Titel: | Appreturmittel und Harzproducte auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Prof. Dr. W. F. Gintl in Prag. |
Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. LXXIX., S. 294 |
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LXXIX.
Appreturmittel und Harzproducte auf der Wiener
Weltausstellung 1873; von Prof. Dr. W.
F. Gintl in Prag.
(Schluß von Seite 233 des vorhergehenden
Heftes.)
Gintl, über Appreturmittel und Harzproducte auf der Wiener
Weltausstellung 1873.
C. Leimfabrikation und Verwerthung der Nebenproducte derselben.
Es ist wohl kaum ein Industriezweig so alt, wie jener der Gewinnung von Leim; aber
auch kein Industriezweig hat im Laufe der Zeiten so wenig sich geändert, als gerade
dieser, so daß die im deutschen Volksmunde eingebürgerte, in nicht gerade
schmeichelhaftem Sinne gebräuchliche Bezeichnung „Leimsieder“
zur Zeit noch wohl begründet erscheint. In den letzten Decennien ist zwar das sich
aller Orten rührende Streben nach Fortschritt auch auf die Leimfabrikation nicht
ohne Einfluß geblieben, aber es gibt noch so Manches auf diesem Gebiete, das nicht
so ist, wie es sein könnte. Freilich ist daran viel das ängstliche, sich jeglicher
Neuerung verschließende Wesen jener Kleinindustriellen schuld, in deren Händen sich
großentheils dieser Industriezweig noch findet, und es ist nur von der allmälig sich
auch auf diesem Gebiete entwickelnden Umwandlung des schleppenden Kleingewerbes in
auf gesunde Basis gestellte Fabriksunternehmungen ein Besserwerden zu erwarten; aber
es darf auch nicht verkannt werden, daß das Geschäft der Leimfabrikation
allenthalben auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stößt, welche der Entfaltung
eines Großbetriebes ganz wesentlich abträglich sein können. So ist es namentlich die
Rücksicht auf das öffentliche Sanitätsinteresse, welche die Behörden in der Regel
veranlassen muß, gegen Fabriksunternehmungen von in sanitärer Beziehung so üblem
Rufe, wie ihn die Leimsiederei hat, mit allerhand beschränkenden Bedingungen
aufzutreten, wo nicht gar die Bewilligung zur Errichtung solcher in bewohnten
Gegenden gänzlich zu versagen, und sie in Einöden zu verweisen, wo die Arbeitskraft
rar und theuer und die Verkehrsmittel meist sehr kostspielig sind. Indeß duldet es
keinen Zweifel, daß auch in dieser Richtung die Einführung gewisser Fortschritte
manchen Vortheil im Gefolge haben würde; denn mit der Vervollkommnung der Methode
geht meist auch eine Verringerung jener belästigenden, die öffentliche Salubrität
mindestens nicht fördernden Momente Hand in Hand, welche das Gewerbe des Leimsieders
nicht ganz mit Unrecht in den Verdacht der eminenten Sanitätswidrigkeit gebracht
haben.
Die gegenwärtig allenthalben übliche Methode der Leimgewinnung ist, abgesehen von den
nach der Natur des Rohmateriales verschiedenen Vorbereitungsarbeiten des Leimgutes,
die des Siedens in geschlossenen Gefäßen unter erhöhtem Drucke, wie sie vor etwa 15
Jahren zuerst von Vickers in Manchester zur Ausführung
gebracht worden ist. Das Kochen in offenen Sudkesseln ist, wenn auch noch nicht
gänzlich aufgegeben, so doch nur mehr in ganz kleinen Betriebsstätten üblich.
Zweifellos ist das Extrahiren des Leimgutes unter erhöhtem Drucke nicht blos in
Hinsicht auf Erhöhung der Ausbeute, sondern auch in Bezug auf Herabsetzung des Maßes
der Belästigung unbedingt dem älteren Verfahren vorzuziehen, und der Einwand, daß
bei Anwendung gespannter Dämpfe die Qualität des resultirenden Leimes leide, hat
sich als ein völlig haltloser erwiesen.
Als Rohmaterialien kommen neben den Abfällen der Gerbereien vornehmlich die Knochen
in Betracht, während andere thierische Abfälle nur eine untergeordnete Rolle
spielen. Ebenso werden Abfälle lohgaren Leders nicht sehr allgemein als Rohmaterial
für Leimgewinnung verwendet. Die im J. 1859 für Jennings
patentirte Idee der Verarbeitung von Fischen auf Leim scheint keine Anhänger
gefunden zu haben. Die Hauptbezugsquellen für das Rohmaterial des Leimsieders sind
Rußland, die Walachei und seit dem Aufschwunge, welchen die
Fleischextract-Industrie dort genommen hat, Südamerika. Rußland speciell
exportirt die größten Mengen Knochen nach Deutschland, Oesterreich, England und
Frankreich, und betrug beispielsweise im J. 1871 die Ziffer des ExportesRohe Thierknochen zahlen in Rußland einen Ausgangszoll von 10 Kopeken per Pud. Das Erträgniß dieses Zolles betrug im
J. 1872 101553 Rubel gegen 29721 Rubel im J. 1861. (S. Matthäi: „Der auswärtige Handel Rußlands“;
Verlag von H. Fries. Leipzig 1872 und 1874.) an rohen Knochen für England 688488 Pud, für Deutschland 146597 Pud, für
Frankreich 7782 Pud, wovon die größte Menge (641078 Pud) via St. Petersburg
ausgeführt wurde. Diese Zahlen sind allerdings in den letzten Jahren, theils in
Folge der Concurrenz der südamerikanischen Knochen, theils durch die Hebung der
heimischen Industrie in etwas gesunken, und im ersten Quartale 1873 betrug der
russische Export an Rohknochen nur mehr 476 Pud, während er im gleichen Quartale
1872 noch 3348 Pud betragen hatte.
Betreffs der Verwerthung der Knochen für die Zwecke der Leimfabrikation ist bekannt,
daß gegenwärtig sehr häufig die Spodiumfabrikation neben der Leimgewinnung, die
allerdings einen sehr lohnenden Theil der Knochenverwerthung bilden dürfte, hergeht.
Es sind demzufolge die
anderenfalls zulässigen Methoden der Vorbereitung der Rohknochen durch Maceration
mit Salzsäure (deren durch Jullion und Pirie im J. 1859 vorgeschlagene Variation mit Anwendung
des Vacuums jedoch nicht durchgegriffen hat), sowie die von Gerland (1864) und Bobierre (1869)
vorgeschlagene Extraction der Knochen mit schwefliger Säure, die wesentlich auch auf
eine glatte Gewinnung der Phosphate hinzielten, immer seltener geworden und haben
allenthalben der Maceration mit Kalkwasser Platz gemacht, während nur für bestimmte
Zwecke, zumal zur Erzielung besonderer Leimqualitäten, die Anwendung von Säuren
meist neben jener von Bleichmitteln im Gebrauche steht.
Die Leimausbeuten aus Knochen sind, abgesehen davon, daß sie bekanntlich mit dem
Alter der Knochen sehr schwanken, überhaupt sehr verschieden, und muß da, wo die
Spodiumfabrikation nebenher gehen soll, im Allgemeinen mit geringerer Leimausbeute
fürlieb genommen werden, soll die erzielte Spodiumqualität nicht allzu arm an
Stickstoffkohle und also geringwerthigDie Ansicht, daß der Gehalt an Stickstoffkohle den Wirkungswerth des Spodiums
ganz wesentlich bedingen hilft, dürfte trotz der gegentheiligen Meinungen
Einzelner kaum unberechtigt erscheinen. werden.
Während man für die Zwecke der Gewinnung von ordinären Leimsorten sich der Anwendung
von Säuren entschlagen und die directe Extraction des Leimes ausführen kann, wird
für die Gewinnung hellen Leimes, immer aber für Gelatinefabrikation die Maceration
mit Salzsäure angewendet. Als ein sehr brauchbares Verfahren für Gelatinegewinnung
dürfte das von C. Simeons und Comp. (1867) angewendete bezeichnet werden können, welches bekanntlich
dahin geht, die an der Sonne gebleichten Knochen vorerst so lange mit Salzsäure zu
maceriren, bis der größte Theil der Phosphate gelöst ist, die rückständige
Knochengallerte dann zu waschen, hierauf mit Kalkmilch zu digeriren und nach
abermaligem Waschen zu trocknen, um die so gewonnene Rohgelatine dann nochmals einem
Bleichprocesse (Luftbleiche) zu unterziehen. Der beim Versieden der völlig
gebleichten Gallerte übliche Zusatz von Alaun, sowie die Einwirkung von schwefeliger
Säure auf die Leimsuppe, sind für die Erzielung möglichst blasser Gelatine besonders
vortheilhaft.
Von anderen Rohmaterialien für Leimgewinnung haben neuerdings die Abfälle lohgarer
Leder, wenn auch keineswegs allgemein verwendet, mehrfach Verwendung gefunden, und
sind für die Entgerbung derselben, neben der im J. 1856 von O. Reich angegebenen Methode der Behandlung mit Natronlauge, mehrfach neue
Entgerbungsmethoden empfohlen worden. Namentlich möchte unter diesen jene erwähnt
werden, welche die
Entgerbung durch Digestion mit Oxalsäurelösung, Versetzen des hierbei resultirenden
Breies mit Kalk und Verwitternlassen der Masse durch Einwirkung der Luft zu
erreichen sucht, wobei dieselbe nach endlicher Entfernung des Kalkes mit Salzsäure
ein direct versiedbares Leimgut liefert.
Betreffend die weitere Verarbeitung der gewonnenen Leimsuppen, deren Klärung,
namentlich bei Anwendung von Knochen als Rohmaterial, den Leimfabrikanten noch
manche Schwierigkeit bereitetMit Vortheil wendet man mehrfach zur Erzielung klarer Leimsuppen aus Knochen
den Kunstgriff an, daß man bei der Extraction der Knochen gleichzeitig
Gerbereiabfälle mitversiedet. Namentlich dürften Weißlederabfälle für diese
Zwecke vermöge ihres Thonerdegehaltes besonders wirksam sein., ist die Praxis des Schneidens der Leimgallerte und Trocknens der
geschnittenen Gallerte auf Netzhorden noch immer am häufigsten in Uebung. Für das
Trocknen der geschnittenen Leimgallerte haben sich offene Schupfen, wiewohl die
Benützung solcher wesentlich von Witterungsverhältnissen abhängig ist, vorherrschend
erhalten, und die künstliche Trocknung der Gallerte in geheizten Trockenkammern ist
meist nur bei größeren Unternehmungen eingeführt worden. Das Tucker'sche Verfahren der Vortrocknung des Leimes ist unseres Wissens
ebenfalls nur sehr vereinzelt im Gebrauche. Nur für rein localen Bedarf Pflegte man
Leimgallerten als solche in den Handel zu bringen, da, wie begreiflich, nicht nur
der relativ hohe Wassergehalt gewöhnlicher Gallerten die Verfrachtungsspesen unnütz
erhöht und solche Gallerten auch nicht haltbar sind. In der neuesten Zeit ist jedoch
durch Stalling in Pieschen bei Dresden eine Leimgallerte
in den Handel gebracht worden, welche den wesentlichen Vortheil einer hochgradigen
Haltbarkeit mit den für den Producenten und theilweise auch für gewisse Consumenten
unverkennbaren Vortheilen dieser Form des Fabrikates verbindet.
Namentlich für den Producenten bringt die Möglichkeit, Leim in der Form einer
Gallerte in den Handel zu führen, den wesentlichen Vortheil mit sich, daß er die
lästige und zeitraubende Arbeit des Trocknens wenigstens für einen Theil seines
Productes erspart, und so mit dem Gewinne an Zeit und dem Wegfalle eines größeren
Bedarfes an Raum sein Geschäft ertragsfähiger gestalten kann, als das anderenfalls
möglich ist; dem Consumenten aber wird es in der Mehrzahl der Fälle nicht nur
gleichgiltig sein, ob er Hartleim oder Leimgallerte bezieht, sondern in vielen
Fällen sogar willkommen sein müssen, die leicht und gleichmäßig zu verflüssigende
Leimgallerte verwenden zu können – zumal wenn dieselbe, wie das bei dem Stalling'schen Erzeugnisse der Fall ist, keinen allzuerheblichen
Wassergehalt hat und haltbar ist. Der Consument gewinnt aber entschieden auch in dem
Sinne, als der Gallerteleim bei dem Wegfalle des Trocknungsprocesses, der nicht
selten das Bindevermögen des Leimes ganz wesentlich verringert, in seiner Qualität
besser sein kann, und als er, wie begreiflich, nicht nur die durch die Kosten der
Trocknung auflaufende Mehrauslage bei der Deckung seines Leimbedarfes erspart,
sondern auch, da Stalling einen bestimmten Leimgehalt
garantirt, jener Unsicherheit nicht ausgesetzt ist, welche der Bezug trockenen
Leimes, dessen Wassergehalt ein sehr schwankender ist, mit sich bringen kann. In der
That hat sich das Stalling'sche Product theilweise schon
eingebürgert und wird namentlich von Papierfabriken, Filzfabriken und mehrfach auch
von Holzarbeitern gerne bezogen.
Die Art des Verfahrens, welches Stalling für die
Herstellung seiner Leimgallerte in Anwendung gebracht hat, wird bisher noch geheim
gehalten; doch scheint aus den interessanten Untersuchungen H. Fleck'sDingler's polytechn. Journal, 1871 Bd. CCI S.
365. hervorzugehen, daß dieses Product durch einen Aussalzungsproceß aus
wasserreicherer Leimgallerte gewonnen ist; wenigstens spricht für die Richtigkeit
dieser Annahme sehr die Thatsache, daß die Stalling'sche
Leimgallerte, wie Fleck nachgewiesen hat, 2,5 Procent an
Ammoniumsulfat enthält, dessen Vorhandensein in derselben schwer erklärlich wäre,
wenn man nicht annehmen wollte, daß die von Fleck für
dieses Salz nachgewiesene besondere Eignung zum Aussalzen des Leimes hier praktisch
verwerthet erscheint.
In Betreff der Anwendung des Leimes ist gleichfalls wenig Neues zu berichten. Neben
der Verwendung für Holzarbeiten, dann für Cartonnage- und
Galanterie-Arbeiten, wird Leim nach wie vor als Appreturmittel, namentlich
von Tuch- und Filzfabriken verwendet. Auch die Papierindustrie zumal die
Bunt-Papierfabrikation consumiren nicht unerhebliche Mengen von Leim. Die
Verwendung des Leimes zur Herstellung von Walzenmassen hat sich ziemlich allgemein
eingebürgert und hat sich die Qualität der Walzenmasse durch die Verwendung des
bereis 1866 von C. Puscher für solche Zwecke
vorgeschlagenen Glycerinzusatzes an Stelle des früher verwendeten Syrups wesentlich
verbessert. Bezüglich der feineren Leimsorten ist der Consum an Leimfolien im
Allgemeinen geringer geworden; dagegen hat die Verwerthung zumal der Gelatine für
die Zwecke der Einhüllung von Medicamenten in der Gestalt der sogenannten
Gelatinekapseln einen nicht unerheblichen Aufschwung genommen, sowie auch die
namentlich von Almen cultivirte Methode der Dispensirung von
Arzneimitteln durch Herstellung der Gelatina medicata
mehrfach Anwendung findet.
Als besonders bemerkenswerth sind die namentlich von Fichtner
Söhne in Atzgersdorf bei Wien mit besonderem Erfolge durchgeführten
Versuche zu bezeichnen, welche dahin gehen, den Leim zur Herstellung von
Horn-, Bein- und Schildpatt-Imitation zu verwerthen. Die
Herstellung von künstlichem Elfenbein aus Leim hat bekanntlich im J. 1844 zuerst Franchi mit Erfolg unternommen und später 1857 ist ein
für diesen Zweck brauchbares Verfahren von Mayall
beschrieben worden. Fichtner hat nun die Idee, Leim für
solche Zwecke zu verwerthen, nicht nur auf die Herstellung von Schildpatt etc.
ausgedehnt, sondern namentlich den äußerst glücklichen Gedanken zur Ausführung
gebracht, einen in besonderer Weise gehärteten Leim als ein dem Horn ähnliches
Material für die Zwecke der Knopffabrikation zu benützen, und hat so einer gewiß
sehr beachtenswerthen neuen Verwendung des Leimes Bahn gebrochen.
Wollen wir noch in Kürze den Standpunkt kennzeichnen, auf welchem die Verwerthung der
Nebenproducte der Leimindustrie steht, so kann in dieser Hinsicht kein wesentlicher
Fortschritt namhaft gemacht werden.
Nach wie vor werden die Rückstände der Leimsiederei, sofern sie nicht, was bei der
Knochenleim-Gewinnung ziemlich allgemein der Fall ist, ihren Weg in den
Spodiumofen nehmen, lediglich zu Dungzwecken verwendet, und es ist auch kaum
abzusehen, daß ihnen eine wesentlich andere Verwerthung zu Theil werden möchte. Die
in bestimmten Fällen resultirenden sauren Macerationswässer werden noch gewöhnlich
auf Phosphat verarbeitet, und höchstens in Bezug auf eine rationelle Ausbeutung des
Knochenfettes ist insofern ein Fortschritt zu verzeichnen, als man sich an vielen
Orten Mühe gibt, dasselbe möglichst vollständig zu sammeln, es vielfach läutert und
namentlich für die Zwecke der Seifensiederei anstandslos und selbst für bessere
Seifen verwendbar macht. Auch der im J. 1867 von Vohl
Dies Journal, 1867 Bd. CLXXXV S. 465.D. R. ausgegangene Vorschlag, die bei der Maceration der Knochen in Aescher
resultirenden Kalkseifen und Fettsäuren zu verarbeiten, ist nicht ungehört verhallt,
und kann die Aufarbeitung derselben, welche sich schon mehrfach eingebürgert hat,
namentlich da ohne Schwierigkeit platzgreifen, wo auch saure Macerationswässer zur
Verfügung stehen.