Titel: | Zur Geschichte der Rosolsäure und der Beziehungen dieser Säure zum Rosanilin; von Rud. v. Wagner. |
Autor: | Rud. v. Wagner |
Fundstelle: | Band 228, Jahrgang 1878, S. 174 |
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Zur Geschichte der Rosolsäure und der Beziehungen
dieser Säure zum Rosanilin; von Rud. v.
Wagner.
(Schluſs von S. 196 Bd. 225.)
v. Wagner, zur Geschichte der Rosolsäure etc.
Ist es seit der Veröffentlichung der ersten Abtheilung der vorliegenden Arbeit in
Folge der ausgezeichneten Untersuchungen von Emil
Fischer und Otto Fischer1* Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1878 S. 196. nun auch mehr als
wahrscheinlich geworden, daſs Rosolsäure wie Rosanilin als Derivate des
Kohlenwasserstoffes, des Triphenylmethans C19H16 = CH (C6H5)3. oder Homologen
desselben anzusehen sind, so erscheint es doch unterläſslich, auch der Arbeiten zu gedenken, die zwischen der Untersuchung
von R. S. Dale und C.
Schorlemmer, welche zur Umwandlung der Rosolsäure in Rosanilin führte, und der letzten oben
erwähnten Veröffentlichung liegen. Sind doch alle diese Arbeiten nothwendige Glieder
in der Entwicklungsgeschichte der Rosolsäure, die nun einen so glänzenden Abschluſs
gefunden hat und ungeachtet mancher Lücken gegenwärtig schon eines der schönsten
Blätter in der Geschichte der angewandten organischen Chemie ausmacht.
Die in meiner letzten Arbeit kurz angedeuteten Untersuchungen von K. ZulkowskyBerichte der deutschen chemischen
Gesellschaft 1877 S. 462 (vgl. 1877 225 520). in Brunn führten zu dem Resultat,
daſs das nach dem Oxalsäure-Verfahren von H. Kolbe und
R. Schnitt erhaltene Corallin wesentlich ein
Gemisch zweier Substanzen sei, von denen die eine als die krystallisirbare
Rosolsäure sich erwies. Der zweite Körper in dem Gemenge ist ein weiſses (früher von
Zulkowsky als blaſsroth bezeichnetes) Harz, welches
vorläufig Pseudorosolsäure genannt wurde. Dieses Harz
geht durch Oxydation in einen dunkelrothen Körper über, welcher mit dem von C. Liebermann und F.
Schwarzer (1876)Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
1876 S. 800. aus Salicylaldehyd erhaltenen Körper identisch zu
sein scheint. Später hat ZulkowskyBerichte der deutschen chemischen
Gesellschaft 1877 S. 1201. 1878 S. 391. im
Verein mit Hoschek, Renner und Niemetz seine Studien über den Oxalsäureproceſs fortgesetzt und dabei
gefunden, daſs aus dem Rohcorallin sechs verschiedene Substanzen isolirt werden
können und darunter in namhafter Menge die Leukorosolsäure (Leukaurin) C20H18O3. Er gelangte ferner im Laufe seiner Arbeit zu dem
Resultat, daſs, wenn man ein Gemisch von 2 Mol. Kresol, 1 Mol. Phenol und 3 Mol.
Schwefelsäure mit gepulverter Arsensäure bis auf höchstens 120° erhitzt, dasselbe
eine dunkel braungelbe Farbe annimmt. Aus diesem Gemisch fällt Wasser einen Körper,
welcher alle Eigenschaften der Rosolsäure zeigt. Phenol allein gibt unter diesen
Umständen keine greifbaren Mengen dieser Säure. Darin liegt nun eine Bestätigung der
Meinung von H. Caro und Wanklyn (1865), daſs zur Bildung von Rosolsäure gleichzeitig ein
Benzolderivat (Phenol) und ein Methylbenzolderivat (Kresol) vorhanden sein müssen,
wenn man nicht bei Anwendung von reinen Benzolderivaten, wie es zuerst GuareschiWagner's Jahresbericht, 1873 S.
800. gethan, nebenbei Chloroform (oder nach Kolbe und Schmitt
Oxalsäure, nach H. Fresenius Ameisensäure) benutzt. Die
Arsensäure ist zum ersten Male zur Darstellung der Rosolsäure von Fr. Fol (1862)Wagner's Jahresbericht, 1862 S. 581.
angewendet worden, und zwar erhielt er letztere Säure ohne gleichzeitige Einwirkung
von Schwefelsäure durch Erhitzen von 5 Th. (jedenfalls kresolhaltigen) Phenols und 3
Th. Arsensäure auf 100°. Ferner nahm M. PrudhommeWagner's Jahresbericht, 1873 S.
801. wahr, daſs bei der Herstellung der Rosolsäure nach dem
Oxalsäure-Verfahren die Schwefelsäure durch Arsensäure ersetzt werden könne; die
Schwefelsäure wirke blos wasserentziehend, denn beim Erhitzen von Phenol mit
sublimirter Oxalsäure fände Bildung von Rosolsäure statt. Es ergab sich jedoch
später, daſs die Angaben Prudhomme's nur mit groſser
Vorsicht aufzunehmen seien.Vgl. Edw. Hunt, Chemical News, 1873 Bd. 27 S.
255.
Zulkowsky schlieſst aus den Ergebnissen seiner Arbeit,
daſs die beiden Rosolsäuren, sowohl die aus Corallin dargestellte wie die aus
Rosanilin erhaltene, identisch seien, was mit den in neuerer Zeit von anderen
Forschern erzielten Resultaten übereinstimmt. Das nach dem Oxalsäure-Verfahren von
ihm erhaltene Corallin enthielt immer 40 bis 50 Proc. Harz.
In einer vor längerer Zeit bereits ausgeführten Arbeit über einige Phenolfarbstoffe,
die eine Fülle von werthvollen Beobachtungen und Angaben enthält, beschreibt C. ErhartArchiv der Pharmacie, 1878 Bd. 8 S. 481 bis
510. (in Barmen) die Anwendung der Arsensäure bei der
Rosolsäurebildung und sagt, daſs (nach Analogie der Rosanilinbildung) die reichliche
Entstehung von Corallin durch die Einwirkung von Arsensäure auf eine Mischung von 1
Mol. Phenol und 2 Mol. Kresol sich erwarten lasse.
Von groſsem Interesse sind die Arbeiten Ch. Girard'sBulletin de la société chimique, 1878 Bd. 29
S. 50. 98. über das Violanilin und dessen Ueberführung in Rosolsäure. Das Violanilin
(Azodiphenylblau) C18H15N3 wurde von Girard, de Laire und Chapoteau entdeckt und
durch Oxydation von reinem Anilin dargestellt:
3 C6H7N – 3 H2 = C18H15N3.
Es entsteht ferner, wie P. Griefs und C. A. Martius gezeigt haben, durch Behandeln von
Azodiphenyldiamin mit Anilinsalzen:
C12H11N3 + C6H7N = C18H15N3 +
NH3.
Nachdem A. W. Hofmann und A.
GeygerWagner's Jahresbericht, 1872 S.
659. diesen Körper näher untersucht und seine Natur
festgestellt hatten, erhielten F. v. Deckend und H. WichelhausWagner's Jahresbericht, 1876 S.
952. denselben bei ihrer Untersuchung über die Einwirkung
von Anilin auf Nitrobenzol als Zwischenproduct bei der Triphenylendiaminbildung und
bei der Einwirkung von Azoxybenzol auf salzsaures Anilin nach folgender
Gleichung:
C12H10N2O + C6H7N = C18H15N3 +
H2O.
(Es sei beiläufig bemerkt, daſs das Violanilin die nämliche Zusammensetzung wie das
Anilinschwarz nach der Arbeit von NietzkiWagner's Jahresbericht, 1876 S.
974. hat.) Wird nun die Sulfosäure des Violanilins nach Girard mit Barythydrat unter Druck erhitzt, so findet
unter Ammoniakentwicklung Bildung von Rosolsäure statt.
Die Sulfosäure des Anilinblau (Triphenylrosanilin) liefert neben Ammoniak
gleichfalls eine Rosolsäure, das methylirte Blau gibt Methylamin und Rosolsäure, die
Sulfanilsäure (Sulfonanilsäure) dagegen liefert Brenzcatechin.
Was nun die Constitution der Rosolsäure und der Rosaniline betrifft, so war K.
Zulkowsky i. J. 1869 der ersteBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
1876 S. 1073., welcher darauf hinwies, daſs die Rosolsäuren und
die Rosaniline als Trihydroxyle und Triamide eines Kohlenwasserstoffes von der
Formel C18Hl8
aufzufassen seien. Im J. 1876 haben nun E. und O. FischerWagner's Jahresbericht, 1876 S.
961. aus dem Leukanilin durch Zusetzen der Diazoverbindung
mit Alkohol einen Kohlenwasserstoff C20H18 gewonnen (nach Zulkowsky vielleicht Ditoluylbenzol), der bei 36° schmolz und dessen
Siedepunkt weit über 360° lag. Dieser Körper wurde für die Muttersubstanz der
Rosolsäure und der Rosaniline gehalten. Bei weiteren ArbeitenBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
1878 S. 195. zeigte sich, daſs diese Ansicht in voller Schärfe
nicht aufrecht erhalten werden konnte. Als die beiden genannten Forscher aus reinem
Anilin und Paratoluidin sich selbst Fuchsin darstellten und diesen Farbstoff in die
Leukoverbindung überführten, ergab sich ein Kohlenwasserstoff, der von dem ersteren
(aus käuflichem Fuchsin erhaltenen) Körper sich durch seinen Schmelzpunkt (bei 93°)
unterschied und die Formel C19 H16 hatte. Eine genaue Prüfung dieses
Kohlenwasserstoffes zeigte die Identität desselben mit dem von A. Kekulé und A.
Franchimont 1872Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft,
1872 S. 906. entdeckten Triphenylmethan C19H16 = CH (C6H5)3. Es wurde von
den Entdeckern erhalten durch die Reaction von 1 Mol. Benzylidendichlorür
(Benzalchlorid) C6H5 CHC12 und 2 Mol. Quecksilberdiphenyl
bei 150°:
C6H5. CHCl2 + 2Hg (C6H5)2 = 2 Hg (C6H5) Cl + CH (C6H5)3.
W. HemilianBerichte der deutschen chemischen
Gesellschaft 1874 S. 1203., welcher das
Triphenylmethan einer ausführlichen Untersuchung unterwarf, fand später, daſs es
sich auch durch Erhitzen eines Gemenges von Benzhydrol (Diphenylcarbinol) und Benzol
mit Phosphorsäureanhydrid auf 130 bis 140° bilde; es wird aus dem Producte durch
Waschen mit Wasser und Destillation des Rückstandes erhalten:
(C6H5)2 : CH.OH + C6H6 + P2O5 = CH (C6H5)3 +2
HPO3.
Das von O. und E. Fischer
erhaltene Triphenylmethan wurde in folgender Weise in Rosanilin übergeführt. Der
Kohlenwasserstoff wurde durch Eintragen in die abgekühlte rauchende Salpetersäure in
Trinitrotriphenylmethan umgewandelt und dieser Körper durch Lösen in Eisessig und
Behandeln mit Zinkstaub in die Amidoverbindung übergeführt. Aus dem mit Wasser
verdünnten Filtrat fällt Ammoniak die Base in weiſsen Flocken, welche mit dem
Leukanilin identisch ist. Die salzsaure Verbindung hatte die Formel C19H13 (NH2HC1)3. Die Base
lieſs sich zu Triphenylmethan zurückführen und ging beim Erhitzen mit einer
syrupdicken Arsensäurelösung theilweise in Fuchsin über.
Der früher beschriebene Kohlenwasserstoff C20H18, welcher gegenwärtig als ein Methylderivat des
Triphenylmethans, d.h. als ein Tolyldiphenylmethan aufzufassen ist, liefert ein von
dem obigen verschiedenes Rosanilin.
Aus diesen Versuchen und aus einer jüngst publicirten Arbeit von Zulkowsky (1878) lassen sich schon jetzt nachstehende
Schlüsse ziehen:
1) Aus dem Anilin und den verschiedenen Toluidinen entstehen isomere und homologe
Rosaniline. Das einfachste Rosanilin (Pararosanilin), durch Oxydation eines
Gemisches von Paratoluidin dargestellt, hat die Formel C19H17N3.
Das aus Orthotoluidin und Anilin entstehende Rosanilin, welches den
Hauptbestandtheil des käuflichen Fuchsins ausmacht, ist das nächst höhere Homologe
und scheint die von A. W. Hofmann aufgestellte Formel
C20H19N3 zu haben. Die fabrikmäſsige Bildung dieser beiden
Rosaniline ist ebenso leicht zu interpretiren, als nach der früheren
Anschauungsweise. Aus Paratoluidin und Anilin erfolgt die Entstehung des Rosanilins
hauptsächlich in der Weise, daſs die Methylgruppe von 1 Mol. Toluidin unter der
Einwirkung des Oxydationsagens in 2 Mol. Anilin eingreift:
C6H4 (NH2) CH3 + 2 C6H5
(NH2) + 3 O = 3 H2O + C19 H17N3;
bei Anwendung von Orthotoluidin dagegen greift die
Methylgruppe vorzugsweise in 1 Mol. Anilin und 1 Mol. Toluidin ein und bildet auf
diese Weise ein Rosanilin von der Formel C20H19N3.
2) Das Triphenylmethan ist die Muttersubstanz der Rosanilingruppe, die Leukaniline
sind Triamidoderivate des genannten Kohlenwasserstoffes oder seiner Homologen.
3) Die von Graebe und CaroAnnalen der Chemie, 1874 Bd. 179 S.
184. aus dem Fuchsin erhaltene Rosolsäure von der Formel
C20H16O3 läſst sich als die Trioxyverbindung des
Kohlenwasserstoffes C20H16 ansehen.
4) Die Bildung des Aurins nach Dale und SchorlemmerAnnalen der Chemie, 1871 Bd. 166 S.
279. läſst sich einfach erklären, wenn man dem Aurin die
Formel C19H14O3 statt C20H14O3 beilegt und
diesen Körper als Derivat des Triphenylmethans auffaſst. Die Reaction ist in diesem
Falle durch zwei Vorgänge erklärbar, nämlich a) entweder wirkt die durch das
Zerfallen der Oxalsäure auftretende Kohlensäure, indem
sie mit 3 Mol. Phenol unter Wasserabscheidung nach der Gleichung:
CO2 + 3 C6H5 (OH) = 2H2O + C19H14O3
sich vereinigt, oder b) es wirkt das Kohlenoxyd (nach dem Vorgange von C.
Liebermann und F. Schwarzer, 1877 225 194) in
der Weise, daſs sich zunächst Salicylaldehyd bildet, welches mit dem Phenol zu
Leukorosolsäure zusammentritt, die wiederum durch die Schwefelsäure oder auch durch
ein zweites Molecül Aldehyd oxydirt wird.
5) Das Kolbe-Schmitt'sche Corallin enthält, nach den
neuesten Mittheilungen von ZulkowskyBerichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1878 S. 391., das Aurin von Dale und Schorlemmer C20H14O3 nicht, dagegen enthält dieses Corallin neben einem
farblosen Harze C20H16O4 (?) und einem Oxydationsproducte
desselben C20H14N4, das in vieler Hinsicht mit jener Verbindung
übereinstimmt, welche Ad. BaeyerBerichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1876 S. 1238. aus Phtalideïn und
Phenol erhielt und dessen Aehnlichkeit mit Rosolsäure er hervorhebt, folgende vier
Körper: a) eine Verbindung von der Formel C19H14O3, groſse
granatrothe Krystalle mit blauem Flächenschimmer bildend; b) ein Derivat derselben
von der Formel C19H16O3, in kleinen violetten Nadeln
auftretend; c) eine in grünen metallglänzenden Nadeln krystallisirende Verbindung
von der Formel C20H16O3; d) das Hydroproduct des vorigen
Körpers von der Zusammensetzung C20H18O3.
Hr. Zulkowsky hatte die Güte, mir Belegproben der von
ihm aus dem Corallin erhaltenen Verbindungen zukommen zu lassen.
Würzburg, April 1878.