Titel: | Aus dem chemisch-technischen Laboratorium des Carolinum zu Braunschweig. |
Fundstelle: | Band 209, Jahrgang 1873, Nr. XI., S. 30 |
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XI.
Aus dem chemisch-technischen Laboratorium
des Carolinum zu Braunschweig.
Der Scott'sche
Selenitmörtel; von Friedrich Schott.
Schott, über den Scott'schen Selenitmörtel.
Es ist beinahe zwanzig Jahre her, daß General H. Y. D. Scott mit einem neuen hydraulischen Mörtel auftrat, den er durch
Einwirkung der Dämpfe von brennendem Schwefel auf glühenden Aetzkalk erhielt. Der
Vorgang bei der Bildung dieses Cementes, sein Wesen, seine Eigenschaften und die
wissenschaftlichen Grundsätze auf denen sie beruhen, sind vor drei Jahren in einer
besonderen Abhandlung von mir dargelegt worden.Polytechn. Journal, 1371, Bd. CCII S. 52. Später erkannte der General, daß bei dieser Behandlung des Kalkes etwas
schwefelsaurer Kalk gebildet werde und daß man dasselbe erreiche, wenn man dem
gewöhnlichen Kalk vor der Behandlung in der Glühhitze die entsprechende Menge (etwa
5 Proc.) Gyps zusetzt. Die Schwierigkeit und Umständlichkeit des Verfahrens, und
damit zusammenhängend die Kostspieligkeit, wurden von der immerhin trefflichen
Qualität des Productes nicht aufgewogen; es fand keinen nennenswerthen Eingang in
die Praxis. Um nun die Vortheile seines Verfahrens mit den wirtschaftlichen
Forderungen des jetzigen Bauwesens und seinem ungeheuren Verbrauch in Einklang zu
bringen, kam der General vor etwa drei oder vier Jahren auf eine „sehr
einfache Abänderung“ die durch den wunderbaren Erfolg das größte
Aufsehen (namentlich bei der Londoner internationalen Industrieausstellung von 1871)
erregte und vielleicht Epoche im Mörtelfach machen wird. Sein Gedanke war, dem
gebrannten Kalk den Gyps (oder die Schwefelsäure) lediglich beim Löschen zuzusetzen,
ohne ihn nochmals damit zu brennen. Diese „sehr einfache
Abänderung“ ist, wie aus dem Nachstehenden hervorgeht, dennoch nicht
weniger, als das Hinüberschieben der Wirkung des Gypses auf ein gänzlich
verschiedenes Princip. Dabei wird die Sache ebenso einfach und billig, wie sie
vorher umständlich und theuer war. Es genügt in der That das Wasser, worin man den
gewöhnlichen Kalk wie üblich löscht, vorher mit einigen wenigen Procenten Gyps zu
versetzen und das ganze Verhalten des Kalkes ist wie durch Zauber umgewandelt. Er
löscht sich in dem gypshaltigen Wasser nicht mehr wie gewöhnlich und erfährt eine
Einwirkung durch den Gyps, die in ihrer unmittelbaren Erscheinung in den
vorliegenden Berichten der Engländer als eine dreifache bezeichnet wird:
„heating prevented, product hardened etc.
sets quickly“ Mit Gyps behandelter Kalk erhitzt sich nicht
oder wenig beim Löschen und gibt einen raschen und stärker erhärtenden Mörtel mit
Sand. Als Hauptsache wird hervorgehoben, daß solcher Kalk in Folge dieser
Eigenschaften eine beträchtlich größere Menge Sand binde, ziemlich doppelt so viel
und darüber, als der fette Maurerkalk ohne Gyps, nämlich bis zu 5 bis 6 Raumtheile
auf 1 Raumtheil Kalkbrei. Der Mörtel soll noch obendrein nach einiger Zeit mit
diesem bedeutenden Versatz an Sand eine größere Festigkeit und Härte annehmen als
gemeiner Luftmörtel. Um diese weittragende Umänderung der Eigenschaften des Kalkes
hervorzubringen seyen nicht einmal 5 Proc. Gyps erforderlich, schon 2 Proc. und
weniger reichen hin. – General Scott hat dem neuen
Baumaterial den Namen
„Selenitic Mortar,“
Selenitmörtel, gegeben.
Die große Bindekraft für Sand entspricht selbstverständlich einer ebenso großen
Ersparniß an Kalk, denn wenn der nach Scott behandelte
Kalk doppelt soviel Sand bindet wie der gewöhnliche, so reicht man für einen Bau mit
halb so viel Kalk als früher. Dazu kommt die größere Festigkeit. Ueber diese mögen
hier einige Angaben aus Abels Mittheilungen über den Selenitic mortar
Engineer vom 13. September 1872. Raum finden:
Nach Colonel Graham leistet der letztere gegen zerreißende
Kraft einen dreimal, gegen zerdrückende Kraft einen fünfmal größeren Widerstand, als
gewöhnlicher Mörtel Liaskalk, beide mit gleichviel Sand versetzt.
Ferner fand A. W. Colling das zum Auseinanderreißen von
zwei kreuzweise mit Mörtel verbundenen Backsteinen (18 1/4 Quadratzoll engl.
Mörtelfläche) erforderliche Gewicht bei nachstehenden Mörteln wie folgt:
a) Aus Kalkstein von Halling
gewöhnlicher
Mörtel
mit
3
Vol.
Sand
6,4
Pfd.
engl.
auf
1
Quadratzoll
engl.
Selenit-
„
„
6
„
„
11,5
„
„
„
1
„
„
b) Aus Kalkstein von Barrow-on-Soar:
gewöhnlicher
Mörtel
mit
3
Vol.
Sand
6,8
Pfd.
engl.
auf
1
Quadratzoll
engl.
1
Quadratzoll
engl.
Selenit-
„
„
5
„
„
10,7
„
„
„
1
„
„
1
„
„
„
„
„
6
„
„
15,5
„
„
„
1
„
„
1
„
„
Damit stimmen die von D. Kirkaldy gefundenen
Zerreißungsgewichte mit Mörtel kreuzweise verbundener Backsteine, nämlich bei
gewöhnlichem Mörtel 7,7 Pfd. engl., bei selenitischem Mörtel 16,6 Pfd. engl. auf den
Quadratzoll. – G. Redgrave endlich fand bei seinen
vergleichenden Versuchen mit selenitischem Mörtel und Portlandcement, theils nach
einer Erhärtungszeit von 28 (A) theils von 35 Tagen (B) die Zerdrückungsgewichte in engl. Pfunden auf 1
Quadratzoll Querschnitt:
A
B
MitTheilenSand
Portlandcement
Selenitmörtel,Kalk
vonBarrow Durham
Portlandcement
Selenitmörtel,Kalk
vonBarrow Durham
3
–
27,0
24,2
–
21,7
21,2
4
23,1
20,9
22,7
26,0
26,9
21,5
5
16,2
20,0
18,4
21,6
21,9
24,5
6
15,6
20,0
20,4
15,4
21,5
27,8
Ueber die Zubereitung des Selenitmörtels finden sich in den verschiedenen
QuellenScientific American, August und December
1871;Engineer, December 1871;Engineering and Mining Journal, Januar 1871 nur sehr kurze, aber doch das Wesentliche enthaltende Angaben: Man setzt dem
Wasser zuerst den Gyps zu und nach gehöriger Mischung beider den Kalk und
verarbeitet ihn mit dem Gypswasser unter der Mörtelmühle zu einem gleichmäßigen
dicklichen Schlamm (to a creamy paste) 3 bis 4 Minuten
lang; zuletzt incorporirt man den Sand ebenfalls in der Mörtelmühle 10 Minuten lang.
Für Mörtelgüsse, sogenannte Concrete z.B. fügt man zu dem
gegypsten Kalk neben Sand noch Thon und Grand.
Anstatt Gyps kann nach G. Scott auch eine entsprechende
Quantität Schwefelsäure, Eisenvitriol oder ein ähnliches Sulfat genommen werden, was
natürlich immer auf dasselbe, nämlich auf die Bildung von schwefelsaurem Kalk
hinausläuft. Wir sind um so lieber auf eine wissenschaftliche Untersuchung dieser so
merkwürdigen und praktisch wichtigen Wirkung des schwefelsauren Kalkes auf den
gebrannten KalkEs verdient angemerkt zu werden, daß Hr. F. Schwärzler, Bijouterie-Fabrikant in Bregenz, schon im Jahr
1865, also vor G. Scott, auf diese Wirkung des
Gypses gegen Kalk auf nassem Wege gekommen ist. Es geschah dieß bei
Gelegenheit von unveröffentlicht gebliebenen Versuchen künstliche
lithographische Steine zumachen. (von der Prof. Abel a. a. D. sagt, sie sey
„worth the investigation of engineers and
chemists“ eingegangen, als wir uns schon mit dem Scott'schen Cement älteren Datums beschäftigt haben und
durch die Untersuchung vielleicht die Aufmerksamkeit der deutschen Architekten auf
den Gegenstand gelenkt wird, den sie wie es scheint bis jetzt wenig beachtet
haben.
Vorher ist noch die für die Erklärung der Erscheinung bedeutungsvolle, von den
englischen Ingenieuren gemachte Beobachtung hervorzuheben, daß diejenigen Kalke die
sich bei der gewöhnlichen herkömmlichen Behandlung schlecht und träge löschen und so
mager verhalten, daß sie an der Grenze der Brauchbarkeit stehen, – gerade die
geeignetsten für den Selenitmörtel sind.
Zunächst handelt es sich um Feststellung der Erscheinung selbst, welche Gyps auf zu
löschenden Kalt hervorbringt.
Gebrannter weißer Marmor, der sich in Wasser geworfen augenblicklich mit zischendem
Geräusch wie eine glühende Kohle löscht, mit Gypslösung übergossen, verhielt sich
ebenso wie gegen Wasser, es trat weder Verzögerung des Löschens, noch Minderung der
Wärmeentwickelung ein.
Um so entschiedener war die Wirkung auf den Kalk wie er hier in Braunschweig zum
Mauern dient, aus dem Muschelkalk von Elm.Eine waldige Höhe in der Nähe. Er sieht im gebrannten Zustand dunkel braungelb aus, ist hart, schwer zu
brechen und hinterläßt mit verdünnter Säure gelöst nur einen äußerst unbedeutenden
Rückstand. In Wasser gelegt löscht er sich auffallend langsam, bildet aber einen
ziemlich fetten weißen Sumpfkalk. Das träge Löschen rührt von einem Gehalt des
Kalksteines an Kieselerdeverbindungen und sehr starkem Brennen her. Ein Brocken von
diesem Kalke wurde in zwei gleiche Haselnuß große Stücke gebrochen, das eine mit
destillirtem Wasser, das andere mit gesättigter Gypslösung übergossen, beide in
großem Ueberschuß. Das Stück in destillirtem Wasser kam nach 49 Minuten zum Löschen
und zerfiel in einen weißen zarten fetten Brei; die Hälfte in Gypslösung zeigte erst
nach 74 Minuten einige Regung; sie zerklüftete unter kaum fühlbarer
Wärmeentwickelung langsam und unter Bildung von wenig Schlamm in kleine kantige
Brocken, die beim Zerreiben noch Widerstand boten. Die bröckliche Masse hatte,
nachdem alles in Ruhe gekommen, ganz die braungelbe Farbe des gebrannten Kalkes
behalten. Man konnte den Vorgang nicht mehr Löschen nennen, in dem Sinne den der
Maurer damit verbindet. – Als man den braungelben Kalk, um ihn möglichst fein
zertheilt zu erhalten, mit Wasser zu zartem Brei löschte, den Brei trocknete und bei
dunkler Rothgluth entwässerte, verhielt er sich ganz wie gebrannter Marmor gegen
Wasser und Gypslösung, d.h. er löschte sich augenblicklich zu fettem Kalkbrei.
Derselbe gelbbraune Kalk auf's Feinste zerrieben und mit 3 Proc. gebranntem Gyps
gemischt, wurde mit dem erforderlichen Zusatz von Wasser zu 2 Centimet. starken
Kugeln geformt. Die Kugeln singen nach 5 Minuten an sich zu erwärmen und erhitzten
sich alsbald so stark, daß sie unter Ausstoßen von Wasserdampf zu einem gröblichen
Mehl zerfielen. Legte man die Kugeln jedoch, so bald sie anfingen warm zu werden, in
einen Strom von kaltem Wasser, so wurden sie nach kurzer Zeit fest und erhärteten
– also bei fast gänzlichem Abschluß von Kohlensäure – binnen einer
Stunde so, daß sie beim Anschlagen bereits einen hellen Ton gaben.
Ein vergleichender Versuch mit Stuccaturgyps, mit todtgebranntem und ungebranntem
Gyps (je 5 Grm. mit 100 Grm. gebranntem Kalk von Elm und
60 Grm. Wasser) ergab völlig gleiche Resultate. Der Zustand des Gypses ist mithin
für seine Wirkung auf den Kalk gleichgültig und ohne Einfluß, der ungebrannte wirkt ganz ebenso wie
der gebrannte.
In den vorhergehenden Versuchen war der Zusatz von Gyps nach den ungefähren Angaben
(a. d. a. O.) gegriffen; es handelte sich noch um die genauere Bestimmung der
Grenzverhältnisse, unter deren Wirkung die Wirkung des Gypses möglich ist, sowie des
Verhältnisses bei welchem sie ihren Höhepunkt erreicht. Zu dem Ende stellte man 14
verschiedene Mischungen von gebranntem Kalk vom Elm her mit gepulvertem Marienglas,
in steigenden Quantitäten. Jede Mischung im Gewicht von 20 Grm. mit 12 K. C. Wasser
angemacht, wurde mit dem Eintritt eben wahrnehmbarer Erwärmung in einen Strom von
kaltem Wasser eingelegt. Folgende sind die Ergebnisse:
Textabbildung Bd. 209, S. 35
Ordnungs-Nummern; Gehalt der
Mischung an Gyps; Erwärmung trat ein nach; Verhalten im Wasser; Proc.; kaum 5
Minuten; wenig später; Minuten; löschte zu Brei; Brei mit Krusten außen;
erhärten sämmtlich; zerfiel; blieben Brei
Die Proben Nr. 1 bis 6 inclusive blieben im Wasser nach fünf Tagen gleich hart und
unverändert. Die folgenden Nr. 7 bis 11 incl. waren mit steigendem Gypsgehalt immer
weicher. Wie man sieht, sind 1 1/2 Proc. Gyps vollkommen genügend und entsprechen 2
Proc. schon dem Höhepunkt der Wirkung.
Wie leicht vorauszusehen, ist der Grad der Zertheilung des Kalkes nicht ohne Einfluß,
wie folgender Versuch erweist. Drei ganz gleiche Proben aus 10 Grm. Eimer Kalk mit
1,5 Centigrm. gepulvertem Marienglas und der erforderlichen Menge Wasser angemacht,
unterschieden sich lediglich in der Feinheit des Kalkes. Die erste Probe enthielt
ihn grob zerrieben, die zweite mittelfein, die dritte staubfein. Die erste Probe zog
beim Erhärten Risse, und zeigte auf dem Bruche einzelne zu Brei gelöschte Körner, die beiden anderen
Proben blieben frei von Rissen, aber die dritte, mit staubfeinem Kalk, erlangte
größere Festigkeit als die zweite.
Die Erscheinungen dieser Versuchsreihe waren nicht hervorzurufen, wenn man den Zusatz
von Gyps wegließ und statt dessen den Kalk mit bloßer Gypslösung anmachte.
Es sind nun folgende Thatsachen mit den bis dahin angeführten Versuchen
festgestellt:
Auf Kalk, der sich im Wasser augenblicklich ablöscht, hat der Gyps keinen Einfluß.
Bei langsam löschenden Kalken dagegen, die dem Einfluß des Gypses Zeit lassen,
verzögert derselbe das Löschen beträchtlich, bis zum Erlahmen der dabei auftretenden
Erscheinungen, sowohl des Aufschwellens als der Wärmeentwickelung. Soweit geht schon
die Wirkung einer gesättigten Gypslösung. Bei Zusatz von mehr Gyps als das zum
Anmachen des Kalkes nothwendige Wasser zu lösen vermag, knüpft sich an die
Abschwächung des Löschens noch eine zweite Erscheinung, nämlich die Fähigkeit des
Kalkes zu erhärten und zwar in einer Weise die dem wie gewöhnlich gelöschten Kalk
nicht zukommt, nämlich hydraulisch d. i. mit Ausschluß der Kohlensäure unter dem
bloßen Einfluß des Wassers. Die Erhärtung erfolgt schon vollkommen bei Zusatz von
1,5 Gew. Th. Gyps auf 100 Gew. Th. Kalk und wird durch Vermehrung des Zusatzes nicht
weiter erhöht. Die bindende Kraft, welche der Kalk dabei erlangt, ist so
beträchtlich, daß sie selbst durch einen sehr starken Ueberschuß von ungebranntem
Gyps – nach der Tabelle S. 35 Nr. 10 und 11 bis 50 und 75 Proc. des Kalkes
– noch nicht aufgehoben wird. Der Ueberschuß von Gyps ist hier ein bloßer
todter Ballast (wie Sand u. dgl.), von dem der Kalk in Versuch Nr. 10 sein gleiches,
in Versuch Nr. 11 mehr als sein 3faches Gewicht gebunden hat. Mit dem Eintreten der
Erhärtung, also mit dem ersten Abbinden, tritt noch fühlbare Erwärmung ein. Bei
dickeren Massen, zolldicken Kugeln oder zollstarken Platten, steigt die Erwärmung
immerhin bis zur Dampfbildung im Inneren und in Folge dessen zum Zerfallen in Körner
und Mehl. Durch Einlegen der Masse in kaltes Wasser nach dem Beginn des Abbindens
wird die Dampfbildung durch Zerstreuung der Wärme und der Guß am Zerfallen
gehindert. Besonders dünne Güsse oder kleinere Stücke behalten ihren Zusammenhang
auch ohne Abkühlen durch Wasser.
Die nächste Frage zur Aufklärung des Verhaltens von Kalk und Gyps im Selenitmörtel
war die: wird der Gyps von Kalk irgend wie aufgenommen und gebunden? Die folgenden
Versuche geben entscheidende Antwort auf die Frage. Sie stützen sich auf die zuletzt
mitgetheilte Erfahrung mit dünnen Güssen (zum Zwecke hinreichender Zerstreuung der Wärme) da es für die
Sicherheit des Erfolges natürlich wünschenswerth war den Kalk in eine compacte
leicht zu behandelnde Masse zu verwandeln.
Man breitete zerriebenen Kalk (vom Elm) in der Dicke eines starken Messerrückens auf
Löschpapier aus, legte ein zweites Löschpapier darüber und salzte die Ränder um, so
daß ein flaches Säckchen entstand wie zu Kräuterumschlägen. Die Seichtheit der
Kalklage sicherte die rasche Zerstreuung der Wärme, sowie die vollkommene
Durchdringung mit Flüssigkeit. Solche Säckchen hing man nun in einer gesättigten
Gypslösung auf, in welcher zerriebener Gyps bis zur schwach milchigen Beschaffenheit
suspendirt war. Nach einiger Zeit trat schwache eben fühlbare Erwärmung ein, das
milchige Gypswasser verlor sichtlich an Trübheit, und das Kalkmehl fand sich zuletzt
zu einer dünnen ziemlich festen klingenden Platte zusammengewachsen, die beim
Brechen mit Hellem Ton knackte und die gelbbraune Farbe des ursprünglichen Kalkes,
nur wenig lichter, besaß. Ganz so verhielten sich die Dinge beim Einhängen des
Kalksäckchens in filtrirte klare gesättigte Gypslösung, wenn das Gefäß geräumig
genug, also hinreichend Gypslösung vorhanden war.
Die Analyse solcher Kalkplatten (24 Stunden in der Gypslösung gelassen, dann
herausgenommen und äußerlich zwischen Fließpapier getrocknet) lehrte, daß bei der
Erhärtung der Kalk schwefelsauren Kalk aufgenommen und die Lösung solchen verloren
hatte. Ein Versuch mit filtrirter gesättigter Gypslösung ergab nämlich:
500 K. C.
Kalksulfat
I. Gypslösung
vor
dem
Versuch
gaben
0,9996 Grm.
„
nach
„
„
„
0,9412 „
–––––––––––
Verlust der Lösung
0,0584 Grm.
Der Kalk, wie er zum Versuch gedient, ist an sich nicht frei von Schwefelsäure,
denn
II. 3,340 Grm. gaben 0,054 Barytsulfat. Der
erhärtete Kalk, aus der Gypslösung
genommen und getrocknet enthielt mehr, denn
III. 3,955 Grm. davon lieferten
0,090 Barytsulfat
davon kommen (nach II) auf
eigenen Gehalt
0,064 „
auf Rechnung des
aufgenommenen Kalkes daher
0,026 „
entsprechend 0,0155 Grm. Kalksulfat oder 0,392 Proc.
Dieses ist möglicherweise kein reines Resultat, denn die Kalkplatte war beim
Herausnehmen mit Flüssigkeit durchtränkt, die vielleicht noch Gyps gelöst enthielt,
den man in Abzug zu bringen hat.
Die aus der Lösung herausgenommene Kalkplatte (etwa 20 Grm. im Gewicht) hatte 47,45
Proc. Wasser verloren; auf die untersuchte Menge Kalk = 3,955 Grm. kommen also 1,877 Grm. Wasser.
Nimmt man den äußersten aber sehr unwahrscheinlichen Fall an, das in der Platte
enthaltene Wasser sey am Schluß des Versuches noch gesättigt gewesen, so würden jene
1,877 Grm. Wasser (nach I) enthalten 0,0037 Kalksulfat.
Es waren (nach III) im Kalk gefunden
0,0155 Grm.
davon ab in der Lösung enthalten
0,0037 Grm.
––––––––––
bleiben im geringsten Fall aufgenommen
0,0118 Grm.
Kalksulfat, entsprechend 0,297 Proc.
Zweiter Versuch mit Gypsmilch in sonst gleicher Behandlung:
2,193 Grm. erhärteter
getrockneter Kalk lieferten
0,059 Grm. Barytsulfat;
abgezogen davon
0,0355 „ „
aus dem Kalk an sich,
––––––––––––––––
bleiben
0,0235 Grm. Barytsulfat
durch Aufnahme,
entsprechend 0,0137 Grm. Kalksulfat auf 2,193 Grm. Kalk.
Nach dem Trockenverlust des erhärteten Kalkes = 46,79 Proc. kommen auf 2,193 Grm.
Kalk 1,03 Grm. Wasser (als gesättigte Lösung angenommen) mit 0,0021 Grm. Kalksulfat.
Es waren daher im geringsten Fall aufgenommen 0,0137 minus 0,0021 = 0,0116 Grm. Kalksulfat, entsprechend 0,529 Proc.
In gesättigte Gypslösung eingetragener gepulverter Kalk vom Elm behielt nach der
Reaction d.h. nach eingetretener Erwärmung und starker Volumvermehrung seine
braungelbe Farbe bei und gab auf einem Filter ausgewaschen fortwährend Reaction auf
Chlorbarium. Durch fortgesetztes Auswaschen konnte ihm alles Kalksulfat vollständig
wieder entzogen werden.
Das empirische Ergebniß der aufgeführten Versuche schließt sich nun in folgenden
Thatsachen zusammen:
Der gebrannte Kalk entzieht der Gypslösung – unter mäßiger Erwärmung,
Zusammenhang seiner Theile mit ziemlicher Erhärtung und Beibehaltung seiner Farbe
– einige Tausendel seines Gewichtes an Kalksulfat; die Menge des
aufgenommenen Kalksulfates steigt und fällt mit dem Vorrath an Kalksulfat in der
umgebenden Flüssigkeit: sie betrug bei Gypsmilch 1,8mal soviel, als bei Anwendung
bloßer gesättigter Gypslösung; der Kalk gibt endlich das aufgenommene Sulfat an
einen Ueberschuß von Wasser wieder vollständig ab. Der Kalk erschöpft die Gypslösung
bei weitem nicht, er entzieht vielmehr von dem darin vorhandenen Kalksulfat nur
einen sehr kleinen Theil, nach (I) aus der gesättigten
filtrirten Lösung von 100 Gew. Theilen Sulfat nur 6 Proc., während 94 Proc. gelöst
blieben. Der geringe Betrag des vom Kalt aufgenommenen Sulfates ist demnach in keiner
Weise eine Folge von Mangel an solchem in der umgebenden Lösung, sondern in der
Natur der Erscheinung selbst begründet.
Die durch den Versuch gegebenen Thatsachen gleichen einer chemischen Verbindung, etwa
der Bildung von einem basischen Kalksulfat, so wenig wie möglich. Schon das
Schwanken der Menge des aufgenommenen Kalksulfates je nach dem Gehalt der Lösung
spricht entschieden dagegen, nicht minder der geringfügige Betrag. In der That
beträgt das aus filtrirter gesättigter Gypslösung aufgenommene Kalksulfat nur 1/830
Atom, bei Gypsmilch 1/450 Atom des Kalkes; auch wenn man den gesammten Gehalt des
erhärteten Kalkes an Kalksulfat (ursprünglich vorhanden und aufgenommen) in Rechnung
nimmt, so kommt immer nur 1/176 Atom heraus.Gegenüber diesem Mißverhältniß einer vermutheten chemischen Wirkung des
Gypses hat man gelegentlich (in den englischen Berichten über den Selenitic mortar) der Vorstellung Raum gegeben,
die kleine Menge aufgenommenen Gypses äußere zuerst ihre chemische Wirkung
an den oberflächlichen Schichten des Kalkes, sie wandere nach vollbrachter
Wirkung auf die nächste tiefere Schichte, mache auch auf diese ihren
chemischen Einfluß geltend, und so fort bis in den Mittelpunkt. Diese Idee,
wornach die Wirkung des Gypses in einer Art von Cementation zu suchen wäre,
finde: keinen Boden in den Versuchen.
Um so ausgeprägter haben dagegen die Erscheinungen den Charakter eines physikalischen
Vorganges, einer Absorption durch Flächenanziehung. Der Mangel eines irgend
annehmbaren Atomverhältnisses, die kleine und schwankende Menge des Gypses,
namentlich aber ihre Abhängigkeit von der Concentration der Lösung, d.h. dem
jeweiligen Verhältniß von Wasser und Kalk sind ebenso viele Beweise, daß man mit
derselben Absorptionskraft hier zu thun hat, die eine so große Rolle in der
Beziehung des Ackerbodens zu Salzlösungen spielt, die das Auswaschen von
Niederschlägen so sehr erschwert und in tausend anderen Fällen sich geltend
macht.
Während man von der chemischen Affinität aus nur schwerer begreift, warum der Gyps
auf den kräftigsten Kalk gar nicht, auf den schwach löschenden stark einwirkt, steht
diese scheinbare Anomalie bei den Absorptionserscheinungen durch Flächenanziehung
als eine natürliche Consequenz da. Die Flächenanziehung kann nur allmählich wirken,
nicht plötzlich; der Kalk welcher den Gyps auf sich verdichtet, wie die spinnbare
Faser den Farbstoff, kann sich nur in dem Maaße damit sättigen als immer neue
Antheile der Lösung an ihn herankommen; er bedarf dazu Zeit, nicht Secunden, sondern
Minuten. Ein hitzigerer Kalk löscht sich augenblicklich mit dem Wasser ehe er Zeit
findet zur Absorption des Gypses; ein matter Kalk dagegen hat reichlich dazu Zeit, ehe die Erscheinungen des
Löschens sich geltend machen.
In allen Fällen der Absorption durch Flächenanziehung befindet sich der leidende
Körper (hier der Gyps) zwischen zwei entgegengesetzten physikalischen Thätigkeiten;
zwischen einem festen Körper der ihn auf sich niederzuschlagen (hier der Kalk) und
einer Flüssigkeit (hier das Wasser) welche ihn in Lösung zu halten strebt. Die Größe
der wirksamen Oberfläche des festen Körpers bestimmt die niederschlagende Kraft
dieses; für die Flüssigkeit ist ihre Quantität das Maaß der lösenden Kraft. Jeder
von den widerstreitenden Theilen macht sein Recht nach Maßgabe dieser Bedingungen
geltend, es wird jederzeit der leidende Körper zum Theil niedergeschlagen, zum Theil
gelöst bleiben; die Dinge ordnen sich zu einem labilen Gleichgewicht. Nur wenn der
feste Körper weit überwiegt wird die Quantität des Gelöstbleibenden verschwindend
klein, ebenso bei einem großen Ueberschuß des Lösungsmittels, die Quantität des
Niedergeschlagenen. Wenn der absorbirende Körper unter ihm günstigen Verhältnissen
zur Sättigung gekommen ist und das Lösungsmittel wird nachträglich vermehrt (wie
beim Auswaschen), so muß er von dem Aufgenommenen entsprechend wieder hergeben, bei
dauernder Vermehrung oder Erneuerung des Lösungsmittels bis zur Erschöpfung. In
völliger Uebereinstimmung mit diesen Gesetzen steht das Verhalten des gebrannten
Kalkes zur Gypslösung, er absorbirt soviel, als ihm die lösende Kraft des Wassers
zugesteht und gibt nach Umständen das Aufgenommene wieder ab durch Auswaschen. Ist,
wie bei dem Selenitmörtel neben der Gypslösung noch überschüssiger Gyps vorhanden,
so wird diese Lösung was sie an den Kalk verliert wieder aufnehmen, die
Concentration der Lösung ergänzt sich und indem sie dieses thut bietet sie dem Kalk
keinen steigenden Widerstand, wie die bloße Lösung, sie gestattet dem Kalk
vollständiger seine Physikalische Anziehung zum Gyps zu befriedigen. Die Anziehung
kommt in diesem Falle zum Abschluß, nicht dadurch daß die lösende Kraft des
vorhandenen Wassers ihr das Gleichgewicht hält, sondern dadurch daß die gesammte
Oberfläche aller Kalktheilchen durch den niedergeschlagenen Gyps in den Zustand der
Unwirksamkeit versetzt wird. Der Ausgangspunkt der eigenthümlichen Wirkung des
Gypses ist, wie man sieht, die Flächenanziehung des Kalkes; indem sie sich
bethätigt, überzieht sich der Kalk in allen seinen Theilen mit Gyps und zwar mit
Gyps der eben aus Gründen seiner Niederschlagung in der umgebenden Flüssigkeit
gänzlich unlöslich ist. Die Theilchen des Kaltes sind unter diesen Umständen wie mit
einem Firniß überzogen; aber einem Firniß der den Zutritt des Wassers zu dem
eingeschlossenen Kalk zwar bedeutend erschwert, jedoch ohne ihn, wie die Natur des Gypses dieß
mit sich bringt, gänzlich abzuschneiden. Unter dieser Bedingung erfolgt nun der
zweite Act des Vorganges, macht sich die Affinität des Kalkes zum Wasser geltend,
tritt die Bildung von Kalkhydrat ein. Das wesentliche dabei ist, daß sie in Folge
der beschränkten Berührung zwischen Kalk und Wasser sich nur allmählich und langsam
vollziehen kann. Diese verlangsamte Bindung des Wassers hat ihr Spiegelbild in einer
entsprechend verlangsamten Entbindung der freiwerdenden Wärme. In der That wird die
Wärme nur so allmählich frei, daß der größte Theil in derselben Zeit zerstreut wird;
es kommt zu einer noch fühlbareren Wärmeentwickelung, die aber zu einer stürmischen
Dampfbildung des eingesaugten Wassers entfernt nicht zureicht. Der Kalk wird zu
Hydrat, aber ohne sich dabei, im Sinn des Maurers, zu löschen.
Gebrannter Kalk, so langsam Hydratwasser aufnehmend, daß keine Dampfbildung dabei
möglich ist, verhält sich hydraulisch, wie denn auch im Einklang mit bei früheren
Gelegenheiten geführten NachweisenPolytechn. Journal 1871, Bd. CCII S. 523. in den oben mitgetheilten Versuchen geschehen, wo der Kalk ohne irgend
Mitwirkung von Kohlensäure zu festen klingenden Platten erstarrt. Damit ist die
Erklärung des Verhaltens des Selenitmörtels bei ihrem Hauptschluß angelangt:
der gewöhnliche fettlöschende Kalk wird durch Absorption des
gelösten Gypses auf dem Wege der Flächenanziehung hydraulisch,
mit der Einschränkung jedoch, daß der Kalk hinreichend langsam
löscht, um der Flächenanziehung Zeit zu gewähren; wie denn auch die englischen
Berichte betonen, daß der zu Luftmörtel schlechteste träge löschende Kalk gerade für
den Selenitmörtel der beste sey. Ein Selenitmörtel in der nachher zu beschreibenden
Weise aus Elmkalk und viel Sand dargestellt, frisch unter eine mit Natronlauge
abgesperrte Glocke gebracht, wo er also weder austrocknen, noch Kohlensäure anziehen
konnte, band ebenso und in derselben Zeit ab, wie die gleichnamigen Proben in der
Luft. Mörtel aus demselben Kalk zu Brei gelöscht, wie ihn die Maurer machen, thut
dieß bekanntlich nicht. Während bei der Erhärtung des Luftmörtels nur ein wesentliches Moment thätig ist, die Anziehung der
Kohlensäure, beruht die Erhärtung des Selenitmörtels auf zwei Hauptmomenten: auf der Hydraulicität des Kalkes und auf der
nachfolgenden Anziehung von Kohlensäure. Es liegt auf der Hand, daß die bindende
Kraft des mit Gyps behandelten Kalkes aus diesem Grunde weiter reicht, als die des bloßen Luftkalkes.
Neben und mit diesen Hauptmomenten üben aber auch gewisse secundäre einen ganz
besonderen Einfluß.
Ein ganz träge löschender Kalk, wie der zu den Versuchen gebrauchte vom Elm, in
Stücken mit Gypslösung übergossen, zerfällt lediglich in Körner. Als feinzerriebenes
Pulver mit Gypslösung übergossen, bildet er einen dünnen wässerigen Schlamm, der
nach einer Viertelstunde nachdickt, eine starke Rahmconsistenz annimmt. Sie
bezeichnet den Punkt, wo sich die hydraulische Eigenschaft eben beginnt geltend zu
machen. In diesem Zustande ist der Kalk immerhin so fein zertheilt, daß man zwischen
den Fingerspitzen nicht mehr das geringste Korn fühlt, – aber keineswegs fein
genug, um einen weißen Kalkbrei zu bilden, er behält unverändert die gelbbraune
Farbe. Darin liegt der schärfste Beweis, daß solcher mit Gyps behandelte Kalk
niemals jenen äußersten Grad der Zertheilung annimmt, wie beim gewöhnlichen Löschen
im Wasser.
Eben darauf, auf den richtigen Grad der Zertheilung kommt es nun an: der Kalk zu
Selenitmörtel muß einen zarten Schlamm bilden, aber nicht bis zu dem Grade wie der
in Wasser gelöschte. Der zu weißem Brei gelöschte Kalk ist natürlich leichter als
jeder andere in einem großen Zusatz von Sand zu vertheilen, aber er hat bei der zu
weit gehenden Feinheit der Partikeln und ihrer sperrigen Lage nicht mehr Körper
genug, um die Sandkörner zu verkitten; seine Theilchen sind zu lose und locker, um
nach dem Verdunsten des Wassers einen hinreichend derben Verband in den
Zwischenräumen der Sandkörner zu hinterlassen. Im Gegensatz dazu steht der gelbe
Kalkbrei mittelst Gypslösung bereitet; er ist oben noch hinreichend fein um sich
auch in einem sehr starken Zusatz von Sand noch vollkommnen und gleichmäßig zu
vertheilen, während er doch Körper genug besitzt, um die Sandkörner fest zu
verkitten. Bei dem gelben Kalke findet diese Verkittung sofort durch hydraulische
Bindung statt; bei dem weißen Kalkbrei kann sie erst spät, erst nach und nach mit
dem Austrocknen und Anziehen der Kohlensäure erfolgen.
Gewiß gibt es kein besseres Mittel, um einem kalkhaltigen Mörtel Festigkeit und Härte
zu geben, als die Aufnahme von Kohlensäure, aber ihre Wirkung ist nur allzu abhängig
von der Dichte des Kalkhydrates, welches sie in Carbonat umwandeln soll. Künstliche
Steine, wie man sie gegenwärtig aus viel Sand und wenig Kalk fabricirt, nehmen eine
große Härte und Festigkeit an, aber sie werden auch in Formen geschlagen oder
gepreßt, also die Kalkeinlagerung zwischen den Sandkörnern gedichtet. Ohne die
vorhergegangene Pressung ist die Wirkung der Kohlensäure matt und unvollkommen. Den
Unterschied in der Dichte des mit Gypslösung behandelten Kalkes und des wie
gewöhnlich gelöschten Kalkes,Auf diesen Unterschied, als einen wesentlichen Punkt hat schon Abel in seinem Berichte (Engineer vom 13. September 1872) klar und bestimmt hingewiesen, wo
es am Schlusse heißt: die größere Festigkeit des Selenitmörtels
„is probably in great measure, if
noth wholly, due to the greater density of the selenitic compound.
In the act of slacking grey lime for instance doubles its volume and
its hydrated paste has double the bulk of a mixture of selenitic
lime and water.“ Wie oben nachgewiesen, ist die
Dichte des letzteren noch mehr als das Doppelte. veranschaulicht am besten der Vergleich des Volums mit dem Gewichte. Der
gelöschte Kalk gibt nach dem Trocknen eine durch bloße Adhäsion der Theilchen, der
mit Gyps behandelte Kalk eine durch hydraulische Bindung zusammenhängende Masse.
Indem man aus jeder dieser trockenen Massen einen regelmäßigen geradflächigen Körper
schnitt, konnte man den Inhalt bequem messen und mit dem Gewichte vergleichen. So
ergab sich
Das zugeschnittene Stück
Behandelt mit
enthielt:
wog:
a) Wasser
0,408 K. C.
0,232 Grm.
b) Gypslösung
0,240 K. C.
0,338 Grm.
Es wiegt mithin 1 Kub. Cent. Kalkmasse
a) 0,569 Grm., b) 1,408
Grm.
oder der letztere (mit Gyps behandelte) 2,48 mal mehr als der
erstere. Dieser Unterschied ist lediglich ein Ausdruck des lockeren Gefüges; bei a sind die Zwischenräume der Kalktheilchen so viel
größer, sonst nichts. Denn das spec. Gewicht der zu Pulver zerriebenen Kalkmassen
ist wenig verschieden, bei a) 2,6, bei b) 2,5Durch Wiegen in Alkohol bestimmt. also im Grunde gleich und nur durch mehr oder weniger aufgenommene
Kohlensäure, ungleiche Benetzbarkeit etwas abweichend gefunden.
Die Ueberlegenheit des Selenitmörtels hat nach den mitgetheilten Beobachtungen nichts
Auffallendes. Ebenso einleuchtend sind die praktischen Winke in den verschiedenen
Berichten. Die Wahl des Kalkes, der sich nicht rasch löschen darf, scheint die
Hauptsache. Für die Zubereitung dürfte das Mischen von Hand mit der Krücke in den
wenigsten Fällen genügen, die Mörtelmühle kaum entbehrlich seyn. Nur über die Frage,
wie viel Sand der mit Gyps behandelte Kalk wirklich zu binden vermag, wie viel Sand
ihm zweckmäßig zuzusetzen sey, sind die Angaben der englischen Quellen viel zu
unbestimmt. Die darin gebrauchten Ausdrücke „parts“ und „measures“ ohne nähere Erklärung geben keinen festen
Anhaltspunkt für das Verhältniß von Kalk zu Sand, vor allen Dingen schon darum nicht
weil man nicht ersieht in welchem Zustande der Kalk gemeint ist. Eben darauf kommt
aber Alles an, und die Unbestimmtheit der englischen Angaben ist geradezu verwirrend, weil sie
dem sehr verschiedenen Verhalten des Kalkes keine Rechnung trägt, je nachdem man
Gyps beim Löschen zusetzt oder nicht. Versuche über die beste Vorschrift zu
Selenitmörtel und seinen Werth gegenüber dem Luftmörtel, gehören zwar mehr auf den
Bauplatz als in das chemische Laboratorium, doch werden folgende Thatsachen den
Praktikern als Grundlage für Versuche wohl nicht unwillkommen seyn.
In der Praxis bestimmt sich herkömmlicherweise der Versatz des Mörtels mit Sand nach
Raumtheilen des zu Brei gelöschten Kalkes. Nun gibt aber dieselbe Gewichtsmenge
gebrannter Kalk sehr ungleiche Volume Kalkbrei, je nachdem der Kalk mit oder ohne
Gyps gelöscht wird. Der mehrerwähnte gelbbraune Kalk vom Elm, der als Beispiel
hierfür dienen mag, wie gewöhnlich mit bloßem Wasser gelöscht (a) gibt sehr nahe das gleiche Volum steifen, eben nicht
mehr flüssigen weißen Breies, wie der eingesumpfte Kalk der Maurer; mit Gyps wohl
zusammengerieben und mit Gypslösung angemacht ein weit geringeres Volum gelben Brei
und zwar am wenigsten bei eben zureichender Menge der Flüssigkeit (b), etwas mehr bei Ueberschuß von Flüssigkeit (c). Es gaben in der That 100 Gramme gebrannter Kalk vom
Elm
a) mit 300 K. C. destillirtem
Wasser
320 K. C.
b) mit 200 K. C.
Gypslösung
165 K. C.
c) mit Ueberschuß von
Gypslösung
240 K. C.
steifen Brei. Oder was dasselbe besagt, 100 Kub. Centim.
Kalkbrei entsprechen nach
a.
b.
c
31,2 Grm.
60,6 Grm.
41,7 Grm.
trockenem gebranntem Kalk. Man kommt demnach, was Verbrauch
oder Ersparniß an Kalt anbelangt, zu ganz falschen Schlüssen, wenn man den Verbrauch
an Kalk lediglich nach den Volumen Sand bemißt, die 1 Volumen Kalkbrei der einen
oder anderen Art bindet. Gesetzt, der mit Wasser gelöschte Kalk (a) hätte in einem Versuch 2 Volumina, der mit Gyps
behandelte (c) 4 Volumina Sand gebunden, so hat man in
dem ersten Fall nicht etwa doppelt so viel, sondern nur anderthalbmal so viel Kalk
gebraucht, als im letzteren, wie sogleich in die Augen springt, wenn man statt des
Volums Kalkbrei sein Aequivalent an gebranntem Kalk setzt; denn ein und dasselbe
Volum Kalkbrei (a) entspricht 31,2 Gew. Th. und Kalkbrei
(c) 41,7 Gewichtstheilen gebranntem Kalk; es verhält
sich der Verbrauch an Kalk also bei (c) wie 41,7 Gew.
Th. zu 4 Volumen Sand,
oder 41,7/2 = 20,8 Gew. Th. zu 2 Volumen. Um gleichviel, nämlich 2 Raumtheile Sand
zu binden, sind mit einem Worte verbraucht: bei (a) 31,2
bei (c) 20,8 Gew. Th. Kalk oder bei (a) 1/2 mal mehr, nicht doppelt so viel. – Nach
Versuchen im Kleinen bindet der gelbe Kalk zu Selenitmörtel angemacht auf 1 Volum
Brei 4 bis 5 Volume feinen Sand noch gut, besser wenn ein Theil des Sandes
grobkörnig ist oder durch Grand ersetzt wird. Selbstverständlich spricht die Natur
des Kalkes und die Beschaffenheit des Sandes sehr wesentlich dabei mit und sind die
besten Verhältnisse für den concreten Fall jedesmal besonders zu ermitteln.
Allgemein und jederzeit geltende Bedingungen sind aber: langsam löschender Kalk,
längere Einwirkung des Gypses vor dem Zusatz des Sandes und längere Einwirkung der
Feuchtigkeit. Wie schon erwähnt, binden alle Selenitmörtel auch unter einer mit
Wasser gesperrten Glocke ab, aber ihre eigentliche Festigkeit erhalten sie erst mit
Aufnahme von Kohlensäure.
Schließlich mag noch darauf hingewiesen werden, daß das Verhalten des mit Gyps
behandelten Kalkes auch die Erklärung einer längst bekannten auf den ersten Anlauf
aber etwas paradoxen Erscheinung enthält, der Erscheinung nämlich, daß manche Kalke
augenblicklich, andere nach Minuten und Viertelstunden erst im Wasser zum Löschen
kommen. Sehr reine Kalke, wie die aus Marmor, auch bei noch so hoher Temperatur
gebrannt, löschen sich sofort; nur wenn fremde Gemengtheile vorhanden sind, findet
Verzögerung des Löschens statt, indem diese Beimengungen ähnlich wie Gyps wirken.
Bei sehr langsam löschenden Kalken läßt sich oft beobachten, daß sie zerrieben und
mit nicht zu viel Wasser versetzt, erst hydraulisch abbinden und nachträglich wieder
zerfallen und sich löschen.