Titel: | Ueber die Anwendung einer Contrebatterie aus Platin bei elektro-telegraphischen Linien; von M. H. Jacobi in St. Petersburg. |
Fundstelle: | Band 155, Jahrgang 1860, Nr. XXXVI., S. 114 |
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XXXVI.
Ueber die Anwendung einer Contrebatterie aus
Platin bei elektro-telegraphischen Linien; von M. H. Jacobi in St. Petersburg.
Aus den Comptes rendus, October 1859, Nr.
18.
Jacobi, über die Anwendung einer Contrebatterie aus Platin bei
elektro-telegraphischen Linien.
Es ist bekannt, daß die Transmission der Depeschen längs der Telegraphendrähte in
zweierlei Fällen Schwierigkeiten begegnet. Der erste Fall
ist derjenige der unvollkommen isolirten Leitungen, wobei ein Theil des Hauptstromes
abgeleitet wird und sich in den Erdboden verliert. Außerdem nehmen die
Leitungsdrähte durch den hindurchgehenden Strom eine gewisse Polarisation an, analog
derjenigen der Platinelektroden, welche zur Zersetzung des angesäuerten Wassers
dienen. Diese Polarisation veranlaßt einen oft sehr kräftigen secundären Strom in
der Richtung des primitiven Stroms der Batterie, welcher nach dem Aufhören oder der
Unterbrechung des letzteren noch lange anhält. Der secundäre Strom, sich selbst
überlassen, nimmt zwar mit der Zeit an Intensität ab, er verschwindet jedoch selten
ganz, es sey denn, daß man ihm einen Strom von gleicher Stärke und entgegengesetzter
Richtung entgegengesetzt. Als die elektrische Telegraphie noch in ihrer Kindheit
war, und es nur schlecht isolirte Leitungen gab, studirte ich die Erscheinungen
dieser Polarisationsströme an unterirdischen Leitungen in der Umgebung von St.
Petersburg und in St. Petersburg selbst. Die Bulletins
scientifiques der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften enthalten von
mir eine Reihe Abhandlungen über diesen Gegenstand. Die seitdem durchgeführte
Vervollkommnung der elektrischen Leitungen hat zwar das Interesse dieser
Untersuchungen bedeutend vermindert, ich will indessen als eine merkwürdige
Thatsache erwähnen, daß es mehr als einmal gelungen ist, Auflösungen von
salpetersaurem Silberoxyd an den beiden Enden einer unterirdischen 25 Kilometer
laugen Leitung zu zersetzen, ohne Mitwirkung eines Hauptstroms, lediglich durch den
secundären Strom, welcher noch wirksam blieb, nachdem längst eine Batterie von acht
großen Daniell'schen Elementen auf diese Leitung gewirkt
hatte; ebenso kommt es vor, daß bei telegraphischen Apparaten die Armaturen der
Elektromagnete entweder gar nicht angezogen werden, oder so stark hängen bleiben,
daß die Federn zu schwach sind, um sie in ihre normale Stellung zurückzuführen. In
einer Abhandlung, welche ich vor zwölf Jahren in der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften zu St. Petersburg vorlas, habe ich das Mittel angegeben, wodurch es
mir gelungen ist, diese bisher für unübersteigbar gehaltenen Schwierigkeiten zu
bewältigen; es handelte sich damals darum, nach dem Wunsch meines Kaisers die
Transmission von Depeschen längs einer unterirdischen Leitung fortzusetzen, deren
Isolirung so mangelhaft geworden war, daß ich mehr als einmal mich versucht fühlte,
auf die Anwendung dieser Leitung ganz zu verzichten. Dieses Mittel besteht
bekanntlich in der Anwendung von einem oder mehreren Paaren großer Platinelektroden,
welche in ein mit verdünnter Schwefelsäure gefülltes Gefäß getaucht und in der Nähe
des zeichenempfangenden Elektromagneten in die Kette eingeschaltet sind. Es ist
klar, daß durch die Einwirkung des Hauptstroms der Batterie diese Elektroden in dem
nämlichen Sinne wie der Leitungsdraht polarisirt werden, und daß sie daher, nach
Unterbrechung der Kette an der andern Station, in der Spule des Elektromagneten
einen Strom erzeugen, dessen Richtung demjenigen Strom entgegengesetzt ist, welcher
von der Polarisation der unterirdischen Leitung herrührt. Man kann sich von diesen
Wirkungen leicht Rechenschaft ablegen, wenn man sich von der erwähnten Combination,
deren Wirksamkeit meine Erwartung vollständig gerechtfertigt hat, eine Skizze
anfertigt. Die Transmission der Depeschen wurde in der That nur möglich durch die
Anwendung dieser Contrebatterie aus Platin; setzte man sie außer Thätigkeit, so
hörten die Signale in Folge der durch den Elektromagnet auf die Armatur ausgeübten
permanenten Attraction augenblicklich auf. Es ist interessant, die Wirkungen dieser
entgegengesetzten Polarisationsströme zu beobachten, indem man den Elektromagneten
durch einen nicht allzu
empfindlichen Multiplicator ersetzt. Oeffnet man die Kette an der andern Station, so
sieht man die Nadel plötzlich gegen ihre Gleichgewichtslage hin sich bewegen, welche
sie überschreitet, um eine Abweichung nach dieser Richtung anzunehmen; die
Polarisation der Platinelektroden, obgleich stärker als diejenige der Kette, ist
jedoch von geringerer Dauer als letztere, daher sie neuerdings die Oberhand gewinnt
und die Nadel auf die Seite ihrer ersten Ablenkung zurückführt. Diese
Aufeinanderfolge entgegengesetzter Ströme ist die Ursache warum die Armatur sich von
dem Elektromagneten trennt. Der Widerstand, welchen die Contrebatterie zu demjenigen
der Hauptkette hinzufügt, kommt, wenn es sich um eine telegraphische Kette von
einiger Ausdehnung handelt, nicht in Betracht, vorausgesetzt daß die angewandte
Flüssigkeit ein guter Leiter ist und die Elektroden nicht zu eng sind.
Ich habe nun noch über einige Versuche zu berichten, welche später an einer Leitung
von 300 Kilometern angestellt wurden, die einen Theil der unterirdischen Linie von
St. Petersburg nach Moskau bildet, und deren Isolirung damals so vollkommen wie
möglich war. Diese vollkommene Isolirung bildet den zweiten Fall, in welchem die Transmission der Depeschen Schwierigkeiten
begegnet. Bekanntlich kann man die gut isolirten unterirdischen Leitungen als eine
ungeheure Leydner Flasche betrachten, deren Ladung, da sie sich nach dem Aufhören
des Hauptstromes nur langsam verliert, secundäre Ströme anderer Art veranlaßt,
welche meines Wissens unter dem Namen rückläufige Ströme (courants de retour) bekannt sind, und nach Unterbrechung der Kette auf die
telegraphischen Apparate noch fortwirken. Es sind dieß die Erscheinungen bei
vollkommen isolirten unterirdischen Leitungen, welche eine auffallende Analogie mit
den vorher besprochenen der mangelhaften Linien darbieten – eine Analogie,
welche vielleicht oft irrige Erklärungen der bei der Transmission von Depeschen
beobachteten Verzögerung veranlaßte.
Als ich einen elektrochemischen Telegraphen eigenthümlicher Construction auf der
erwähnten unterirdischen Linie von 300 Kilometern versuchen wollte, deren Isolirung,
wie gesagt, damals noch möglichst vollkommen war, erhielt ich zu meinem Erstaunen
auf dem Papierstreifen statt der Signale nur eine einzige ununterbrochene farbige
Linie. Obgleich dieser Fall von demjenigen bei welchem ich Platinelektroden
angewandt hatte, sehr verschieden und demselben hinsichtlich seiner Ursachen sogar
direct entgegengesetzt war, nahm ich doch zu dem gleichen Mittel die Zuflucht,
nämlich zu einer Contrebatterie, welche aus drei Paaren von Elektroden bestand. Nun
erschienen augenblicklich statt der ununterbrochenen Linie die Signale der andern
Station auf dem Papier vollkommen getrennt und lesbar. Die Anwendbarkeit der
Contrebatterie hatte demnach eine Ausdehnung gewonnen, deren Möglichkeit ich kaum
voraussetzen konnte. Als ich zur Gegenprobe die Contrebatterie wieder ausschaltete,
sah ich von Neuem die Signale sich verwirren und eine ununterbrochene Linie bilden.
Durch dieses Mittel konnte ich elektrochemische Signale in rascher Reihenfolge
geben, indem ich mich einer kleinen Inductionsspirale bediente, welche durch ein
einziges Daniell'sches Element in Thätigkeit gesetzt
wurde. Mit Anwendung einer magneto-elektrischen Maschine mit zwei Magneten,
welche 12 Rotationen per Secunde machte, gelang es
ebenfalls 24 vollkommen lesbare und deutlich von einander getrennte farbige Punkte
per Secunde auf dem Papierband der andern Station
hervorzubringen.
Der elektrochemische Telegraph hat bisher nicht diejenige Anwendung gefunden, welche
er wegen seiner Empfindlichkeit und Einfachheit unstreitig verdient. Abgesehen von
einigen Unbequemlichkeiten rein technischer Natur, welche verschwinden werden,
sobald man sich einmal ernstlich mit ihm beschäftigt, kann übrigens dieser Telegraph
keine Aussicht auf Erfolg haben, wenn man ihm nicht die Platin-Contrebatterie
beigibt; nur dann wird er mit allen anderen Telegraphen erfolgreich concurriren
können.
Nachdem die durch die Luft geführten Leitungen in der neueren Zeit bedeutend
vervollkommnet worden sind, kann man einwerfen, daß die Anwendung der Contrebatterie
die Transmission der Depeschen, deren Schnelligkeit wohl so ziemlich ihr Maximum
erreicht hat, um keinen Schritt weiter bringen wird. Ich habe bis jetzt nicht
Gelegenheit gehabt, mit der Contrebatterie auf Linien von einiger Ausdehnung
Versuche anzustellen, um den Einfluß der atmosphärischen Störungen zu studiren,
welchem diese Linien von Zeit zu Zeit ausgesetzt sind, wozu noch die in der letzten
Zeit dem Nordlicht zugeschriebenen, bis jetzt noch wenig aufgeklärten Wirkungen
kommen. Ich habe aber allen Grund zu hoffen, daß man mit Hülfe des angegebenen
Mittels dahin gelangen wird, auch diese Schwierigkeiten zu bekämpfen und bei der
Transmission von Depeschen die Verzögerungen zu beseitigen, zu denen jene Störungen
häufig Anlaß geben.