Titel: | Ueber Seidenwürmerzucht; von Hrn. Guérin-Mèneville. |
Fundstelle: | Band 128, Jahrgang 1853, Nr. CXIV., S. 451 |
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CXIV.
Ueber Seidenwürmerzucht; von Hrn. Guérin-Mèneville.
Aus den Comptes rendus, März 1853, Nr.
12.
Guérin-Mèneville, über
Seidenwürmerzucht.
Auf Antrag einer Commission für Seidenzucht, deren Mitglied und Berichterstatter ich
war, erhielt ich im Jahr 1852 von der (französischen) Akademie der Wissenschaften
den Auftrag, meine Forschungen über diesen Gegenstand fortzusetzen.
Ueber die mit Hrn. Eugen Robert in der Anstalt zu
Sainte-Tulle angestellten Zuchtversuche berichtete ich schon früher
(polytechn. Journal Bd. CXXIV S. 147 und
Bd. CXXVI S. 424). Vorliegende
Abhandlung betrifft den Werth der Cocons der großen
Seidenwürmer-Race der Provence im Vergleich mit den Cocons der in der
Versuchsanstalt zu Sainte-Tulle seit neun Jahren acclimatisirten und
verbesserten Race, nach Versuchen welche in den Jahren 1847 bis 1852
gemacht wurden.
Hr. Robert und ich kamen durch unsere Bemühungen in Besitz
einer durch sich selbst und ohne Kreuzungen verbesserten Race, welche an Reinheit
immer zunimmt, vollkommen acclimatisirt ist und deren Zucht leichter und für den
Züchter sowohl als den Spinner einträglicher ist. Vorzüglich im letzten Jahre,
welches ein so unglückliches war wegen der schlechten Beschaffenheit der Blätter,
deren erster Trieb durch Spätfröste ganz vernichtet wurde, zeigte unsere Race alle
ihre Vorzüge, indem sie selbst an Orten, wo andere gänzlich mißriethen,
vortreffliche Resultate lieferte. Folgendes sind unsere Hauptergebnisse:
Der Gehalt der Cocons verschiedener Racen an ächter Seide
läßt sich erkennen, wenn man die sieben bis acht Schichten, aus welchen die Cocons
bestehen, von einander absondert und abwägt. Die mehr oder weniger weiße und mehr
oder weniger dicke äußere Schicht gibt, was man beim Verspinnen die Strusen (frisons) nennt (von ungefähr 2 Fr. Werth per Kilogramm) und die andern, mehr oder weniger lebhaft
gelben Schichten liefern
die ächte Seide (von 50–70 Franken Werth per
Kilogramm).
Die Menge der Seidensubstanz (Strusen und ächte Seide
zusammen) ist je nach den Racen verschieden und das Verhältniß zwischen der äußern
Schicht (Strusen) und den andern Schichten (ächter Seide) noch wandelbarer. Eine
Race, deren Cocons viel Strusenseide enthalten, ist daher nicht so gut wie eine
andere, deren Cocons weniger Strusenseide, dagegen mehr ächte Seide geben.
Zahlreiche Zerlegungen und Wägungen dieser Schichten, welche mit mehreren, in
Sainte-Tulle gezogenen Racen vorgenommen und mit den Resultaten beim
Verspinnen im Großen verglichen wurden, lieferten sehr wichtige und gut
übereinstimmende Resultate. So z.B. fand ich bei Vergleichung des Seidengehalts der
Cocons der großen Race, welche fast in der ganzen Provence noch gezogen wird, mit
den Cocons der zu Sainte-Tulle acclimatisirten und verbesserten Race, daß bei
den ersteren die äußere Schicht fast die Hälfte vom Gesammtgewicht der Cocons
ausmacht, so daß wenig über die Hälfte der Seidensubstanz
an ächter Seide übrig blieb; während die äußere Schicht der letztern nur etwas über
ein Viertheil des Gesammtgewichts betrug, daher fast drei
Viertheile der Seidensubstanz als ächte Seide verblieben.
Die Erfahrungen beim Verspinnen im Großen lieferten ähnliche Resultate, indem 14,470
Kilogr. Cocons der großen Provencer Race erforderlich waren, um 1 Kilogr. Seide
geringer Qualität zu erhalten, während man nur 10,950 Kilogr. Cocons der
verbesserten Race bedurfte, um 1 Kilogr. Seide erster Qualität zu erhalten.
Man sieht also, daß der Gehalt an ächter Seide durch diese Zerlegung (Anatomie) der
Seidensubstanz ganz richtig bestimmt wird.
Seit zwei Jahren ziehen wir zu Sainte-Tulle eine neue Race mit gelben Cocons,
die aus den chinesischen Eiern erhalten wurde, welche der Hr. Minister vertheilen
ließ. Diese Eier lieferten bei der Zucht in den Privatanstalten und unter
gewöhnlichen Umständen gar kein Resultat, und nur durch ganz besondere Sorgfalt,
durch eine specielle, ganz entomologische Zucht, die ich selbst so zu sagen im
Treibhaus vornahm, gelang es mir, diese Race so zu conserviren, daß ich ihre
Acclimatisirung versuchen konnte.
Diese Cocons sind sehr merkwürdig, denn die Analyse zeigt, daß nur ein Fünftheil als Strusenseide verloren geht, woraus sich ein
noch größerer Gehalt an ächter Seide ergibt, als bei den zu Sainte-Tulle acclimatisirten und
verbesserten Cocons. Ich konnte noch keinen genügenden Vorrath für Spinnversuche
zusammenbringen; es ist aber der Analogie nach der Schluß gestattet, daß diese Race
aus 8 bis höchstens 10 Kilogr. Cocons 1 Kilogr. Seide geben könnte, wonach (bei 10
Kilogr.) die Gestehungskosten der Seide sich auf 48 Franken belaufen würden.
Bekanntlich wird das Quantum der in Frankreich jährlich producirten Cocons auf mehr
als 13 Millionen Kilogramme geschätzt, was 1 Million Kilogr. Seide gibt. Wenn die
Racen so weit verbessert werden, daß man nur 11 Kilogr. Cocons braucht, um ein
Kilogr. Seide zu bekommen, so würde die Seidenproduction um 18 Procente, d.h. um
180,000 Kilogr. gesteigert werden, welche (das Kilogr. zu 60 Franken) 10,800,000
Franken werth sind.
Nachtrag. – Hr. Lamare-Picquot macht die (französische) Akademie der Wissenschaften
darauf aufmerksam, wie höchst nothwendig bei dem beständigen Rückgang der
Seidenzucht in Frankreich es sey – was er schon vor 20 Jahren, jedoch
vergebens empfohlen habe – neue Seidenwürmer-Racen einzuführen, indem
alle zur Bekämpfung der Muscardine angewandten Verfahrungsarten nur unzulängliche
Palliative sind und es kein Mittel gibt, dem alten Stamm des Bombyx mori neue Lebensfähigkeit zu verleihen. Bezüglich der
einzuführenden Racen bemerkt er, daß nach den Erfahrungen mit dem Attacus cecropia und anderen amerikanischen
Seidenwürmer-Arten, Frankreich vom neuen Kontinent in dieser Hinsicht nichts
zu erwarten habe, wegen der schlechten Beschaffenheit des Fadens dieser Larven und
des unstäten Charakters des ausgewachsenen Insects. Dagegen erzeugten fast alle
Seidenwürmer-Arten des östlichen Asiens, welche er untersuchte, einen mehr
oder weniger feinen und elastischen Faden. Die Raupe Saturnia
cynthia liefert dem Fabrikanten eine zarte und zugleich beim Weben
merkwürdig starke Seide. Für den Seidenzüchter hat sie den großen Vorzug, sowohl in
freier Luft als unter Dach gezogen werden zu können, indem man sie mit dem Blatte
einer in Frankreich heimisch gewordenen Pflanze, dem Ricinus
palma christi, füttert. Auch die Paphia kann
mit fünf bis sechs Species von Rhamnus ernährt werden,
sowie mit dem Brustbeerbaum, Ziziphus Iotus, welcher in
den französischen Provinzen von Algier in colossaler Größe wächst, ferner mit andern
Pflanzen in den Wäldern des südlichen Europa's. Hinsichtlich der Acclimatisirung hat
man sich nicht zu beunruhigen; die Cynthia verbleibt
7–8 Monate im Zustande des Eies; die Paphia
ebenfalls 6–7 Monate in der Form des Cocons und der Puppe, sie lassen sich
also leicht in unsere südlichen Departements transportiren. Das Natürlichste wäre
allerdings, die neue Race in China zu suchen, dem unbestrittenen Vaterlande des Bombyx mori; aber die Schwierigkeiten einer
Durchforschung dieses Landes sind zu groß. Anders ist es im großen Plateau
Bengalens, wo Hr. Lamare bei seinem langen Aufenthalte
eine Varietät des Bombyx mori entdeckte; die in dieser
Hinsicht mit Erfolg zu durchforschenden Gegenden wären die temperirten Theile von
Silhet, Assam, Nepaul, Dekan, Kandahar etc.