Titel: | Zur Erforschung der Ausbreitung elektrischer Wellen durch Beobachtungen der Rundfunkteilnehmer. |
Autor: | F. Kiebitz |
Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 53 |
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Zur Erforschung der Ausbreitung elektrischer
Wellen durch Beobachtungen der Rundfunkteilnehmer.
Von Professor Dr. F. Kiebitz.
KIEBITZ, Zur Erforschung der Ausbreitung elektrischer
Wellen
Solange drahtlose Telegraphie angewendet wird, ist bekannt, daß der Empfang
Schwankungen unterworfen ist, und man hat ihren Ursachen von jeher nachgeforscht.
Solange man dabei auf subjektive Beobachtungsmethoden angewiesen war, bot es
Schwierigkeiten, die Ursachen dieser Schwankungen richtig zu beurteilen, insofern
als man keine Möglichkeit hatte, etwaige Aenderungen der Empfindlichkeit der
Empfangsgeräte genau in Rechnung zu setzen. Ueber Entfernungen von einigen hundert
Kilometern hat M. ReichM. Reich, Phys. Zeitschr. 14, S. 934–938,
1913. im Jahre 1913 quantitative Messungen der Intensität der
ankommenden Wellen und ihrer Schwankungen ausgeführt und deutliche Einflüsse des
Zwischengeländes sowie Schwankungen mit Tag und Nacht zahlenmäßig bekanntgegeben.
Ueber die größten Entfernungen, die auf der Erde vorkommen, hat M. BäumlerM. Bäumler, E. N. T. 1, S. 50–64, 1924.
zum ersten Male im Jahre 1924 quantitative Messungen veröffentlicht, die
zahlenmäßigen Aufschluß über die Abhängigkeit der langen Wellen der Großstationen
besonders von den Tages- und Jahreszeiten gebracht haben, und seitdem mehren sich
auch im Ausland Messungen dieser Art.
Nach Aufstellung der Rundfunksender haben sich wiederholt störende Einflüsse gezeigt,
deren Ursache in der Beschaffenheit des Geländes gesucht wurde; es bestand darum das
Interesse, die örtlichen Einflüsse zu untersuchen, und M. BäumlerM. Bäumler, E. N. T. 1. S. 160–167,
1924. hat zu dem Zwecke die Intensität der Wellen rund um den Sender
herum zahlenmäßig ermittelt.
Die Stärke der ankommenden Wellen wird bei Messungen dieser Art aus der Stärke der
empfangenen Ströme und den Eigenschaften der Empfangsantenne ermittelt. Solche
Messungen sind schwierig, weil die Empfangsströme sehr klein sind.
Es gibt aber auch ein anderes Mittel, Störungen der Wellenausbreitung zu erkennen,
ohne daß die Feldstärken gemessen zu werden brauchen; dieses Mittel ist die
gerichtete drahtlose Telegraphie. In der Tat hat man seit den Anfängen ihrer
systematischen Erforschung Störungen der Wellenausbreitung festgestellt. Die
gerichtete drahtlose Telegraphie, der Richtfunk, setzt nämlich gleichmäßige
Ausbreitungsbedingungen in allen Himmelsrichtungen voraus. Wenn darum bei
einwandfreier Sende- und Empfangsanlage die beobachtete Richtung mit der erwarteten
übereinstimmt, so ist dies ein Beweis dafür, daß die Ausbreitung gleichmäßig
erfolgt, während jede Abweichung der beobachteten Richtung von der erwarteten
eine Störung der Ausbreitung anzeigt.
Solche Störungen treten mit Einbruch der Dunkelheit beim Empfang ferner Sender ein,
eine Erscheinung, die ich im Jahre 1912 zum ersten Male beschrieben habeF. Kiebitz, Jahrb. drahtl. Telegr. 6, S. 6 u. 7, 1912. und die
neuerdings in den Theorien über die Einflüsse der Atmosphäre auf die
Wellenausbreitung eine besondere Rolle spielt. Auch Geländeeinflüsse haben sich
durch Richtungstelegraphie feststellen lassen, so eine Begünstigung der
Wellenausbreitung durch die Havelseen,F. Kiebitz, Jahrb. drahtl. Telegr. 6, S. 1–9, 1910. eine Brechung
der Wellen an der Küste,F. Kiebitz, Jahrb. drahtl. Telegr. 6, S. 1–9, 1910. und viele
ähnliche Verzerrungen der Wellen, die heute alltäglich geworden sind.
Die Kenntnis dieser störenden Einflüsse, die das Gelände verursacht, hat Bedeutung
für die Auswahl des Aufstellungsplatzes von Sendestationen. Wenn dabei von der
Richtungstelegraphie bisher nur gelegentlich Gebrauch gemacht worden ist, so liegt
das daran, daß früher nur vereinzelte Empfänger zur Verfügung standen, mit denen
nicht gleichzeitig das Ausbreitungsbild im ganzen Umkreis des Richtsenders
festgestellt werden konnte. Erst der Rundfunk hat Empfangsmöglichkeiten großen
Umfangs geschaffen. Um sie ausnutzen zu können, ist der Gebrauch eines
Sendeverfahrens Voraussetzung, das keine Messungen der Feldstärke auf der
Empfängerseite erfordert, sondern nur verlangt, daß der Empfänger bestimmte Zeichen
unterscheidet. Hierfür ist ein Verfahren geeignet, bei dem in verschiedenen
Himmelsrichtungen verschiedene Zeichen ausgesendet werden.
Eine Sendeweise, bei der dies gelingt, ist der sogenannte Kursweiser in Verbindung
mit dem Verfahren der zusammenlaufenden Morsezeichen. Schon im Jahre 1907 ist dieser
Kursweiser der Gegenstand eines Patents gewesen,O. Scheller, DRP. 201 496. aber erst
zehn Jahre später wurde er zur Orientierung von Schiffen und von Luftfahrzeugen
praktisch erprobt.F. Kiebitz, Jahrb. drahtl. Tel. 15, S. 299–310,
1920.
Von neueren Untersuchungen, welche das Verfahren der zusammenlaufenden Morsezeichen
verwendet haben, ist die Bestimmung der Strahlung wagerechter Sendedrähte durch
GrimsenG. Grimsen, E.N.T. 3, S. 361–376 1926.
besonders bemerkenswert.
Die Wirkungsweise des Kurssenders möge nunmehr kurz erläutert werden:
Jeder Sender erzeugt eine gerichtete Strahlung, insofern als er die stärksten
Wellen an der Erdoberfläche bildet, in der Richtung senkrecht nach oben aber ein
Minimum der Strahlung aufweist. Diese Richtungsunterschiede haben indessen keine
praktische Bedeutung, weil sich die Empfangsstationen immer in der Nähe der Erde
befinden. Wir verstehen unter Richtfunk einen Betrieb, bei dem die
Wellenausstrahlung in den verschiedenen Himmelsrichtungen verschieden ist. Auch
Empfangseinrichtungen, die aus den verschiedenen Himmelsrichtungen verschieden stark
erregt werden, gehören dem Richtfunk an.
Textabbildung Bd. 343, S. 54
Abb. 1. Strahlungsdiagramme der einfachen Antenne.
Das älteste Mittel, das man zum gerichteten Senden und Empfangen benutzt hat, war die
Schleifenantenne, eine große Drahtschleife mit senkrechter Windungsfläche; sie
stellte eine Nachbildung des bekannten Hertzschen Resonators in großem Maßstabe dar.
Aus ihr ist die Rahmenantenne hervorgegangen, die heute viel benutzt wird, wo die
Verstärkertechnik so weit vervollkommnet ist, daß wir die winzigen Empfangswirkungen
dieses kleinen Gebildes bis zur Hörbarkeit verstärken können.
Textabbildung Bd. 343, S. 54
Abb. 2. Antennenzwilling.
Von Schleifenantennen wird bei dem hier beschriebenen Sender kein Gebrauch gemacht,
sondern von Antennenpaaren oder -Zwillingen. Um ihre Wirkung zu beschreiben,
erinnern wir uns zunächst der Strahlung eines einfachen Luftleiters, etwa einer
Schirmantenne, die mit einer Erdleitung in ihrer Grundschwingung erregt wird: Die
Wellen breiten sich hier nach allen Himmelsrichtungen gleichmäßig aus; mit
wachsender Entfernung werden sie immer schwächer, aber in allen Orten, die vom
Sender gleich weit entfernt sind, haben sie die gleiche Stärke; diese Orte liegen,
auf einem Kreis. Der Kreis kennzeichnet also die Strahlung des einfachen
Luftleiters, und man sagt: Das Strahlungsdiagramm eines einfachen Luftleiters ist
ein Kreis mit dem Sender als Mittelpunkt. (Abb. 1,
links.)
Dies gilt, wenn die Ausbreitung nach allen Himmelsrichtungen ungestört vor sich geht.
Hindernisse verursachen eine Verlangsamung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit und
damit eine Verkleinerung der Wellenlänge; zugleich wird die Welle geschwächt, und es
kommt eine Verzerrung des Strahlungsdiagramms zustande, wie sie in Abb. 1, rechts dargestellt ist.
Wenn man im Sender nicht einen Luftleiter in Verbindung mit einer Erdleitung benutzt,
sondern statt der Erdleitung einen zweiten, gleichgebauten Luftleiter anschaltet –
wenn man also ein Paar von Antennen benutzt, einen sogenannten Antennenzwilling – so
erhält man ein anderes Strahlungsdiagramm; der Antennenzwilling strahlt nämlich am
stärksten in der Richtung, in der seine Hälften hintereinander gesehen werden,
während er seitlich, also in der Richtung, aus der seine Hälften nebeneinander
erscheinen, überhaupt keine Wellen entsendet. Das Strahlungsdiagramm des Zwillings
besteht aus zwei Kreisen (Abb. 2), die eine 8
bilden.
Textabbildung Bd. 343, S. 54
Abb. 3. Schräge Antennenzwillinge.
Als Luftleiter verwendet man für solche Zwecke am bequemsten einfache Drähte, die
ebenso wie Telegraphenleitungen in einiger Höhe über der Erde gespannt sind. Verlegt
man eine solche Erdantenne vom Sender nach Norden, eine zweite nach Süden, so
strahlt der Sender seine stärksten Wellen nach Norden und Süden aus, während er im
Osten und Westen höchstens in kleiner Entfernung gehört wird. Dabei ist nicht nötig,
daß die Hälften des Zwillings in einer Geraden verlaufen; auch wenn sie einen Winkel
miteinander bilden, ist das Strahlungsdiagramm eine 8, die symmetrisch zu dem
Zwilling liegt, sowie es Abb. 3 zeigen soll.
Wenn man nun zwei derartige Richtsender von demselben Platze aus in der gleichen
Weise betreibt, und den einen so aufstellt, daß er maximal in der Nord-Süd-Richtung
strahlt, den andern so, daß er nach Ost und West seine stärksten Wellen entsendet,
so werden in den Mittellagen beide Sender gleich laut gehört, d.h. in den Richtungen
Nord-Ost, Süd-Ost, Süd-West und Nord-West.
Textabbildung Bd. 343, S. 54
Abb. 4. Antennendrilling, Aufbau.
Die beiden Zwillinge der Abb. 3 lassen sich nun zu
einem sogenannten Antennendrilling vereinigen. Zu dem Zweck stellen wir die beiden
Zwillinge der Abb. 3 auf demselben Platze auf; dann
fallen die nach unten gezeichneten Luftleiter zusammen und man bekommt den in Abb. 4 gezeichneten Drilling, also einen Stern von
drei gleichen Luftleitern. Ein solcher Stern ist in Moabit aufgestellt worden; er
besteht aus drei 85 m langen Bronzedrähten, die zwischen 15 m hohen Masten wagerecht
ausgespannt sind, wie es Abb. 4 zeigt; die drei
einzelnen Antennen dieses Drillings bilden dabei gleiche Winkel von 120°.
Die Ausbreitungsfigur dieses Drillings erhalten wir, wenn wir die beiden Bilder 3
überlagern, wie es in Abb. 5 geschehen ist. Die drei
Luftleiter sind darin durch die Bezeichnungen „an“, „a“ und „n“
unterschieden.
Textabbildung Bd. 343, S. 55
Abb. 5. Antennendrilling.
Benutzt man nun die beiden Antennen „an“ und „a“' – Zwilling „(an,
a)“ – um das Morsezeichen „a“ (Punkt Strich) zu senden, so wird man
das Zeichen „a“ entsprechend dem 8-förmigen Strahlungsdiagramm des Zwillings
in den schraffiert gezeichneten Räumen „A=o“ nicht hören. Wenn man auf dem
Zwilling „(an, n)“ einen anderen Buchstaben sendet, z.B. das Morsezeichen
„n“ (Strich Punkt), so wird dieses „n“ in den schraffierten Räumen
„N = o“ nicht gehört. Und in den Zwischenlagen „A = N“ hört man
beide Zeichen gleich laut, vorausgesetzt, daß die Wellenausbreitung ungestört
erfolgt.
Textabbildung Bd. 343, S. 55
Abb. 6. Strahlungsbild eines Antennendrillings.
Das Verfahren der zusammenlaufenden Morsezeichen besteht nun in folgendem: Man läßt
den Sender, der den Drilling erregt, dauernd laufen, und ein Umschaltewerk legt
wahlweise den Zwilling „(an, a)“ und den Zwilling „(an, n)“ an, d.h.
der Luftleiter „an“ bleibt dauernd angeschlossen (an der mit Erde
bezeichneten Senderklemme), während die Klemme „Antenne“ über das
Umschaltewerk wahlweise an die Luftleiter a und n gelegt wird; und zwar wählt man
den Umschalterhythmus so, daß auf a das Morsezeichen „a“ (kurz lang) in
dauernder Folge erscheint; dann erscheinen auf n die Lücken (lang kurz), und diese
stellen das Morsezeichen „n“ dar.
In der Richtung der „an“- oder Strichantenne hört man beide Zeichen gleich
laut, ebenso in der dazu senkrechten Richtung. Das eine Zeichen ist das Negativ des
andern, darum verlaufen sie für diese beiden Richtungen zu einem Dauerton oder
Strich.
Auf diese Weise kommt im ganzen die Ausbreitungsfigur zustände, die in Abb. 6 dargestellt ist: Alle Empfänger, die in der
Richtung der Strichantenne liegen oder in der dazu senkrechten, hören einen
Dauerton oder Strich; diese beiden Richtungen bilden ein Kreuz, das die ganze Gegend
in vier Quadranten teilt, und in diesen Quadranten erscheint abwechselnd das eine
Zeichen oder das andere, so wie es die Abb. 6
erkennen läßt; dabei ist angenommen, daß das Umschaltewerk nicht die Zeichen
„a“ und „n“ tastet, sondern „b“ und „v“ (lang kurz
kurz kurz bzw. kurz kurz kurz lang), von denen auch das eine das Negativ des andern
ist.
Textabbildung Bd. 343, S. 55
Abb. 7. Zusammenlaufende Morsezeichen.
Bewegt man sich im Kreise um einen solchen Sender herum, während er nur „a“
tastet, so hört man beispielsweise das „a“ erst laut, dann verschwindet es
und wird schließlich wieder laut. Dies soll Bild 1 in Abb.
7 zur Anschauung bringen. Wenn dagegen die „n“-Antenne arbeitet, so
wird in einer andern Richtung das „n“ laut gehört und verschwindet in der
dazu senkrechten, etwa so, wie es Bild 2 in Abb. 7
zeigt. Und wenn beide Antennen zugleich arbeiten (vgl. Bild 3 in Abb. 7). so erscheint in den Richtungen, in denen das
eine Zeichen unhörbar ist, das andere völlig klar. In den Zwischenrichtungen ist im
allgemeinen das eine Zeichen lauter als das andere, und dann überhört man
erfahrungsgemäß das leisere. Nur an den Stellen, wo beide Zeichen genau gleich laut
erscheinen, verschwimmen sie zu einem Dauerton. Diese Erscheinung ist überraschend
scharf ausgeprägt; denn es genügt ein Unterschied von 3 % in den Lautstärken der
beiden Zeichen, um das eine für das Gehör hervortreten zu lassen.
Man hat es dabei in der Hand, die Richtung, in der man den Strich hört, beliebig
scharf zu gestalten; denn es ist nur nötig, den Winkel zwischen den Tastantennen
genügend klein zu machen; beträgt er z.B. nur 10 Grad, so wird der Strich in der
Richtung senkrecht zur Tastantenne so scharf, daß noch in einer Entfernung von
mehreren Kilometern das eine Morsezeichen beim Ueberschreiten des Striches im
Bereich einer Straßenbreite in das negative Zeichen umschlägt. Allerdings werden
diese scharfen Striche auf Kosten der Lautstärke erkauft, weil sie nur 5 Grad neben
der Nullrichtung der Zwillinge verlaufen. Doch werden praktisch kaum Fälle
vorkommen, in denen die Schärfe der Striche, die man mit dem 120-Grad-Drilling
erreicht, nicht ausreichte.
Bei dem Richtsender in Moabit betrug der Winkel zwischen den Tastantennen 120 Grad.
Sie ließen dann drei Verwendungsmöglichkeiten zu: Man konnte sie untereinander
vertauschen, da sie ja elektrisch gleichwertig waren. Je nachdem, ob die eine, die
andere oder die dritte als Strichantenne geschaltet war, hatte die Ausbreitungsfigur
drei verschiedene, um 60° und 120° gegen einander verdrehte Lagen auf der Karte, und
da jede Einzelfigur vier vom Sender ausgehende Striche enthielt, so konnten im
ganzen 12 gerade Linien über die Stadt Berlin telegraphiert werden.
Dabei wurde folgendes Arbeitsprogramm befolgt (Abb.
8): Nach einem erläuternden Vortrag im Rundfunk sandte Moabit zwei Minuten
lang die Zeichen „a“ und „n“; dann trat eine Minute Pause ein, in der
die Antennen umgeschaltet wurden; darauf wurden zwei Minuten lang
die Zeichen „d“ und „u“ gesandt, und nach einer abermaligen Pause
von einer Minute die Zeichen „b“ und „v“. Die Zeichen wurden auf der
Welle 484 m des Witzlebener Senders gegeben, so daß die Rundfunkteilnehmer, die den
ankündigenden Vortrag auf dieser Welle gehört hatten, für die Beobachtung der
Zeichen die Abstimmung nicht zu ändern brauchten.
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Abb. 8. Sendeprogramm.
Der Sender in Moabit wurde mit tönenden Löschfunken betrieben bei rund 100 Watt
Antennenleistung. Das System der tönenden Löschfunken wurde aus folgendem Grunde
gewählt: Bei Umschalten der Antennen sind kleine Aenderungen der Wellenlänge
unvermeidlich. Zwar gelingt es leicht, sie so gering zu machen, daß sie durch
Resonanzmethoden nicht wahrgenommen werden können; doch zeigen sie sich bei
Interferenzempfang schädlich, weil sie verschiedene Interferenztöne bilden, so daß
die beiden Morsezeichen, die der Empfänger aufnimmt, verschiedene Klangfarben
besitzen; dadurch treten so starke Unsicherheiten in der Beurteilung der Zeichen
ein, daß man unter Umständen das falsche Zeichen lauter hört. Bei früherer
Gelegenheit war es durch besondere Kunstgriffe gelungen, noch bei 1500 m Wellenlänge
und ungedämpftem Sender diese Schwierigkeit zu vermeiden; bei kürzeren Wellen
steigen die Schwierigkeiten aber außerordentlich an.
Nach der Verlegung wurden die Antennen genau vermessen; sie bildeten mit der
geographischen Nordrichtung rechtsweisend die Winkel:
I: 83° 15', II: 203° 6', III: 321° 37'.
Hiernach berechnet man für die drei Antennenzwillinge die
folgenden Richtungen der maximalen Strahlung:
I–II: 53° 10', I–III: 112° 23', II–III: 172° 18'
nebst den um 180 Grad größeren Winkeln.
Wenn im Drilling die Antenne III dauernd erregt wird und I und II getastet werden
(Fall III), entsteht nun ein Kreuz, das symmetrisch zu den Richtungen I–III und
II–III liegt. Entsprechend entstehen in den Fällen II und I, wo die Antenne II bzw.
I im Drilling dauernd erregt ist, zwei andere Kreuze.
Mit der Schaltung des Falles II wurden die Buchstaben „a–n“ gesandt, im Falle
I die Zeichen „d–u“, und im Falle III die Zeichen „b–v“. Hiernach
berechnet man die Lage der Striche, die bei den drei Versuchen unter ungestörten
Verhältnissen zu erwarten waren, folgendermaßen:
Versuch a–n
Versuch d–u
Versuch b–v
22° 44'
82° 46'
52° 20'
112° 44'
172° 46'
142° 20'
202° 44'
262° 46'
232° 20'
292° 44'
352° 46'
322° 20'
Die Versuche wurden am Abend des 27. Juli im Rahmen der Veranstaltungen der
Funkstunde ausgeführt. Obgleich die Beobachtungen durch ein Gewitter erschwert
waren, haben sie ein klares Bild ergeben. Rund 2300 Rundfunkteilnehmer haben ihre
Beobachtungen mitgeteilt, die meisten Meldungen stammen aus Berlin und der
näheren Umgebung wie Potsdam, Spandau, Cöpenick usw.; aber auch aus Stettin,
Küstrin, Lübben, Gransee Zehdenick, Neutrebbin, Zossen, Mittenwalde, Luckenwalde
sind wertvolle Beobachtungen mitgeteilt worden. Im ganzen ist gemeldet worden:
das Zeichen
a 444mal,
n 893mal,
d 711mal,
u 806mal,
b 640mal,
v 711mal.
Die Beobachtung des Strichs war allgemein sehr erschwert, wie aus zahlreichen
Mitteilungen zu ersehen ist. Die starken Gewitterstörungen sowie Störungen durch die
Straßenbahn machten es bei leisem Zeichenempfang unmöglich, zu erkennen, ob der
Strich glatt war, oder ob ein Zeichen überlagert war. Besonders aber sind zahlreiche
Striche durch benachbarte Rückkopplungsempfänger vorgetäuscht worden, wie viele
Beobachter erkannt haben, z.B. wenn der Strich noch während des folgenden
Sendespiels gehört wurde, nachdem der Richtsender schon abgestellt war. Die
beobachteten Zeichen wurden in die Karten des Reichsamts für Landesaufnahme –
Maßstab 1 : 25000 – eingetragen, nachdem die Beobachtungsstellen auf Stadtplänen
festgestellt worden waren. Die überwiegende Mehrzahl der Beobachtungen ist in der
Wohnung gemacht worden; einige stammen aus Gärten und vom Segelboot, eine sogar aus
der Halle des Lehrter Bahnhofs in Berlin.
Textabbildung Bd. 343, S. 56
Abb. 9. Ausbreitungsfigur a–n.
Die Ergebnisse der ersten Sendeperiode, in der das Zeichenpaar a–n benutzt wurde,
sind in der Abb. 9 zusammengestellt. Um den Sender in
Moabit als Mittelpunkt ist ein Kreis von 12,5 km Halbmesser geschlagen; die meisten
der beobachteten Punkte liegen innerhalb dieses Kreises, etwa 80 außerhalb. Die
dicken Pfeile, die auf der Peripherie des Kreises stehen, kennzeichnen die
Richtungen, in denen nach der Lage der Sendeantennen bei ungestörter Ausbreitung die
Zeichen hätten verschwimmen müssen. Es sind nur die Zeichen a und n berücksichtigt
worden, die gemeldeten Striche aber nur im näheren Umkreis von 2 km vom Sender, wo
sie laut genug waren, um trotz der oben erwähnten Störungen vollen Wert zu
haben.
Die gehörten Zeichen ordnen sich in vier deutlich erkennbaren Sektoren an; der eine
umfaßt z.B. den ganzen Süden und Südosten von Berlin mit den Vororten von
Lichterfelde über Britz bis Karlshorst und von ferneren Beobachtungsorten Cöpenick,
Erkner, Zeuthen, Mittenwalde, Zossen, Luckenwalde und Lübben. In
diesem Sektor ist 748mal das Zeichen n beobachtet worden und 5mal das Zeichen
a. Ich möchte diese fünf Zeichen, die aus dem Rahmen fallen, nicht unerwähnt lassen,
obgleich es nicht zweifelhaft sein kann, daß sie auf Irrtümern beruhen, vielleicht
durch Schreibfehler verursacht oder durch ungenügende Kenntnis der Morsezeichen. Im
ganzen passen von den 4205 in der Karte verwerteten Zeichen nur 36 nicht in das
Bild, also weniger als der hundertste Teil. Diese Abweichungen sind in den
Ausbreitungsfiguren mit angegeben, werden aber nicht weiter berücksichtigt
werden.
Die Striche zwischen den Sektoren verlaufen vom Sender aus geradlinig über die Karte.
Der südöstliche Sektor in der Abb. 9 erscheint nach
Osten scharf begrenzt. Dort liegen die Beobachtungspunkte besonders dicht, weil die
ganze Gegend bis Lichtenberg bebaut ist. Der Strich geht über das Nordufer des
Humboldthafens, die Ecke von Oranienburger Straße und Linienstraße, den Südzipfel
des Friedrichshains und den südlichen Teil des Schlacht- und Viehhofs.
Die südwestliche Grenze dieses Sektors verläuft über Dahlem und Teltow, wo große
unbebaute Flächen vorhanden sind; darum erscheint in dieser Gegend die Grenze
besonders unscharf; in Steglitz und Lichterfelde wurde ausnahmslos n gehört. In den
Abbildungen sind unscharfe Grenzen rauh gezeichnet worden.
Textabbildung Bd. 343, S. 57
Abb. 10. Ausbreitungsfigur d–u.
Der Südost-Sektor ist erheblich breiter als der Quadrant, der bei ungestörter
Ausbreitung zu erwarten war; dasselbe gilt von dem Nordwest-Sektor, während die
beiden anderen Sektoren, in denen a gehört wurde, entsprechend verkleinert sind. Man
könnte hierfür folgenden Grund vermuten: Das Antennenpaar, auf dem das a getastet
wurde, ist trotz gleicher Bauweise und trotz gleicher Stromstärke aus irgendwelchen
Gründen weniger strahlungsfähig als das andere Paar. Dieser Vermutung widerspricht
jedoch die Abb. 10, auf der die Ausbreitungsfigur der
zweiten Sendeperiode wiedergegeben ist; dabei wurde dasselbe Antennenpaar, das beim
ersten Versuch a tastete, für den Buchstaben d benutzt, und dieser hat entgegen
jener Vermutung einen verbreiterten Sektor gebildet. Wir werden also die Ursachen
für die Verzerrungen der Ausbreitungsfiguren im Gelände suchen müssen; jedenfalls
ist in den festgestellten Verschiebungen der Sektoren gegenüber den idealen
Quadranten kein bestimmter Sinn zu erkennen, der sich mit der Gruppierung der
Sendeantennen in Einklang bringen ließe.
Wenn man die drei Ausbreitungsfiguren Abb. 9 bis 11 ins Auge faßt, so erkennt man die folgenden
Zusammenhänge zwischen der Verbreiterung der Sektoren und der
Bodenbeschaffenheit: Der Tiergarten liegt immer in verbreiterten Sektoren, dürfte
also der Wellenausbreitung günstiger sein als das Häusermeer. Ebenso liegt in der
schwach bebauten Gegend mit der Jungfernheide inmitten stets ein verbreiterter
Sektor. Ueber die Grunewaldgegend läßt sich nichts sagen, weil dort die
Beobachtungen fehlen. Der Ostteil der Spree liegt einmal in einem verbreiterten
Sektor – Abb. 9 – und einmal in einem schmalen – Abb. 11 – so daß er keinen sicheren Einfluß zeigt;
ähnlich verhält es sich mit dem Lauf der Spree westlich des Senders. Ein Sektor
(Abb. 9), der das Häusermeer von Charlottenburg
enthält, ist besonders schmal; sonst liegen die schmalen Sektoren immer im
Nordosten, so daß dort die stärksten Hindernisse für die Wellenausbreitung zu suchen
sind; vielleicht spielen dabei die großen Gleisanlagen, die dort quer zur
Ausbreitungsrichtung laufen, eine besondere Rolle.
Textabbildung Bd. 343, S. 57
Abb. 11. Ausbreitungsfigur b–v.
Im übrigen sind Verzerrungen der Ausbreitungsfigur durch die Anlagen der Eisenbahn
nicht erkennbar; ebensowenig findet man einen Einfluß der Golpaer
Hochspannungsleitung, hervorragender Gebäude oder des Kreuzberges.
An mehreren Stellen weist der Strich Krümmungen auf und zwar auf allen drei Bildern
dort, wo der Strich am Humboldthain vorübergeht; die Beobachtungen waren in dieser
Gegend so zahlreich und übereinstimmend, daß die aufgetretenen Ausbiegungen als
sicher festgestellt gelten müssen; diese kleinen Ausbiegungen sind auf der Karte von
31 Beobachtungspunkten mit verschiedenen Zeichen begrenzt. Der Sinn dieser
Abweichungen ist so, als ob der Humboldthain der Wellenausbreitung günstiger ist als
das umgebende Häusermeer, im besonderen als die großen Fabrikanlagen der AEG.
Eine andere Krümmung zeigt sich deutlich an dem Strich, der in der Nähe des
Bundesratsufers verläuft; sie ist in Abb. 11 soeben
noch zu erkennen. Dort schmiegt sich der Strich einer Krümmung der Spree an. In der
unmittelbaren Nähe des Senders sind auch einige Verzerrungen vorhanden, wenn auch
der allgemeine Verlauf der normale ist; diese Verzerrungen kommen in den Abb. 9 bis 11 wegen des
kleinen Maßstabes nicht zum Ausdruck; vielleicht sind sie als Verzerrungen des nahen
Feldes durch die Kuppeln des Kriminalgerichts anzusprechen, die sich im Abstand von
weniger als einer Wellenlänge bis zur Höhe einer Viertelwellenlänge erheben.
Für den Unterschied, den bebautes und unbebautes Gelände der Wellenausbreitung
gegenüber darstellt, gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten, zwischen denen aber eine
Entscheidung noch nicht getroffen werden kann: Einmal kann man die Erdoberfläche als
rauh annehmen und die Rauhheit der bebauten Flächen stärker als die
der unbebauten; diese Annahme hat einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für
sich im Hinblick auf die Eisengerüste sowie die Gas- und Wasserleitungen, mit denen
die Gebäude durchzogen sind. Andererseits ist auch zu bedenken, daß die bebauten
Gegenden mit Empfängern übersät sind, von denen jeder einen winzigen Bruchteil der
Wellenenergie absorbiert, so daß es denkbar ist, daß die in den bebauten Gegenden
festgestellte Erhöhung der Absorption durch die große Zahl der Empfänger verursacht
wird.
Textabbildung Bd. 343, S. 58
Abb. 12. Kurven gleicher Feldstärke.
Die Ausbreitungsbilder 9 bis 11 zeigen, ein wie bequemes und sicheres Mittel zur
Feststellung von Störungen der Ausbreitung die Richtfunkbeobachtungen der
Rundfunkteilnehmer darstellen. Sie gestatten auch, Kurven gleicher Feldstärke der
Wellen zu ermitteln. Dabei ist zu bedenken, daß diese Kurven, die den Sender auf
geschlossener Bahn umschließen, in verschiedenem Abstand einen verschiedenen Verlauf
haben müssen und nicht etwa durch Aenderung des Maßstabes ineinander übergeführt
werden können; denn wenn an irgendeiner Stelle ein Hindernis für die
Wellenausbreitung besteht, so wird dort eine Einbuchtung der Kurve gleicher
Feldstärke entstehen, eine Einbuchtung, die in größerer Nähe noch nicht vorhanden
war und die sich mit wachsender Entfernung vermöge des Prinzips von Huyghens zum
Teil wieder ausgleichen muß.
Soweit man nun die Grenzen der beobachteten Sektoren in den Bildern 9 bis 11 als
geradlinig ansehen darf, ist es auch berechtigt, anzunehmen, daß die verzerrte
Ausbreitungsfigur aus der unverzerrten dadurch hervorgeht, daß die vier gleichen
Kreise der Abb. 5 verschiedene Radien haben; die
verschiedene Größe und die Verdrehung dieser Radien entspricht dann in erster
Annäherung den tatsächlichen Verzerrungen des Ausbreitungsbildes, insofern als die
Mittelpunkte der Kreise nunmehr Stellen gleicher Feldstärke sind. Aus den
beobachteten Ausbreitungsbildern 9 bis 11 findet man diese Stellen leicht, wenn man
die Mittelnormalen auf den gefundenen Strichen errichtet; je zwei benachbarte
Normalen schneiden sich dann in einem gesuchten Kreismittelpunkt.
Diese Konstruktion ist in Abb. 12 dargestellt worden
und zwar der Deutlichkeit halber in doppeltem Maßstabe; d.h. es sind statt der
Mittelnormalen auf den Strichen die Tangenten an den 12½ km-Kreis in den Endpunkten
der Striche gezogen worden. So entstehen drei Tangentenvierecke: Mit glatten
Strichen ist das Tangentenviereck gezeichnet, das dem Fall „a–n“ des Bildes 9
entspricht; das gestrichelte Viereck wird aus Abb. 10
erhalten, und das punktierte aus 11. Die Ecken dieser drei Tangentenvierecke liegen
alsdann auf einer Kurve gleicher Feldstärke, wenn man den ursprünglichen Maßstab
wiederherstellt. So ist die Kurve entstanden, die in Abb.
12 im Innern des Kreises erscheint.
Man erkennt, daß südlich von Mariendorf (Mdf) die Wellen mit derselben Stärke
ankommen wie in Weißensee (Wssns), obgleich Mariendorf doppelt so weit vom Sender
entfernt war wie Weißensee; in der Richtung von Tegel ist die Fernwirkung auch groß,
längs des Laufes der Spree hat sie mittlere Werte. Natürlich sind diese Schlüsse im
Einklang mit den Folgerungen, die oben aus den Ausbreitungsbildern 9 bis 11
unmittelbar gezogen worden sind.
Zusammenfassend läßt sich das Ergebnis der Beobachtungen
folgendermaßen aussprechen:
Die Beobachtung von Richtfunk nach dem Verfahren der Antennendrillinge, die mit
zusammenlaufenden Morsezeichen betrieben werden, durch die Rundfunkteilnehmer hat
sich als Mittel zur Erforschung der Ausbreitungsvorgänge von Rundfunkwellen bewährt.
In Berlin sind die bei ungestörter Ausbreitung zu erwartenden Aus-breitungsbilder
mit einigen Verzerrungen beobachtet worden. Die Striche des Ausbreitungskreuzes
ließen einige schwache Krümmungen erkennen und waren durchschnittlich um 10 Grad
versetzt. Die Verzerrungen zeigen einen Unterschied zwischen bebautem und unbebautem
Gelände insofern, als bebautes Gelände der Wellenausbreitung weniger günstig ist als
unbebautes. Auf dem Wege von der Mitte der Stadt nach der Peripherie werden die
Wellen in nordöstlicher Richtung am stärksten geschwächt und zwar doppelt so stark
als in der günstigsten Richtung, die im Süden festgestellt wurde.
Wenn auch die Verschiedenheiten der Bodenbeschaffenheit, die Berlin aufweist, einige
Verzerrungen der Wellenausbreitung verursacht haben, so liegen diese Verzerrungen
doch in mäßigen Grenzen; keinesfalls werden die Rundfunkwellen etwa durch
Straßenbahnanlagen, durch Wasserläufe oder durch Geleiseanlagen der Eisenbahn so
stark gestört, daß eine diffuse Zerstreuung zustande käme. Dieser Umstand läßt
hoffen, daß auch bei viel unregelmäßigerer Bodenbeschaffenheit, z.B. in bergigem
Gelände das beschriebene Verfahren mit Vorteil zu verwenden sein wird.
In gleichmäßigem, ungestörtem Gelände bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, die
Sendeanordnung abzuändern und beispielsweise die Ausstrahlung von gerichteten und
ungerichteten Luftleiteranordnungen zu vergleichen.
(Aus TFT 1927/12 mit Genehmigung des Verfassers.)