige für das Unterwasser seitlich am Turbinenhaus
in ruhigem Wasserspiegel.
Die Ergebnisse der Versuche sind folgende:
I. Effektmessung.
11 Uhr 5 Minuten bis 11 Uhr 25 Minuten.
Mittleres Gefälle H = 3,491 – 2,335 = 1,156 m. Das
genau rechtwinklige Querprofil 3,4933 m breit wurde in der Breite nach bekannter
Teichmann'scher Methode in zwei Felder geteilt
und in jedem Feld vier Punkte angenommen, je um
\frac{b}{2}\,\sqrt{\frac{1}{3}} bezw. \frac{1}{2}\,\sqrt{\frac{1}{3}}
rechts oder links bezw. über oder unter dem
Mittelpunkt des Feldes (Fig. 6).
Diese Lage der Messpunkte ergibt am genauesten die mittlere Geschwindigkeit als
Durchschnitt der Geschwindigkeiten in den einzelnen Messprofilen. In den so
bestimmten Punkten wurde die Wassergeschwindigkeit mittels Woltmann'schen Flügels mit Zählwerk gemessen,
dessen Koeffizienten sind:
v = 0,018 + 0,229 . n
v = Wassergeschwindigkeit in
Meter in der Sekunde
n = Umgangszahl des Flügels
in der Sekunde.
Skizze des Messprofils.
Abstich auf die Sohle bei
A =
3505
B =
3500
C =
3495
D =
3495
–––––––––––––––
Mittel =
13995 : 4 = 3499 mm.
Flügelumdrehungen.
unten
oben
A
–
48
432
12
B
168
120
549
117
C
287
119
676
127
D
420
133
826
150
in 8 Minuten 826 Umdrehungen
in 1 Minute =\frac{826}{8}, in 1 Sekunde =\frac{826}{8\,.\,60}=1,72084
Wassergeschwindigkeit v
= 0,018 + 0,229 . n
= 0,018 + 0,229 . 1,72084
= 0,4121 m in der Sekunde
Wassertiefe = 3499 – 2335 = 1,164 m
Wasserquerschnitt F = 4,05429
qm.
Hieraus ergibt sich die Wassermenge:
Q = v . F= 0,4121 . 0,405429 =
1,670 cbm in der Sekunde.
Bruttoeffekt des benutzten Wassers:
N_a=\frac{40}{3}\,.\,1,607\,.\,1,156=25,75
Umdrehungen der gebremsten Welle im Mittel n = 111
in der Minute. Wagschalenbelastung konstant 82 – 37 = 45 kg.
Textabbildung Bd. 312, S. 8
Fig. 2. Françis-Turbine von Voith in Heidenheim.
Die gebremste Arbeit ist:
N_b=\frac{\pi\,.\,L}{30\,.\,75}\,.\,P\,.\,n
=\frac{3,1416\,.\,2,631}{30\,.\,75}\,.\,45\,.\,111=18,349
und das Verhältnis der geleisteten Arbeit zur absoluten
Wasserkraft
\frac{N_{\mbox{b}}}{N_{\mbox{a}}}=\frac{18,35}{25,75}=0,712 oder 71,2%.
II. Effektmessung.
11 Uhr 35 Minuten bis 11 Uhr 55 Minuten.
Mittleres Gefalle H = 1,143 m.
Messprofil und mittlerer Abstich auf die Sohle wie vorstehend = 3499 mm.
Flügelumdrehungen in der Minute.
oben
unten
A
–
40
502
54
B
167
118
605
103
C
292
125
710
105
D
448
156
848
138
in 8 Minuten 848 Umdrehungen
in 1 Minute =\frac{848}{8}, in 1 Sekunde =\frac{848}{8\,.\,60}=1,7667
Wassergeschwindigkeit v
= 0,018 + 0,229 . n
= 0,018 + 0,229 . 1,7667
= 0,018 + 0,3966
= 0,4146 m in der Sekunde
Wassertiefe 3499 – 2345
= 1,154 m
Wasserquerschnitt F = 4,01924
qm.
Hieraus ergibt sich die Wassermenge:
Q = F . v = 4,01924 . 0,4146
= 1,6664 cbm in der Sekunde.
Bruttoeffekt des benutzten Wassers:
N_a=\frac{40}{3}\,Q\,.\,H=\frac{40\,.\,1,6664\,.\,1,143}{3}=25,396
Umdrehungen der Vorgelegewelle im Mittel n = 112,4
in der Minute. Wagschalenbelastung konstant 83 – 37 = 46 kg.
Die gebremste Arbeit ist:
N_b=\frac{3,1416\,.\,2,631}{30\,.\,75}
und das Verhältnis der geleisteten Arbeit zur absoluten
Wasserkraft \frac{N_{\mbox{b}}}{N_{\mbox{a}}}=\frac{18,994}{25,396}=0,7479 oder 74,8%.
Das Endergebnis der Messungen ist folgendes:
Versuche I und II vom 5. November 1898 vormittags, bei welchen die Wassertiefen
am Messprofil, die sekundlich verbrauchten Wassermengen und die Gefälle unter
sich übereinstimmende Werte ergaben, lassen erkennen, dass während der Dauer
dieser Beobachtungen unter besagten Grössen Beharrungszustand eintrat, die
Resultate somit als zuverlässig angesehen werden dürfen. Der Wirkungsgrad
stellte sich durchschnittlich auf
\eta=\frac{71,2+74,8}{2}=73%.
Nachmittags wurden die Versuche in gleicher Weise fortgesetzt und zwei weitere
Wassermengen III und IV durchgeführt, wobei sich jedoch zeigte, dass der
Oberwasserspiegel etwas gesunken und das für betreffende Beaufschlagung normale
Gefälle nicht vorhanden war. Bei Reihe III kam dies am meisten zum Ausdruck, bei welcher
sich die Belastung des Bremshebels durchgehends als zu gross erwies, auch die
Gefällsmessungen nicht ganz einwandfrei waren. Eine Ungenauigkeit bei den
Wasserspiegelablesungen von 1 cm macht die Wassermenge um 1 bis 2 %, das Gefälle
um nahezu 1 % fehlerhaft. Als massgebend für die Beurteilung der
Leistungsfähigkeit konnten die Beobachtungen nachmittags nicht gelten und sind
somit ausser Betracht geblieben.
Textabbildung Bd. 312, S. 9
Fig. 3. Françis-Turbine von Voith in Heidenheim.
Textabbildung Bd. 312, S. 9
Einrichtung zum Verstellen der Leitschaufeln.
Da von Turbinenwelle bis Bremse durch Zahn- und Lagerreibung einige Prozent
vom Effekt verloren gehen, die der Turbinenleistung zugut kämen, so kann unter
Berücksichtigung des bei Vertragsschluss für die gewährleisteten Nutzeffekte
sich vorbehaltenen Spielraumes von 2 % die Leistungsgarantie für halbe Beaufschlagung als erfüllt angesehen
werden.
Textabbildung Bd. 312, S. 9
Fig. 6. Querprofil des Turbinenkanals.
Es wäre von Interesse gewesen, die Nutzeffekte auch für die weiter garantierten
stärkeren Beaufschlagungsgrade (d.h. ¾ und voll) zu prüfen, jedoch war dies aus
bereits bemerkten Gründen am Versuchstage leider nicht möglich.
(Schluss folgt.)