Titel: | Das elektrische Pyrometer von Dr. L. W. Siemens in London. |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. LXXII., S. 420 |
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LXXII.
Das elektrische Pyrometer von Dr. L. W. Siemens in London.
Nach Engineering,
September 1873, S. 177.
Mit Abbildungen aus Tab.
VI.
Siemens' elektrisches Pyrometer.
Höchst anziehend und in theoretischer sowie in praktischer Beziehung interessant ist
die Collection elektrischer und telegraphischer Apparate und Materialien, welche die
Gebrüder Siemens in England und die Firma Siemens und Halske in Berlin zur Wiener Weltausstellung geliefert haben. Dahin gehört unter Anderem auch
das elektrische Pyrometer von Dr. C. W. Siemens in London.
Diesem Instrumente liegt das einfache Princip zu Grunde, daß der Widerstand eines
reinen metallischen Leiters mit seiner Temperatur zunimmt. Diese Zunahme ist nicht
gleichförmig; sie folgt einem genau bestimmten geometrischen Gesetz. Ist daher der
Widerstand irgend eines Leiters bei 0° Cels. gegeben, so sind wir im Stande
zu berechnen, wie groß derselbe bei 100°, 1000° oder 3000° ist;
und umgekehrt, wenn der Widerstand bekannt ist, so können wir hieraus die Temperatur
ableiten.
Der metallische Leiter, dessen man sich bedient, ist ein feiner Platindraht von
bekanntem Widerstande. Er ist um einen Cylinder von feuerfestem Thon gewickelt,
welcher behufs der Isolirung der Drahtwindungen mit einer schraubenförmigen Rinne
versehen ist. Dieser ungefähr 3 Zoll lange und 1/2 Zoll im Durchmesser haltende
Thoncylinder ist in einem Gehäuse eingeschlossen, dessen unterer conischer Theil je
nach der zu ermittelnden Temperatur aus Platin, Kupfer oder Eisen besteht. Die
beiden Enden der Platinspirale sind innerhalb dieser hervorragenden Röhre an
dickere, sorgfältig isolirte Kupferdrähte befestigt. Diese erstrecken sich nach dem
Meßinstrumente, welches je nach Umständen entweder ein
Differential-Galvanometer oder ein Differential-Voltameter seyn
kann.
Die Methode, den elektrischen Leitungswiderstand durch das Differential-Galvanometer zu messen, erinnert an Wheatstone's Brücke. Zur Erläuterung möge die
schematische Abbildung Figur 23 dienen. Der von
der Batterie B ausgehende Strom theilt sich an dem
metallenen Schieber oder Zeiger C; der eine Theil geht
nach D, der andere nach E.
Hier theilen sich diese Partialströme abermals. Bei D
geht ein Theil durch das Galvanometer, der andere durch die Klemmschraube N und den Pyrometerdraht M
nach den Schrauben O und P,
wo er dem von E kommenden Theile, welcher durch den
constanten Widerstand R gegangen war, begegnet; von P aus kehrt der Strom zur Batterie zurück. Wenn die
Zweige E, P und D, N, M, O
dem Strome gleiche Widerstände darbieten, so wird das Galvanometer nicht afficirt;
ist jedoch der Widerstand des einen dieser Zweige größer, so erfolgt eine
entsprechende Ablenkung der Nadel. Man führt die letztere sodann durch Verschiebung
des Zeigers C auf Null zurück. Nachdem die
Widerstandszunahme der Spirale bestimmt worden ist, kann die Temperatur berechnet
werden, indem man auf der jedem Instrumente beigegebenen Tabelle diejenige Zahl
aufsucht, welche der durch den graduirten Bogen bezeichneten Zahl entspricht. Mit
Hülfe eines solchen Pyrometers lassen sich Temperaturen bis zu 4500° Fahr.
registriren.
Eine charakteristische und schätzenswerthe Eigenschaft dieses Instrumentes besteht
darin, daß mit seiner Hülfe Temperaturen entfernterer, schwer zugänglicher oder ganz
und gar unzugänglicher Orte sich ohne Schwierigkeit ermitteln lassen, indem der
eigentliche Indicator des Pyrometers in einer Entfernung bis zu 300 Yards von der
Platinspirale angeordnet werden kann. Das elektrische Pyrometer ist von
unschätzbarem Werthe für Kohlengruben oder Eisenwerke, indem es dem Eigenthümer den
Wärmegrad seiner Grube oder seines Hohofens genau anzeigt ferner für Gasanstalten,
da die Leuchtkraft des Gases durch die Destillationstemperatur der Kohle beeinflußt
wird. Auch für den Naturforscher ist dasselbe eine kostbare Acquisition, indem er,
ohne sich selbst der Ungunst des Wetters auszusetzen, die Temperatur eines
hochgelegenen Ortes, oder die in der Tiefe eines See's oder Meeres herrschende
Temperatur in seinem Zimmer ablesen kann. Professor Bolzani bediente sich dieses Pyrometers bei seinen Untersuchungen der
Temperatur von Orten, die bedeutend oberhalb oder unterhalb der Erdoberfläche lagen,
und ebenso Lowthian Bell bei seinen Studien über Hohöfen;
Dr. Carpenter bediente
sich einer Modification desselben bei seinen Sondirungen tiefer See'n; Dr. Challenger endlich
benutzt dasselbe bei seiner ausführlichen Behandlung eines der interessantesten
Probleme der Hydrographie, nämlich des Problems, die Temperatur des atlantischen
Oceans in verschiedenen Tiefen zu bestimmen.
In allen den genannten Fällen sind lange Leitungsdrähte nöthig. Da nun beide Zweige
des Stromkreises durch diese hinzukommenden Längen möglicherweise nicht gleichmäßig
afficirt werden möchten, so könnte dieser Umstand zu Irrthümern Anlaß geben, welche
die Zuverlässigkeit der Beobachtung wesentlich beeinträchtigen würden. Aber eine
sinnreiche Vorkehrung beseitigt diese Quelle der Ungenauigkeit vollständig. Es ist
nämlich ein dritter Leitungsdraht angeordnet. Einer der oben erwähnten Partialströme
nimmt seinen Weg von der Batterie durch einen der Leitungsdrähte nach der
Pyrometerspirale, von da durch den zweiten Leitungsdraht, und das Galvanometer (oder
nach Umständen das Voltameter) zurück nach der Batterie. Der zweite Partialstrom
circulirt durch die constante Widerstandsvorrichtung und den dritten Leitungsdraht
zurück nach dem Galvanometer und der Batterie. Auf diese Weise bestehen beide Zweige
des Schließungsbogens aus gleichen Drahtlängen, und alle durch die
Temperaturveränderungen veranlaßten Widerstandsänderungen afficiren beide Seiten der
Gleichgewichtslage auf gleiche Weise.
Es könnte den Anschein haben, als ob die Leitungsfähigkeit des Platins dadurch, daß
es so häufig einer intensiven Hitze ausgesetzt ist, alterirt werde. Allein Dr. Siemens hat durch eine
lange Reihe von Versuchen nachgewiesen, daß die elektrische Leitungsfähigkeit eines
Metalles für einen gegebenen Wärmegrad – von den durch Oxydation verursachten
Aenderungen abgesehen – eine constante Größe ist. Eisen und Kupfer oxydiren
leicht, vergrößern dadurch den Widerstand und machen die Ablesung unzuverlässig.
Solches ist jedoch mit dem Platin nicht der Fall; dieses bleibt unverändert, es sey
denn, daß es außergewöhnlich hohen Temperaturen direct ausgesetzt wird. Umschließt
man aber die Spirale mit einer Platinhülle, so nimmt sie nur die strahlende Wärme
auf, und da 4 oder 5 Minuten zu einer genauen Ablesung genügen, so können
Temperaturen welche sich dem Schmelzpunkte des Platins nähern, leicht gemessen
werden.
Der zweite Apparat zur Messung des elektrischen Widerstandes ist das Differential-Voltameter. Dieser schöne und
sinnreiche Apparat ist in Fig. 24 in einer
perspectivischen Ansicht abgebildet. Er besteht aus zwei gut kalibrirten ungefähr
3/25 Zoll im Durchmesser haltenden Röhren, welche an eine Scale befestigt sind,
deren Graduirung aus
irgend einer Anzahl unter sich gleicher, sonst willkürlicher Theile besteht. Die
oberen Enden dieser Röhren sind durch Kautschukkissen, welche durch belastete Hebel
in ihrer Lage gehalten werden, die unteren erweiterten Enden durch Holzstöpsel
geschlossen, welche behufs der Aufnahme beider Elektroden durchbohrt sind. Zwei mit
angesäuertem Wasser gefüllte Glascylinder stehen durch Kautschukröhren mit jenen
erweiterten Röhrenenden in Communication. Wenn man die oberen Enden öffnet, und die
Glascylinder in ihren verticalen Führungen in die Höhe schiebt, so steigt nach dem
physikalischen Princip der communicirenden Gefäße die Flüssigkeit in den Röhren, bis
ihre Oberfläche in den letzteren und in den erwähnten Glascylindern in gleichem
horizontalem Niveau steht.
Der Batteriestrom theilt sich, wie oben bemerkt, in zwei Arme, wovon der eine in den
nach dem Pyrometer führenden Drähten und einer der Voltameterröhren einen bekannten
Widerstand erfährt, während der andere die Leitungsdrähte, die Platinspirale und die
zweite Voltameterröhre durchläuft. Die Messung des Widerstandes beruht auf zwei
bekannten Gesetzen, dem Faraday'schen und dem Ohm'schen Gesetz. Faraday hat
gezeigt, daß das in einem Voltameter in irgend einem vielfachen oder aliquoten
Theile einer gewählten Zeiteinheit T entwickelte
Gasvolumen V der Stromstärke S proportional ist. Demgemäß ist
V = ST, mithin S = V/T.
Ohm hat bewiesen, daß die Stromstärke der
elektromotorischen Kraft direct, dem Leitungswiderstande aber umgekehrt proportional
ist, d.h. daß
S = E/R.
Durch Gleichsetzung dieser beiden Verhältnisse hat man also
V/T = E/R, und somit
V = ET/R,
oder das Volumen des in jeder der beiden Röhren entwickelten
Gasgemisches ist der elektromotorischen Kraft und der Zeit direct, dem Widerstande
aber umgekehrt proportional. Hier sind zwei Elemente der Ungenauigkeit vorhanden:
die elektromotorische Kraft und die Zeit. Die erstere unterliegt in Folge der
Polarisation, der Temperatur und des Concentrationsgrades der Säure fortwährenden
Veränderungen; und was die Zeit anbelangt, so ist es in den meisten Fällen
schwierig, hierüber exacte Beobachtungen anzustellen. Diese Elemente der
Ungenauigkeit mußten
beseitigt werden, bevor jene Formel irgend eine praktische Verwendung finden konnte.
Es wurde daher die zweite Voltameterröhre hinzugefügt, und der Schließungsbogen, wie
oben beschrieben, in zwei besondere Stromkreise abgetheilt. Nennen wir V¹ das Volumen des in dem zweiten Voltameter
gesammelten Gasgemisches und R¹ den
Leitungswiderstand im Schließungsbogen, so haben wir nach dem Ohm'schen Gesetz:
V¹ = ET/R¹
da aber
V = ET/R,
so folgt die Proportion
V : V¹ = R¹ : R
und hieraus
R' = R
× V/V¹
d.h. der Widerstand der pyrometrischen Spirale ist gleich
einem constanten R multiplicirt mit dem Volumverhältniß
der in den beiden Röhren entwickelten Gase. Diese Formel ist, wie man sieht, von der
elektromotorischen Kraft, von der Zeit und Temperatur unabhängig. Die einzige etwa
noch übrig bleibende Fehlerquelle wäre etwa der feuerfeste Thon selbst, dessen
isolirende Eigenschaft von einer gewissen Temperaturgrenze an sich vermindert. Der
hieraus resultirende Fehler ist jedoch so gering, daß er praktisch vernachlässigt
werden kann. Das angesäuerte Wasser sollte 10 Proc. Schwefelsäure enthalten. Die
Auswahl des Platindrahtes für die Spirale erfordert einige Sorgfalt; denn aus einem
und demselben Etablissement zeigten einzelne Proben bei 0° C. das 4,7 fache,
andere dagegen das 8,2 fache Leitungsvermögen des Quecksilbers.
Die Manipulation mit dem in Rede stehenden Pyrometer ist folgende. Man adjustire das
Niveau in den Röhren auf die oben beschriebene Weise, bringe den conischen Theil des
langen Schutzcylinders in den Ofen, dessen Temperatur ermittelt werden soll, und
stelle durch geeignete Drehung des Commutators die Verbindung mit der Batterie her.
Zur Vermeidung einer ungleichen Polarisation an den Elektroden kehre man den Strom
während der Beobachtung öfters um, unterbreche denselben, wenn das angesäuerte
Wasser in der weniger beeinflußten Röhre ungefähr um 40 Theilstriche gesunken ist,
und lese die Niveau's der Flüssigkeit auf den mit V und
V' bezeichneten Scalen ab. Hierauf suche man in der erwähnten
Tabelle diese Zahlen in den gleichfalls mit V und V' bezeichneten Columnen. An dem Durchschnitte zweier
von diesen Zahlen gezogenen imaginären Linien findet man alsdann den Widerstand der
Spirale und die entsprechende Temperatur des Ofens mit rothen und schwarzen Ziffern
markirt.
Bei dem von uns in der Wiener Ausstellung geprüften Pyrometer beträgt der constante
Widerstand 17 Siemens'sche Einheiten und der Widerstand
des Platindrahtes bei 0° C. 10 solcher Einheiten.