Titel: | Wärmewissenschaftliche Behandlung wirklicher, mit endlicher Geschwindigkeit verlaufender Vorgänge am Beispiel des Eindampfens von Lösungen. |
Autor: | K. Schreber |
Fundstelle: | Band 346, Jahrgang 1931, S. 62 |
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Wärmewissenschaftliche Behandlung wirklicher, mit
endlicher Geschwindigkeit verlaufender Vorgänge am Beispiel des Eindampfens von
Lösungen.
Von Dr. K. Schreber-Aachen.
SCHREBER, Wärmewissenschaftliche Behandlung.
II. Die Thermodynamik der Vorgänge.
(2. Fortsetzung und Schluß).
9. Ausblick auf benachbarte Gebiete. a) Physiologie. Der einseitige Vorgang des Lebens besteht
aus einer unendlichen Anzahl von zweiseitigen nichtumkehrbaren Vorgängen der
gewöhnlichen Art. Wir können in der Zelle Aufbau- und Abbauvorgänge unterscheiden.
Der Betrag der Nichtumkehrbarkeit kann verschieden sein. Vielleicht macht sich
Krankheit, seelische Erregung und dergl. durch einen größeren Betrag der
Nichtumkehrbarkeit der Einzelvorgänge bemerkbar.Schreber: Der Mensch als Maschine. Techn. u. Kultur 1931.
19.
Alle diese Vorgänge schließen sich so an einander an, daß sie für den Gesamtvorgang
des Lebens nur eine Richtung geben, welche für die einfachsten Lebewesen nur dadurch
zum Ausdruck kommt, daß sie immer größer werden, bis zu einer, jeder Art
eigentümlichen Größe, bei welcher sie sich teilen; ihre mittlere Zusammensetzung
bleibt während des Wachsens vollständig ungeändert. Bei den zusammengesetzter
gebauten Tieren zeigt sich aber auch eine langsame Aenderung der mittleren
Zusammensetzung. Sie geht bis zu einer bestimmten Grenze, bei welcher sie so
geworden ist, daß das Lebewesen keine Nahrung mehr aufnehmen kann, und der andere
einseitige Vorgang, das Verwesen, eintritt. Den Uebergang vom einen zum anderen
einseitigen Vorgang nennen wir Tod. Die einfachsten Lebewesen, bei welchen keine
Aenderung der mittleren Zusammensetzung eintritt, sterben auch nicht, während man
bei den zusammengesetzter gebauten Tieren und Pflanzen sagen darf, daß sie vom
Augenblick der Geburt an sterben, denn die Aenderung der mittleren Zusammensetzung
ist die Eigenschaft des Totseins. Vor dem Tod ist die Aenderung langsam, nach dem
Tod ist sie schnell.
Auch in der unbelebten Natur haben wir solche Grenzen der Aenderungsmöglichkeit,
hinter welcher ein anderer Vorgang eintritt: z.B. kann flüssiges Wasser bei
atmosphärischem Druck nicht wärmer werden als 100°; bei weiterer Wärmezuführung
tritt Verdampfung ein.
Trotzdem ist ein Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur vorhanden, denn
es ist zu beachten, daß gleichzeitig mit dem Uebergang von der langsamen zur
schnellen Aenderung der mittleren Zusammensetzung sich auch Geist und Seele der
verwickelter gebauten Tiere, namentlichdes Menschen, vom Leib trennen. Aus den
Beobachtungen der Physiologen folgt, daß Geist und Seele keine physikalischen
Begriffe sind, daß sie nicht mit energetischem oder daraus abgeleitetem Maß gemessen
werden können, während wohl, wie eben bemerkt, seelische Erregungen die
Nichtumkehrbarkeit der Einzelvorgänge im Leib beeinflussen. Mit der physikalischen
Erscheinung des Ueberganges von der langsamen zur schnellen Aenderung der mittleren
Zusammensetzung ist also bei den zusammengesetzter gebauten Tieren und namentlich
beim Menschen noch der metaphysikalische Vorgang der Trennung des Geistes und der
Seele vom Leib verbunden.
9. b) Philosophie. Der seit Clausius noch immer
beibehaltene, mathematisch zwar richtige, aber physikalisch zwecklose Satz: Die
Entropie der Welt strebt einem Maximum zu, hat auch außerhalb der Wärmelehre, ja
auch außerhalb der Physik große Verwirrung angerichtet.
Wir kennen in der Natur eine Größe, welche dauernd zunimmt: die Zeit. Wenn nun die
Entropie ebenfalls dauernd zunimmt, so ist die Versuchung groß, zu sagen, Entropie
und Zeit sind dasselbe; und so kann man nach der Anschauung vieler Denker die Zeit
durch die Entropie bestimmen. Dieses Gleichsetzen von Entropie und Zeit kann
selbstverständlich nicht für das Berkel gelten, denn dessen Gesamtbetrag bleibt
dauernd ungeändert. Es kann also nur das Triekel gemeint sein. Das Triekel ist ein
Maß für die Nichtumkehrbarkeit eines jeden einzelnen wirklichen Vorganges, und es
hat, wie oben gezeigt, keinen Sinn, das Triekel des einen Vorganges mit dem eines
beliebigen anderen Vorganges zusammenzuzählen. Der Satz: Das Triekel der Welt nimmt
immer zu, ist zwar mathematisch richtig, hat aber keinen physikalischen Sinn, und
deshalb darf die Zeit nicht mit dem Triekel in Verbindung gebracht werden.
Man könnte mit demselben Recht die Zeit auch mit der Summe der Fehlerquadrate
zusammenstellen, welche ebenfalls die Eigenschaft hat, mit jeder ausgeführten
Beobachtungsreihe größer zu werden. Seit das „Weltkoordinatensystem“ große
Mode geworden ist, ist das Zusammenstellen von Zeit und Entropie etwas in den
Hintergrund getreten. –
Die im Abschnitt 7 beschriebene Kälteanlage kann man sich sowohl so betrieben denken,
daß sich das Berkel von der atmosphärischen Temperatur teils nach der warmen,
teils nach der kalten Temperatur, aber auch so, daß es sich von der warmen und der
kalten nach der atmosphärischen Temperatur bewegt. Das ist die Folge der Einführung
des Begriffes umkehrbarer Vorgang.
Manche Denker haben daraus den Schluß gezogen, daß zwischen Ursache und Wirkung kein
Unterschied bestehe, daß Ursache und Wirkung einander gleich wäre. Nun ist der
umkehrbare Vorgang überhaupt kein wirklicher Vorgang, sondern nur ein erdachter,
welchen man erdacht hat, um den wirklichen Vorgang bequem behandeln zu können. Von
ihm aus darf man soweit reichende Schlüsse nicht ziehen. Beim wirklichen Vorgang hat
man entweder einen Temperaturüberschuß, dann bewegt sich das Berkel von der warmen
zur kalten Temperatur, man hat eine Arbeitsmaschine; oder man hat einen
Druckunterschiedsüberschuß, dann bewegt sich das Berkel von der kalten zur warmen
Temperatur, man hat eine Kältemaschine. Es ist also in der Wirklichkeit Ursache und
Wirkung sehr wohl von einander zu unterscheiden. Der
Intensitätsunterschiedsüberschuß ist die Ursache, und die durch ihn bewirkte
Richtung der Berkelbewegung ist die Wirkung. Ursache und Wirkung sind sehr von
einander verschieden. –
Naturwissenschaft ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß zu jedem Bedingenden
ein ganz bestimmtes Bedingtes gehört und umgekehrt auch zu jedem Bedingten ein ganz
bestimmtes Bedingendes. Die Tatsache, daß Naturwissenschaft möglich ist, – denn wir
haben ja eine recht gut entwickelte Naturwissenschaft – beweist, daß die gemachte
Voraussetzung zulässig ist. Man nennt sie den Kausalitätssatz. Durch Einführung der
Statistik in die Physik hat man geglaubt, gezwungen zu sein, den Kausalitätssatz zu
„lockern“.
Die Statistik ist eine Darstellungsart der Physik; aber ein Beweis, daß die Statistik
wirklich die Natur darstelle, ist noch nicht erbracht. Der „größte Triumph der
Wahrscheinlichkeitslehre“, „die schönste Frucht der Statistik“ ist
der Boltzmannsche Satz:
„Die Entropie ist der Logarithmus der Wahrscheinlichkeit.“
Dieser Satz ist nun schon mehr als 30 Jahre alt. Fragt man, welcher Baum der
Erkenntnis aus dieser Frucht entstanden ist, so muß auch der begeistertste Anhänger
der statistischen Physik zugeben, daß auch noch nicht das geringste Kräutlein
hervorgesproßt ist. Im Gegenteil: man darf behaupten, daß dieser Boltzmannsche Satz
die Teilung des von Clausius geschaffenen Begriffes Entropie in die beiden Begriffe
Berkel und Triekel gehindert hat. Auf dem Gebiete der Wärmelehre ist seit jener Zeit
kein wirklich wissenschaftlicher Fortschritt mehr erzielt worden. Die wenigen
Arbeiten, welche seit jener Zeit auf diesem Gebiet ausgeführt worden sind, bringen
im Grunde genommen nur Verbesserungen mit weniger vollkommenen Meßgeräten gefundener
Werte. So kommt es, daß, wie J. Stark berichtetJ.
Stark: Die gegenwärtige Krisis der Physik. 1922. 24., Herr
Generaldirektor Dr. A. Vögler schon bei der ersten Verteilung der
Unterstützungen der Helmholtz-Gesellschaft die einseitige Arbeitsrichtung der Physik
verurteilt hat. Auch der heutige Umfang des für die Wärmelehre in Anspruch
genommenen Teils der „Physikalischen Berichte“ zeigt, daß sich seit jener
Zeit nichts geändert hat.
Unter Berufung auf den Satz: An den Früchten sollt Ihr sie erkennen, muß man also
sagen, daß die statistische Physik die Fortentwicklung der Physik, mindestens der
Wärmelehre, gehindert hat, und es ist deshalb kein Grund vorhanden, aus Rücksicht
auf sie die Kausalitätsvoraussetzung der Naturwissenschaften auch nur im geringsten
zu lockern.
Bei Beachtung des Begriffes Triekel gilt der Kausalitätssatz in voller Strenge.
10. Die Dampfbildung aus Lösungen als nichtumkehrbarer
Vorgang. Die Anwendung der eben entwickelten Begriffe auf die Dampfbildung
aus Lösungen bietet eine Schwierigkeit, welche dadurch entsteht, daß die beiden
letzten Möglichkeiten der Wärmebewegung (vergl. oben 5) den Zustand des Dampfes
anders beeinflussen als die erste.
Dampfen wir eine Lösung mit einer bestimmten Geschwindigkeit der Dampfentwicklung ein
und betrachten den Dampf nur im Augenblick seines Entstehens, also wenn sich die
Dampfblase an der Heizwand gerade bildet, so hat der Dampf, weil er beim
Durchbrechen der Oberfläche gegen den an dieser wirksamen osmotischen Druck hat
Arbeit leisten müssen, die Temperatur des aus dem reinen Lösungsmittel entstehenden
Dampfes. Die Lösung dagegen ist um so viel wärmer als dieser, daß die vom Dampf
mitgenommene Verdampfungswärme beim vorhandenen Temperaturunterschied gerade
hinreicht, diese Arbeit nach Carnot-Clausius leisten zu können.
Man kann die Bedingung, daß nur im ersten Augenblick der Dampfbildung beobachtet
werden soll, auch so ausdrücken, daß man die Wirksamkeit der beiden letzten
Möglichkeiten der Wärmebewegung als ∞ langsam voraussetzt.
Der Reichtum der Lösung wird während des Eindampfens immer reicher und damit der
Temperatursprung an der Oberfläche dauernd weiter. Aendern wir die
Verdampfungsgeschwindigkeit, gehen z.B. zu langsamerer über, so erhalten wir im
wesentlichen dieselben Erscheinungen, und wenn wir, wie wir das oben mit dem
Akkumulator gemacht haben, bei beiden Geschwindigkeiten Augenblicksbilder des
Reichtums in gleichen Zeitabschnitten aufnehmen, so erhalten wir, wie in Abb. 1, Punktreihen, deren Punkte im zweiten Falle
dichter liegen als im ersten.
Führen wir dagegen der Lösung Dampf des reinen Lösungsmittels mit seiner
Siedetemperatur mit einer gewissen Geschwindigkeit zu, so daß die Lösung ärmer wird,
wobei wir jetzt Wärme in solchem Betrage abführen müssen, daß die Lösung immer ihren
Siedepunkt behält, entsprechend der Wärmezuführung vorhin, so erhalten wir die
Punktreihen der Seite Entladen der Abb. 1 unten. Wir
wollen nun aus allen diesen Punktreihen die Punkte herausgreifen, welche einem bestimmten Reichtum
zugehören, d.h. wir wollen uns durch die Punktreihen eine Parallele zur i-Achse
gelegt denken.
Wir haben dann bei allen diesen Punkten denselben endlichen Temperatursprung an der
Oberfläche. Gehen wir auf dieser Parallelen zum umkehrbaren Vorgang, zur
gemeinschaftlichen Grenze der beiden Seiten des zweiseitigen Vorganges über, so
haben wir auch bei ihm denselben endlichen Temperatursprung.Schreber: Chem. App. XIII. 1926.
150.
Nun war die Darstellung durchgeführt unter der Voraussetzung, daß die beiden letzten
Möglichkeiten der Wärmebewegung ∞ langsam wirken. Da der umkehrbare Vorgang selbst
schon ∞ langsam verläuft, so müssen wir hier annehmen, daß die beiden letzten
Bewegungsmöglichkeiten der Wärme ∞2 langsam
wirken. Während in der Mathematik der Ausdruck ∞n
als Grenzwert von xn gar keine gedanklichen
Schwierigkeiten verursacht, scheint er in der Physik noch ungewohnt zu sein, und ich
vermute, daß hierin ein Teil der Schwierigkeiten liegt, daß die Gegner der
Faradayschen Erkenntnis diese nicht haben erfasssen können.
Der obere Teil der Abb. 1 ist hierbei noch nicht
berücksichtigt worden. Der endliche Temperatursprung zwischen Lösung und Dampf, von
welchem ich soeben gesprochen, entspricht dem Ruhepotentialunterschiede der beiden
Pole des Akkumulators. Wenn dieser mit einer gewissen Geschwindigkeit geladen werden
soll, so muß zum Ruhepotentialunterschied noch ein Ueberschuß ΔV treten, welchen man
beim Akkumulator sehr genau gemessen hat: Ueberspannung in Abhängigkeit von der
Stromdichte.
Auch bei der Dampfbildung aus Flüssigkeiten ist ein solcher
Temperaturunterschiedsüberschuß nötig, aber man hat ihn bisher noch nicht gemessen.
Je nach der Geschwindigkeit der Dampfbildung muß zwischen Flüssigkeit und Dampf, und
das gilt auch für Wasser, ein Temperaturunterschiedsüberschuß bestehen, welcher dem
AV beim Laden und Entladen des Akkumulators entspricht. Daß dieser
Temperaturüberschuß vorhanden ist, ist bekannt; aber er ist bisher falsch gedeutet
worden: Es besteht beim Eichen des Siedepunktes von Thermometern die Vorschrift, daß
das Quecksilbergefäß sich im Meßraum der Rudbergsschen Röhre befindet, und nicht in
das Wasser taucht. Läßt man es in das Wasser eintauchen, so erhält man heißere
Temperaturen. Dieser Temperaturüberschuß hängt nicht, wie man bisher annahm, von
Unreinigkeiten des Wassers ab, sondern von der Geschwindigkeit der Dampfbildung und
entspricht dem ΔV des Akkumulators in Abb. 1
oben.
Messungen über dieses Δt liegen, soweit mir bekannt, noch nicht vor. Es wäre sehr
wünschenswert, zu wissen, ob dieser Temperaturüberschuß der Flüssigkeit von den
übrigen Eigenschaften der Flüssigkeiten abhängt, oder ob er für alle Flüssigkeiten
bei gleicher Verdampfungsgeschwindigkeit denselben Wert hat. Mir steht kein
Laboratorium und überhaupt keine Mittel zur Verfügung. Ich kann deshalb dahingehende
Versuchenicht ausführen. Aber vielleicht sind besser gestellte Forscher in der
Lage, Messungen dieser Art ausführen zu lassen, damit auch die Wärmelehre, nachdem
sie durch Boltzmanns Satz vom Logarithmus der Wahrscheinlichkeit zum Wärmetod
verurteilt war, wieder zum Leben erweckt wird.
Dieser Temperatursprung ist jetzt, wie schon oben berichtet, von Jakob und Fritz
beobachtet worden.
Der vorliegende Aufsatz wurde als das allgemein wisssenschaftliche Ergebnis meiner
langjährigen Arbeiten über die Temperatur des aus einer Lösung entstehenden Dampfes
im wesentlichen gleichzeitig mit dem Bericht über den Vortrag meiner letzten
Beobachtungen zu dieser Frage auf der Hamburger Naturforscherversammlung 1928
verfaßt; gelangt aber aus Gründen, über welche ich nicht Herr bin, erst jetzt zur
Veröffentlichung.
Am 10. März 1930, also vor der Veröffentlichung der Herren J. und F., Maiheft 1930,
schrieb ich Herrn Geheimrat Knoblauch-München: „Als heißer
Festpunkt unserer Thermometer wird die Temperatur des bei 760 mm aus Wasser
entstehenden Dampfes gewählt und mit 100° bezeichnet. Das Wasser, aus welchem
der Dampf entsteht, ist selbstverständlich wärmer.“ Die Herren J. und F.,
welche den Temperaturunterschied zwischen Wasser und Dampf mit ihrer
Gleichgewichtsphysik nicht in Uebereinstimmung bringen können, müssen mühselig durch
Vergleich ihrer gleichzeitig angestellten Druckbeobachtungen festzustellen
versuchen, ob die Wasser- oder die Dampftemperatur zum Druck auf der
Gleichgewichtslinie gehört.
Will man die Abb. 1 auch für das Eindampfen und
Verarmen von Lösungen benutzen, so muß man die Siedepunktserwärmung, entsprechend
dem Ruhepotentialunterschied des Akkumulators, vielleicht von der unteren i-Achse
ab, zählen und dann die obere i-Achse, je nach der Lage der Parallelen zur i-Achse,
welche dem ausgewählten Reichtum der Lösung zugehört, mehr oder weniger nach oben
verschieben. Dann gibt die Entfernung der beiden i-Achsen von einander ein Maß für
die Siedepunktserwärmung, und die die obere i-Achse schräg schneidende Linie gibt
dann den Temperaturüberschuß, welcher die Verdampfungsgeschwindigkeit bedingt. Der
Winkel dieser Geraden ist noch nicht beobachtet.
Man sieht, die Abb. 1 gibt sämtliche Vorgänge wieder,
welche auf umkehrbare Vorgänge zurückgeführt werden dürfen, d.h., bei denen man die
Hemmungsarbeiten vernachlässigen darf. –
Nun soll noch das Triekel des Eindampfens von Lösungen berechnet werden. Es besteht
aus folgenden Teilen:
a) Für den Wärmedurchgang durch die Heizfläche hatte ich schon oben das Triekel
berechnet. Den Verhältnissen der Wirklichkeit entsprechend setze ich voraus, daß der
Temperaturunterschied der beiden Seiten der Heizfläche gegen die mittlere Temperatur
sehr klein sei. Dann bekommen wir, wenn wir gleichzeitig die durchgehende Wärmemenge
mit Hilfe der Fourierschen Gleichung auf den Temperaturunterschied beider Seiten
zurückführen:
\Delta\,\rho_h=\lambda\,F\,\frac{\Delta\,T^2}{T\,h^2}
b) Für den Wärmeübergang von der Heizfläche an die Lösung läßt sich das Triekel
zurzeit noch nicht berechnen, weil die Uebergangszahl α der Wärme von der Wand an
die Lösung in ihrer Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der Wärmebewegung noch
nicht untersucht ist. Ich muß also einfach schreiben: Δτα, ohne den Wert andeuten zu
können.
c) Ebenso kann man auch noch nicht den Betrag des Triekels berechnen, welcher von der
Eindampfungsgeschwindigkeit herrührt. Man kennt den dem Potentialüberschuß ΔV der
Abb. 1 entsprechenden Temperaturüberschuß bei
Flüssigkeiten noch nicht. Ich muß mich also auch hier mit der unbestimmten Angabe
ΔτT begnügen.
Diese drei Werte würden, soweit man zurzeit übersehen kann, den von der
Geschwindigkeitsarbeit ΔW herrührenden Betrag darstellen, welcher aufgewendet werden
muß, damit eine bestimmte Eindampfgeschwindigkeit erreicht wird. Dazu kommen noch
die von den Hemmungsarbeiten herrührenden Beträge. Zwar können durch geschickte
Anordnung diese Hemmungsarbeiten sehr klein gemacht werden, sie treten aber auf und
müssen deshalb in der allgemeinen Gleichung aufgeführt werden.
d) Solange der Dampf noch dem Einfluß der Lösung und der Wandungen des
Eindampfgefäßes ausgesetzt ist, erhält er von hier durch Leitung und Strahlung
Wärme. Ist die in der Zeiteinheit entwickelte Dampfmenge D mit der spez. Wärme c,
die Temperatur des abziehenden Dampfes TD und die
des reinen Lösungsmittels Tm, so ist die
aufgenommene Wärmemenge D • c • (TD – Tm). Da die Orte, von welchen diese Wärme kommt,
Wandung und Lösung, die Temperatur T1 der Lösung
haben, so ist die vernichtete Arbeit:
A Δ Hû = D • c • (TD – Tm) • (1 – TD/T1 )
Teilen wir dieses durch die Temperatur des abziehenden
Dampfes, bei welcher diese Hemmungsarbeit als Wärme in die Erscheinung tritt, so
erhalten wir den hiervon herrührenden Teil des Triekels.
e) Der von der Lösung abziehende Dampf wird in den Leitungen gedrosselt und muß hier
eine Hemmungsarbeit überwinden, welche einen Zuwachs ΔτD zum Triekel bedingt.
Zählen wir alles zusammen, so erhalten wir das gesamte Triekel des
Eindampfvorganges:
\Delta\,\tau=\lambda\,.\,F\,.\,\frac{\Delta\,T^2}{T\,h^2}+\Delta\,\tau_{\alpha}+\Delta\,\tau_T+D\,.\,c\left(1-\frac{T_m}{T_D}\right)\,\left(1-\frac{T_D}{T_1}\right)+\Delta\,\tau_D
Aus den unentwickelten Gliedern dieser Gleichung sieht man, daß, nachdem der
Clausiussche Begriff der Entropie in seine beiden von einander unabhängigen
Bestandteile Berkel und Triekel aufgelöst worden ist, noch eine große Zahl
vollständig neuer Aufgaben auf dem Gebiete der Wärmelehre zu lösen ist.
Zusammenfassung:
1. Ob und wo es in der Natur sprunghafte Aenderungen von Eigenschaften gibt, ist nur
durch Beobachtung festzustellen.
2. Wie einerseits die osmotische Kältemaschine und andererseits das Landsbergersche
Heizverfahren bei der Molekelgewichtsbestimmung nach dem Siedepunktsverfahren zeigt,
leistet der osmotische Druck an der Oberfläche der Lösungen Arbeit, und deshalb muß
auch beim Eindampfen gegen ihn Arbeit geleistet werden, welche nur durch die
Abkühlung der Verdampfungswärme des Lösungsmittels vom Siedepunkt der Lösung bis auf
den des Lösungsmittels geleistet werden kann; d.h. der aus einer Lösung entstehende
Dampf hat die Temperatur des aus dem reinen Lösungsmittel entstehenden Dampfes.
Wegen Leitung und Strahlung hat der von der Lösung abziehende Dampf eine zwisch,
beiden Siedepunkten liegende Temperatur.
Der sich auf seine Beobachtung verlassende Engländer Faraday hat Recht gehabt, als er
zwischen Lösung und entstehendem Dampf einen Temperatursprung feststellte, während
der aus vorgefaßten Meinungen und unbewiesenen Sätzen ableitende Franzose Gay-Lussac
Unrecht hatte, als er diesen Temperatursprung leugnete.
3. Man muß einseitige und zweiseitige, und unter diesen wieder umkehrbare und
nichtumkehrbare Vorgänge unterscheiden.
4. Der umkehrbare Vorgang ist die gemeinschaftliche Grenze der beiden
Aenderungsrichtungen des nichtumkehrbaren Vorganges und kann deshalb in jeder dieser
beiden Richtungen durch laufen werden; er verläuft ∞ langsam; bei ihm bewegt sich
die Energie bei ∞ kleinen Intensitätsunterschieden.
5. Zur Behandlung von Wärmevorgängen denkt man sich den wirklichen Vorgang durch
einen umkehrbaren ersetzt und benutzt dann das mit Hilfe der zuletzt genannten
Eigenschaft des umkehrbaren Vorganges einzuführende Berkel db = dq/T, wo dq die bei
der Temperatur T bewegte Wärme ist. Das Berkel hat die Stoffeigenschaft Σ db =
0.
6. Die wirklichen, d.h. die nichtumkehrbaren Vorgänge verlangen einen über den beim
umkehrbaren Vorgang genügenden Intensitätsunterschied hinausgehenden
Intensitätsunterschiedsüberschuß. Ein Teil dieses Ueberschusses leistet die
Geschwindigkeitsarbeit, welche den Schnellbetrieb ermöglicht; der andere leistet die
Hemmungsarbeiten. Geschwindigkeits- und Hemmungsarbeiten sind nur rechnerische
Arbeiten, deren Beträge, soweit die Erfahrung reicht, sofort als Wärme auftreten.
Jede dieser Arbeiten, geteilt durch die Temperatur, bei welcher sie als Wärme
auftritt, gibt einen Beitrag zum Triekel des Vorganges, welches ein Maß für die
Nichtumkehrbarkeit des Vorganges ist und als solches kein Vorzeichen hat.
7. Triekel und Zeit haben nicht das Geringste mit einander zu tun.
8. Da Boltzmanns Satz: „Die Entropie ist der Logarithmus der
Wahrscheinlichkeit“, die Entwicklung der Physik nicht gefördert, sondern
gehemmt hat, so ist die statistische Physik für die Fortentwicklung der Physik,
wenigstens der Wärmelehre, schädlich.