Titel: | Ueber Papierfabrication in Großbritannien; von Karl Karmarsch. |
Fundstelle: | Band 125, Jahrgang 1852, Nr. XXXVI., S. 133 |
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XXXVI.
Ueber Papierfabrication in Großbritannien; von
Karl
Karmarsch.
Im Auszug aus den
Mittheilungen des hannover'schen Gewerbe-Vereins, 1852, Liefer. 64.
Karmarsch, über Papierfabrication in Großbritannien.
Der Hauptsitz der Papierfabrication des vereinigten brittischen Königreichs ist in
England, und hier wieder besonders in den Grafschaften Kent (woher vorzugsweise die
feinen Schreib- und Zeichenpapiere kommen), Lancaster, Berk, Hereford und
Derby. Die Menge des Erzeugnisses ist seit langer Zeit fortwährend im Steigen
begriffen. Mit der außerordentlichen Zunahme der Fabrication sind zugleich die
Papierpreise so bedeutend herabgegangen, daß sie z.B. im Jahre 1843 weniger als die
Hälfte von denen des Jahres 1801 betrugen. Doch stehen die Preise noch immer höher
als in den meisten anderen Ländern, woran die beträchtliche FabricationssteuerSeit October 1836 beträgt diese Steuer für alle Arten Papier gleichmäßig 1
1/2 Pence auf das Pfund. hauptsächlich mit Ursache ist. Den Gesammt-Geldwerth der
gegenwärtigen jährlichen Papierfabrication schätzt man auf mehr als drei Millionen
Pfund Sterling; jener des außer Landes gehenden Theiles steigt nicht viel über
300,000 Pfd. Sterling, so daß neun Zehntel des Erzeugnisses für den einheimischen
Verbrauch verbleiben.
Die englische Papierfabrication hat viel Charakteristisches, und dieses ist meist von
solcher Art, daß es derselben zur Empfehlung gereicht, indem es mehr oder weniger einen
vortheilhaften Einfluß auf die Qualität des Erzeugnisses äußert. Dem Vernehmen nach
wird der nächstens erscheinende amtliche Bericht der Zollvereins-Commission
über die Londoner Ausstellung eine gründliche und ausführliche Erörterung hierüber
aus völlig sachkundiger Feder enthalten.
Da für den außerordentlich umfangreichen Betrieb dieses Fabricationszweiges in
Großbritannien der Bedarf an Material durch den Zugang einheimischer
Leinen-Lumpen nicht entfernt gedeckt werden kann, so haben die Fabriken
längst nach Lumpenbeziehung aus der Fremde sich umsehen und daneben die Verarbeitung
von Baumwolle in ansehnlichem Maaße einführen müssen.
Großbritannien verschafft sich für seine Papierfabrication eine große Menge
Leinenlumpen aus Ungarn, welche über Fiume bezogen werden und unter allen das
festeste Papier geben sollen. Nebst Lumpen werden auch alte Stricke und Taue, Hede
und die verschiedenen Abfälle der Flachs-Maschinenspinnereien in bedeutendem
Maaße verarbeitet. Aus getheerten Tauen macht man die bekannten braunen Packpapiere,
zu denen das Zeug nöthigenfalls noch nachträglich im Holländer mit Theer vermischt
wird. Gänzlich aus baumwollenem Zeuge wird wohl kein Papier verfertigt; aber ein
Zusatz von baumwollenem Stoff zu dem leinenen ist – insbesondere bei
Darstellung der Druckpapiere – sehr allgemein gebräuchlich, und soll in
manchen Fällen bis zu neun Zehntel des Ganzen hinansteigen. Man rühmt dem theilweise aus Baumwolle
bestehenden Papiere nach, daß es wegen seiner etwas schwammigen Beschaffenheit durch
das Feuchten nachgiebiger werde und hiernach so wie schon an und für sich den Druck
mit Farben besser annehme, weßhalb ganz besonders die Zeitungspapiere, aber auch
andere Papiere zur Buchdruckerei, deßgleichen jene für Tapetenfabrication und
Steindruck, aus solchem Mischzeuge gemacht werden. Baumwolle kommt in Gestalt von
Lumpen, so wie als verschiedenartiger Abfall aus den Spinnereien (cotton waste) zur Verwendung. Letzteres Material
wird zuerst in einer Art Wolf trocken gereinigt, dann zu Halbzeug gemahlen,
ausgepreßt, noch feucht einer wiederholten Reinigung unterworfen, endlich in
Ganzzeug umgewandelt; durch die mehrmaligen Reinigungen geht daran oft über die
Hälfte des Rohgewichts verloren.
Die Sortirung der Lumpen geschieht in England durchschnittlich mit weit mehr Sorgfalt
und Aufmerksamkeit als in Deutschland; das Zerschneiden selbst von den größten
Fabriken regelmäßig durch Handarbeit (ohne Lumpenschneider), indem gerade bei diesem
Verfahren das genauere
Sortiren und die Aussonderung aller ungehörigen Theile am meisten gesichert ist. Man
kocht die Lumpen stark
(mit Kalk und Lauge), bleicht dagegen das Halbzeug nur schwach (fast ausschließlich mit Chlorkalk in großen steinernen Behältern)
und trachtet im Allgemeinen weniger als bei uns nach der blendendsten Weiße, bewahrt
aber eben hierdurch dem Fabricate eine größere Festigkeit.
In der Hrn. Spicer gehörigen
Papierfabrik Glory Mill bei Beaconsfield, unweit London, sah ich folgenden
eigenthümlichen Apparat zum Kochen der Lumpen gebrauchen. Ein gußeiserner
geschlossener cylindrischer Kessel von 9 Fuß Länge und 6 Fuß Durchmesser ist in
einem seiner Böden mit dem weiten Loche zum Füllen und Entleeren versehen, und trägt
mitten auf dem andern Boden ein kurzes Rohr mit Hahn, durch welches man probeweise
Dampf auslassen kann, um die im Innern vorhandene Spannung zu beurtheilen. Dieser
Kessel enthält auf der Mitte seiner Länge zwei einander gegenüberstehende Zapfen,
mit welchen er drehbar in Lagern liegt; einer der Zapfen ist hohl, um Dampf
einzulassen, womit der Inhalt von Lumpen und Lauge erhitzt wird, nachdem man die
Füllöffnung mit einem Deckel dicht verschlossen hat. Durch die Dampfmaschine wird
dann der Kessel langsam – nach meiner Beobachtung Einmal in drei Minuten
– umgedreht, wodurch dessen Inhalt stetig durcheinander gemengt, also das bei
feststehenden Kesseln erforderliche Rühren sehr vollkommen ersetzt wird.
Die sogenannten selbstthätigen Holländer (selfacting ragengines)Beschreibung eines solchen im polytechn. Journal Bd. LXXXVI S. 12., bei welchen durch einen Mechanismus die Walze während des Ganges, ohne
Zuthun des aufsehenden Arbeiters, regelmäßig gegen die Platte niedergesenkt wird,
finden sich in englischen Papierfabriken ziemlich häufig und werden von den
bewährtesten Autoritäten entschieden empfohlen, weil sie einerseits die Arbeit
ungemein beschleunigen, andererseits aber dessenungeachtet dem der Festigkeit des
Papiers so gefährlichen Todtmahlen (einer übertriebenen Zerkleinerung der
Zeugfäserchen) vorbeugen.
Der überwiegend größte Theil der in Großbritannien fabricirten Papiere ist
Maschinenerzeugniß. Man weiß von den bei uns so laut (freilich großentheils mit
Unrecht) erhobenen Klagen über einen Unterschied in der Festigkeit zwischen
Bütten- und Maschinenpapier in England nichts. Ein Hauptgrund hiervon liegt
ohne Zweifel schon in der oben berührten Sorgfalt beim Bleichen, wodurch dem Papierzeuge überhaupt eine
größere Festigkeit gewahrt wird. Ferner ist aber eben so sicher der Umstand von
großem Einflusse, daß die Engländer alle ihre besseren
Papiergattungen im Zeuge mittelst Harzleims nur halb leimen, dann aber
nachträglich mittelst thierischen Leims die Leimung vollenden. Dieses
Verfahren (wozu man den Leimapparat entweder gleich hinten an die Papiermaschine
hängt, oder nachher als abgesonderte Maschine gebraucht) wirkt in zweifacher
Beziehung vortheilhaft; erstens indem die Menge des spröde machenden Harzleims im
Papier vermindert wird; zweitens dadurch, daß die nachträgliche Leimung das Papier
befeuchtet, erweicht und ihm bei der darauf folgenden mäßig
raschen Trocknung eine Zusammenziehung
gestattet, welche bei dem ersten Trocknen auf den sehr heißen Cylindern der
Papiermaschine nicht hat geschehen können.Diese Leimungsart scheint erst seit einigen Jahren in Gebrauch gekommen zu
seyn, da Hr. W.
Oechelhäuser in seinem im J. 1846 erstatteten Bericht über
den Stand der Papierfabrication in Großbritannien und Frankreich
(polytechnisches Journal Bd. CIV S.
302) derselben nicht erwähnt. A. d. Red. Da indessen bei dem gedachten nachträglichen Leimen des Papiers mittelst
thierischen Leims dieser zum Theil auf der Oberfläche sitzen bleibt, so entsteht
hierdurch sehr leicht der (an englischen Papieren oft vorkommende) Fehler, daß die
Tinte hin und wieder schlecht haftet, wie wenn das Papier fettig wäre: beim
Schreiben mit Gänsefedern ist dieser Uebelstand besonders fühlbar, da diese nicht
wie die Stahlfedern in die Papierfläche kratzen.
Geripptes Maschinenpapier, welches bei uns wenig
vorkommt, ist in England sehr gebräuchlich; es erhält sein Ansehen, wodurch es dem
auf gerippten Formen geschöpften Handpapiere ähnlich ist, bekanntlich gleich auf der
Papiermaschine, aber nicht durch die Form (welche vielmehr stets ein
Velin-Sieb ist), sondern mittelst einer besondern Walze – dandy roller genannt – unter welcher das noch
feuchte und weiche Blatt durchgeht bevor es zwischen die ersten Preßcylinder
eintritt. Die Beibehaltung dieser unwesentlichen Zubereitung ist Sache des
Modegeschmacks.
Die Engländer machen im Allgemeinen ihr Schreibpapier, selbst Briefpapier, stärker
(dicker) als in Deutschland meistentheils üblich ist; man gebraucht dort als höchst
fashionables Briefpapier sehr dicke fast pergamentartige Sorten, allerdings von
feiner Masse und aufs Aeußerste geglättet. Für Geschäftsbriefe wird dagegen auch sehr
dünnes Papier benutzt, das sogenannte Bank-post,
wovon erst 15900 bis 34100 Quadratzoll ein Pfund wiegen.
Unter den auf die Londoner Ausstellung gebrachten englischen Papieren ragte durch
Mannichfaltigkeit und vorzügliche Beschaffenheit ganz besonders diejenige Sammlung
hervor, welche Venables, Wilson und Tylor (Nr. 17, Queenhithe, London) eingeliefert hatten. – T. H. Saunders (Queenhithe, London) lieferte starkes so
genanntes Pergamentpapier für Staatspapiere,
Actienscheine, Depeschen-Umschläge etc., ferner dünne und sehr feste
Banknotenpapiere mit künstlichen Wasserzeichen, weißes und farbiges
Sicherheitspapier zu Geldanweisungen, Creditbriefen etc. – Von John Lamb zu Newcastle-under-Lyne sah man das
dünne ungeleimte, aus alten Tauen verfertigte Maschinenpapier, welches in den
Porzellan- und Steingutfabriken zum Aufdrucken
farbiger Zeichnungen gebraucht wird. – Th. Davis Bretnall lieferte so genannten Papier-Shirting (paper cloth), nämlich zum Zeichnen bestimmtes Maschinenpapier in Rollen von 300 Fuß Länge bei 40
Zoll Breite, aus weißem leichten Baumwollengewebe und einem in der Papiermaschine
selbst darauf abgelagerten, durch den Druck der Preßcylinder damit vereinigten
Papierblatte bestehend, theils undurchsichtig, theils durchscheinend zubereitet und
in letzterer Gestalt zum Durchzeichnen geeignet.
Als Curiosum mag schließlich erwähnt werden, daß John Kirby in London Proben von seiner überraschenden, aber wohl schwerlich
nutzbaren Kunst, Papierblätter ihrer ganzen Flächenausdehnung nach zu spalten ausgestellt hatte. Er überklebt das
Papierblatt auf beiden Seiten mit Kattun, trocknet es gut und reißt nun behutsam die
beiden Lagen Kattun auseinander, wobei an jeder derselben die Hälfte der Papierdicke
hängen bleibt. Durch Befeuchten kann man zuletzt den Kleister erweichen und bei
einigem Glücke das Papier unversehrt von dem Gewebe abziehen. Das außerordentlich
dünne Papier einer Banknote ist bekanntlich auf diese Weise in zwei Blätter
gespalten worden, von welchen das eine den Druck der Vorderseite unversehrt
enthielt, während das andere eben so unbeschädigt aber weiß war.