Titel: | Kleinere Mitteilungen. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, Miszellen, S. 335 |
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Kleinere Mitteilungen.
Kleinere Mitteilungen.
Einphasen-Wechselstrom-Bahnmotore.
In No. 25 des Electrical World and Engineer vom 24. Dezember 1904 veröffentlicht Friedrich Eichberg einen Vortrag über
Einphasen-Wechselstrom-Bahnmotore, dem folgendes entnommen sein soll.
Die Verwendung von Wechselstrom für die Kraftübertragung, rotierenden Umformern für
die Umwandlung von Wechselstrom in Gleichstrom, und von Gleichstrom-Bahnmotoren kann
nur in seltenen Fällen mit Vorteil stattfinden. In der richtigen Erkenntnis dieser
Tatsache haben Brown & Boveri auf der Linie Burgdorf–Thun und Ganz
& Co. auf der Valtelinabahn die Verwendung von
Drehstrom aufgenommen. Aber wenn auch das Mehrphasensystem hier praktische Erfolge
errungen hat, kann man es darum noch nicht als allgemeine Lösung des Problems des
elektrischen Bahnbetriebes ansehen. Die vielen Einwände, die gegen den
Drehstrominduktionsmotor als Bahnmotor erhoben wurden, sind wohl allgemein
bekannt.
Seit zwei Jahren werden nun Versuche gemacht, den Einphasenmotor für Bahnzwecke zu
verwenden. B. J. Arnolds. D. p. J. 1903, Bd. 318, S. 610. mit seinem Elektro-Pneumatiksystem und die
Oerlikon Co. mit dem Ward
Leonhard-Systemdesgl. S.
611. taten den ersten Schritt. Erst Lamme von Pittsburg ging bahnbrechend vor, indem er zum
ersten Male den Einphasen – Wechselstromserienmotor für Bahnzwecke verwandte, und
bald folgte ihm Finzi in Mailand. Ersterer benutzte
einen Wechselstrom von 16 Perioden i. d. Sekunde, letzterer von 18, und ihre Motoren
waren beide übereinstimmend mit dem Gleichstromserienmotor. Zur Kompensation der
Ankerreaktion brachte Lamme auf dem Feld kurz
geschlossene Windungen an, deren Achse mit der Achse des Ankerfeldes zusammenfiel,
während Finzi Schlitze in den Pohlschuhen
ausführte.
Im vergangenen Jahre wurden nun zwei Bahnlinien eröffnet mit Einphasen-Wechselstrom
als Betriebskraft und mit Motoren, die von der Union
und Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin
ausgearbeitet sind, nämlich die Bahn von Niederschöneweide nach Spindlersfeld und
die Stubaitalbahn bei Innsbruck; erstere Linie hat Wechselstrom von 25 Perioden und
6000 Volt Spannung, letztere 42 Perioden und 2350 Volt Spannung. Besonders über die
bei diesen Bahnen verwendeten Motore soll näher berichtet werden; dieselben sind von
Winter & Eichberg konstruiert und vereinigen
die Eigenschaften des gewöhnlichen Wechselstromserienmotors mit denen des
Repulsionsmotors.
Textabbildung Bd. 320, S. 335
Fig. 1.
Zu dem magnetischen Felde F (s. Fig. 1) wird durch die kurzgeschlossenen Bürsten wie
im Repulsionsmotor ein Querfeld Φ erzeugt, das beim
synchronen Lauf gleich gross wie das Magnetfeld F ist,
aber in der Phase um 90 ° verschoben ist. Wenn daher nahezu synchroner Lauf
erreicht ist, besitzt der Motor ein vollkommenes Drehfeld; bei kleinerer oder
grösserer Geschwindigkeit ist das Feld unsymmetrisch. Das Querfeld bewirkt ferner,
dass die Kurzschlusspannung unter den Bürsten mit wachsender Geschwindigkeit kleiner
wird, bei Synchronismus nahezu 0 ist und dann mit weiter wachsender Umdrehungszahl
wieder zunimmt.
Die Ankerspannung verhält sich bei diesen Motoren wie bei gewöhnlichen Serienmotoren,
indem die Spannung f. d. Ankersegment einen bestimmten Betrag nicht überschreiten
darf, so dass die Ankerspannung im allgemeinen zwischen 100 und 200 Volt liegt. Beim
gewöhnlichen Serienmotor befindet sich die Arbeitsspannung im Anker und das Feld
besitzt nur eine geringe Spannung, daher kann dieser Motor überhaupt nur bei
Spannungen bis zu 200 Volt verwendet werden. Ganz anders beim Winter-Eichberg-Motor. Da der Anker in der Feldachse
kurzgeschlossen ist und daher die Arbeitsspannung nur in den Feldwindungen des
Motors zum Vorschein kommt, so kann der Motor bei jeder gewünschten Spannung
verwendet werden. Bei einer Schaltung wie Fig. 2
verhält sich die Feldspannung E zur Ankerspannung e wie die gesamte elektrische Energie zur Energie für
die Magnetisierung. Den praktischen Verhältnissen entspricht etwa ein
Magnetisierungsstrom gleich ⅓ des Ankerstromes; es ist dann die Spannung an diesem
Motor dreimal so hoch als am gewöhnlichen Serienmator. Fügt man noch einen kleinen
Transformator wie in Fig. 3 ein, so kann man ohne
grosse Verluste das Verhältnis der Spannungen noch weiter vergrössern.
Textabbildung Bd. 320, S. 335
Fig. 2.
Textabbildung Bd. 320, S. 335
Fig. 3.
Erregt man wie bei diesem Motor vom Anker aus, so erhält man in Verbindung mit dem
Querfeld eine EMK, die der aufgedrückten Spannung um 90° voraus eilt und also der
EMK der Selbstinduktion gerade entgegengesetzt ist. Gerade durch diese wattlose
Wechselspannung erhält der Motor seine hohe cos φ
Kurve. Ein 100 PS.-Motor mit einem 3 mm starken Luftspalt hatte bei 70 v. H. der
synchronen Geschwindigkeit einen Leistungsfaktor 0,9. Da dieses günstige Verhalten
mit einer Amperewindungszahl f. d. Zentimeter, die etwa zweimal so gross als beim
gewöhnlichen Wechselstrommotor ist, erreicht wird, kann man bei gegebenem
Ankerdurchmesser und äusseren Dimensionen sehr kräftige Motore bauen.
Eine charakteristische Eigenschaft des Winter-Eichberg-Motors besteht ferner darin, dass man unabhängig von der
Spannung das Feld regulieren kann. Während bei allen Kommutatormotoren durch die unter den Bürsten
kurzgeschlossenen Spulen starke Verluste entstehen, wird hier das Feld dem Strom im
Stator angepasst und dadurch dieser Verlust in unschädlichen Grenzen gehalten.
Verändert man das Feld bei gegebener Spannung, so ändert man auch die
charakteristischen Kurven des Motors. Wie man nun in der Praxis eine solche
Regulierung ausführt, das kann aus den Figuren abgelesen werden.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 4.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 5.
Eine Schaltung wie in Fig. 4 oder 5 eignet sich besonders für hohe Spannungen, da im
Hochspannungskreis kein Schalter oder Regulator nötig ist. Bei der ersteren
Schaltung ändert man bloss die sekundäre Windungszahl des Transformators und damit
die Spannung am Rotor, bei der zweiten, besseren Lösung wird der Statorstrom und der
Erregerstrom im Rotor beeinflusst. Die Fig. 6a und
6b zeigt die Regulierung, wie sie bei den
Motoren einer kleiner belgischen Bahn in Anwendung kommt; dieselbe eignet sich
besonders für niedere Spannung. Fig. 7a und 7b gibt die Schaltung der Motore der Stubaitalbahn
bei Innsbruck, die einmal bei 2350 Volt und einmal bei 400 Volt arbeiten müssen.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 6a.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 6b.
Die Schaltung nach Fig. 2, worin also die Erregung in
Serie mit dem Statorkreis ist, in welchem Falle die Regulierung durch ohmsche oder
induktive Widerstände, event. durch Serien und Parallelschalten von zwei Motoren
erfolgt, eignet sich besonders für kleine Motore. Werden diese etwa für 550 Volt
gebaut, so kann man sie ebensogut bei Gleichstrom verwenden wie bei
Wechselstrom.
Gewöhnliche Serienmotoren mit der Kompensation nach Deri
können auch bei Gleich- und Wechselstrom laufen, wenn die Gleichstromspannung etwa
eineinhalb- bis zweimal höher ist als die Ankerspannung bei Wechselstrom; beim Winter-Eichberg-Motor dagegen, wo die
Gesamtwechselspannung etwa dreimal grösser ist als die Ankerspannung, muss die
Gleichstromspannung etwa halb so gross sein wie die Wechselspannung. Man kann also
beim Uebergang von der Wechselstrom- auf die Gleichstromlinie die parallel
geschalteten Motore in Serie schalten; natürlich ist die Tourenzahl kleiner. Dies
entspricht den praktischen Bedürfnissen, wenn etwa Vorortbahnen mit Wechselstrom
betrieben werden; gehen die Wagen auf die bestehenden Gleichstromlinien in der Stadt
über, so müssen sie doch langsamer fahren. Fig. 8
zeigt eine Schaltung, die sich in solchen Fällen bewährt hat. In der Achse des
Erregerfeldes ist auf dem Stator eine Spule H
angebracht, welche die Ankerreaktion aufhebt. Bei Gleichstrom wird das Feld von den
Statorwindungen erzeugt. Daher ist die magnetische Sättigung im Stator grösser als
bei Wechselstrom.
Fig. 9 zeigt bei einer Netzspannung von etwa 500
Volt die Schaltung zweier Motore, die bei Wechselstrom nach Schema 6 b betrieben
werden; dabei sind die Schalter 2, 4 und 5 geschlossen, 1 und 3 geöffnet. Beim Uebergang auf Gleichstrom werden die
Schalter 2, 4 und 5
geöffnet, 1 und 3
geschlossen.
Die Vorzüge des Winter-Eichberg- gegenüber dem Serien-
und dem Repulsionsmotor sind kurz die folgenden:
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 7a.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 7b.
Der gewöhnliche Serienmotor besitzt, auch wenn er
kompensiert ist, kein Querfeld und hat kein rotierendes Feld. Die
Kurzschlussverluste unter den Bürsten nehmen bei ihm nicht mit zunehmender
Geschwindigkeit ab, auch wächst sein Leistungsfaktor nicht so rasch mit der
Geschwindigkeit. Er kann nur für Spannungen bis zu 200 Volt gebaut werden. Erleidet
der Motor in den Feldwindungen einen Kurzschluss, so wird er unbrauchbar. Der Repulsionsmotor kann nur umgesteuert werden, wenn er
eine zweite Feldwindung oder einen zweiten Bürstensatz besitzt oder wenn seine
Bürsten verstellbar sind. Sein Leistungsfaktor ist niedrig. Zum Zwecke der
Regulierung muss entweder die primäre Spannung vermindert werden oder es müssen die
Bürsten verschoben werden.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 8.
Textabbildung Bd. 320, S. 336
Fig. 9.
Der Winter-Eichberg-Motor hat gegenüber den beiden den
Nachteil, dass er auch noch einen zweiten Bürstensatz für den Erregerstrom besitzen
muss, indessen entstehen dadurch keine neuen Kurzschlussverluste; dagegen hat er den
konstruktiven Vorteil gegenüber dem kompensierten Serienmotor und dem
Repulsionsmotor mit doppeltem Feld, dass er nur eine Feldspule besitzt.
Die Ergebnisse des mehr als einjährigen Betriebes auf der 6000 Volt-Linie
Niederschöneweide–Spindlersfeld sind derartig, dass man den Motor für den
schwierigsten Bahndienst als geeignet ansehen muss.
Die Stubaitalbahn, die seit 1904 im Betrieb ist, hat den Beweis geliefert, dass die
Einphasenmotore auch bei den gebräuchlichen Periodenzahlen von 40–50 Perioden i. d.
Minute arbeiten können, ein Ergebnis, das man noch im Jahre 1902 nicht zu hoffen
wagte, wo man glaubte, Einphasenmotore könnten nur bei niedrigen Periodenzahlen
verwendet werden. Die Tatsache schliesslich, dass der Einphasen-Kommutatormotor auch
mit Gleichstrom betrieben werden kann, macht ihn gewissermassen zu einem
Universalmotor, und man kann folgerichtig den Gleichstrommotor als einen Spezialfall
des Wechselstrom-Kommutatormotors ansehen.