Titel: | Ueber Nahrungsmittel im Allgemeinen und über den Werth des Fleischextractes als Bestandtheil der menschlichen Nahrung insbesondere; von Dr. Max v. Pettenkofer. |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. LXV., S. 378 |
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LXV.
Ueber Nahrungsmittel im Allgemeinen und über den
Werth des Fleischextractes als Bestandtheil der menschlichen Nahrung insbesondere; von
Dr. Max v. Pettenkofer.Briefliche Mittheilung vom Februar 1873 an Hrn. Joseph Bennert, General-Agent der Liebig's Extract of Meat Company, in
Antwerpen. – Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, 1873, Bd. XCI S.
271.
v. Pettenkofer, über Nahrungsmittel im Allgemeinen und über den
Werth des Fleischextractes.
Sie haben mir den Wunsch ausgesprochen, eine kurze Darstellung auch meiner
Anschauungen über den Werth des Fleischextractes zu haben.
Wenn ich meine Ansicht darüber Ihnen auseinandersetzen soll, müssen Sie mir
gestatten, etwas weiter auszuholen und zunächst von Dingen zu sprechen, welche mit
dem Fleischextract gar nichts zu thun zu haben scheinen.
Die erste Frage, die ich beantworten möchte, ist: warum wir überhaupt Nahrung
genießen? und was Nahrung ist? Zweck der Nahrung ist, durch Zufuhr gewisser Stoffe
unseren Körper auf eine bestimmte normale Zusammensetzung zu bringen, um alle seine
verschiedenen Functionen in Wirksamkeit zu setzen und darin zu erhalten.
Wir können uns im Wesentlichen den Körper stofflich zusammengesetzt denken aus
eiweißartigen Substanzen und deren Abkömmlingen, aus Fetten, aus
Aschenbestandtheilen, Wasser und Sauerstoff; jedenfalls sind das die
Hauptbestandtheile, die wir in unserem lebendigen Organismus ohne Ausnahme vorräthig
und thätig finden, die sich durch die Functionen des Organismus beständig verändern
und zersetzt ausscheiden, und deren Ersatz unerläßlich ist, wenn die
Lebensfunctionen fortdauern sollen.
Den Sauerstoff nehmen wir bei jedem Athemzuge mit Hülfe unserer Blutkörperchen aus
der Luft die uns umgibt, und da uns das in der Regel leicht gelingt, ohne daß wir
besondere Anstrengungen oder Geld ausgaben dafür zu machen haben, so zählen wir
gewöhnlich die Luft gar nicht unter den Nahrungsmitteln auf, sondern setzen sie
nicht selten sogar in einen gewissen Gegensatz damit, wenn wir sagen, daß Niemand
von der Luft leben könne.
Nicht viel anders machen wir's mit dem Wasser, das von unserem Körper durch
Verdunstung auf der Haut und in den Lungen sowohl dampfförmig, als auf anderen Wegen
auch tropfbar-flüssig fortgeht. Auch das verlorene Wasser, ohne stets genau
zu wissen wie viel, müssen wir unserem Körper wieder zuführen.
„Jedoch,“ sagt Voit,Ueber die Bedeutung des Leimes bei der Ernährung. – Zeitschrift für
Biologie Bd. VIII S. 386.
„sind wir darüber in praxi meist nicht in
Verlegenheit, da wir das Wasser umsonst, oder doch sehr wohlfeil haben können.
Wir würden die Sache ganz anders beurtheilen, und das Wasser für ebenso wichtig
halten als das Fleisch und andere Stoffe, wenn wir es eben so theuer zu bezahlen
hätten.“
Auch auf die Aschenbestandtheile achten wir gewöhnlich nicht viel, und führen sie
deßhalb auch nicht regelmäßig unter den Nahrungsmitteln auf, obschon jeder einzelne
Bestandtheil davon ebenso unentbehrlich ist, als Eiweiß und Fett. Die Notwendigkeit
der Aschenbestandtheile oder der Salze hat Baron v. Liebig
nicht nur in der Nahrung der Pflanzen, sondern auch in der Nahrung der Thiere längst
dargethan, und Voit hat durch mehrere Versuche gezeigt,
daß Thiere so ziemlich in der ganz gleichen Zeit zu Grunde gehen, man mag alles
Eiweiß, oder gewisse Salze aus ihrer Nahrung vollständig ausschließen. Man kann
ebenso aus Mangel an Salz wie aus Mangel an Eiweiß, oder aus Mangel an Wasser
verhungern. Den Wasserhunger nennt man gewöhnlich Durst. Daß wir weniger von den
Salzen in der Nahrung sprechen, hat seinen Grund theils darin, daß die
Nahrungsmittel welche unserem Körper das kostspielige Eiweiß und Fett liefern, für
gewöhnlich auch schon die nöthigen Aschenbestandtheile enthalten, theils darin, daß
die Aschenbestandtheile des Körpers, als unveränderliche, nicht-organische
Stoffe, immer wieder in den Kreislauf gezogen, d.h. zurückgehalten werden können,
und nur ein geringer Bruchtheil derselben unvermeidlich ausgeschieden wird, sobald
sie dem Körper nicht mehr zugeführt werden. Unser Körper kann daher mit
verhältnißmäßig sehr geringen Mengen derselben haushalten.
Im gewöhnlichen Leben versteht man unter Nahrungsmitteln vorzugsweise nur jene
Stoffe, welche wir genießen, um den Eiweiß- und Fettverlust unseres Körpers
zu decken. Ein gewisser Eiweißgehalt in der Nahrung ist unter allen Umständen
unentbehrlich, eine unerläßliche Hauptsache, ja es läßt sich von allen organischen
Stoffen allein mit Eiweiß mit Zuhülfenahme von anorganischen Salzen und Wasser ein
thierischer Organismus erhalten, nicht so mit Fett und anderen organischen
Nahrungsstoffen. Die Zufuhr von Fett ist unter Umständen entbehrlich. Das Fett ist
zwar auch ein constanter, integrirender Bestandtheil unseres Körpers, auch der
Magerste hat eine gewisse Menge davon; aber es ist in der Nahrung doch nicht absolut
nothwendig, weil aus dem Eiweiß Fett sich bilden kann, was umgekehrt nicht der Fall
ist. Auf die Fettbildung im Organismus haben verschiedene Umstände und verschiedene
Stoffe in der Nahrung einen wesentlichen Einfluß. Nach dem Vorgange Baron v. Liebig's heißt man eine ganze Classe von Stoffen, welche
in der Nahrung von Menschen und Thieren neben Eiweiß oft in großer Menge genossen
werden, geradezu Fettbildner. Es sind das die Stoffe, wie Stärkemehl, Dextrin und
Zucker, welche von den Chemikern unter dem Ausdruck Kohlehydrate zusammengefaßt
werden. Es ist noch eine wissenschaftliche Controverse, ob die Bildung und Anhäufung
von Fett im Körper ausschließlich aus Eiweiß und dem in der Nahrung schon fertig
vorhandenen Fett erfolgt, ob also diese fettbildenden Stoffe nur begünstigend
wirken, oder ob sie sich unter Umständen theilweise selbst in Fett verwandeln: im praktischen
Erfolge wird dadurch wenig geändert, ihre Rolle bleibt gleich wichtig, sie mag in
der einen oder anderen Weise sich abspielen.
Ich stehe in den Fragen der Ernährung auf dem Standpunkte, welchen Baron v. Liebig zuerst geschaffen, und der sich von ihm aus in
consequenter Weise weiter entwickelt hat. In neuester Zeit hat wohl Voit die gründlichsten, umfassendsten und weittragendsten
Untersuchungen an Menschen und Thieren angestellt, welche nicht bloß auf die
chemische Zusammensetzung der Nahrungsmittel, sondern auch auf ihre Ausnutzung und
Zersetzung im Körper die unerläßliche Rücksicht nehmen. Voit
Ueber den Unterschied der animalischen und vegetabilischen Nahrung.
Sitzungsberichte der kgl. Akademie der Wissenschaften in München. Jahrg.
1869, Bd. II S. 516. unterscheidet zwischen Nahrung, Nahrungsmittel, Nahrungsstoff und
Genußmittel.
Nahrungsstoff heißt jede chemische Verbindung, welche irgend einen der wesentlichen
stofflichen Bestandtheile unseres Körpers (Eiweiß, Fett, Salze u.s.w.) zu ersetzen
vermag. Reines Eiweiß, reines Fibrin, Fett, reine Stärke, Zucker, Kochsalz,
phosphorsaures Kali, phosphorsaurer Kalk u.s.w. sind Nahrungsstoffe. Wasser ist ein
Nahrungsstoff.
Ein Nahrungsmittel ist ein natürliches Gemenge aus mehreren Nahrungsstoffen. So ist
z.B. Brod ein aus Eiweißkörpern, Stärke, Salzen und Wasser bestehendes
Nahrungsmittel, aber noch keine Nahrung für uns. Von Brod allein kann der Mensch
nicht leben.
Milch ist auch ein Gemenge von mehreren Nahrungsstoffen, für Neugeborne sogar eine
Nahrung, aber für Erwachsene nur mehr ein Nahrungsmittel und nebenbei wohl auch ein
Genußmittel.
Genußmittel sind Stoffe, welche nicht nothwendig Material zum Aufbau unseres Körpers
abgeben, aber doch sowohl für die Processe der Ernährung als auch für andere
organische Functionen wesentliche Dienste leisten.
Nahrung endlich ist immer erst die Summe aller Nahrungsstoffe in den Nahrungsmitteln,
sammt Genußmitteln, welche alle zusammen nothwendig sind, um einen Körper auf einem
gewissen normalen Stande zu erhalten.
Das Fleischextract enthält weder Eiweiß, noch Leim, noch Fett, noch Fettbildner, es
gehört, abgesehen von seinem hohen Gehalt an Nährsalzen, vorwaltend zu den
Genußmitteln, ist daher auch keine Nahrung, aber ein Genußmittel der
hervorragendsten Art, und ich will etwas näher darauf eingehen, was ein Genußmittel,
als nothwendiger Bestandtheil der menschlichen Kost, zu bedeuten hat. Voit sagt hierüber: „Für die Ernährung (d.h. für den
stofflichen Ersatz der verbrauchten Körpersubstanz) würde ein Gemenge aus reinem
Eiweiß, Fett, Stärke, Salzen und Wasser genügen, und doch würden wir uns damit
nicht befriedigt erklären; wir sagen, es ist geschmacklos, und verweigern es zu
essen. Allen unseren Speisen, auch denen aus dem Pflanzenreiche, sind
schmeckende Substanzen, welche keine Nahrungsstoffe sind, in Menge beigemischt,
so daß kein Mensch sich den Genußmitteln dieser Art zu entziehen vermag. Das
Geschmacklose, oder schlecht Schmeckende, oder Eckelhafte thut uns nicht gut; es
können z.B. Brechbewegungen schon vor dem Hinabschlucken sich einstellen, so daß
wir daraus ersehen, daß die Centralorgane der Geschmacksempfindung in
functionellem Zusammenhange mit dem Magen stehen und auf ihn influiren. Wenn
dieß die schlecht schmeckenden Speisen thun, so thun es auch die
wohlschmeckenden, nur im entgegengesetzten Sinne.“
Daraus erklärt sich die alte Erfahrung, daß man nur essen soll, was einem schmeckt,
und so lange es einem schmeckt. Gleichwie das Geschmackscentralorgan den Magen und
Darm beeinflußt, so beeinflussen auch diese wieder rückwärts das Geschmacksorgan.
Nach der Sättigung schmecken uns Speisen nicht mehr, die uns kurz zuvor doch noch so
angenehm dünkten.
Voit macht weiter darauf aufmerksam, daß die Wirkung der
Genußmittel zunächst allerdings wesentlich nur auf das Nervensystem gehe, welches
aber nicht bloß bei allen willkürlichen Bewegungen und Handlungen, sondern auch bei
allen Processen der Verdauung, der Resorption und Assimilation, die unserer Willkür
und theilweise auch unserer directen Wahrnehmung entrückt sind, eine höchst wichtige
Rolle spielt. Gewisse Stoffe, wenn wir sie verschlucken, erregen z.B. zunächst die
Nervenenden der Schleimhaut des Verdauungscanales, von wo aber die Erregung sich auf
gewisse Centralorgane im Darm selbst, oder auf entferntere im Gehirn oder Rückenmark
fortpflanzt; andere gelangen vom Magen oder Darm aus nach der Resorption zunächst
in's Blut, und von da erst zu den Centralorganen des Nervensystemes und versetzen
sie in veränderte Zustände. Von diesen Centralorganen aus sind dann noch weitere
Uebertragungen möglich, wodurch oft auf großen Umwegen wieder Einflüsse zurück auf
diejenigen Theile im Verdauungscanale ausgeübt werden können, welche bei dem
ursprünglichen Contacte mit dem Genußmittel sich noch neutral verhalten haben. Wenn
die Bahnen für solche Einflüsse auch noch nicht genügend bekannt sind, so steht
thatsächlich doch schon so Vieles fest, daß ihr Vorhandenseyn als unumstößlich
bewiesen betrachtet werden muß.
Man sieht, daß die Genußmittel noch lange nicht gehörig gewürdigt sind, ihr Begriff
für gewöhnlich noch viel zu eng genommen und ihre Bedeutung noch viel zu wenig
erkannt wird.
Als feststehend darf angenommen werden, daß viele Genußmittel schon durch ihren
bloßen Geschmack von der Mundhöhle aus den Magen auf irgend eine Art zur Verdauung
vorbereiten.
Der Mensch opfert daher gewiß nicht ohne Zweck und Nutzen solchen Reizen so große
Summen Geldes, wie er es z.B. beim Zucker thut, dessen Geschmack wir so
außerordentlich lieben, daß wir nach ihm gern Alles bezeichnen, was uns überhaupt
angenehm ist. Der Zucker ist ein Kohlehydrat und damit auch ein Mittel zum Ersatz
des Fettverbrauches im Körper, aber wir zuckern manche unserer Speisen gewiß nicht,
weil der Zucker ein Nahrungsstoff ist, wie Stärkemehl und Dextrin, vor denen er im
Nährwerthe nicht das Geringste voraus hat, sondern wegen seines Geschmackes, wegen
seiner Wirkung auf die Nerven. Moses tröstete sein Volk in der Wüste nicht ohne
Erfolg mit der Verheißung, daß er es in ein Land führen werde, das von Milch und
Honig fließt.
Ich habe schon erwähnt, daß die Wirkung der Genußmittel durchaus nicht auf die
Geschmacksnerven in der Mundhöhle beschränkt ist, sondern sich nachweisbar noch viel
weiter erstreckt, wenn wir auch in der Regel nicht im Geringsten eine directe
Wahrnehmung davon durch besondere Empfindungen haben. Es wird bekanntlich nicht
beständig im Magen Magensaft abgesondert, sondern meist nur dann, wenn etwas in den
Magen gelangt. Schon durch bloßen mechanischen Reiz der Schleimhaut, z.B. mit einem
Federbart, oder durch einen Glasstab quillt Saft hervor und füllen sich die Gefäße
der Schleimhaut mit Blut. Ganz ähnlich, nur viel behaglicher, wirken auch andere
Reize: ein Tropfen verdünnter Weingeist- oder Kochsalzlösung, auf die
Magenschleimhaut eines lebenden Thieres gebracht, macht einen Austritt von Saft aus
den Drüsen.
Dasselbe bewirkt auch schon die bloße Vorstellung von etwas Leckerem, wobei nicht nur
dem Menschen, wie man sagt, das Wasser im Munde zusammenläuft, sondern man kann auch
an Hunden mit künstlich angelegten Magenfisteln beobachten und zeigen, wie plötzlich
Magensaft hervorquillt, sobald man dem nüchternen Thiere ein Stück Fleisch vorhält,
ohne es ihm zu geben. Voit erklärt auf diese Art den
Nutzen der Einleitung einer reichlichen Mahlzeit durch etwas Caviar oder Sherry. Als
das einfachste und erfahrungsgemäß beste Mittel zu diesem Zweck erklärt auch Voit eine kräftige warme Fleischbrühe.
Der Mensch hängt so sehr an Genußmitteln der verschiedensten Art und zwar nicht bloß
für Zwecke der Verdauung und Ernährung, sondern auch noch für zahlreiche
Nerventhätigkeiten in ganz anderen Richtungen, daß er dafür, um sich dieselben zu
verschaffen, gern etwas opfert oder bezahlt. Wie viele verzichten nicht auf ein
Stück Brod, um sich eine Tasse Kaffee, oder Thee, eine Prise Tabak, eine Cigarre,
ein Glas Bier oder Wein zu sichern, wenn ihnen die Wahl gelassen wird, obwohl ein
Stück Brod zum Fett- und Eiweißersatz am Körper beiträgt, und die genannten
Genußmittel nicht!
Die Genußmittel sind wahre Menschenfreunde, sie helfen unserem Organismus über manche
Schwierigkeiten hinweg, ich möchte sie mit der Anwendung der richtigen Schmiere bei
Bewegungsmaschinen vergleichen, welche zwar nicht die Dampfkraft ersetzen und
entbehrlich machen kann, aber dieser zu einer viel leichteren und regelmäßigeren
Wirksamkeit verhilft, und außerdem der Abnutzung der Maschine ganz wesentlich
vorbeugt. Um letzteres thun zu können, ist bei der Wahl der Schmiermittel eine
Bedingung unerläßlich: sie dürfen die Maschinentheile nicht angreifen, sie müssen,
wie man sagt, unschädlich seyn.
Und diese letztere Bedingung erfüllt das Fleischextract in einem hervorragenden
Grade, denn es ist geradezu ein natürlicher Bestandtheil unseres Körpers selbst, wie
Eiweiß und Fett, es ist von seinem Ursprung her ein unserem Organismus durch und
durch befreundeter Stoff, der nichts erhält, was nicht ohnehin ein integrirender
Bestandtheil jedes gesunden Körpers wäre. Wie das Extract in den Handel kommt,
besteht es wesentlich aus drei Gruppen von Bestandtheilen: 1) aus etwa 20 Proc.
Wasser, 2) aus etwa 22 Proc. Aschenbestandtheilen oder Salzen, und 3) im Uebrigen
aus etwa 58 Proc. organischen Bestandtheilen, sogenannten Extractivstoffen.
Von den Extractivstoffen des Fleisches sind bekanntlich mehrere bereits näher
chemisch definirt oder isolirt, aber damit ist die Aufgabe der Chemie der
organischen Bestandtheile des Fleischextractes gewiß noch lange nicht erschöpft.
Unter den isolirten finden sich drei aus der Reihe der organischen Basen oder
Alkaloide: Kreatin, Sarkin und Carnin. Ein anderer organischer Bestandteil, der in
größerer Menge im Fleischextract enthalten ist, ist die Fleischmilchsäure. Auch
sonst weiß man noch Einiges, aber nach meiner Ansicht wäre es sehr voreilig, aus
unserem einstweiligen Wissen über die organischen Bestandteile des Fleischextractes
seinen physiologischen und hygienischen Werth erklären zu wollen, und eben so
voreilig wäre es, aus der Mangelhaftigkeit dieses Wissens seinen Unwerth folgern zu
wollen.
Von ganz besonderer Wichtigkeit scheint mir der Gehalt an den eigenthümlichen Salzen
zu seyn, welche nicht nur Genußmittel, sondern auch Nährsalze sind, gerade so wie das Kochsalz. Jedes
Organ hat seine eigene Mischung von Salzen, die es beim Verbrennen als Asche
hinterläßt. Die Asche des Blutes ist sehr verschieden von der Asche des Muskels.
Kein Organ am Körper hat eine so große Masse, als das Muskelorgan, bloß die
Skeletmuskeln allein machen beim Menschen schon nahezu die Hälfte seines ganzen
Körpergewichtes aus. Das Fleischextract enthält nun die natürliche Mischung aller
löslichen Salze dieses größten aller Organe.
Dagegen läßt sich nun zwar einwerfen, daß wir in einer Nahrung, welche die nöthige
Menge von Eiweißstoffen enthält, gleichviel ob in der Form von Fleisch oder Brod
oder Milch, in der Regel auch schon die nöthige Menge von Aschenbestandtheilen oder
Salzen genießen, die für den Aufbau der Organe, und damit auch des Muskelorganes
unumgänglich nothwendig ist, und es könnte ferner eingeworfen werden, daß ein
Ueberschuß an solchen Salzen, wenn er genossen wird, nach kurzer Zeit schon wieder
ausgeschieden wird; – aber es wäre nach meiner Ansicht doch ein nicht
gerechtfertigter Schluß, aus diesen Thatsachen die Nutzlosigkeit eines gewissen, und
wenn auch nur zeitweisen und geringen Ueberschusses folgern zu wollen. Man weiß ja
nicht, welche Störungen sowohl bei der Assimilation als auch bei den Functionen der
Organe vorkommen, ob nicht durch gewisse Störungen, durch Nebenprocesse der eine
oder andere Bestandtheil hier und da seinen Zwecken entzogen, so zu sagen mit
Beschlag belegt ist, wo dann ein gewisser Vorrath oder Ueberschuß helfend und
ausgleichend eintreten kann. Die Erfahrung entspricht vielfach einer solchen
Annahme.
Es ist noch nicht lange her, daß in der Physiologie viel von der Luxusconsumtion die
Rede war. Manche Physiologen glaubten, es wäre Luxus, dem Körper mehr an
Nahrungsstoffen zuzuführen, als der hungernde, aber noch functionsfähige Organismus
zersetzt und ausscheidet; jedoch die Ernährungsversuche von Bischoff und Voit haben schlagend nachgewiesen,
daß mit einer solchen Zufuhr eben immer nur ein Rothstand, ein fortgesetzter
Hungerzustand erzielt werden kann, der den Anforderungen eines normalen Lebens auf
die Dauer nicht zu genügen vermag. Zu einem gesunden und kräftigen Leben gehört ein
gewisser Wohlstand, ein wenn auch geringer Ueberfluß, es reicht nicht immer aus,
bloß so viel zu haben, um die äußerste Nothdurft damit zu decken. Es ist eben so,
als wenn man einen Organismus in seiner Wärmeerzeugung auf ein Maaß beschränken
wollte, bei dem er gerade vor dem Erfrieren geschützt wird, und Alles, was darüber
ist, für überflüssigen Luxus erklären wollte.
Ein lehrreiches Beispiel gerade im Hinblick auf die Salze im Fleischextracte ist der
Gebrauch des Kochsalzes, welches gleichfalls Nahrungsstoff und Genußmittel zugleich
ist. Man kann sagen, auch das Kochsalz aus den Salinen sey nur Genußmittel und ein
Luxus, denn die unerläßliche Menge für die Blutbildung sey schon in den natürlichen
Nahrungsmitteln enthalten, und je mehr man sonst der Nahrung der Menschen und Thiere
beimische, desto mehr werde sofort in ihrem Harn auch wieder ausgeschieden. Der
Mensch läßt diese Theorie heutzutage wohl nicht mehr auf sich selbst anwenden, aber
in vielen Gegenden wird doch der ganze Stand an Hausthieren auch gegenwärtig noch
ohne den Gebrauch von Kochsalz aus Salinen erhalten. Die zur Blutbildung absolut
nothwendige Menge ist allerdings in den gewöhnlichen Nahrungsmitteln der Thiere
schon vorhanden, denn sonst müßten sie ja zu Grunde gehen, jedoch man frage
erfahrene und erfolgreiche Viehzüchter, ob sie es deßhalb für überflüssigen Luxus
halten, Steinsalz zum Lecken zu geben, oder etwas Kochsalz unter das Futter zu
streuen? Alle Landesregierungen betrachten es als ihre Pflicht, für eine
hinreichende Lieferung von Viehsalz an alle Landwirthe Vorsorge zu treffen. Mit dem
gleichen Rechte und Vortheile, als wir in der täglichen Nahrung mehr Kochsalz
zuführen, als ein Organismus gerade zu seinem nothdürftigsten Bestehen braucht,
dürfen wir auch Fleischextract unseren Nahrungsmitteln und selbst dem Fleische noch
hinzufügen, obschon letzteres bereits eine bestimmte Menge davon enthält und dennoch
eine günstige Wirkung davon erwarten. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß gerade
in zwei Städten, wo notorisch das meiste Fleisch verhältnißmäßig verzehrt wird, in
London und in Hamburg, auch der Consum an Fleischextract der verhältnißmäßig höchste
bisher geworden ist.
Eine Frage möchte ich noch beantworten, nämlich ob denn die Fleischbrühe und das
Fleischextract nicht mit anderen, wohlfeileren Mitteln ersetzt werden könnte?
Darüber kann nur die Erfahrung entscheiden, die einstweilen noch für die
Fleischsuppe spricht und wahrscheinlich auch noch länger dafür sprechen wird. Der
Mensch kann ohne Fleischsuppe und Fleischextract leben, das ist keine Frage,
gleichwie er auch ohne Thee und Kaffee, ohne Bier und Wein, ohne Zucker, ohne Salz
und Pfeffer leben kann, „aber fragt ihn nur nicht wie?“ Ich
wüßte zum Ersatz der Fleischbrühe vorläufig kein Mittel zu empfehlen, das besser,
oder nur eben so gut und wohlfeiler wäre. Nach meiner Ansicht bliebe nichts übrig,
als zu versuchen, es aus wohlfeilerem Material zu bereiten als bisher, oder es aus
seinen Bestandtheilen künstlich zusammenzusetzen, etwa wie man künstliche
Mineralwässer macht. Bis jetzt geht das aber noch nicht an, und es muß vorläufig
noch aus Fleisch gemacht werden, ebenso wie Bier aus Gerstenmalz und Wein aus
Trauben.
Die organischen Bestandtheile des Fleischextractes kennt man viel zu wenig, als daß
man nur anfangen könnte, sie aus billigeren Stoffen herzustellen und im gehörigen
Verhältniß zusammenzumischen. Mit den Salzen könnte man es eher versuchen, aber auch
dieser Theil der Aufgabe würde in der Praxis die größten Schwierigkeiten machen und
keinen Anklang finden. Das Salz im Fleischextracte ist keine einfache chemische
Verbindung, wie das Kochsalz der Salinen, sondern ein Gemenge von mehreren
verschiedenen Salzen, aber in sehr bestimmten Verhältnissen, und gerade diese
Mischungsverhältnisse sind für den Organismus etwas ganz Wesentliches; jede
Abweichung davon wäre eine Verfälschung oder Verunreinigung. Das ist gewiß ein
wesentlicher Grund, warum überhaupt sich zu Nahrungsmitteln nur Naturproducte
eignen, warum man sie nicht aus ihren einzelnen Bestandtheilen künstlich
zusammensetzen kann und darf. So ein Muskelsalz ist zwar noch ein ziemlich einfaches
Ding; aber ich zweifle, ob sich ein Chemiker anheischig machen könnte, dafür zu
sorgen, daß alle Fabriken, welche sich damit abgeben würden, den Artikel stets so
rein und in so unverändert gleichmäßiger Mischung dem Publicum liefern, wie der
lebendige Muskel des Thieres, also die Natur selbst es bewirkt. In
Fray-Bentos wird das Fleischextract eigentlich nicht in der dortigen Fabrik
gemacht, sondern die in den Grasebenen oder Pampas weidenden Rinder bereiten es
durch ihren Lebensproceß, wie die Bienen den Honig; in der Fabrik werden nur die das
Fleischextract enthaltenden Thiere geschlachtet, das Extract aus ihren Muskeln
ausgezogen, von anderen Bestandtheilen geschieden, abgedampft und in Blechbüchsen
gefüllt. Baron v. Liebig und ich haben nie zu
untersuchen, ob kein Bestandtheil vergessen, keiner verwechselt, keiner
verhältnißmäßig zu viel und zu wenig dazu genommen worden sey, dafür hat schon der
Organismus der geschlachteten Thiere gesorgt; unsere beständige Controlle beschränkt
sich wesentlich darauf, ob es von den Substanzen, die es nicht enthalten soll (Fett,
Eiweiß, Leim), frei ist und ob es nicht zu viel Wasser enthält. Hätten wir es mit
einem künstlichen Gemenge zu thun, bei dem es an jedem einzelnen Bestandtheile
fehlen kann, in dem jeder einzeln bestimmt werden müßte, wir dürften auf dieser Welt
nichts anderes mehr thun, als Tag und Nacht analysiren, und würden doch nicht fertig
werden.
Eine weitere Frage hört man noch öfter: ob es denn nicht besser wäre, auf den
europäischen Markt anstatt Fleischextract von Fray-Bentos das Fleisch selbst
zu bringen? Kein Vernünftiger zweifelt, daß Fleisch in der Nahrung ein noch viel
wichtigerer Bestandtheil ist, als Fleischextract, und daß es von unberechenbarem
Nutzen wäre, wenn man in Europa gutes, recht wohlfeiles Fleisch einführen könnte.
Ich zweifle auch nicht im Mindesten, daß es noch dazu kommen wird, sobald einmal die
richtigen und billigen Methoden zur Conservirung des Fleisches während des
Transportes gefunden seyn werden. Da aber möchte ich weiter fragen, ob dann wohl die
Fleischextractfabriken aufhören werden, zu arbeiten? und diese Frage beantworte ich
ganz bestimmt mit Nein. So wenig das Fleischextract das Fleisch, eben so wenig
ersetzt das Fleisch das Fleischextract. Ich habe für diese meine Ueberzeugung ganz
unzweideutige Analogien. Fleischextract verhält sich zum Rohstoffe Fleisch ähnlich,
wie etwa Milchzucker, Käse und Butter zu ihrem Rohstoffe, der Milch. Obschon Milch
ein besseres und vollständigeres Nahrungsmittel ist, als Käse und Butter, so werden
letztere doch auch noch dargestellt und würden dargestellt werden, selbst wenn es'
gelänge Mittel zu finden, frische Milch in die größten Entfernungen zu versenden.
Butter und Käse werden nicht bloß deßhalb dargestellt, weil man die Milch nicht
anders und als solche am Orte der Erzeugung verwerthen kann, Butter und Käse werden
auch ihrer selbst willen aus Milch bereitet.
Und so wird es auch beim Fleischextract der Fall seyn, nachdem man es einmal kennen
gelernt hat. Wenn wir die Essenz der Fleischbrühe auch nicht im Geringsten als
Nahrungsmittel gelten lassen, sondern nur als unschädliches Genußmittel auffassen,
so wird sein Bestehen von nun an doch gesichert seyn. Wie hoch der Mensch die
Genußmittel schätzt, zeigt die Bierconsumtion in unserer Zeit, die beständig
zunimmt, obschon alle Preise der Lebensmittel auf eine ungewöhnliche Höhe steigen.
Man braucht zu einem Maaß (1 Liter) guten Bieres wenigstens ein halbes Maaß (1/2
Liter) gute Gerste. Da hätte man doch Grund zu sagen, es wäre für die Ernährung der
Massen viel vortheilhafter, die Gerste in Mehl zu verwandeln und als Brod zu essen,
als mit vielen Kosten ein Getränk daraus zu brauen, welches keine Nahrung mehr ist,
kein Eiweiß und nur ein paar Procent andere Nahrungsstoffe noch enthält, sondern
wesentlich nur ein Genußmittel ist. Oder man könnte auch denken, es wäre klüger, die
großen Flächen Landes, welche mit Gerste und Hopfen für die Bierfabrication bebaut
werden, nur mit Weizen oder Roggen zu bestellen, und dadurch den Menschen wieder
wohlfeileres Brod zu schaffen. Aber es ist merkwürdig, wie viel Europa trotzdem von
seinem theuren Getreide als Bier sogar noch nach anderen Welttheilen exportirt; da
dürfte man predigen, so viel man wollte, die Verschwendung an solchen Genußmitteln
hört nie auf. Es wird in diesen Dingen wirklich viel und oft ganz nutzlos
verschwendet, aber sie ganz entbehren kann man auch nicht. Die Mehrzahl der Menschen
findet immer zu ihrem Vortheil das rechte Maaß durch Beobachtung und
Selbstbeherrschung.
Die Auswahl und Mischung der Nahrung ist wesentlich eine angeborene, instinctive
Thätigkeit beim Menschen wie bei den Thieren, welche theils von der gegebenen
Organisation der Verdauungsapparate, theils von der Art und dem Maaß der Thätigkeit
des Gesammtorganismus unbewußt geleitet wird. Die instinctive Thätigkeit hat auch
den richtigen Weg zu seiner Ernährung finden lassen, sie hat uns ohne alle
Wissenschaft zu einem wahren Reichthum und Mannichfaltigkeit von Nahrungs-
und Genußmitteln geführt, wogegen sich alle Zuschüsse von anderen Seiten her
vorläufig noch recht armselig, ich möchte sagen fastenmäßig und hungerleidig
ausnehmen. Wir haben daher diesem Instincte, der sich durchschnittlich am
deutlichsten in den Empfindungen des Geschmackes und im Gefühl der Sättigung und des
Wohlbehageus ausspricht, vorläufig noch eine entscheidende Stimme einzuräumen.
Dieser Ansicht darf auch derjenige seyn, welcher die Ernährung vom rein
wissenschaftlichen Standpunke aus betrachtet und von der großen Mission der
Physiologie und der Hygiene in dieser Richtung ganz und gar durchdrungen ist.
Auf diesem Standpunkte stehend, fühle ich mich im Einklange mit allen Erfahrungen
über die gute Wirkung und den Nutzen des Fleischextractes. Ich erblicke im
Fleischextracte weder eine Nahrung, noch ein Nahrungsmittel, welches Zufuhr an
Eiweiß, Fett oder Kohlehydraten ersparen könnte, ich halte sogar alle gegentheiligen
Behauptungen für falsch und unbegründet, ja ich sehe das Fleischextract nicht einmal
für ein neues Genußmittel an, womit die Wissenschaft die
Speisevorräthe für Zusammensetzung einer gedeihlichen menschlichen Kost bereichert
hätte, welches erst auf wissenschaftlichem Boden entstanden und in die Praxis
übergehen und erprobt werden sollte; nein! Fleischbrühe ist ein uraltes, längst und
viel gebrauchtes Mittel und seine guten Wirkungen sind aus tausendjähriger Erfahrung
bekannt und erprobt. Was sich mit dem Entstehen der ersten großen
Fleischextractfabrik in Fray-Bentos gegen früher geändert hat, ist bloß, daß
eine von Baron v. Liebig empfohlene, eben so
vortreffliche als einfache Methode in Amerika in die Praxis übergegangen ist, um die
wahre und wirkliche Essenz der Fleischbrühe herzustellen, und zwar zu Preisen, wie
es aus Fleisch vom europäischen Markte unmöglich wäre. Als Essenz für Fleischbrühe
sind auch schon früher die viel theureren Bouillontafeln im Handel gewesen, aber
diese sind bekanntlich nicht Fleischextract, sondern wesentlich nur Leim, mit
einigen riechenden, schmeckenden und färbenden Substanzen, von denen die wenigsten
vom Fleische stammen. Es
wird nicht erst jetzt Fleichbrühe genossen und probirt, sondern es wird jetzt nur
mehr und bessere genossen als sonst, und daß das möglich geworden ist, hat man
nächst Baron v. Liebig am meisten Hrn. Giebert und Ihnen zu danken, und alle drei dürfen mit
Genugthuung und einigem Stolz darauf blicken, zur Verallgemeinerung eines so
naturgemäßen und längst erprobten Genußmittels so wesentlich beigetragen zu
haben.
Von diesem meinem Standpunkte aus wird Ihnen auch leicht erklärlich seyn, warum mir
die ganze Polemik gegen das amerikanische Fleischextract vom Anfang an absurd
vorkam. Der Eine sagt: Das Fleischextract ist kein Nahrungsmittel, denn es enthält
weder Albuminate, noch Fett, noch Kohlehydrate. Daß es diese Nahrungsstoffe
enthalte, ist auch von Niemand behauptet worden. Im Gegentheil, Baron v. Liebig's erster Grundsatz bei Ausarbeitung der Methode
zur Darstellung des Extractes war, es nicht nur frei von Eiweiß und Fett, sondern
auch frei von Leim zu gewinnen, um ihm die Haltbarkeit zu sichern.
Obschon alle Fleischextract-Fabriken nach der Methode des Baron v. Liebig zu arbeiten vorgeben und dieses als Empfehlung
benutzen, so sind die Producte nicht überall gleich, und können es nicht seyn
vermöge ihrer nothwendig verschiedenen Einrichtungen. Nur in großen Etablissementen
läßt sich die Herstellung einer immer gleichmäßigen Qualität des Productes erwarten.
Daher kommt es, daß es Extracte gibt welche z.B. eine Spur Eiweiß enthalten, aber in
so geringer Menge, daß es als Eiweißnahrung ohne alle Bedeutung ist (etwa 1 Proc.)
und nur hinreicht, um die Auflösung des Extractes in warmem Wasser trüb erscheinen
zu lassen. Baron v. Liebig und ich würden ein solches
Extract, wenn es von Fray-Bentos käme, als mangelhaft filtrirt, einfach nicht
in den Handel übergehen lassen, dadurch daß wir unsere Unterschrift
verweigerten.
Andere waren nicht damit zufrieden, zu sagen, daß das Fleischextract keine Nahrung
sey, sie glaubten die Welt auch darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es sogar
schädlich, ja daß es selbst ein Gift sey. Diese
Absurdität machte vielfach Eindruck. Ich konnte nie begreifen, daß den Leuten, die
sich das sagen ließen, dabei nicht sofort einfiel, daß dieses Gift in jedem Bissen
Fleisch, in jedem Teller Fleischsuppe von jeher enthalten war, und daß sie trotzdem
so alt geworden sind; sie vergaßen ganz, daß sie dieses Gift am eigenen Leibe an
ihrem Fleische beständig mit sich herumgetragen, selbst wenn sie Vegetarianer sind
und weder Fleisch noch Fleischsuppe essen. Diese Giftartikel gegen das
Fleischextract entstanden dadurch, daß man daran ging, die durch Erfahrung feststehende gute
Wirkung der Fleischbrühe wissenschaftlich und experimentell zu begründen. So hat
z.B. Kemmerich, gestützt auf die von den Physiologen
schon früher beobachtete Wirkung der Kalisalze, darauf aufmerksam gemacht, daß auch
das im Fleischextracte enthaltene Kali wichtige allgemeine Wirkungen veranlasse, daß
es die Nerven und Muskeln erregbarer mache und eine Beschleunigung des Herzschlages
hervorrufe: ja, Kemmerich zeigte sogar, daß man Thiere
durch sehr große Gaben Fleischextract, wie sie verhältnißmäßig ein Mensch freiwillig
nie nehmen würde, tödten könne. Dieser Schaden des Fleischextractes ist aber nicht
anders aufzufassen, als der eines jeden Uebermaaßes, wie man sich auch mit Fleisch,
Brod oder Bier schaden kann. Es haben sich Menschen schon zu Tode gegessen und
getrunken, es ist sogar möglich, daß auch schon Jemand an Fleischextract gestorben
ist, obwohl darüber noch nichts bekannt wurde; aber aus solchen Unglücksfällen wird
doch Niemand die Lehre ziehen, sich von nun an des Essens und des Trinkens oder des
Fleischextractes zu enthalten.
Daß man Fleischextract täglich und ziemlich viel und lange hintereinander nicht nur
ungestraft, sondern sogar mit großem Behagen und Nutzen verzehren kann, hat Rohlfs, weithin durch seine Reisen in Marokko bekannt,
erfahren. Er äußert sich darüber in einem Briefe an Baron v. Liebig: „Was das Fleischextract betrifft, so ist es namentlich
für uns Afrika-Reisende eine der größten Wohlthaten gewesen. Auf meiner
Reise durch die große Wüste von Tripolis nach dem Tschad-See war es meine
tägliche Nahrung. Ohne sonstiges Fleisch nahm ich es des Morgens auf Bisquit
geschmiert, und das schmeckte nicht nur vortrefflich, sondern ersetzte mir auch
vollkommen die Fleischkost. Abends stellte ich Bouillon her und mischte eine
gute Portion unter Reis, Linsen oder Kuskusu oder was wir sonst an Vegetabilien
hatten. Ich habe mich übrigens so an das Fleischextract gewöhnt, daß ich es noch
jetzt immer im Hause haben muß.“
Wie im Süden, nahe dem Aequator, hat auch im höchsten Norden, nahe dem Pole, das
Fleischextract einem sehr angesehenen und bekannten Reisenden, Herrn Edward Whymper, große Dienste geleistet. Er äußert sich
in einem Briefe von England aus darüber mit folgenden Worten: „Ich genieße
das Extract seit seiner ersten Einführung in dieses Land, und es gibt keinen
einzigen Nahrungsartikel, welchen ich auf Reisen weniger als gerade diesen
entbehren möchte. Ich reiste in Nordgrönland während der ganzen Saison von 1872;
während dieser Zeit war meine Nahrung sehr limitirt in Quantität und fast ganz
auf einige wenige europäische Lebensmittel beschränkt, worunter zunächst das Liebig'sche Fleischextract. Nichtsdestoweniger gewann ich
fortwährend an Spannung und Kraft. Dieses schreibe ich in nicht geringem Maaße
dem häufigen Gebrauche des Extractes zu, denn meine sonstige Fleischkost bestand
nur aus in Blechdosen verwahrtem Rindfleisch.“ Herr Whymper war daher bei seiner Heimkehr nach England sehr
überrascht, zu hören, daß das Fleischextract etwas Unnützes seyn soll. Da diese
Behauptung mit seiner eigenen Erfahrung in so directem Widerspruch steht, so glaubt
er sie nicht, und beauftragt den Herrn, an welchen sein Brief gerichtet war, Baron
v. Liebig, seine aufrichtige Dankbarkeit und tiefste
Hochachtung gerade für das Fleischextract auszusprechen, dessen unermeßliche
Wichtigkeit er fühle.
Daraus darf man zwar nicht schließen, daß sich die Reisenden mit Fleischextract
allein hätten ernähren können, aber es ist ihnen als wesentlicher Bestandtheil in
ihrer Nahrung doch jedenfalls sehr nützlich und zuträglich gewesen.
Bei den Experimenten über die tödtliche Wirkung großer Mengen von Fleischextract an
Thieren, welche wesentlich dem Kaligehalt des Extractes zugeschrieben werden muß,
hat man von Anfang an einen Umstand ganz außer Acht gelassen, der aber nothwendig in
Betracht gezogen werden mußte, wenn man die Wirkung auch nur entfernt mit dem Genuß
von Fleischbrühe in Beziehung bringen wollte, nämlich den Umstand, daß die Wirkung
der Kalisalze auffallend gemildert wird, sobald ihnen eine äquivalente Menge
Natronsalze beigemischt wird. Sollte vielleicht auch darin einer der Gründe liegen,
weßhalb unser Instinct, unser Geschmack stets einen nicht unbeträchtlichen Zusatz
von Kochsalz (Chlornatrium) so gebieterisch verlangt, bis uns eine Fleischbrühe
mundet? Es bleibt in diesen Dingen überhaupt noch unendlich viel zu erforschen.
Ich halte es noch lange nicht für an der Zeit, den Gebrauch des Fleischextractes als
eines Genußmittels ausschließlich davon abhängig zu machen, was wir von seinen
Bestandtheilen und deren Eigenschaften wissenschaftlich schon feststellen können,
oder wie weit wir etwa im Stande sind, es künstlich zusammenzusetzen. Wenn wir von
diesem doctrinären Standpunkte aus auch andere Genuß- und Nahrungsmittel
betrachten wollten, so wären wir wohl längst Hungers gestorben. Wenn die Einführung
des Thee's oder Kaffee's davon wäre abhängig gewesen, daß man zuvor gewußt hätte, in
beiden sey das Alkaloid Theïn enthalten, da wären
wir erst sehr spät in ihren Besitz gekommen, und auch jetzt vermögen wir die
Bedeutung des Thee- und Kaffeegenusses nur höchst unvollständig zu erklären
und zu motiviren; wir fühlen nur, er thut uns gut.
Jedes neue Genußmittel hat zahlreiche Vorurtheile zu überwinden, namentlich hatte bisher jedes
eine Periode durchzumachen, in der behauptet wird, daß es eine schädliche, ja selbst
giftige Wirkung habe; wir haben das sowohl bei Kaffee als Thee und anderen
hinreichend erlebt.
Auf diese Periode folgt dann wieder eine andere, in welcher, weil die Erfahrung das
Schädliche und das Giftige nicht nachweisen konnte, behauptet wird, das Mittel habe
gar keine Wirkung. In dieses vorgerückte Stadium scheint mir das Fleischextract
jetzt bereits einzutreten, und darüber können Sie sich nur freuen; denn während
dieses Stadiums bürgern sich solche hart bestrittenen Errungenschaften vollends ein,
wenn auch in aller Stille.
Ich hatte Anfangs wirklich geglaubt, dem Fleischextracte würde es erspart seyn, alle
diese Stadien eines Neulings durchlaufen zu müssen, weil der eigentliche Gegenstand,
die Fleischsuppe, um die allein es sich handelt, kein neuer, sondern ein uralter,
längst erprobter Artikel war, und nur zum ersten Mal in seinem langen Leben
Gegenstand einer besonderen Fabrication und eines größeren Handels wurde. Aber es
scheint, auch der Handel hat seine unabänderlichen Naturgesetze, die nie umgangen
werden können, denn auch das Fleischextract hat sich mühsam durcharbeiten müssen, um
sich seinen Platz auf dem Markte des Lebens zu erringen.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet muß man sogar sagen, daß es verhältnißmäßig
noch rasch vorwärts gegangen ist. Welch gewaltiger Unterschied zwischen 1850 und
1872! zwischen den ersten Anfängen zu einer Fabrication von Fleischextract in der
königl. Leib- und Hofapotheke in München, wo man damals in der ersten Zeit
kaum 1 Centner Fleisch, d. i. kaum den zehnten Theil eines Ochsen, in einem ganzen
Jahre verarbeitete, und zwischen Fray-Bentos, wo im letzten Jahre das Fleisch
von 150,000 Stück Rindern zu Extract gemacht wurde.
Der Name Liebig hat zu dieser raschen Entwickelung wohl
vorwaltend beigetragen, nicht minder auch die prompte Einrichtung und die energische
Führung des Etablissements durch Herrn Giebert, sowie die
ausgezeichnete kaufmännische Behandlung durch Sie und die von Ihnen gegründete
Gesellschaft; aber im Fleischextract selbst lag doch immer der natürliche
Schwerpunkt des Ganzen. Zwanzig Jahre lang hätte es sich sonst wohl nicht über
Wasser gehalten, geschweige denn es zu einem so hohen, ununterbrochen steigenden
Absatz gebracht. Es wird eine Zeit kommen, wo man es gar nicht mehr anders wissen
wird, als daß in jeder ordentlichen Küche ein Topf mit Fleischextract seyn muß,
gerade so wie jetzt Pfeffer und Salz.