Titel: | Ueber das Entfärben der Flüßigkeiten durch Kohle. Von A. Vogel, in München. |
Autor: | Prof. Dr. August Vogel [GND] |
Fundstelle: | Band 8, Jahrgang 1822, Nr. XXXII., S. 248 |
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XXXII.
Ueber das Entfärben der Flüßigkeiten durch Kohle. Von A. Vogel, in München.
Vogel über das Entfärben der Flüßigkeiten durch Kohle.
Seit der Epoche, wo Lowiz die Entdekung machte, daß die Kohle
den organischen Substanzen Farbe und Geruch zu nehmen, und gegen Faͤulniß zu
bewahren, faͤhig sey, haben sich viele Chemiker mit diesem interessanten
Gegenstand mannigfaltig beschaͤftigt.
Die erwaͤhnte Eigenschaft der Kohle war bei Konservation des suͤßen
Wassers auf Seereisen, so wie bei Reinigung der vegetabilischen oder animalischen
Stoffe uͤberhaupt in ihrer Anwendung fuͤr's Leben von
außerordentlichen Folgen.
Berthollet, Saussure, der verstorbene F. C. Vogel in Baireuth, Doͤbereiner,
Figuier und viele andere haben mehr oder weniger dazu beigetragen, unsere Kenntniße
uͤber die Entfaͤrbungs- und Absorbtions-Kraft der Kohle
zu berichtigen und zu erweitern.
Die Erfahrung lehrte indessen bald, daß die Kohle von thierischen Substanzen vor der
Holzkohle (nicht um Luftarten zu absorbirenNach
Saussure absorbirt ein Kubikzoll Buchsbaum-Kohle 90 Kubikzoll
Ammoniak-Gas, und 55 Kubikzoll Schwefelwasserstoffgas.,
sondern bei Entfaͤrbung der Fluͤßigkeiten) auffallende Vorzuͤge
besaß. Der Unterschied war so groß, daß, um Zuker, Honig, gefaͤrbte
Salzaufloͤsungen oder Mutterlaugen zu reinigen, man sich nur mit Vortheil der
thierischen Kohle bediente, und vorzuͤglich derjenigen, welche als
Nebenprodukt in den Salmiak-Fabriken gewonnen wird, oder welche beim
Auslaugen des blausauren Kali in den Berlinerblau-Fabriken
zuruͤkbleibt.
Auch selbst unter den thierischen Kohlen besteht in Bezug auf die erwaͤhnte
Wirkung noch ein wesentlicher Unterschied, indem die Kohlen aus Knochen (die
sogenannte Beinschwaͤrze oder gebranntes Elfenbein) bei Reinigung des Essigs
und saurer Fluͤßigkeiten nicht ohne Nachtheil angewendet werden
koͤnnen, weil sich die Saͤure mit dem Kalk der Knochen verbindet,
wodurch der Essig sehr geschwaͤcht, und kalkhaltig wird.
Die thierische Kohle aus Blut oder aus den Berlinerblau-Fabriken ist daher die
fast allein brauchbare; sie macht jezt einen bedeutenden Handels-Artikel aus,
und wird in Frankreich zum Raffiniren des Zukers und der Syrupe sehr gesucht.
Man wußte indessen bisher immer nicht mit Gewißheit, wie die Kohle auf die Pigmente
bei Entfaͤrbung der Fluͤßigkeiten wirkt; noch weniger kannte man den
Grund, warum die thierische Kohle vor der vegetabilischen so ausgezeichnete
Vorzuͤge hat.
Um hieruͤber Aufschluͤsse zu erhalten, wurden vor einigen Jahren von
hollaͤndischen gelehrten Gesellschaften und zulezt von der pharmazeutischen
Gesellschaft zu Paris Preisfragen uͤber die Reinigungsweise vermittelst Kohle
aufgestellt.
In dem Journal de Pharmacie, April Heft, 1822, S. 131,
findet sich eine Anzeige, woraus hervorzugehen scheint, daß die Aufgabe durch
zahlreiche Versuche von mehreren Preisbewerbern in Paris geloͤst ist. Es ist
naͤmlich aus dem Auszuge der eingelaufenen Abhandlungen zu entnehmen, daß die
Kohle mit den Pigmenten, gleich der Alaunerde, eine chemische Verbindung eingeht;
daß weder der Stikstoff noch die Erden in der thierischen Kohle die Ursache der
großen Wirksamkeit sind, daß leztere nicht von einer mechanischen, sondern von einer
außerordentlichen chemischen Vertheilung abhaͤngt.
Obgleich ich reinen Grund habe, in den erwaͤhnten Hauptversuch, daß sich die
Kohle mit den Pigmenten vereinigt, irgend einen Zweifel zu sezen, so hielt ich es
doch fuͤr das allgemeine Interesse der Muͤhe werth, hieruͤber
einige Versuche anzustellen.
Die Kohle von 4 Pfund ausgegluͤhten Weinstein wurde 5 bis 6 mal mit Wasser
ausgekocht; sie enthielt des vielen Auslaugens ungeachtet, noch Kali und
kohlensauren Kalk, welcher lezterer von der Zersezung des weinsteinsauren Kalks im
Weinstein herruͤhrt.
Um die Kohle von diesen fremden Stoffen zu befreien, uͤbergoß ich sie theils
mit verduͤnnter Schwefelsaͤure, theils mit schwacher
Salpetersaͤure und Salzsaͤure, wusch sie alsdann mit vielem Wasser
aus, und troknete sie uͤber Feuer bis zu einem staubigen Pulver.
Die mit Schwefelsaͤure behandelte Kohle verschließt etwas Gips, aber die durch
die beiden andern Saͤuren gereinigten Kohlen enthalten keine Kalksalze
mehr.
Die auf obige Weise durch Kali und Saͤuren zubereiteten Kohlen sind, gleich der
thierischen, sehr dazu geeignet, Fluͤßigkeiten aller Art zu reinigen und zu
entfaͤrben.
Um Gewißheit zu erlangen, daß die Wirkung der Kohle keineswegs vom Stikstoff
abhaͤnge, sondern wirklich nur ihrer chemischen Vertheilung durch Kali
zuzuschreiben sey, vermengte ich 100 Loth Kohlenpulver aus Buchenholz mit 2 Loth
basischen kohlensauren Kali (gewoͤhnliche gereinigte Pottasche), welche zuvor
in 6 Loth Wasser aufgeloͤst war, benezte mit dieser Aufloͤsung das
Kohlenpulver recht innig, und ließ es dann eine halbe Stunde in einem mit Dekel
versehenem Tiegel durchgluͤhen. Alsdann wurde es mit kaltem Wasser und zulezt
mit etwas verduͤnnter Salpetersaͤure ausgewaschen und getroknet.
Ein konzentrirter Fernambuk-Absud mit diesem Kohlenpulver einige Minuten
gekocht, wurde davon entfaͤrbt, und zwar eben so schnell und vollkommen, als
durch die beßte thierische Kohle.
Wurde das Holzkohlen-Pulver, anstatt mit Kali, bloß fuͤr sich, ohne
Zusaz gegluͤht, und dann mit Fernambuk-Absud gekocht, so war das
Entfaͤrben der Fluͤßigkeit fast ohne allen Erfolg.
Aus der mit Pottasche und spaͤter mit verduͤnnter Salzsaͤure
oder Salpetersaͤure zubereiteten Holzkohle, welche die
Fernambuk-Tinktur entfaͤrbt hatte, und welche schwarze Masse dem
kochenden Wasser nicht die allerleiseste Nuͤanz mittheilte, konnte das mit
ihr verbundene Pigment durch Erwaͤrmen mit einer schwachen Kali-Lauge
wieder hergestellt werden.
Bekanntlich hatte bei uns die Hypothese Eingang gefunden, daß sich die thierische
Kohle nur wegen ihres Stikstoffs so wirksam auf Farben zeige; man sieht nun aber,
wie gefaͤhrlich es ist, und wie es sogar den Fortschritten der Wissenschaft
und auch der Industrie zum Nachtheil gereichen kann, wenn eine nicht auf das
Experiment sich stuͤzende Hypothese allgemein aufgenommen wird. Es ist
natuͤrlich, daß die juͤngere Chemiker dadurch abgehalten werden,
uͤber einen Gegenstand Versuche anzustellen, wovon sie sich, einer
vorhandenen Hypothese zu Folge, keine guͤnstigen Resultate zu versprechen
haben.
Haͤtte die Gesellschaft der Pharmacie zu Paris, der Hypothese uͤber
Stikstoffkohle Glauben beigemessen, so wuͤrde sie hieruͤber keine
Preisfrage aufgestellt haben, und es wuͤrden keine Versuche gemacht worden
seyn, um das Problem zu loͤsen.
Moͤchte doch dieß neue Beispiel (sey es mir erlaubt, dieß hier im Vorbeigehen
zu sagen) unsern juͤngern Docenten eine Lehre seyn, in ihren
Vortraͤgen sich mehr an Thatsachen zu halten, woran die Chemie ja ohnehin so
reichhaltig ist, und die schwankenden Hypothesen, Kinder einer lebhaften Phantasie
und im Studierzimmer ausgebruͤtet, nur mit der groͤßten Vorsicht ihren
Zuhoͤrern zu entwikeln.
Wir muͤßen es daher dankbar anerkennen, daß abermals auf dem Wege des
Experimentes ein Zweifel vernichtet, und ein Gegenstand aufgeklaͤrt worden
ist, welcher durch Nachdenken allein und durch eine, wenn auch scharfsinnig
scheinende, Spekulation wohl noch lange nicht aus seinem Dunkel hervorgegangen
waͤre.