Titel: | Das freie Echappement mit constanter Kraft, von Uhrmacher C. Haller in Stuttgart. |
Autor: | Oelschläger |
Fundstelle: | Band 180, Jahrgang 1866, Nr. LXXXIX., S. 332 |
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LXXXIX.
Das freie Echappement mit constanter Kraft, von
Uhrmacher C. Haller in
Stuttgart.
Haller's freies Echappement mit constanter Kraft.
Ein Echappement kann nur dann im eigentlichen Sinne des Wortes ein freies genannt
werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
1) darf der Impuls, welchen das Pendel erhält, nicht direct durch das Räderwerk
vermittelt werden. Kein Räderwerk und kein Echappement ist so genau gearbeitet, daß
bei jeder Schwingung des Pendels auch die Kraft die ihm der Impuls gibt genau
dieselbe ist; denn wird die bewegende Kraft der Uhr erst durch verschiedene
Eingriffe auf das Echappement übergetragen, so werden eben wegen dieser Uebertragung
unscheinbare und dem Auge unbemerkbare Ungenauigkeiten in der Arbeit sich als
ungleiche Kraft äußern. Um diesem Uebelstande zu begegnen, sucht man die Eingriffe
mit einer Präcision, welche kein anderes Geschäft aufzuweisen hat, auszuarbeiten
oder es wird eine andere vom Eingriff der Räder unabhängige Kraft zur Bewegung des Pendels
benutzt. Aber auch diese Einrichtung hat sich nicht als vollkommen bewährt, weil dem
Pendel noch die Function blieb, das Räderwerk auszulösen. Es darf aber bei einem
freien Echappement mit constanter Kraft
2) die Bewegung des Pendels nicht dazu benutzt werden, das Räderwerk auszulösen. Wo
diese Einrichtung sich findet, ist dem Pendel ein Kraftaufwand zugemuthet, der zwar
um so geringer erscheinen wird, je schwerer die Linse des Pendels ist, der aber
nichtsdestoweniger ein ungleichförmiger ist; denn, da der auf irgend eine Weise
arretirte Radzahn wegen Unvollkommenheit des Räderwerks auch mit ungleicher Kraft
auf seinen Stützpunkt drückt, so ist auch der zur Beseitigung dieses Stützpunktes
erforderliche Kraftaufwand ein ungleichförmiger. Diese zwei Punkte sind es
hauptsächlich, warum sehr gut gearbeitete Uhrwerke dennoch die gewünschte
Genauigkeit nicht zeigen und oft Veranlassung geben, den Fehler in anderen
Umständen, z.B. in der Form der Linse, der Aufhängung, den Eingriffen etc. zu
suchen, während doch dieselben bei zweckmäßiger Beseitigung der beiden genannten
Haupthindernisse als minder wesentlich erscheinen.
Uhrmacher Haller in Stuttgart hat nun folgende höchst
sinnreiche Einrichtung getroffen, um diese beiden Uebelstände zu beseitigen. Er hat
seine Ideen durch den Bau einer Uhr in der Größe einer kleineren Thurmuhr, welche im
Polytechnicum in Stuttgart aufgestellt ist und dort die Bewunderung der Kenner in
hohem Grade erregt, verwirklicht. Die Einrichtung ist folgende: Ein mit
Stahl-Zink-Compensation versehenes Secundenpendel erhält zu beiden
Seiten seinen Impuls durch zwei Hebel, deren Schwere durch verschiebbare Gewichtchen
zuvor genau regulirt worden ist. Der Fall derselben, oder ihre Drehung um eine
Achse, veranlaßt durch die ungleiche Schwere der beiden Arme, gibt dem Pendel den
Impuls. Hat aber der Hebel diese Function versehen und ist er außer Berührung mit
dem Pendel, so fällt er noch etwa 1/2 Zoll tiefer, stößt dann auf den Anker des
Echappements und löst das Steigrad aus. Nun beginnt dieses seine Functionen. Es
rückt um einen halben Zahn vor, und vermittelst der ihm vom Gewicht der Uhr
mitgetheilten Kraft hebt der in die Höhe gehende Lappen des Ankers den zweiten
Hebel, der zuvor schon seinen Dienst geleistet hat, wieder auf seine anfängliche
Höhe, noch ehe das ganz frei ausschwingende Pendel seinen Weg vollendet hat. Beim
Rückwärtsgehen des Pendels gibt der zweite Hebel den Impuls und der erste wird
gehoben. Die einzige Arbeit, welche nun dem Pendel zugemuthet wird, besteht in der
Auslösung der Hebel, die durch ein feines Häkchen, welches sich in ein Stiftchen
einhängt, so lange in der Höhe bleiben, bis sie vom Pendel ausgelöst werden um ihren Zweck zu erfüllen. Da
aber die Schwere der Hebel immer gleich bleibt, so ist auch der auf ein Minimum
reducirte Kraftaufwand des Pendels unveränderlich derselbe. Daß nun auch alle
weiteren Zuthaten, wie Schlagwerke und Zeigerwert, ohne irgend welchen Einfluß auf
den Gang der Uhr seyn müssen, versteht sich von selbst. Diese Construction der Uhr
verleiht ihr eine erstaunliche Genauigkeit des Ganges und dürfte ihrer Einfachheit
wegen um so eher vielfache Nachahmung finden, als sie sich ebenso gut mit einem oder
mit zwei Impulshebeln auf Stockuhren anwenden läßt und auch schon von Haller angewendet worden ist. Der Erfinder ist gerne
bereit, die beim Bau der Uhr gemachten Erfahrungen Jedermann mitzutheilen.
Prof. Oelschläger.