Titel: | Ueber weißes Schießpulver; von Dr. Sauerwein. |
Fundstelle: | Band 164, Jahrgang 1862, Nr. XXXV., S. 123 |
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XXXV.
Ueber weißes Schießpulver; von Dr. Sauerwein.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen
Gewerbevereins, 1861 S. 302.
Sauerwein, über weißes Schießpulver.
In den technischen Zeitschriften sind in der letzten Zeit zwei verschiedene
Vorschriften zur Bereitung eines sogenannten weißen Schießpulvers mitgetheilt. Das
eine, von Augendre erfundene besteht aus einer Mischung
von gelbem Blutlaugensalz, Rohrzucker und chlorsaurem Kali und ist im polytechn.
Journal Bd. CLIX S. 427 besprochen. Dieses
Pulver erfordert jedenfalls große Vorsicht bei seiner Bereitung und Handhabung. Ein
zweites, hiervon gänzlich verschiedenes, auf einer schon 1833 von Braconnot gemachten Entdeckung fußendes, weniger
gefährliches weißes Schießpulver ist kürzlich wieder in Anregung gekommen und von
dem österreichischen Artilleriemajor Uchatius im
polytechn. Journal Bd. CLXI S. 146
beschrieben. Nach dieser Vorschrift behandelt man Stärke, ähnlich wie die Baumwolle
zur Bereitung der Schießbaumwolle, mit einer Mischung von concentrirter
Salpetersäure und Schwefelsäure, wäscht und entsäuert gehörig und trocknet das
Pulver. Da sich beim Eintragen der Stärke in das Gemisch von Schwefelsäure und
Salpetersäure leicht Klümpchen bilden, deren innere Partien sich der Einwirkung der
Säure entziehen, so soll man bei der Darstellung folgendermaßen verfahren:
Man löst 1 Gewichtstheil trockner Kartoffelstärke in 8 Theilen rauchender
Salpetersäure bei gewöhnlicher Zimmertemperatur auf, indem man die beiden
Bestandtheile in eine Flasche bringt und öfter umschüttelt. Erwärmung ist jedenfalls
sorgfältig zu vermeiden, sowohl bei dieser Auflösung wie beim Zusammenbringen
derselben mit der Schwefelsäure bei der nachfolgenden Behandlung, da die Stärke
sonst leicht oxydirt wird, wobei Oxalsäure gebildet wird, folglich Verluste
entstehen. Die Stärke löst sich im Verlauf von etwa einer Stunde in der Säure auf,
und bildet eine dicke syrupförmige Flüssigkeit.
Diese syrupförmige Auflösung der Stärke in der Salpetersäure trägt man im dünnen
Strahle (um die Erhitzung zu vermeiden) in 16 Theile concentrirte englische
Schwefelsäure unter lebhaftem Umrühren mit einem Glasstabe ein, wobei das Präparat
sich in fein vertheiltem Zustande ausscheidet, und mit dem Säuregemisch einen dünnen
Brei bildet. Nach Verlauf von 12 Stunden gießt man diesen Brei in das wenigstens
achtfache Volumen Wasser, wobei sich das Präparat in Gestalt eines fein pulverförmigen Niederschlags
abscheidet, und wäscht das Pulver durch Decantiren so lange mit Wasser aus, bis
blaues Lackmuspapier nicht mehr davon geröthet wird. Dann fügt man mehr Wasser und
so viel kohlensaures Natron hinzu, als dem vierten Theile der angewendeten Stärke
entspricht, kocht eine halbe Stunde lang, gießt nach dem Absetzen die braune Lauge
ab, wäscht das Pulver einige Male aus, und trocknet es bei einer Temperatur zwischen
50 und 60º C.
Erwägt man die völlig gleiche chemische Zusammensetzung der Cellulose und des
Stärkemehls und die ganz analoge Behandlung beider zur Bereitung der Schießbaumwolle
einerseits und andererseits dieses weißen Schießpulvers, so wird es natürlich
einleuchten, wie die Zusammensetzung beider wohl nahe übereinstimmen mag. Eine schon
länger bekannte Nitroverbindung der Stärke, das Xyloidin – dessen
Zusammensetzung C¹²H⁹ (NO⁴) O¹º ist – wird erhalten, wenn man Stärke nur in
rauchender Salpetersäure löst und ohne Behandlung mit Schwefelsäure diese Lösung in
Wasser gießt, wobei sich das Xyloidin ausscheidet. Dieses Xyloidin ist zuerst 1833
von Braconnot entdeckt und beschrieben (Annalen der
Chemie und Pharmacie, Bd. VII S. 245). Später (1839 – s. Annalen der Chemie
und Pharmacie, Bd. XXIX S. 38) hat sich Pelouze weiter
damit beschäftigt und dieser Chemiker gibt bei der Beschreibung Folgendes an:
„Das Xyloidin ist sehr verbrennlich, es fängt bei 180º C.
Feuer, und verbrennt ohne Rückstand mit vieler Lebhaftigkeit.“ Er
behandelte darauf Papier mit Salpetersäure von 1,5 specifischem Gewicht, in welche
er dasselbe 2 bis 3 Minuten eintauchte und dann mit vielem Wasser nachwusch, und
spricht in Bezug auf das dadurch erhaltene außerordentlich entzündliche Präparat,
welches diese Eigenschaft nach seiner Meinung dem Xyloidin verdankt, aus, daß davon
vielleicht einige Anwendung, namentlich in der Artillerie zu machen sey.
Wesentlich neu ist in obiger Vorschrift zur Bereitung des weißen Schießpulvers die
bei der Schießbaumwolle längst gebräuchliche Anwendung der Schwefelsäure und das
nachherige Kochen mit kohlensaurem Natron.
Ob bei der oben angegebenen Behandlung des Stärkemehls, wobei außer Salpetersäure
noch Schwefelsäure angewendet wird, noch weiter gehende Substitutionen des
Wasserstoffs durch Untersalpetersäure (NO⁴)
stattfinden, ob dabei auch Bi- oder Trinitroverbindungen entstehen, wie dieß
bei der Bereitung der Schießbaumwolle aus der Baumwolle der Fall ist, mag dahin
gestellt seyn, und müssen weitere Untersuchungen darüber Gewißheit verschaffen. Daß
es sehr wohl der Fall seyn kann, leuchtet ein; indessen stimmen die Angaben des
Erfinders über einige Eigenschaften dieses Pulvers mit denen des Xyloidins sehr nahe überein.
So gibt der Erfinder an, daß das Pulver, auf 175º C. erhitzt, rasch abbrennt;
das Xyloidin verbrennt beim Erhitzen auf 180º C. mit Heftigkeit; beide
Temperaturen liegen sehr nahe. Das weiße Schießpulver wird wie das Xyloidin durch
einen Schlag mit dem Hammer zum Explodiren gebracht.
Bei der Bereitung des Pulvers möchte der Verf. namentlich Gewicht auf die sorgfältige
Behandlung beim Auflösen der Stärke in der Salpetersäure legen, da, wenn Klümpchen
zurückbleiben, diese in ihren inneren Partien – wie der Erfinder angibt
– sich der Einwirkung der Säure entziehen. Dadurch wird jedenfalls das
Endproduct nicht gleichmäßig und nicht so wirksam, wie es seyn soll. Auch hält der
Verf. dafür, daß, wenn das Pulver im Großen dargestellt werden sollte, doch die
Bereitung nicht in einer Portion, sondern in mehreren kleineren Portionen geschehe.
Im ersteren Falle läßt sich eine Erhitzung weniger vermeiden, als im letzteren; es
wird mehr Stärke oxydirt und die Ausbeute fällt geringer aus. Bei der Bereitung der
Schießbaumwolle läßt sich ein und dasselbe Säuregemisch mehrmals anwenden. Dieser
Vortheil fällt natürlich bei der Bereitung dieses Pulvers weg, da das Säuregemisch
in eine große Menge Wasser gegossen wird. Wollte man die Säuren ganz verloren geben,
so würde das Präpart natürlich sehr vertheuert werden; es handelt sich daher bei
einer Darstellung im Großen um die Wiedergewinnung derselben. Diese, womit natürlich
die Trennung der Salpetersäure von der Schwefelsäure verknüpft ist, läßt sich
vielleicht durch Destillation bewerkstelligen. Dabei geht natürlich zuerst eine sehr
verdünnte Salpetersäure über und man müßte daher im geeigneten Moment die Vorlage
wechseln und zuletzt die stärkere Salpetersäure für sich auffangen; das Destillat
könnte man mit kohlensaurem Natron sättigen und aus dem durch Abdampfen erhaltenen
salpetersauren Natron wieder rauchende Salpetersäure darstellen. Oder aus der
abdestillirten verdünnten Salpetersäure könnte auf irgend eine Weise (durch Kochen
mit Stärke, wobei Oxalsäure als Nebenproduct gewonnen würde) salpetrige Säure
entwickelt, und diese in Bleikammern bei der Bereitung der Schwefelsäure verwendet
werden, daher sich die Bereitung dieses Schießpulvers zweckmäßig an eine Sodafabrik
anschlösse. Die Schwefelsäure bleibt nach dem Abdestilliren der Salpetersäure schon
ziemlich concentrirt zurück (bei einem Versuch von etwa 1,65 specifischem Gewicht);
sie könnte auf gewöhnliche Weise weiter concentrirt und so fast gänzlich wieder
gewonnen werden. Darüber müssen weitere Erfahrungen gesammelt werden. Oder, was
vielleicht am zweckmäßigsten wäre, man ließe daß Säuregemisch in dem Ofen, in
welchem der Schwefel bei der Schwefelsäurefabrication verbrannt wird, abdampfen, den Wasserdampf und die
Salpetersäure in die Bleikammern treten, und concentrirte die Schwefelsäure nachher
bis zur erforderlichen Stärke. Dabei würden alle Materialien ziemlich vollständig
wieder gewonnen.
Das Schießpulver selbst, wie es nach dieser Bereitungsmethode erhalten wird, ist ein
gelblich-weißes Pulver, welches in Wasser und Weingeist, wie der Erfinder
angibt, unlöslich, in Aether oder einem Gemisch von diesem und Weingeist aber
löslich ist. Ist es sorgfältig getrocknet, so brennt es bei Berührung mit einem
glimmenden Span rasch mit gelblicher Flamme ab; auch explodirt es durch einen Schlag
mit dem Hammer auf dem Ambos. Hat es dagegen einige Zeit gelegen, so zieht es etwas
Feuchtigkeit an, und verbrennt alsdann bei Berührung mit glimmendem Span langsam und
geräuschlos, ist daher von nur geringer Wirksamkeit, wie Versuche beim Schießen mit
einer Pistole oder in einem kleinen bronzenen Probemörser ergaben, wobei die Kugel
ruhig im Mörser liegen blieb oder doch nur wenig fortgeschleudert wurde. Dagegen ist
die Wirkung des Pulvers, wenn es sorgfältig getrocknet ist und alsbald angewendet
wird, eine sehr kräftige, wovon Referent Gelegenheit hatte, sich zu überzeugen. Beim
Schießen aus einem kleinen Probemörser von Messing, dessen Mündung 1 1/3 Zoll weit
war, und dessen messingene Kugel von 1 1/3 Zoll Durchmesser 125 Gram, wog, wurden
etwa 1 1/2 Gramme des Pulvers angewendet. Die Wirkung war nach ähnlichen zuvor
angestellten geringen Erfolgen – wobei das Pulver höchst wahrscheinlich noch
nicht genug getrocknet war – eine ganz unverhofft starke. Die Kugel flog etwa
10 bis 12 Fuß hoch, schlug dort in die Wand bis zu einigen Linien ein, und wurde
durch den heftigen Anprall durch die ganze Länge des Zimmers, circa 15 Fuß, zurückgeschleudert, prallte gegen ein Filtrirgestell, und
fiel erst von da zur Erde. Dabei entstand ein bedeutender Knall und die Mündung des
Mörsers war nicht allein erweitert, sondern hatte auch mehrere Risse bekommen. Diese
Wirksamkeit ist so bedeutend, daß das Pulver wohl Beachtung verdient.
Indessen eignet es sich in diesem Zustande wohl schwerlich zur Anwendung, da es sehr
leicht Feuchtigkeit anzieht und alsdann auf seine Wirksamkeit wie gesagt, wenig
Verlaß ist. Es handelt sich darum, dasselbe in einen Zustand überzuführen, in
welchem es haltbarer ist.
Der Erfinder gibt in seiner Mittheilung an, daß es sich sehr leicht körnen läßt, wenn
man es mit einer Mischung aus gleichen Theilen Aether und Weingeist zu einem Teige
abknetet und letzteren durch ein Sieb reibt, oder aus dem trocknen Pulver dünne
Platten preßt, diese zerkleinert und aussiebt. Die erste Körnung hat der Verf. bei
Versuchen im Kleinen ausgeführt; das so erhaltene gekörnte Pulver hielt sich nach
dem Trocknen und
Liegen an der Luft dießmal sehr gut. Seine Wirksamkeit beim Schießen (mit einer
Pistole) war eine sehr kräftige; genauere Versuche damit anzustellen, hat der Verf.
sich vorbehalten, und zu dem Zweck eine etwas größere Menge des Pulvers dargestellt.
Er wird darüber später berichten.
Die Körnung mit Aether möchte im Großen der Kostspieligkeit wegen wohl nicht
anwendbar seyn; daher sind auch wohl noch Versuche anzustellen, ob sich nicht
sonstige Methoden der Körnung auffinden lassen, die ein gutes und haltbares Product
liefern.
Der Erfinder gibt an, daß ein Gramm des Pulvers, in Staubform in ein Gewehr geladen,
einen ebenso kräftigen Schuß hervorbringe, wie 3,5 Grm. gewöhnlichen Pulvers.
Ueber die Anwendbarkeit des Pulvers äußert sich der Erfinder in seiner Mittheilung
selbst schließlich folgendermaßen: „Ungeachtet dessen dürfte es nicht
leicht gelingen, diesen Körper für sich allein als Schießmittel anzuwenden, da
er, sowie unter gewissen Umständen auch die Schießwolle, zweierlei Arten der
Verbrennung unterliegt, wovon die eine von voluminöser, gelb gefärbter Flamme,
hoher Temperatur und starker geruchloser Gasentwicklung, die andere, welche
beinahe unsichtbar stattfindet, von niedriger Temperatur und schwacher, nach den
Zersetzungsproducten der Salpetersäure riechenden Gasentwicklung begleitet
ist.
Nur wenn die erstere, vollkommenere Verbrennung eintritt, ist eine hinreichende
ballistische Wirkung vorhanden, im letzteren Falle werden die Projectile mit
schwachem Geräusch auf kurze Distanz hinaus geworfen und ist kein Feuerstrahl
sichtbar.
Ob es möglich seyn wird, die vollkommene Verbrennung jedes Mal sicher zu stellen,
sowie auch die jetzt noch in zu großem Maaße vorhandene rasche Wirkung zu
mildern, werden weitere Versuche zeigen.
Im Fall des Gelingens stände die Auffindung eines Schießmittels in Aussicht,
welches wegen seines äußerst geringen Rückstandes bei der fast allgemein
gewordenen Anwendung von Präcisionsgewehren und gezogenen Kanonen als Bedürfniß
gefühlt wird.“