Titel: | Die Aufreißung eines Armstrong'schen 600 Pfünders durch Gewaltproben; Whitworth's Stückseelenmesser; Creadwell's Methode der Rohrumreifung mit Gußstahl-Rohrfuttern combinirt. |
Autor: | Darapsky |
Fundstelle: | Band 185, Jahrgang 1867, Nr. III., S. 7 |
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III.
Die Aufreißung eines Armstrong'schen 600 Pfünders durch Gewaltproben;
Whitworth's Stückseelenmesser; Creadwell's Methode der
Rohrumreifung mit Gußstahl-Rohrfuttern combinirt.
Mit Abbildungen auf Tab.
I.
Ueber Beschießproben der Geschütze, Whitworth's Stückseelenmesser
etc.
Der Engineer vom 6. April 1866 meldet das am Bodenstück
erfolgte Aufreißen eines übereinstimmend mit dem „Big Will“ und also nach dem Blakely'schen
Coil-System construirten Armstrong'schen gezogenen
Vorderladungs = 600 Pfünders – von circa 22
Tonnen Gewicht, 13,3 Zoll Kaliberdurchmesser, 15 Fuß 3 Zoll Rohr- und 65
Kaliber Drall-Länge seiner zehn 0,8 Zoll tiefen Züge – bei
fortgesetztem Beschießen desselben mit 600 Pfund schweren Granaten und anfangs 100
und später stets 70 Pfund Pulverladung, während dieses Geschütz mit voller
Sicherheit nur bei Anwendung von etwa 40 Pfund schweren Ladungen zu gebrauchen
steht.
Wer lediglich aus diesem Schießerfolge schließend, dem betreffenden Rohre und damit
auch dem, bereits Dauerschießversuchen mit 70 Pfund Ladung unterworfenen
„Big Will“ selbst etwa den
Vorwurf einer schlechten Construction machen wollte, würde also sehr unrecht thun,
indem es ja bekannt ist, wie selbst die besten Rohre durch anfängliche sogenannte
Gewaltversuche gewöhnlich sehr bald schon in der Form von feinen Rissen, die sich
dabei in ihrer Seelenwand erzeugen, einen Keim des Verderbens in sich aufnehmen, der
sie dann später sogar bei verhältnißmäßig schwachen Ladungen zerreißen läßt, weßhalb
z.B. auch Joseph Whitworth in seinem vor der Institution
of Mechanical Engineers gehaltenen und im Mechanics' Magazine vom 21. December 1866
veröffentlichten, hierauf bezüglichen Vortrage ganz richtig vorschlägt, vor der
jedesmaligen Beschießprobe irgend eines neuen Rohres immer erst ganz genau dessen
Seelenweite zu messen, dann das Schießen mit geringeren als
der für die Geschoßschwere passend erachteten Gebrauchladungen anzufangen und
bei den späteren Ladungssteigerungen nie bis über die Elasticitätsgrenze des
Rohmateriales hinauszugehen, welche letztere in dem Momente erreicht ist,
wo der in Schußzwischenräumen fortgesetzt in Anwendung zu bringende
Stückseelenmesser eine stärkere Erweiterung der Rohrbohrung nachweist als dieselbe
durch das beim Schießen entstehende allmähliche Abgenutztwerden des Rohres bedingt
ist.
Ein von Whitworth zu diesem Ende, dem sogenannten étoile perfectionée ähnlich construirter
Stückseelenmesser, in Fig. 20 bis 22 dargestellt
läßt Zehntausendtheile von einem Zolle messen, indem die schiefen Ebenen seines, die
Fühlspitzen F, F, F (Fig. 20 u. 21) des
Apparates in schwalbenschwanzförmigen Nuthen führenden Keilstückes G, im Verhältnisse von 1 : 20 geneigt sind, der
Schraubengang, mit welchem die Mutter J (Fig. 22) den, oben mit
vierkantigem Gewinde H versehenen Stab E (Fig. 21) in der Hülse C, D führt, aber 1/10 Zoll Höhe und ein an der Mutter
J angebrachtes Mikrometerrad K (Fig.
21) 50 Zähne hat. – Bei einem im Jahre 1864 zu Shoeburyneß
angestellten Schießversuche zeigte dieses Instrument z.B. nach 2886 aus einem 70 Pfünder mit 10 Pfund Pulver
und 70 Pfund Geschoßgewicht abgegebenen Schüssen nur die, der allmählichen Abnutzung
des Rohr-Inneren durch den ordnungsmäßigen Gebrauch zuzuschreibende, höchst
geringe Erweiterung von im Ganzen 0,0198 Zoll, während die folgenden 50 theils mit
140 Pfund theils mit 280 Pfd. schweren Geschossen sowie mit theilweise 12 Zoll
Zwischenräumen zwischen Ladung und Geschoß abgegebenen Schüsse diese Rohrerweiterung
schon um 0,0170 Zoll vergrößerten, und endlich noch weitere 25 Schüsse, welche mit
15 Pfund Ladung und 350 bis 490 Pfund schweren Geschossen abgegeben wurden, den
Rohrdurchmesser abermals um 0,0157 Zoll, d.h. fast um ebensoviel vermehrten als es
die frühere Rohr-Abnutzung durch fast 3000 Schüsse gethan hatte.
Außer solchen, bei zu fernerem Gebrauche bestimmten Geschützrohren also niemals
anzuwendenden Gewaltversuchen liegt, wie neuere wissenschaftliche Untersuchungen
aufgedeckt haben, in dem von Armstrong zur Construction
des „Big Will,“ und also auch zu
der des obenerwähnten, in gleicher Weise hergestellten Geschützes angewendeten Blakely'schen Coil-System
Ueber dasselbe wurde vom Referenten das Nähere in diesem Journal Bd. CLXIX S. 92 im
„artilleristischen Nachtrage“ zu Anderson's
„Anwendung des Copir- oder Uebertragungs-Principes
bei der Anfertigung und dem Ziehen von Feuerwaffen“
mitgetheilt. aber allerdings noch ein sehr bedeutender Constructionsfehler vor, indem bei
ihm die äußeren Rohrcylinder im rothwarmen Zustande auf
die inneren aufgezogen werden, und sich also leicht schon während des bei ihrer
Abkühlung erfolgenden Einschrumpfens über ihre Elasticitätsgrenze hinaus ausdehnen
können, was für die Haltbarkeit eines, großen inneren Pressungen auszusetzenden
Rohres natürlich von den übelsten Folgen seyn muß. – In dem Artikel des
Referenten „über die künstlichen Metall-Constructionen der
Geschützrohre“ (in diesem Journal Bd. CLXXVII S. 173) wurde deßhalb auch schon mit Bestimmtheit darauf
hingewiesen, daß, – ebenso wie man aus Gründen der
Wissenschaft einerseits gänzlich davon abstehen muß, ein aus homogenem
Materiale, dessen Theilchen sich vor dem Schusse sämmtlich im natürlichen
Zustande gleicher Spannung befinden, angefertigtes Rohr, durch bloße, wenn auch
noch so bedeutende Vergrößerung seiner Wanddicke gegen Längenaufreißung
vermittelst solcher innerer Normalpressungen, welche die absolute Festigkeit des
Rohmateriales (bei Bronze also z.B. etwa 34000 bis 38000
Pfund, bei Gußstahl etwa 71000 bis 120000 Pfund per Quadratzoll) übersteigen, schützen zu
wollen, – andererseits bei Anwendung derjenigen Methoden künstlicher
Metallconstructionen, welche in's Gebiet der Rohrumreifung oder Rohrpanzerung (cerclage) gehören, zur Rohrdarstellung immer streng darauf gesehen werden muß, daß beim
Einschrumpfenlassen der warm aufgetriebenen Panzerringe etc. sich deren Elasticitätsgrenze nicht
zu sehr genähert wird, in welcher Beziehung eine stricte Befolgung der von
Professor Treadwell zu New-York veröffentlichten
technischen Vorschrift anzurathen steht: die mit
peripherischer Anordnung ihrer Fibernrichtungen, gleichsam aus Schichten von
hartem Drahte zusammengesetzten Panzerreifen in ihrem inneren Durchmesser nur um
eben so viel kleiner als den äußeren Durchmesser des nächst inneren Cylinders zu
machen, daß der Panzerring zu seinem Aufzuge niemals bis zur Aenderung seiner
gewöhnlichen Metallfarbe erhitzt zu werden braucht.
Die Resultate der in Bd. CLXXVIII S. 347 dieses Journals mitgetheilten Schießversuche
mit dem 13zölligen Ericsson-Geschütz, welches sein
270 Pfund schweres Geschoß bei 75 Pfund Ladung unter 35 Grad Elevation 5 1/2
englische Meilen weit trieb, haben den Schutz, welchen eine solche Panzerung selbst
in dem Falle noch gegen Längenaufreißung eines Rohres darbietet, wenn dessen
innerster oder Seelen-Cylinder nur aus Schmiedeeisen besteht, auf das
Eclatanteste dargethan, zugleich aber freilich noch darauf hingewiesen, wie nützlich
es seyn würde, an die Stelle des inneren Eisenrohres ein Stahlrohr treten zu lassen,
in welcher letzteren Beziehung noch erwähnt zu werden verdient, daß dem Mechanics' Magazine vom 3.
August 1866 zufolge sogar ein nur aus gewöhnlichem Gußeisen bestehender 32 Pfünder,
welcher nach Major Palliser's Methode zu Elswick in einen
64 Pfünder umgewandelt worden war, nicht nur in dem kgl. Arsenal zu Woolwich zuerst
zwei Schüsse mit 16 Pfund Ladung und 150 Pfd. schwerem Cylindergeschosse, dann 10
Schüsse mit 20 Pfund Ladung und 100 Pfund schweren Geschossen, hierauf 10 Schüsse
mit 16 Pfd. Pulver und 64 Pfd. schweren Granaten (welche letzteren zum Entzünden
ihrer Sprengladung im Rohre mit den Zündern nach unten auf dessen Pulverladung
aufgesetzt waren) ausgehalten hat, ohne dabei nur im mindesten gerissen zu seyn oder
im Inneren mehr als einige von Granatsplittern herrührende Schrammen gezeigt zu
haben, sondern dann auch noch eine Reihe von weiteren Schießversuchen (wobei 5, 10,
15, 20 und 25 Zoll Zwischenraum zwischen den 64 Pfd. schweren Granaten und den 16 Pfd. Pulverladung
gelassen worden waren) vollständig intact bleibend aushielt.
Von Rodman's Kernguß mit Abkühlung von innen nach außen
und Longridge's Drahtumwickelung, als zu weit führend,
hier ganz abgesehen, dürsten für solche großkalibrige Rohre,
welche Pulvergasspannungen aushalten sollen, die über die Minimalgrenzen der
absoluten Festigkeiten von Bronze und von Gußstahl, also über etwa 2700 und
beziehungsweise 5600 Atmosphärendruck hinaus liegen (wie die Rodman'schen Schießversuche z.B. schon bis zum Drucke von
6000 Atmosphären gesteigerte Pulvergas-Pressungen gegen die Rohrseelenwand
nachgewiesen haben), hiernach also der Treadwell'schen
Vorschrift entsprechend ausgeführte Umreifungen in Verbindung mit Kernrohren von
Gußstahl als eine dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechende Construction zu
bezeichnen seyn.
Berlin, im Mai 1867.
Darapsky, Major im
Generalstabe.