Titel: | Auszug aus einem Patente, welches Charles Blaker Vignoles von Furnival's Inn in London, und John Ericsson von Brook Street, Fitzroy-Square in der Grafschaft Middlesex, Civilingenieur, auf gewisse Zusäze zu den Maschinen, genannt locomotive Engines oder Dampfwagen, am 7. Septbr. 1830 sich ertheilen ließen, und wovon die Beschreibung am 7. März 1831 in das Enrolment-Büreau übergeben wurde. |
Fundstelle: | Band 41, Jahrgang 1831, Nr. LIV., S. 241 |
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LIV.
Auszug aus einem Patente, welches Charles Blaker Vignoles von
Furnival's Inn in London, und John Ericsson von Brook
Street, Fitzroy-Square in der Grafschaft Middlesex, Civilingenieur, auf gewisse
Zusaͤze zu den Maschinen, genannt locomotive Engines
oder Dampfwagen, am 7. Septbr. 1830 sich
ertheilen ließen, und wovon die Beschreibung am 7.
Maͤrz 1831 in das Enrolment-Buͤreau uͤbergeben
wurde.
Aus dem Register of Arts and Journal of
Patent-Inventions vom 1. Mai 1831.
Mit Abbildung auf Tab.
V.
Ericsson's und Vignoles Patent-Zusaz zu den
Eisenbahnen.
Eine der vorzuͤglichsten Schwierigkeiten in der Anwendung von Dampfwagen auf
Eisenbahnen hat bis jezt darin bestanden, eine hinreichende Reibung oder
Anhaͤngung zwischen den forttreibenden Raͤdern und den eisernen
Geleiseschienen zu erhalten, um selbe uͤber schiefe Flaͤchen
aufwaͤrts zu bewegen, da in solchen Faͤllen die Raͤder geneigt
sind, sich schleifend umzudrehen, ohne den Wagen vorwaͤrts zu bringen. Um
dieses zu verhindern, schlagen die HHrn. Vignoles und Ericsson vor, eine dritte oder Reibungsschiene zwischen den beiden
Laufschienen anzubringen. Diese Reibungsschiene besteht in einer flachen eisernen
Schiene, welche in der Mitte der Bahn ihrer ganzen Laͤnge nach in senkrechter
Stellung (oder auf ihrer hohen Kante) befestigt wird, wie die Fig. 19. darstellt. An
jeder Seite dieser Schiene, welche eine bedeutende Tiefe oder Breite haben muß, ist
eine Frictionswalze angebracht, wie c, d anzeigt. Die
Walze oder Scheibe c, bedeutend groͤßer als d, ist an der vertikalen Achse e befestigt, waͤhrend die kleinere Walze d an ihrer vertikalen Spindel f sich frei
umdrehen kann. An der treibenden Achse der Wagenraͤder g ist ein Kammrad (mit konischen Kaͤmmen) i befestigt, welches in ein anderes aͤhnliches Kammrad i eingreift, das an der Achse der treibenden Walze c befestigt ist. Die Buͤchsen, in denen die Achse
dieser lezteren Walze sich umdreht, sind unter dem Wagen an einem Bloͤke k festgemacht, und die Buͤchsen der Walze d sind an diesem Bloke bei l
so angehaͤngt, daß solche nach Gefallen gegen die Schiene a mittelst des Hebels m
angedruͤkt werden kann. Dieser Hebel ist so aufwaͤrts gerichtet, daß
er von dem auf dem Wagen stehenden Maschinenwaͤrter oder dessen Gehuͤlfen
erreicht werden kann, welcher dann durch die Laͤnge des Hebelarmes in Stand
gesezt wird, die Schiene a mit jedem erforderlichen
Druke zwischen den beiden Walzen einzuklemmen, waͤhrend zu gleicher Zeit die
Wagenraͤder n und o
von ihrer festen Verbindung mit ihrer Achse durch Verschiebung der Ringe p und p losgemacht werden,
so daß sie unabhaͤngig von dieser sich frei umdrehen und auf den
Geleiseschienen r, r fortlaufen koͤnnen.
Die Patent-Traͤger beschraͤnken ihre Anspruͤche auf den
hier beschriebenen treibenden Apparat mittelst zweier Frictionswalzen und einer
Reibungsschiene, bemerken aber, daß dieser Apparat mittelst der Achse der
Wagenraͤder durch die Dampfmaschine, welche diese auf gewoͤhnliche Art
umtreibt, oder durch einen besonderen Dampfcylinder in Gang gesezt werden kann. Die
Tiefe oder Breite der Reibungsschiene a muß nothwendiger
Weise nach dem Neigungswinkel der steilsten Anhoͤhen bestimmt werden,
uͤber welche der Wagen aufwaͤrts gehen soll.
Die Redaction des Register of Arts fuͤgt dieser
Beschreibung folgende Bemerkung bei:
Diese Anordnung beweist einen bedeutenden Grad von
Erfindungsgabe (ingenuily). Indessen zweifeln wir, ob
die Patent-Traͤger die beste Art entdekt haben, das Anhaͤngen
der beweglichen an die unbeweglichen Theile durch Vermehrung der
Beruͤhrungsflaͤchen und des Drukes zwischen beiden zu erhalten.
Anmerkung des Uebersezers.
Dieser Vorschlag der HHrn. Vignoles und Ericsson gibt einen neuen Beweis, daß die fortschaffenden Maschinen
(locomotive Engines) sich noch in einem
hoͤchst unvollkommenen Zustande befinden, und daß die englischen Mechaniker
im Gefuͤhle dieses unvollkommenen Zustandes denselben zwar zu verbessern
suchen, bis jezt aber ihren Zwek noch nicht erreicht haben. Natuͤrlicher
Weise muß die Reibung, oder eigentlich die Adhaͤsion der Raͤder einer
solchen Maschine an die glatten Geleiseschienen groͤßer seyn als der
Widerstand, welchen dieselbe zu uͤberwinden hat; und da die Staͤrke
dieser Adhaͤsion von dem Druke auf die Raͤder, also von dem Gewichte
der Maschine abhaͤngt, so folgt, daß dieses Gewicht desto groͤßer seyn
muß, je groͤßer der im Zuge zu uͤberwindende Widerstand ist. Nach den
bisherigen Erfahrungen betraͤgt diese Adhaͤsion auf den
gegenwaͤrtig allgemein eingefuͤhrten erhabenen Bahnschienen (Edge-rails) 1/20 des auf die Raͤder
druͤkenden Gewichtes, und der Widerstand des Zuges 1/200 der ganzen
fortzuschaffenden Last. Nennt man das Gewicht der treibenden Maschine oder des
Dampfwagens L, und das Gewicht saͤmmtlicher fortzuziehender
beladener Wagen W, so muß, unter der Voraussezung, daß
die Kraft der Maschine auf alle vier Raͤder zugleich wirkt,
1/20 L = 1/20 (W + L) seyn; also
L = 1/10 (W + L) und
W + L = 10 L; folglich
W = 9 L, und L = 1/9 W.
Das heißt: das Gewicht der treibenden Maschine darf nicht geringer als 1/9 des
Gewichtes saͤmmtlicher nachzuziehender Wagen seyn, wenn die Raͤder
dieser Maschine auf einer ganz wagerechten Bahn sich
nicht schleifend umdrehen sollen, ohne vorwaͤrts zu kommen. Weil jedoch die
Raͤder und die Bahnschienen durch den Gebrauch sich immer mehr abschleifen
und glatter werden, und die Reibung oder Adhaͤsion besonders durch
Naͤsse bei anhaltendem Regen noch um Vieles schwaͤcher wird, so darf
man, um auf alle Faͤlle gesichert zu seyn, das Verhaͤltniß von L zu W wenigstens als 1 zu 6
annehmen. Fuͤr eine fortzuschaffende Last von 600 Centnern muß also der
Dampfwagen wenigstens 100 Centner schwer werden. Dieß gilt indessen nur fuͤr
vollkommen wagerechte Bahnen, da kein anderer Widerstand als die Reibungen an den
Raͤdern und Achsen der beladenen Wagen zu uͤberwinden ist, und es ist
klar, daß beim Aufwaͤrtsfahren uͤber schiefe Flaͤchen, wo außer
diesen Reibungen auch die Schwere entgegen wirkt, durch welche der ganze Widerstand
bei einem Steigen von 1 auf 200 Fuß schon verdoppelt, bei 1 auf 100 verdreifacht
wird, u.s.w. die Dampfwagen in demselben Verhaͤltniß noch schwerer gemacht
werden muͤßten. Hierin liegt nun die groͤßte Ungereimtheit des
gegenwaͤrtigen Fortschaffungssystems auf Eisenbahnen, der auffallendste
Widerspruch zwischen zwei entgegengesezten Forderungen. Der eigentliche Zwek: die
Erhaltung des groͤßtmoͤglichen nuzbaren
Effectes fordert die moͤglichste Leichtigkeit der Dampfwagen, und diese
Forderung wird desto dringender, je steiler die zu uͤberfahrenden
Anhoͤhen sind; der gegenwaͤrtige Mechanismus hingegen erheischt gerade
das Gegentheil, und man muß diese Wagen desto schwerer machen, je groͤßer der
Neigungswinkel jener Anhoͤhen ist, weil sonst ihre Raͤder, statt
vorwaͤrts zu kommen, schleifen, oder zuruͤkgleiten wuͤrden. Es
ist aber leicht zu begreifen, daß die Befriedigung dieser lezteren Forderung
ungemein beschraͤnkt ist, und daß bei einem Steigen von mehr als 1/60 schon
alle Wirkung aufhoͤren wuͤrde, d.h. die Dampfwagen auf diese Art, auch
bei hinreichender Bewegungskraft, mit Muͤhe kaum sich selbst fortbringen
koͤnnten.
Die Idee der HHrn. Vignoles und
Ericsson, die
Adhaͤsion der Raͤder an die Bahnschienen durch einen von dem Gewichte
der Maschinen unabhaͤngigen und nach Umstaͤnden zu regulirenden Druk
zu bewirken, ist
daher allerdings sehr vernuͤnftig; indessen stimmen wir mit der Redaction des
Register of Arts darin uͤberein, daß dieser
Zwek durch die hier angegebene Vorrichtung nur auf eine sehr unvollkommene Art zu
erreichen seyn duͤrfte, und wir glauben, daß dasselbe Princip einer weit
besseren Ausfuͤhrung faͤhig ist.
J. v. B.