Titel: | Ueber die Anwendung eines Schiebrohrs zur Schonung der Feuerwaffen und Ersparung an Munition bei Unterrichts-Schießübungen; von G. Delvigne. |
Fundstelle: | Band 112, Jahrgang 1849, Nr. XXXVIII., S. 182 |
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XXXVIII.
Ueber die Anwendung eines Schiebrohrs zur
Schonung der Feuerwaffen und Ersparung an Munition bei Unterrichts-Schießübungen;
von G.
Delvigne.
Aus den Comptes rendus, März 1849. Nr.
13.
Delvigne, über die Anwendung eines Schiebrohrs bei
Schießübungen.
Hinsichtlich der Art und Weise die Feuerwaffen Behufs des Abfeuerns zu richten,
ergeben sich nach den verschiedenen Gattungen derselben hiezu dreierlei
Methoden:
1) die Richtweise bei den auf Laffetten ruhenden und auf eine feste Unterlage
gestellten Geschützen der Landartillerie. Diese besteht, wenn vorerst von der
Kenntniß der Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses und des zu gebenden
Richtungswinkels Umgang genommen wird, darin, die höchsten Punkte der Bodenfriese
oder des Aufsatzes und der Kopffriese mit dem Zielpunkte in eine gerade Linie zu bringen. Dieses
auf festem Boden leicht vorzunehmende Richten, von dessen Genauigkeit sich die
Officiere und mehrere Richtmeister Ueberzeugung verschaffen können, gewährt alle
mögliche Verlässigkeit.
2) Das Richten der Geschütze am Bord der Kriegsschiffe, welches auf bewegter
Unterlage und oft gegen ein ebenfalls unstetes Ziel vorgenommen wird. Dieses
Zielrichten, welches dem Schätzungsvermögen eines einzelnen Kanoniers überlassen
werden muß, bietet beträchtlich größere Schwierigkeiten dar, als das Richten einer
Kanone der Landartillerie; nur durch sehr häufige Uebungen und durch große
Gewandtheit in der Wahl des günstigen und so flüchtigen Augenblickes kann daher der
Schiffsartillerist dahin gelangen, mit Sicherheit zu schießen.
3) Das Zielschießen mit den kleinen Feuergewehren. Da dieselben auf mehr oder minder
beweglichen Unterstützungen ruhen, welche in Folge physischer und moralischer
Einflüsse einigermaßen wankend sind, so ist es nicht nur nothwendig, daß jene beiden
Punkte, durch welche sich die entsprechende Visirlinie bestimmt, mit dem Zielpunkte
in eine gerade Linie gebracht werden, sondern auch, daß diese Richtung so lange
festgehalten werde, bis der Schütze inmitten unausweichlicher Störungen den
Augenblick zum Abdrücken erfaßt hat; dazu kommt noch, daß es in diesem
entscheidenden Momente sehr schwierig ist zu verhindern, daß durch die Einwirkung
des Fingers auf den Abdrücker die gute Richtung der Waffe beeinträchtigt werde.
Wegen Mangels gründlicher Forschung und Anhänglichkeit an die bisherige Gewohnheit
hat man erst seit fünf bis sechs Jahren angefangen sich ernstlich damit zu
beschäftigen, der Infanterie den richtigen und erfolgreichen Gebrauch ihrer Waffe
kennen zu lehren. Dieser Zweck wurde durch eine methodisch gesteigerte
Unterrichtsweise erreicht, indem anfangs der praktisch-mechanische Theil von
dem theoretischen getrennt wurde; erst nachdem der Soldat mit Sorgfalt das
Anschlagen und ruhige Liegenbleiben des Gewehrs im Anschlage gelernt, tausendmal den
Hahn abgedrückt und schließlich einige Hunderte von Zündhütchen verpufft hat, wird
er zum Scheibenschießen geführt. Unbezweifelt dürfte es wohl seyn, daß der Soldat,
welcher mit seinem ungeladenen Gewehre bei aufgesetzten Zündhütchen nicht im Stande
ist den Zielpunkt unverrückt zu erhalten, es um so weniger mit dem scharfgeladenen
Gewehre vermag. Das Scharfschießen ist gewiß unumgänglich nothwendig, um den Soldat
an den Knall und den Rückstoß der Waffe zu gewöhnen; aber es soll nie früher
stattfinden, als nachdem der erste Theil des Unterrichts im Zielen mit Erfolg eingeübt worden
ist; denn der Staat würde zu ungewöhnlichen Ausgaben für Munition und Material
veranlaßt werden, wenn es, um gut schießen zu lernen, darauf ankäme, bloß viel
Pulver zu verknallen.
Diese Bemerkung gilt insbesondere für die Schiffsartillerie; denn wie groß auch die
Sorgfalt seyn möchte, welche auf deren Ausbildung verwendet wird, so dürfte nach der
bisherigen Methode diesen Artilleristen eine große Fertigkeit im Schießen ohne
übermäßigen Verbrauch von Munition und Material doch nicht beigebracht werden
können.
Der Beweis hiefür ist leicht zu liefern, wenn man annimmt, daß eine eiserne 30pfünder
Kanone 1500 Franken kostet und nach 400 SchüssenDiese Annahme dürfte sich nur auf die wenigst haltbaren eisernen Geschütze
beziehen, denselben im allgemeinen aber eine viel größere Ausdauer von
Schüssen zuzumuthen seyn. A. d. Uebers. gewöhnlich außer Gebrauch gesetzt wird; hätte nun von bloß zwei
Richtmeistern jeder jährlich 40 Schüsse zu machen, so wäre das Geschütz nach Verlauf
von fünf Jahren unbrauchbar, nachdem für Munition 4000 Franken, für die Anschaffung
des Geschützes 1500 Franken, ohne die Beschädigungen an der Laffette zu rechnen,
verausgabt worden wären. Unter obiger Annahme würde sich sonach für ein einziges
Schiff von 100 Kanonen ein Kostenbetrag von mehr als 100,000 Franken jährlich
herausstellen.
Wird es aber auch möglich seyn, auf einem durch die Wellen mehr oder minder bewegten
Schiffe gut schießen zu lernen, wenn jährlich bloß 40 Schüsse aus jedem Geschütze
geschehen? Gewiß nicht!
Diese Betrachtungen haben mich veranlaßt, auf ein Mittel zu sinnen, den Unterricht im
Richten und Schießen bei sehr geringem Verbrauch von Munition zu vervollkommnen, zu
welchem Zwecke ich bemüht war eine Vorrichtung ausfindig zu machen und dieselbe
Einschießschiebrohr (tube à tir) benenne.
Diese VorrichtungVorrichung besteht für kleine Feuergewehre in einem mit Zügen versehenen kleinen
Laufe von 1 Decimeter1 Decimeter = 3,823 Zoll rhein. Länge und beiläufig 6 Millimeter6 Millimeter = 0,23 Zoll rhein. Bohrungsdurchmesser; an demselben ist eine lange Röhre von dünnem Eisenblech
befestigt, womit das Schiebrohr bis zum Seelenboden des Gewehres gebracht wird, worauf das
Zündloch des letzteren mit jenem des ersteren in Verbindung zu setzen ist.
Zur Verwendung bei den Geschützen hat dieser kleine Lauf die dem Kaliber derselben
anpassenden Ausmaaße. Zwei eiserne Längenschienen durch zwei oder drei Reife in
ihrer Richtung erhalten, ersetzen hier die bei dem kleinen Feuergewehr in Anwendung
kommende Blechröhre, und dienen sowohl zum Einführen des kleinen Laufes in die
Seele, als auch um denselben wieder an die Mündung des Geschützes zur Ladung
herauszubringen.
Um aus dem kleinen Feuergewehr mit meiner Vorrichtung zu schießen, wird eine Ladung
von nur 1 Decigramm Pulver (10,000 Ladungen per Kilogr. Pulver) durch die lange
Blechröhre eingeführt, welche, da an dem vorderen Ende (Mündung) des kleinen Laufes
eine trichterförmige Aushöhlung angebracht ist, durch letztere in den Ladungsraum
fällt; die darauf zu setzende Kugel fällt ebenfalls in den Trichter und wird mit dem
dünnen Ende des Ladstockes mittelst Druck auf die Ladung gesetzt. Nach dem Abfeuern
wird auf dieselbe Weise mit dem Laden etc. fortgefahren. Ist das Innere des kleinen
Laufes durch den Gebrauch stark verschleimt, so zieht man das Schiebrohr ganz aus
dem Gewehre, schraubt den die Schwanzschraube ersetzenden Knopf los und reinigt dann
den gezogenen Lauf.
Beim Schießen mit Kanonen wird das Schiebrohr zum Laden bis an die Mündung
herausgezogen und nach vollendeter Ladung mittelst der angebrachten eisernen
Schienen wieder bis an den Stoßboden zurückgebracht. Der Lauf des Schiebrohrs,
welches eine Länge von drei bis vier Decimeter3 Decimeter = 11,47 Zoll rheinisches, preußisches oder bayerisches
Artilleriemaaß.4 Decimeter = 15,30 Zoll rhein. Artilleriemaaß. und einen Bohrungsdurchmesser von 25 bis 30 Millimeter25 bis 30 Millimeter = 0,95 bis 1,15 Zoll rhein. Artilleriemaaß. hat, schießt auf 1500 bis 1800 Meter (1992 und 2290 Schritte) kleine 200 bis
300 Gramme (11 1/2 bis 17 Loth bayer. Handelsgewicht) schwere
cylindrisch-conische Geschosse. Mit einer einzigen Pulverladung von 1/4
Kugelschwere des 30Pfünders kann man 250 Schüsse zu 15 Grammen (= 3 3/7 Quint.
bayr.) Ladung machen.
Auf diese einfache Weise wird der erste Theil des Unterrichts-Schießens
äußerst anziehend gemacht, während derselbe bei der bloß markirten Einübung äußerst
langweilig ist.
Der Infanterist würde sonach in den Casernengängen, ja selbst in den Zimmern, mit
sehr geringem Kostenaufwand eingeübt werden können, da hiebei kein anderer Knall
stattfindet als der, welchen ein abpuffendes Zündhütchen verursacht.
Was den Schiffsartilleristen anbelangt, so kann man denselben 1000 Schüsse, ohne
größeren Kostenaufwand als für 10 wirkliche Kanonenschüsse, richten und abfeuern
lassen, und wird hiebei fast dieselbe Schußweite erreichen; was liegt auch daran, ob
bei der Schießübung oder dem Streben den günstigsten Moment zum Abfeuern zu
erhaschen, eine 30pfünder Kanonenkugel oder ein längliches Geschoß von 300 Gram.
Gewicht hinausgeschossen wird, wenn der Schuß richtig ist und dessen Richtung
beobachtet werden kann? Ist die Fertigkeit einmal erlangt, so werden einige scharfe
Kanonenschüsse hinreichend seyn, um das Nöthige bezüglich des Rückstoßes, des
Knalles u.s.f. zu ergänzen.