Titel: | Charakter und Charakterfehler der motorischen Verbrennung. |
Autor: | A. Lion |
Fundstelle: | Band 345, Jahrgang 1930, S. 7 |
Download: | XML |
Charakter und Charakterfehler der motorischen
Verbrennung.
Von Dipl.-Ing. A. Lion,
Berlin.
LION, Charakter und Charakterfehler der motorischen
Verbrennung.
Die Verbrennung des Kraftstoffes im Kraftfahrzeug-Motor ist ein komplizierter
Vorgang, der nichtsdestoweniger in außerordentlich kurzer Zeit vor sich gehen muß, –
der „Arbeitstakt“ des Motors dauert nur etwa 1/100 Sekunde. Trotz dieser sehr kleinen
Zeitspanne erfolgt die motorische Verbrennung durchaus nicht immer in gleicher
Weise, sondern ist stark abhängig von der Bauart des Motors und vor allem vom
verwendeten Kraftstoff. Man kann sich als Beispiel zwei Extreme vorstellen:
Petroleum ist für viele Zwecke ein durchaus geeigneter Brennstoff, für den Motor ist
es aber bekanntlich ungeeignet. Das gilt nicht nur von reinem Petroleum. Hat ein
Kraftstoff einen großen Anteil an petroleumartigen Bestandteilen, dann verbrennt er
nur zum Teil, die petroleumartigen, hochsiedenden Bestandteile vergasen nicht
während des kurzen Explosionshubes, sie bilden größere Tropfen, die längere Zeit zur
Verbrennung brauchen, als zur Verfügung steht. Sie bleiben an der Zylinderwand
hängen, bis sie allmählich vom Schmieröl aufgenommen werden, das sie, ganz
unprogrammäßig, verdünnen. Es kommt vor, daß sich im Schmieröl 10% und mehr
Kraftstoff-Bestandteile vorfinden, die das Oel für seinen eigentlichen Zweck
ungeeignet machen und zum allmählichen Verschleiß aller gleitenden und sich
drehenden Teile des Motors beitragen, vor allem der Lager. Wenn die für die
Verbrennung zur Verfügung stehende Zeit größer wäre, könnte vielleicht eine innigere
Mischung aller Bestandteile des Brennstoffes mit der zur Verbrennung notwendigen
Luft stattfinden, also auch der schwer vergasenden Anteile. Das eben aber lassen die
Verhältnisse des Vergasermotors nicht zu, und deshalb sind alle Brennstoffe, die
einen großen Anteil an hochsiedenden Bestandteilen haben, für den Kraftwagenmotor
nicht geeignet, weil sie nicht wirtschaftlich sind.
Andererseits könnte man sich aber vorstellen, daß man seinen Motor nicht mit einem
der bekannten flüssigen Kraftstoffe betreibt, sondern mit einem Sprengstoff, etwa
mit Dynamit oder Schwarzpulver. Im Zusammenhang mit der Raketenmotor-Frage sind ja
die „brisanten“ Sprengstoffe erwähnt worden, wobei übrigens immer wieder
darauf hingewiesen werden muß, daß deren Energie-Inhalt viel kleiner ist als der der
flüssigen Kraftstoffe. Was wäre nun die Folge, wenn man größere Mengen derartiger
brisanter Kraftstoffe im Motor über dem Kolben entzünden würde? Der Motor würde
überhaupt nicht erst anspringen, dagegen würde wahrscheinlich der Kolben zerstört
werden. In diesem Fall ist die Verbrennungs-Geschwindigkeit zu groß, als daß sie mit
den mechanischen Verhältnissen des Vergaser-Motors in Einklang gebracht werden kann.
Denn zur Uebertragung der bei der motorischen Verbrennung freiwerdenden Kräfte ist
eine gewisse Zeit notwendig, die zwar nur in der Größenordnung von
Hundertstel-Sekunden liegt, aber immerhin eine meßbare, nicht zu vernachlässigende
vorhandene Zeitspanne ist. Die freiwerdenden Kräfte äußern sich in einem Druck, der
auf den Kolben wirkt, und die Kolbenbewegung wiederum muß über Pleuel und Kurbel auf
die Räder des Wagens übertragen werden, und das dauert eine gewisse Zeit. Würde man
also einen Sprengstoff im Motor verbrennen, dann erfolgte die „Verbrennung“
so rasch, daß gar nicht die notwendige Zeit zur Verfügung stünde, um die großen
Massen des Kolbens, des Triebwerkes usw. zu beschleunigen. Ehe sich diese Massen zur
Bewegung entschlossen hätten, wäre der Kolben schon zerstört, ohne daß die
Kurbelwelle sich auch nur ein einziges Mal gedreht hätte.
Diese zwei extremen Beispiele weisen deutlich zwei „Charakterfehler“ der
motorischen Verbrennung auf: Im ersten Falle erfolgt sie so langsam, daß sie
gewissermaßen während des kurzen Explosionshubes nicht beendet wird; es bleiben
Rückstände, die unwirtschaftlich und schädlich sind. Im zweiten Fall erfolgt die
Verbrennung zu rasch für den Motor, der ihre Kraftentfaltung nicht ausnutzen kann.
Eine Explosion ist eben keine motorische Verbrennung, trotz der Verwandtschaft der
beiden Vorgänge. Man versteht, wenn es heißt, daß ein guter Kraftstoff „weich
verbrennen“ muß.
Druckanstieg bei der motorischen Verbrennung und Kolbenweg müssen gewissermaßen
parallel laufen: überholt der Druckanstieg den Kolben auf seinem Wege, dann treten
deutlich hörbare, explosionsartige Schläge auf, der Motor „klopft“ und wird
dadurch geschädigt. Es gibt viele Kraftfahrer, die hart, explosionsartig kurz,
verbrennen, schlagartig, ungünstig auf Triebwerk und Lager einwirkend. Ihre
Arbeitsleistung kann trotzdem hoch sein, aber die schädlichen Nebenwirkungen
vermindern ihren Wert. Der Verbrennungs-Charakter eines Kraftstoffes im Motor
spricht sich hauptsächlich in der Art des An- und Abstieges seines Druckes bei der
motorischen Zersetzung aus. Es ist also wichtig, den Verbrennungs-Charakter
weitgehend den mechanischen Vorgängen im Kraftwagenmotor anzupassen. Damit ist
durchaus nicht gesagt, daß in allen Fällen der hochwertigste Kraftstoff verbrannt
werden muß, dessen günstigste Ausnutzung vielleicht in dem betreffenden Motor gar
nicht möglich ist, und dessen Preis so hoch ist, daß der Betrieb dadurch zu teuer
wird. Man wird in den meisten Fällen ein Kompromiß vorziehen und ein
Brennstoff-Gemisch wählen. So hat man beim Benzol, das bekanntlich einen sehr
günstigen Verbrennungs-Charakter hat, weich und lagerschonend verbrennt, bei den
üblichen Verdichtungsgraden, wenn sie auch durchschnittlich höher liegen als noch
vor wenigen Jahren, nicht die Möglichkeit einer vollen Ausnutzung seiner
energetischen und motorischen Eigenschaften. In den meisten Fällen leisten praktisch
Misch-Kraftstoffe dasselbe, bei niedrigerem Preise, und man vermeidet bei deren
Verwendung das Klopfen beim Anfahren und Steigen und das häufige Schalten,
Vorgänge, die gewissermaßen Folgen von Charakterfehlern einer motorischen
Verbrennung darstellen.