Titel: | Ueber phosphorfreie Zündmassen; von Wladimir Jettel, Werkführer der I. preußischen Dampfmaschinenzündwaarenfabrik zu Gleiwitz. |
Autor: | Wladimir Jettel [GND] |
Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LXXXII., S. 369 |
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LXXXII.
Ueber phosphorfreie Zündmassen; von Wladimir Jettel, Werkführer der I. preußischen
Dampfmaschinenzündwaarenfabrik zu Gleiwitz.
Jettel, über phosphorfreie Zündmassen.
Bei der Gefährlichkeit und den Unannehmlichkeiten, welchen sowohl der Fabrikant als
die Arbeiter in Zündwaarenfabriken durch die Anwendung des Phosphors ausgesetzt
sind, sowie bei der nicht unbedeutenden Zahl von Unglücksfällen, absichtlichen oder
zufälligen Vergiftungen – sey es durch Genuß von mit Phosphor versetzten
Speisen oder Getränken, oder durch Phosphorbrandwunden entstandene Blutvergiftung
–, erscheint es als Hauptaufgabe der Chemie, den Phosphor in diesem
Industriezweige zu eliminiren und durch ungefährlichere Substanzen zu ersetzen.
Leider ist die Lösung dieses Problemes bis heute noch eine sehr unvollkommene, wohl
zumeist deßhalb, weil es den Fabrikanten selbst vor Allem an Zeit und an
ausreichenden Kenntnissen der theoretischen Chemie mangelt, Chemiker von Fach sich
aber selten oder nur unvollständig mit dieser Aufgabe beschäftigten, da ihnen bei
dem fast vollständigen Fehlen einer Literatur über diesen Industriezweig kein
Material an die Hand gegeben ist.
Deßhalb erscheint es mir als nicht ganz ohne Nutzen, diesen Gegenstand einmal
öffentlich zu behandeln und dadurch die Aufmerksamkeit qualificirter Chemiker auf
dieses Thema zu lenken.
Die Lösung der Aufgabe ist eine nicht ganz leichte, denn es müssen nicht nur die
Stoffe gefunden werden, deren Gemenge allen Anforderungen und Eigenschaften einer
guten Zündmasse entspricht, sondern es müssen dieß auch zugleich Substanzen seyn,
welche entweder als Handelsartikel leicht zu beziehen, oder doch auf möglichst
einfache Art darstellbar sind. Dann kommt noch der wichtige Kostenpunkt in Betracht,
denn wenn eine Masse ohne Phosphor die alten Phosphormassen soll verdrängen können,
so muß der Preis der damit erzeugten Fabricate nicht höher seyn als derjenige der
gewöhnlichen. Das consumirende Publicum stößt sich nicht an der Gefahr, wohl aber an
dem höheren Preise und wird gefahrlose, phosphorfreie Hölzer nur dann vorziehen,
wenn sie nicht theurer sind als die gefährlichen Phosphorhölzer. In gleicher Weise
ablehnend verhält sich das Publicum gegen jede Verminderung der Entzündlichkeit;
Zündhölzer, welche den Nachtheil haben, daß sie sich schwerer entzünden, bleiben
gänzlich unbeachtet, ja erfahren eine ganz und gar absprechende Beurtheilung. Aus diesen Gründen
werden selbst für den Fall, daß Hölzer für amorphe Flächen (wie etwa die jetzt weit
verbreiteten „schwedischen“) eben so billig als die
gewöhnlichen Phosphorhölzer in den Handel gebracht würden, letztere doch nie von
jenen verdrängt werden, weil die bloß bedingungsweise Entzündlichkeit nicht als
Vortheil, sondern als Unvollkommenheit angesehen wird.
Als Ausgangspunkt der theoretischen Betrachtung wählte ich eine anerkannt gute, allen
Anforderungen entsprechende Phosphorzündmasse.
Bei der Art der Wirkung erscheint das Verhältniß des in der Masse enthaltenen
Sauerstoffes zu den übrigen Stoffen als der Modul der Beurtheilung und habe ich in
dem Folgenden diese Basis festgehalten.
Betrachten wir die Quantitätsverhältnisse des in den nachstehenden Zündmassen
enthaltenen Sauerstoffes, wobei ich die Verdickungsmittel, sowie die die Explosion
verlangsamenden Substanzen – als direct chemisch unwirksam – außer
Acht lasse, so stellen sich folgende Verhältnisse heraus:
I. Gewöhnliche Phosphormasse:
Gewichtstheile
P.... 3,1Pb³O⁴ (Mennige) 36,365NO⁵ (50 Gew.
Proc.) 15,27
Masse14538
enthalten
O1452 oder 10 Proc.
Gewichtstheile.
Atomgewicht.
GewichtstheileMasse
enthalten O
oderProcent.
II.
KO, ClO⁵
4
122
S
1
16
563
214
38
KO, 2 CrO³
0,4
149
III.
a) KO, ClO⁵
2
122
C (Holzkohle) oder
1
6
250
96
38,4
b) KO, ClO⁵
1
122
138
48
34,8
S
1
16
IV.
KO, ClO⁵
11
122
FeS² (Schwefelkies)
1,5
60
1475
544
37,5
MnO² (Braunstein)
1
43
V.
KO, ClO⁵
7
122
PbO, NO⁵
2
170
KO, 2 CrO³
2
149
1508
544
36
S
1
16
VI.
KO, ClO⁵
3
122
SbS⁵ (Goldschwefel)
0,25
209
418
144
34,75
VII.
KO, ClO⁵
8
122
PbO, NO⁵
3
170
SbS³
8
153
2784
556
20
KO, 2 CrO³
0,5
149
Bei der Phosphormasse Nr. I erklärt sich der geringe Sauerstoffgehalt durch die
Anwesenheit des Phosphors, der selbst ohne Berührung mit Sauerstoff abgebenden
Substanzen bei nur geringer Temperaturerhöhung zur Entzündung gebracht werden
kann.
Alle anderen angeführten Massen müssen schon eine 3–4mal größere
Sauerstoffmenge besitzen und dabei findet eine Entzündung nur in Wechselwirkung mit
der kräftig wirkenden amorphen Fläche statt. Auf allen anderen Reibflächen entzünden
diese Massen sich nicht, oder doch nur höchst selten.
Nr. II ist eine der „schwedischen“
ähnliche Masse.
Nr. III a) und b) ist die Masse der englischen sogen. „Mennous,“ wovon namentlich die erste sich
leicht und ruhig entzündet; bei b) findet die Entzündung
in Folge des Schwefelgehaltes mit einem gewissen Geräusch statt.
Nr. IV ist eine im hessischen Gewerbeblatt von H. Wagner angebene Masse.
Nr. V ist eine französische Masse von Canouil.
Nr. VII ist die Masse von F. L. Lutz
in Blaubeuern, von welcher der Fabrikant jedoch selbst zugibt, daß sie sich schwer
entzündet und der Verbesserung bedarf.
Es scheint demnach aus vorstehender Tabelle hervorzugehen, daß eine gut und leicht
zündende Masse für amorphe Flächen 35–38 Proc. Sauerstoff enthalten müsse,
denn alle Massen von Nr. II–VII besitzen obige Eigenschaften, wobei sich eine
auffallende Constanz des Sauerstoffgehaltes zeigt. Es ist anzunehmen, daß diese
Massen versuchsweise entstanden und daß sie so lange verbessert wurden, bis sie alle
nothwendigen Eigenschaften besaßen, welche sie eben erlangten, sobald die
Sauerstoffmenge jene Höhe erreicht hatte.
Es ergeben sich demnach für die Zusammensetzung von Zündmassen, welche auf amorphen
Flächen entzündlich sind, folgende Grundsätze:
1) Der Hauptbestandtheil der Massen ist chlorsaures Kali. Die Menge desselben beträgt
40–92 Proc., in den meisten Fällen über 60 Proc.
der direct wirkenden Bestandtheile. Sollen Massen hergestellt werden, welche sich
auf jeder Reibfläche entzünden, so müssen sie noch weit mehr Sauerstoff enthalten,
wobei als Schwierigkeit wieder nur die große Neigung solcher Massen zur Explosion
auftritt. Aufgabe der Chemie ist es, eine Substanz zu ermitteln, durch deren Zugabe
der Sauerstoffgehalt beträchtlich erhöht wird, ohne Explosion hervorzurufen.
(Vielleicht findet sich in den pikrinsauren Salzen, resp. im
basisch-pikrinsauren Bleioxyd die betreffende Substanz.)
2) Außer dem chlorsauren Kali sind in den meisten Massen noch andere
sauerstoffabgebende Salze vorhanden. Die Menge derselben beträgt 10–40 Proc.
von dem Gehalt an chlorsaurem Kali, so daß dadurch der Gehalt an
sauerstoffabgebenden Substanzen für die Massen
II
IV
V
VII auf
83
88
91
58 Proc.
steigt.
3) Ein dritter Bestandtheil der Massen ist freier Schwefel oder ein mehrfaches
Schwefelmetall. Die Menge beträgt bei Anwendung von Schwefel circa 25 Proc. vom Gehalt an chlorsaurem Kali.
Da der Schwefel der eigentlich entflammende Körper, dessen Anwesenheit also absolut
nothwendig ist, so kann dessen Anwendung – mit Ausnahme der einzig möglichen
Substitution durch Kohle –, nie umgangen werden. Immerhin wird sich ein
gewisses Quantum von freiem Schwefel finden lassen, dessen Wirkung einer
entsprechenden Menge von Schwefelmetallen gleichkommt, nur müssen dann aequivalente
Zusätze von die Verbrennung verlangsamenden Substanzen gemacht werden. Der Vortheil
hierbei ist der, daß man es dann mit einem in der Qualität gleichbleibenden reinen
Körper zu thun hat und daß man dadurch das fast immer nothwendige Schlämmen der
Schwefelmetalle umgeht.
4) Als Zusätze welche die Explosion verlangsamen, somit ein ruhiges, längere Zeit
andauerndes Entflammen erzielen, werden Glaspulver, Sand, Umbra etc. angewendet.
Bei Zusatz von, unter und bis 1/2 Pfund Umbra auf 4 Pfund chlorsaures Kali in der
Masse II tritt noch Explosion ein, erst 1 1/2 Pfund verursachen ein langsames
Entflammen und Entzünden des Stearins. Die Menge dieser Zusätze läßt sich schwer im
Allgemeinen bestimmen, da sie lediglich von der chemischen Natur der zur Bereitung
angewandten Substanzen abhängt.
5) Die Menge der Verdickungsmittel darf nicht beträchtlich seyn. Sie beträgt circa 1/3–1/2 von der Gesammtmenge der Sauerstoff
abgegebenden Sätze. Die Zündmasse darf, als Köpfchen aufgetragen, nie so wie
allenfalls die gewöhnliche Phosphormasse glänzen.
Dieß ist ein sicherer Anhaltspunkt für die Zusammensetzung der Massen. Selbst ein zu
rasches Trocknen unmittelbar nach dem Tunken ist bei der richtigen Menge der
Verdickungsmittel in den meisten Fällen schädlich, weil die Masse dadurch glänzend
wird und beim Anreiben explodirt.
Jede Ungleichheit in der Dichte hat ein ungleichmäßiges Brennen zur Folge und jene entsteht
durch zu rasche Trocknung. Die Masse wird an der Oberfläche zuerst starr und hart,
während sie im Inneren noch weich und naß ist. Abgesehen davon, daß das Trocknen
dann überhaupt schwieriger stattfindet, werden die so behandelten Hölzer in Qualität
sehr gering: die schnell getrocknete, also dichtere Schicht an der Oberfläche
entzündet sich, pflanzt die Entzündung nach Innen fort und hinterläßt dabei einen
fest zusammenhängenden, schwer schmelzbaren Rückstand; die inneren weniger dichten
Theile, welche nun zur Entzündung gelangen, brennen schneller als die äußeren, es
gelangt in derselben Zeit ein größeres Quantum zur Entzündung, wodurch in Folge der
raschen Gasentwickelung ein Zersprengen der äußeren abgebrannten Rückstände, also
Spritzen, oder eine kleine Explosion mit Hinwegschlendern der brennenden
Massentheile veranlaßt wird.