Titel: | Ueber das Verhalten explosiver Körper im luftverdünnten Raume; von Prof. Heeren. |
Fundstelle: | Band 180, Jahrgang 1866, Nr. LXXV., S. 286 |
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LXXV.
Ueber das Verhalten explosiver Körper im
luftverdünnten Raume; von Prof. Heeren.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins,
1866 S. 9.
Heeren, über das Verhalten explosiver Körper im luftverdünnten
Raume.
Schon vor längeren Jahren machte ich bei Gelegenheit von Versuchen, um die bei der
Verbrennung des Pulvers entstehenden Gase zu untersuchen, bei welchen Versuchen
Pulver im luftleeren Raume verbrannt werden sollte, die Bemerkung, daß sich das
Pulver unter diesen Verhältnissen gar nicht entzünden ließ, wurde aber an einer
weiteren Verfolgung des Gegenstandes verhindert.
Unter den zu Versuchen mit der Luftpumpe dienenden Apparaten findet man gewöhnlich
auch einen solchen, wo innerhalb des Recipienten ein Flintenschloß mit Stahl und
Stein abgedrückt werden kann, um zu zeigen, daß sich das auf der Pfanne liegende
Pulver nicht entzündet. Aber dieses Experiment zeigt hauptsächlich nur, daß wegen
mangelnden Sauerstoffs die vom Pfannendeckel durch den Stein abgerissenen
Stahlspänchen nicht, wie in der Luft, brennen und sprühende Funken erzeugen können,
so daß sich das Nichtanbrennen des Pulvers auch von dem Mangel sprühender Funken
ableiten ließe, obwohl die Stahlspänchen sich, wenn auch nicht in brennendem, so
doch im glühenden Zustande befinden, und das Pulver wohl entzünden könnten.
Neuerdings (1862) sind von Bianchi (in den Comptes rendus t. LV. p. 97)
Versuche über Verbrennung des Schießpulvers im luftleeren Raume beschrieben
worden.Die Resultate dieser Versuche wurden im polytechn. Journal Bd. CLXIX S. 235 mitgetheilt. Er construirte von feinem Platindraht ein kleines Körbchen, füllte dasselbe
mit Pulver und brachte unter dem Recipienten der Luftpumpe mittelst eines
galvanischen Stromes den Platindraht zum Glühen. Hier fand nun keine plötzliche
Explosion statt, sondern nur ein langsames allmähliches Verbrennen.
Um über diesen Widerspruch zwischen den Bianchi'schen und
meinen früheren Resultaten Aufklärung zu erhalten, habe ich die Versuche, aber in
geänderter Art, wiederholt, und außer auf Schießpulver auch auf andere sehr
explosive Körper ausgedehnt. Es wurde dabei die folgende Vorrichtung angewandt: In
der Mitte des Tellers einer gut wirkenden Luftpumpe war ein Kork befestigt, dessen
obere Fläche eine zur Aufnahme des Pulvers bestimmte kleine Grube enthielt. Die als
Recipient dienende Glasglocke war oben mit einer Stopfbüchse versehen, durch welche,
luftdicht schließend, ein Messingrohr hindurchgieng, welches also auf- und
abgeschoben werden konnte. In dieses Rohr waren zwei mit Seide besponnene ziemlich
dicke Kupferdrähte mittelst Siegellack eingekittet, so daß sie vollständig isolirt
waren und auch einen luftdichten Verschluß bildeten. Die unteren Enden dieser,
ziemlich weit in den Recipienten hineinreichenden Drähte enthielten kleine
Klemmschrauben, wodurch es leicht war, einen bogenförmig gekrümmten feinen
Platindraht einzuspannen, den man bei den Versuchen durch einen elektrischen Strom
zum starken Glühen erhitzen konnte. Nachdem der dem Versuche zu unterwerfende Körper
in die Grube des Korkes gefüllt und der Recipient darüber gestellt war, brachte man
den Zündungsapparat so weit herunter, daß der Platindraht bis zu einer geringen Tiefe in den
Körper eingesenkt war, und erzeugte nun die Luftleere. Um übrigens das Herabsenken
des Zündungsapparates, der sich des gehörig luftdichten Verschlusses wegen in der
Stopfbüchse nur mit ziemlicher Kraftanstrengung verschieben ließ, ganz sanft und
vorsichtig zu bewirken, diente eine Schraube, die sich gegen das obere Ende des
Zündungsapparates stemmte, und beim Anziehen denselben herabdrückte. Zu diesem
Zwecke war das obere Ende des Rohres mit einer kleinen Scheibe geschlossen, auf
welche die Schraube drückte, während die beiden isolirten Kupferdrähte unterhalb der
Scheibe zu beiden Seiten aus dem Rohre hervorstanden und zur Verbindung mit einer
kleinen Batterie Klemmschrauben erhielten. Die Zündungsversuche wurden theils mit
einem dünnen Platindraht, theils auch mit einem feinen Eisendraht ausgeführt,
welcher letztere jedesmal nach Schließung des Stromes fast augenblicklich zum
Schmelzen kam und die Unterbrechung des Stromes bewirkte, wogegen der nicht
abschmelzende Platindraht beliebig lange im Glühen erhalten werden konnte.
Da es sich gezeigt hatte, daß eine besonders starke Verdünnung der Luft nicht
erforderlich ist, so wurde bei den meisten Versuchen die Verdünnung nur so weit
getrieben, daß die Differenz des Quecksilberstandes im Luftpumpen- und im
freien Barometer etwa 2 Linien betrug, entsprechend einer 168 fachen Verdünnung.
a) Versuche mit Pulver. Es
diente hierzu ein gewöhnliches, ziemlich grobkörniges Jagdpulver. Ein Eisendraht
schmolz im Pulver ab, ohne es zu entzünden. Nach dem Auseinandernehmen des Apparates
zeigten sich die beiden Hälften des Drahtes, soweit sie im Pulver gewesen, mit
angeschmolzenen Pulverkörnern bekleidet, die noch nicht zur Verbrennung gekommen
waren und beim Berühren mit einem brennenden Körper noch explodirten. Wurde ein
Platindraht angewandt, und nur kurze Zeit im Glühen erhalten, so war der Erfolg
derselbe; dagegen trat bei länger fortgesetztem Glühen eine langsame Verbrennung
derjenigen Pulverkörner ein, die den Draht direct berührten, während die übrige
Pulvermasse sich ganz ruhig verhielt. Wurde dagegen der Platindraht so weit in das
Pulver eingesenkt, daß er bis auf die tiefste Stelle der Grube hinabreichte und
länger im Glühen erhalten, so kam nach und nach das ganze Pulver, in dem Maaße wie
es sich herabsenkte und mit dem glühenden Draht in Berührung trat, zur langsamen
Verbrennung.
Es zeigte sich hier also, daß eine plötzliche Explosion des Pulvers im luftverdünnten
Raume überhaupt nicht hervorgebracht werden kann, denn ein kräftigeres
Zündungsmittel als die Berührung mit schmelzendem Eisen möchte wohl kaum existiren.
Wenn aber auch durch länger fortdauernde Berührung mit einem glühenden Platindraht
die Pulverkörner allmählich verbrennen, so findet doch keine Mittheilung der
Verbrennung von einem Pulverkorn zum anderen statt.
Bei den Versuchen von Bianchi lag das Pulver in einem
Körbchen von Platindraht, welches zum Glühen gebracht wurde; es befand sich also der
Draht unter dem Pulver, weßhalb ebenso wie bei meinem
schon angeführten Versuche das ganze Pulver allmählich zur Verbrennung kam. Aber
eben aus diesem Grunde ist ein solcher Versuch weniger instructiv als ein solcher,
wo die Zündung von oben bewirkt oder vielmehr versucht
wird.
b) Versuche mit dem weißen
Pulver von Augendre, bestehend aus chlorsaurem
Kali, Blutlaugensalz und Zucker.Man s. über dieses Pulver die Abhandlung von Dr.
Pohl im polytechn. Journal Bd. CLIX S. 427. Dieses an Schnelligkeit und Heftigkeit der Verbrennung das gewöhnliche
schwarze Pulver bedeutend übertreffende Pulver war im Vacuum weder durch den
glühenden Platin-, noch durch den abschmelzenden Eisendraht zur Explosion zu
bringen; doch sah man deutlich, daß ein Theil desselben weggeworfen wurde, wodurch
der Draht außer Berührung mit dem übrigen Theile kam. Es scheinen demnach die in
unmittelbarer Berührung mit dem Zündungsdrahte gewesenen Theilchen wirklich, obwohl
ganz ohne sichtbare Feuererscheinung, zu einer stillen Explosion gekommen zu seyn
und die benachbarten Theilchen weggeschleudert zu haben, ohne aber dieselben zur
Theilnahme an der Explosion veranlassen zu können.
c) Chemisches Schießpulver des Hauptmanns Schultze
Man s. über die Darstellung dieses Pulvers die Mittheilung im polytechn
Journal Bd. CLXXV S. 453. in Potsdam. Dieses aus kleinen Holzkörnchen nach Art der Schießwolle
fabricirte Schießpulver ließ sich im Vacuum weder durch den glühenden Platin-
noch durch den schmelzenden Eisendraht zur Verbrennung bringen.
d) Es wurde nun zu einem weit explosiveren Körper, dem
Knallquecksilber, übergegangen, und dasselbe ganz in
der beschriebenen Art behandelt. Auch hier trat weder erkennbare Explosion noch
Entzündung ein, doch wurde, wie bei dem Augendre'schen
Pulver, ein kleiner Theil fortgeschleudert, ohne aber der übrigen Masse Entzündung
mitzutheilen.
e) Schießlich kam Knallsilber
an die Reihe, dessen Explosionsfähigkeit und Gewalt jene des Knallquecksilbers noch weit
übertrifft. Um mögliche Gefahr zu vermeiden, wurde nur eine kleine Menge, etwa den
Raum einer Linse einnehmend, in eine auf dem Kork angebrachte Einkerbung gelegt, der
Platindraht dagegen in eine eben solche, die andere kreuzende Einkerbung gebracht,
so daß in dem Kreuzungspunkt das Knallsilber mit dem Drahte sich in Berührung
befand. Als nun der Draht zum Glühen kam, entzündete sich zwar das Knallsilber und
verbrannte mit sichtbarer Feuererscheinung, aber ziemlich langsam und ganz ohne
Explosion.
Es hätten nun zwar diese Versuche noch weiter ausgedehnt und theils mit anderen
explosiven Körpern, theils auch bei verschiedenen Graden der Luftverdünnung
angestellt werden können; doch scheinen mir schon die angegebenen Resultate zu einer
Veröffentlichung interessant genug.
Als Erklärung dieser sonderbaren Erscheinung nehme ich an, daß in Folge des
mangelnden oder doch nur höchst unbedeutenden Widerstandes der umgebenden Luft die
aus dem explodirenden Körper entweichenden Gase, welche sonst durch ihre hohe
Temperatur die Entzündung auf die benachbarten Theilchen übertragen, sich so schnell
auszudehnen vermögen, daß sie bis unter die Entzündungstemperatur der benachbarten
Theilchen erkalten, wie ja bekanntlich jeder luftförmige Körper durch Ausdehnung
eine Temperaturerniedrigung erleidet. Nimmt man diese Erklärung als richtig an, und
ich muß mich außer Stande erklären, eine andere aufzufinden, so folgt, daß schon
eilt Unterschied von Einer Atmosphäre Druck einen enormen
Einfluß auf die Temperatur der entweichenden Gase übt. Wenn also ein explosiver
Körper, z.B. Schießpulver, in einem geschlossenen Raume verbrennt, wo die Gase auf
sich selbst einen Druck von, den bisherigen Berechnungen nach, über 4000 Atmosphären
ausüben, so muß hierbei die Temperatur einen Grad erreichen, der sich wohl jeder
Berechnung entzieht.
Es ist bisher noch nie gelungen, Schießpulver in einem verschlossenen Raume, der mit
dem Pulver ganzausgefüllt war, zu verbrennen, ohne daß
das Gefäß, mochte es auch noch so stark seyn, gesprengt worden wäre, und wenn der
Capitän Rodman in New-York eine Bombe von 1 Fuß
äußerem und 4 Zoll innerem Durchmesser sprengte und den dabei stattfindenden Druck
mittelst einer sinnreichen Vorrichtung, deren Beschreibung nicht hierher gehört, zu
11000 Atmosphären bestimmte, so beweist dieß nur, daß die Bombe keinem stärkeren
Drucke widerstehen konnte. Vielleicht, ja höchst wahrscheinlich, war der wirklich
vorhandene Druck ein viel größerer.
Wenn ferner Bunsen und Schischkoff bei ihren berühmten Versuchen zur chemischen Untersuchung der
Verbrennungsproducte des PulversPolytechn. Journal Bd. CXLVII S.
413. dasselbe ganz freiliegend verbrannten, so bleibt es mindestens zweifelhaft,
ob beim Verbrennen im ganz geschlossenen Raume die Producte dieselben gewesen
wären.