Titel: | Stewart und Nicholson's Dampfmaschinensystem mit continuirlicher Expansion. |
Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. LXVI., S. 265 |
Download: | XML |
LXVI.
Stewart und Nicholson's Dampfmaschinensystem mit continuirlicher
Expansion.
Nach Engineering Juni
1869, S. 367.
Mit Abbildungen auf Tab.
VI.
Stewart und Nicholson's Dampfmaschinensystem mit continuirlicher
Expansion.
Vor etwa 15 Jahren führte der Engländer John Nicholson das
System der Expansionswirkung bei Dampfmaschinen ein, welches er mit dem Namen der
„continuirlichen Expansion“ (continuous expansion) bezeichnete und das in der Anwendung zweier Cylinder
besteht, deren Kolbenstangen mit zwei unter einem rechten Winkel an derselben Welle
verstellten Kurbeln verbunden sind. Der Dampf expandirt aus dem ersten Cylinder in
den zweiten, ohne daß eine zwischen beiden liegende Dampfkammer benutzt wird.
Dieses System wurde zuerst an einer Locomotive der Great Eastern-, dann der
Eastern-Counties-Eisenbahn versucht und darauf wurden von der Firma
Hunt in Bow sechs Maschinen nach dem Nicholson'schen Plane gebaut; diese dürften sich noch im
Betriebe befinden.
Indeß fand diese Erfindung trotz des guten Erfolges der Maschinen nicht jene
Beachtung, welche sie verdiente, wozu mehrere zufällige, aber von dieser
Construction unabhängige Uebelstände beigetragen haben mochten. Jetzt hat Nicholson in Gemeinschaft mit dem bekannten
Maschinenbauer John Stewart in Blackwall dieses System
verbessert und nachstehende Anordnung getroffen, welche mit Hülfe der Abbildungen,
Fig. 18
bis 20, näher
besprochen werden soll.
In Fig. 18
bezeichnen A und B zwei in
Verbindung stehende Cylinder der Maschine, von denen der erste A den Dampf direct vom Kessel, der zweite dagegen aus
dem Cylinder A empfängt. Diese Cylinder sind, wie es in
der Figur auch gezeichnet ist, verschieden weit, könnten
jedoch auch von gleicher Größe seyn. Auf alle Fälle sind
die Kolben durch rechtwinkelig gegen einander verstellte Kurbeln mit einer Welle
verbunden, so daß der eine bereits bis zur Mitte seines Hubes gelangt ist, wenn der
andere sich im Beginne des seinigen befindet und umgekehrt.
Ungefähr in der Mitte der Cylinderhöhe ist A mit
Oeffnungen D versehen (welche entweder zickzackförmig
oder diagonal vertheilt sind, so daß der Kolben sie leicht passiren kann); diese
Oeffnungen sind in einer Entfernung von der Mitte des Cylinders, welche gleich dem
sinus versus des von der Bleuelstange beschriebenen
Bogens ist.
Unter dieser Voraussetzung deckt sie der Kolben, wie aus der Abbildung zu ersehen
ist, in dem Augenblick in welchem die entsprechende Kurbel unter einem rechten
Winkel zu der Achse des Cylinders steht oder auch in welchem der Kolben des anderen
Cylinders B am Ende seines Hubes angelangt ist. Durch
diese Oeffnungen gelangt nun der Dampf aus A in den
hohlen Schieber oder hin- und hergehenden Dampfkasten F welcher die Ein- und Ausströmung zum Cylinder B vermittelt.
Die Wirkungsweise dieser Anordnung ist folgende: Nehmen wir zunächst an, daß der
Kolben A an der oberen Grenze seines Hubes sich
befindet, so daß der Dampf vom Kessel in der gewöhnlichen Art zum oberen
Cylinderraum durch den Schieber E eingelassen wird.
Diese Dampfzuströmung mag bis zu einem gewissen Punkt, doch nie über den halben Kolbenhub andauern, bis der Kolben die in Fig. 18
angezeigte Stellung annimmt; dann wird also spätestens der Dampfweg nach dem oberen
Ende des Cylinders durch den Schieber E geschlossen.
Indem der Kolben weiter nach abwärts geht, werden die Oeffnungen D frei und der Dampf wird aus der oberen Cylinderhälfte
von A in die gleiche von B
geleitet. Beide Kolben setzen nun ihre Niederbewegung gemeinschaftlich fort –
in B beginnt diese eben in diesem Moment –, wobei
der Dampf in beiden Cylindern expandirt. Gelangt der Kolben in A an die untere Grenze, so kommt der an dem Ausblascanal
des ersten Cylinders befindliche Absperrschieber G zur
Wirkung.
Unter gewöhnlichen Umständen würde der Schieber E den
Dampfaustritt aus A, noch ehe der Kolben das Ende des
Hubes ganz erreicht hat, gestatten; allein hier hält der genannte Absperrschieber
G die Austrittsöffnungen geschlossen und der Dampf wird so lange zurückgehalten, bis der Kolben
nicht allein am Ende des Hubes angelangt ist, sondern noch ein gewisses Stück des
Rückweges zurückgelegt hat.
Der Nutzen dieses Vorganges wird einleuchtend, wenn man berücksichtigt, daß der
Kolben im Cylinder A bei der Umkehr sich sehr langsam dagegen der größere Kolben in B sich gerade sehr schnell
bewegt, weßhalb der Verlust an Arbeit durch den Gegendruck in A
mehr als aufgewogen wird durch die Arbeit des
Ueberdruckes in B.
Die Grenze, bis zu welcher der Dampfaustritt durch G
verhindert werden soll,
hängt von mancherlei Umständen ab, auf welche jedochin unserer Quelle nicht
eingegangen ist.
Entweder gleichzeitig oder etwas vor dem Beginne des Ausblasens aus A wird die Communication zwischen den beiden Cylindern
unterbrochen, von welchem Zeitpunkte an die Expansion im Cylinder B unabhängig fortschreitet, bis auch da der Kolbenhub
beendet und der Dampf in der gewöhnlichen Art in den Condensator geleitet wird.
Nach dieser Darstellung wird der Unterschied dieses Systemes und des Woolf'schen als ein sehr wesentlicher erkannt werden;
ebenso unterscheidet sich jenes von den doppelten Cylindermaschinen mit
rechtwinkelig verstellten Kurbeln und einer Zwischenkammer, in welche der Dampf bei
dem Uebertritt aus einem Cylinder in den anderen gelangt.
Die auffallendsten Unterschiede zwischen der Stewart-Nicholson'schen und der Woolf'schen Anordnung bestehen darin, daß die Kolben (wie genügend
hervorgehoben wurde) mit Kurbeln in Verbindung stehen, welche um 90° gegen
einander verstellt sind; ferner daß je die oberen und die unteren Hälften beider
Cylinder mit einander in Verbindung stehen, während beide Kolben in derselben
Richtung sich bewegen.
Dadurch erhält das beschriebene Maschinensystem verschiedene Vorzüge.
So muß bei einer Woolf'schen Anordnung eine ganze
Umdrehung vollendet werden, um ein gegebenes Dampfvolum zu expandiren, während dieß
hier in 3/4 einer Umdrehung geschieht, somit der Dampf weniger lang einer Abkühlung
ausgesetzt ist.
Bei einer Woolf'schen Maschine ist die wirksame
Druckfläche während der Expansion gleich dem Unterschied
beider Kolbenflächen, bei einer Stewart-Nicholson'schen dagegen während dem größeren Theile der
Expansionsdauer gleich der Summe beider Kolbenflächen,
Und nur so lange als die Communication beider Cylinder aufgehoben ist, gleich der
Fläche des größeren Kolbens.
Es folgt daher, daß die beiden Kolben auch von gleichem
Durchmesser gemacht werden könnten, was bei der Woolf'schen Anordnung nicht der Fall seyn kann, doch erkennt man es als
günstiger, wenn sich der mittlere Totaldruck auf beiden Kolben gleichstellt.
Der Einwurf dürfte dem Stewart-Nicholson'schen
System, gegenüber dem Woolf'schen, gemacht werden, daß
bei jenem der Hochdruckcylinder während dem Ausblasen mit dem Condensator in
Verbindung steht. Doch mag hierzu erinnert werden, daß die Zeit dieser Communication
eine viel geringere ist als bei gewöhnlichen Eincylindermaschinen und weiter, daß es
nicht von Wesenheit ist, ob der Hochdruckcylinder mit dem Condensator in Verbindung
stehe oder nicht, da der Dampf, sollte es vorgezogen werden, direct in die Atmosphäre entweichen und nur
der weitere Cylinder mit den: Condensator communiciren kann.
Für Schiffsmaschinen wird es nicht der geringste Vortheil des besprochenen Systemes
seyn, daß (in Ausnahmsfällen) der Cylinder B
leicht unabhängig von dem anderen in Betrieb gesetzt
werden kann. Um dieses zu ermöglichen, schaltet man ein Absperrventil in den Canal
zwischen beiden Cylindern ein und leitet durch ein Rohr mit einer Drosselklappe
direct Dampf zum Schieber F.
Im Vorstehenden sind nur die Grundzüge des Stewart-Nicholson'schen Systemes auseinandergesetzt und werden
specielle Mittheilungen für später von der citirten Quelle versprochen, ebenso
Berichte über die Pläne und die Aufstellung mehrerer solcher Maschinen für
Schleppdampfschiffe; auch baut Stewart gegenwärtig nach
diesem Systeme eine viercylindrige Maschine für starke Betriebskräfte.
J.
Z.