Titel: | Versuche, welche mit dem Dampfzugkarren des Hrn. Charles Dietz auf gewöhnlichen Landstraßen angestellt wurden. Auszug aus einem Berichte, welcher der Akademie der Wissenschaften in Paris durch Hrn. Séguier im Namen einer Commission erstattet wurde. |
Fundstelle: | Band 75, Jahrgang 1840, Nr. XXXVI., S. 173 |
Download: | XML |
XXXVI.
Versuche, welche mit dem Dampfzugkarren des Hrn.
Charles Dietz auf
gewoͤhnlichen Landstraßen angestellt wurden. Auszug aus einem Berichte, welcher
der Akademie der Wissenschaften in Paris durch
Hrn. Séguier im
Namen einer Commission erstattet wurde.
Aus den Comptes rendus de l'Académie des sciences
2. Sem. 1839, No. 17.
Versuche mit Dietz's Dampfzugkarren auf gewoͤhnlichen
Landstraßen.
Hr. Ch. Dietz beschäftigt sich
bereits seit mehreren Jahren mit Einführung der Dampflocomotiven auf den
gewöhnlichen Landstraßen. Die Akademie hat auf sein Gesuch eine Commission ernannt,
die ihr über einen Zugkarren (remorquer), den Hr.
Dietz nach den durch
zahlreiche Versuche und Erfahrungen erlangten praktischen Daten gebaut hat,
berichten soll, und die ihr hiemit Rechenschaft von der durch sie vorgenommenen
Untersuchung ablegt.
Hr. Dietz hat im Vertrauen auf
die Kraft und Solidität sämmtlicher Theile seiner Maschine dieselbe der Commission
zum Behufe aller von dieser erforderlich gefundenen Versuche unterstellt. Die
Commission hat bei ihren Probefahrten das Observatorium als Abfahrtspunkt bestimmt,
und sich hiebei keineswegs die Hindernisse verhehlt, die die Maschine, welche an den
Champs-Elisées aufgestellt war, auf ihrem Wege über die Boulevards zu
überwinden haben würde. Sie traf dieselbe dessen ungeachtet zur bestimmten Stunde an
dem bestimmten Orte, und will es versuchen, in aller Kürze eine Beschreibung von ihr
zu geben.
Der Apparat besteht in der Hauptsache aus zwei Dampfcylindern, welche mit einem
Röhrenkessel, der den an den Locomotiven gebräuchlichen ähnlich, allein gleich den
von Bury gebauten Locomotiven mit einer kreisrunden Heizstelle versehen ist, in
Verbindung gebracht sind. Die Wirkung des Dampfes wird durch zwei Kolben, welche an
gekreuzte Kurbeln geschirrt sind, weiter fortgepflanzt; die Triebkraft wirkt nicht
direct auf die Welle oder Achse der Räder, wie dieß an einer Locomotive der Fall
ist. Das Fuhrwerk unterscheidet sich übrigens nicht hiedurch allein von den übrigen
derlei Maschinen, sondern es ruht auch auf ganz andere Weise auf dem Erdboden. Es
wird nämlich von 8 Rädern, von denen sechs kleiner sind als die beiden übrigen,
getragen. Die sechs kleineren Räder sind an Zapfenbändern, welche sich nach Art der
Bettstellenrollen drehen, aufgezogen und an den Enden der Maschine, deren Gewicht
sie auf den Boden vertheilen, angebracht. Zwischen jedem der kleinen Räder und dem
Körper des Fuhrwerks sind sehr kräftige Federn, die sich jedoch vermöge einer
eigentümlichen Einrichtung innerhalb ziemlich weiter Gränzen biegen lassen,
übergebracht. Die kleinen Räder sind, was ihre Aufhängung anbelangt, von einander
unabhängig; d.h. sie können von den Federn in sämmtliche an der Straße vorkommende
Vertiefungen getrieben werden, und bleiben also wenigstens zum Theil mit einem
bedeutenden Antheile der Last beschwert. Die sechs kleinen Räder sind, um zur
Dirigirung des Fuhrwerkes beizutragen, mittelst eines Mechanismus so miteinander
verbunden, daß die vorderen in einer Richtung convergiren, während die Hinteren eine
umgekehrte Stellung annehmen. Die Stange der Steuerung des Fuhrwerkes gibt den
Rädern, ohne daß es eines zu großen Kraftaufwandes bedarf, Stellungen, in denen sie
mit den zu durchlaufenden Curven tangential sind.
Den Impuls erhält das Fuhrwerk durch die Adhärenz der beiden großen Räder an dem
Boden. Um der Wirkung eine größere Sicherheit zu geben, sind die Treibräder nicht
wie gewöhnlich mit einem eisernen Reifen beschlagen, sondern mit stehenden
Holzstüken, welche neben einander zwischen zwei eisernen, an den Seiten der Felgen
befestigten Reifen eingesezt sind, ausgestattet.
Diese Treibräder werden von dem Motor her mittelst einer starken endlosen Kette in
Bewegung gesezt. Bei dieser Art der Uebertragung der Bewegung kann sich der Körper
des Locomotors auf den zahlreichen Federn, auf denen er ruht, schwingen und seine
Stellung in Bezug auf die Räder verändern, ohne daß daraus eine Störung in dem
Mechanismus, der gleichsam nur einen Körper mit ihm ausmacht, folgt.
Dem Zugkarren war an dem Tage, den die Commission zur Probefahrt bestimmt hatte, sein
Munitionswagen, und ein großer Eilwagen, worin viele Personen Plaz hatten,
angehängt. Die Wagen waren auf solche Art gegliedert oder an einander gehängt, daß
die Hinteren der Spur des Zugkarrens folgen mußten: eine Einrichtung, welche
durchaus erforderlich ist, wenn ein langer Wagenzug mit Sicherheit von dem auf der
Maschine befindlichen Conducteur gelenkt werden soll.
Nachdem die Commission Plaz genommen hatte, ward der beim Abfahren eintretende
Widerstand von der Maschine mit Leichtigkeit überwunden, und der äußere Boulevard
bis zum Hôtel der Invaliden mit Schnelligkeit durchlaufen. Auf diesem Wege
wurde der Wagenzug mehrermale theils absichtlich, theils um anderen Wagen
auszuweichen, gezwungen, von dem Pflaster auf die ungepflasterte Straße überzugehen,
und umgekehrt. Immer geschah dieß mit aller Leichtigkeit, ja die Bewegung schien
hiebei nicht einmal an Geschwindigkeit zu verlieren. Einmal bot sich sogar auf dem Wege ein
bedeutendes Hinderniß dar; denn der Wagenzug hatte über einen Erdhaufen zu sezen,
der von einer an dem Wege vorzunehmenden Reparatur herrührte. Die Fahrt ward hierauf
noch bis zu den Champs-Elisées fortgesezt und dabei die ziemlich
steile Rampe an der Arenne de l'Étoile mit
Leichtigkeit hinan und hinab gefahren. Endlich hatte die Commission auch Gelegenheit
zu beobachten, mit welcher Leichtigkeit sich der ganze Wagenzug um sich selbst
wenden läßt, um nach entgegengesezter Richtung zu fahren.
Die Commission glaubt sich nach mehrfachen Versuchen berechtigt, sich über den Werth
der Construction des ihrer Prüfung unterstellten Apparates auszusprechen. Sie
überzeugte sich durch die Leichtigkeit, mit der die schwere Maschine, ohne Stöße zu
erleiden, über die tiefsten Gossen sezte, von der Güte ihrer Aufhängung. Ebenso
überzeugte sie die Sicherheit, mit welcher der lange Wagenzug von einer ziemlich
schmalen Straße aus bei dem engen Thore der Werkstätten des Erfinders einfuhr, von
der Möglichkeit einer gehörigen Lenkung, und von der Gewandtheit, mit der die Brüder
Dietz diese zu bewerkstelligen wissen. Der Wagenzug
durchlief mit derselben Leichtigkeit wie gewöhnliche Wagen die belebtesten Theile
und Straßen der Hauptstadt. Die Geschwindigkeit, welche beliebig gesteigert und
vermindert werden konnte, betrug im Durchschnitte 15,000 Metres in der Zeitstunde,
oder etwas weniger als vier Lieues von 4000 Metres.
Ueber den Verbrauch an Brennmaterial wurden der Commission keine Daten vorgelegt.
Ebenso fehlen ihr die Elemente, welche zur Erörterung der Vortheile und Nachtheile,
die dieser Art der Locomotion im Vergleiche mit den auf den Eisenbahnen
gebräuchlichen, und im Vergleiche mit den mit Pferden bewerkstelligten Fahrten auf
gewöhnlichen Landstraßen beigemessen werden müssen.