Titel: | Zählerfabrik und Fließarbeit. |
Autor: | Cr. |
Fundstelle: | Band 343, Jahrgang 1928, S. 25 |
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Zählerfabrik und Fließarbeit.
CASTNER, Zählerfabrik und Fließarbeit.
Unbedingte Voraussetzung für eine wirtschaftliche Durchführung der Fließarbeit
sind: ständige Massenfertigung gleichbleibender Teile; Verwendung von Rohstoffen von
bester Beschaffenheit und gleichmäßiger Güte; peinlich genaue Durchkonstruktion
aller Teile; sorgfältigste Durcharbeitung und Aneinanderfügung der verschiedenen
Arbeitsgänge und störungsfreie Passung aller Einzelteile. Ist auch nur ein
kleiner Teil dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, so sind Hemmungen im Arbeitsfluß
unvermeidlich, womit die erwarteten Vorteile in ein Nichts zerfließen. Es ergibt
sich aber auch gleichzeitig hieraus, daß alle in richtig durchdachter und richtig
ausgeführter Fließarbeit
hergestellten Gegenstände unbedingt als Qualitätswaren von höchstem Werte zu
gelten haben.
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Abb. 1. 30 Jahre Zählerbau. Die Größenverhältnisse der A.E.G.-Zähler.
Die Qualitätssteigerung war daher neben Ersparnissen in der Herstellung der
Hauptgrund dafür, daß die A.E.G. ihre Zählerfabrik als eine ihrer ersten Werkstätten
für die fließende Fertigung eingerichtet hat.
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Abb. 2.LinksEin Zähler, der vor 30 Jahren gebaut
wurde.Untenein moderner, in Fließarbeit gefertigter Zähler.
Der Unterschied in der Gestaltung der Zähler in ihren
verschiedenen Entwicklungsstufen wird am klarsten veranschaulicht durch Abb. 1, mit seiner Zusammenstellung der Ausführungen
im Laufe der 30 Jahre von 1897 bis 1927. Noch deutlicher treten alle diese
Unterschiede hervor auf Abb. 2 und 3 mit einer Gegenüberstellung der Innenansichten
des ältesten und des neuesten Zählers. Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert,
daß anfänglich der private Stromverbrauch überhaupt nicht gemessen, sondern auf
Grund von Schätzungen nach Pauschsätzen bezahlt wurde. Nur die Industrie mit ihrem
großen Strombedarf verfügte über Zählvorrichtungen nach Abb. 2 und 3, die aber, da es sich nur um
wenige Exemplare handelte, Stück für Stück von Hand gefertigt wurden. Wie dann um
die Jahrhundertwende der private Stromverbrauch immer größeren Umfang annahm, sah
man sich gezwungen, auch hier Meßgeräte einzubauen, um so auch die
Elektrizitätswerke auf eine wirtschaftliche Grundlage stellen zu können. Bei dem nun
einsetzenden Bedarf an Elektrizitätszählern konnte natürlich von einer stückweisen
Herstellung dieser Geräte nicht mehr die Rede sein. Man ging also zur
Massenfertigung über. Der gewaltigste Aufschwung, den die Elektrizitätslieferung
seit ihrem Bestehen jemals durchmachte, und dessen Ende einstweilen noch gar nicht
abzusehen ist, setzte mit der Beendigung des Krieges ein. Aus der bisherigen
Massenfertigung mußte eine Riesenfertigung werden, die selbstverständlich den
überaus gespannten wirtschaftlichen Verhältnissen der Nachkriegszeit weitgehend
angepaßt werden mußte. Gleichzeitig trat eine wesentliche Vereinfachung in der
Konstruktion der Zähler ein, der wiederum die Auswahl und die Beschaffenheit der
verwendeten Rohstoffe weitgehend angepaßt werden mußte. Dementsprechend mußte auch
eine weitgehende Rationalisierung in der Fertigung vorgenommen werden, um einem
solchen Massenansturm in technischer und wirtschaftlicher Beziehung gewachsen zu
sein.
Um allen diesen Ansprüchen vollkommen gerecht werden zu können, entschloß sich die
A.E.G., die gesamte Zählerherstellung restlos auf Fließarbeit umzustellen, wie sich
letztere in zahlreichen anderen Industriezweigen seit geraumer Zeit bestens bewährt.
So ist die A.E.G.-Zählerfabrik zur Zeit die größte deutsche Fabrik der Feinmechanik,
in der Präzisionsapparate vom Rohmaterial bis zum Versand des fertigen Erzeugnisses
in ununterbrochener Fließarbeit hergestellt werden. Dies ist selbst von
amerikanischen Fachleuten voller Bewunderung anerkannt worden. Ein Gang durch die
Zählerfabrik auf dem gleichen Wege, den das Material nimmt, wird dies beweisen.
Zu ebener Erde befinden sich die Stanzen und Pressen, denen die vom Fabrikhof
kommenden und dann in Streifen geschnittenen Rohstoffe (Eisen-, Aluminium- und
Messingblech) zugeführt werden; die erste Wandertischanlage dient dazu, die
Grundplatten und Kappen der Zähler von Maschine zu Maschine zu fördern (Abb. 4). In einer parallelen Nebenstraße werden die
kleineren Teile, wie Aufhängeösen und dergl., hergestellt.
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Abb. 3. Längsschnitt durch den alten Zähler.
Sie werden in die Hauptstraßen aufgenommen und durch die am Wandertisch aufgestellten
elektrischen Punkt-Schweißmaschinen mit den Grundplatten und Kappen verschweißt.
Auch die Kernstanzerei befindet sich hier im Erdgeschoß. In den Elektrizitätszählern
werden nämlich Kerne verwendet, die aus vielen dünnen Eisenblechen bestehen. Da in
jedem Zähler mehrere Eisenkerne von verschiedener Form enthalten sind, nimmt die
Herstellung dieser Teile einen großen Raum ein. Mehrere Wandertische führen dann die
von den Stanzen kommenden Einzelbleche der Handarbeit zu. Hier werden sie abgezählt
und jeweils eine bestimmte Anzahl zu einem Kern zusammengenietet. Eine andere Reihe
Stanzen, Pressen und Schweißmaschinen, die sich gleichfalls hier unten befinden,
dienen zur Herstellung der Traggerüste. Auch hier erfolgt die Fließarbeit auf dem
Wandertisch.
Die zahlreichen und sehr sperrigen Blechabfälle, die in großen Mengen an den Stanzen
und Pressen entstehen, werden gesammelt und in einer ebenfalls hier aufgestellten
Paketiermaschine zu Schrottpaketen zusammengepreßt, die verhältnismäßig wenig Raum
einnehmen und sich auch leicht stapeln und transportieren lassen.
Alle diese im Erdgeschoß gefertigten Teile werden zur weiteren Verarbeitung mit
Aufzügen nach dem 4. Stockwerk des sehr geräumigen Fabrikgebäudes befördert, um dann
mit fortschreitender Fertigung wieder nach unten zu gelangen. Vom rein
organisatorischen Standpunkte wäre es ja richtiger gewesen, die Werkstoffe immer nur
in
einer Richtung, hier also von oben nach unten, laufen zu
lassen. Dieser Grundsatz ist aber hier absichtlich durchbrochen worden, um nicht
infolge der Beanspruchung durch die sehr schweren Stanzen und Pressen und die bei
ihrem Arbeiten auftretenden sehr heftigen Erschütterungen und Stöße, die sich bei
Aufstellung der Maschinen in einem Obergeschoß viel mehr bemerkbar machen, als im
Erdgeschoß, das Mauerwerk sehr viel stärker herstellen und dadurch die Baukosten
beträchtlich erhöhen zu müssen, zumal auch die Abnutzung des Gebäudes in diesem
Falle eine wesentlich größere wäre.
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Abb. 4. Stanzerei für Grundplatten und Kappen.
Oben angekommen, werden die Teile zunächst entfettet und entstaubt, um dann in die
Lackiererei zu gelangen. Die Grundplatten werden mit einer Ketten-Förderanlage durch
ein Tauchlackbecken geschleppt und wandern weiter durch die gasbeheizten Trockenöfen
(Abb. 5). Die Kappen, die in gleicher Weise die
Trockenöfen durchlaufen, werden vorher mit Fenstern versehen, und zwar auf die
Weise, daß durch einen Hebeldruck auf die Spritzgußvorrichtung das Fensterglas mit
der Kappe durch einen Spritzgußrahmen verbunden wird. Sodann erhalten die Kappen
ihren Anstrich nach dem Spritzverfahren selbsttätig in einer Trommel, in der die in
Umdrehung versetzte Kappe von allen Seiten bespritzt wird. Teilweise wird allerdings
die Spritzlackierung auch noch von Hand vorgenommen.
Das Zählerwerk ist ein feinmechanisches Erzeugnis, dessen Herstellung besondere
Sorgfalt erfordert. Die Zählwerksböcke werden nach einem Präzisionsgußverfahren
hergestellt, bei dem die feinen Löcher für die Achsenlagerungen gleich mit
eingegossen werden.
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Abb. 5. Wandertrockenöfen in der Lackiererei.
Diese Lagerungen sind günstiger, als nachträglich gebohrte
Löcher, da Bohrungen die Lage und Richtung nicht durchweg mit gleicher Genauigkeit
treffen können. Ueberhaupt sind die Lager von größter Wichtigkeit für den Zähler.
Insbesondere gilt dies für das Unterlager, auf dem das umlaufende System, d.h. der
Zähleranker, sich bewegt.
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Abb. 6. Kupol- und Steinschleiferei.
An dieser Stelle treten Flächendrücke auf, wie sie in gleichem
Verhältnis im Maschinenbau sonst nicht erreicht werden. Dabei macht der Anker im
Laufe weniger Jahre Millionen von Umdrehungen. Eine wenn auch nur geringe Zunahme
der Reibung verursacht bereits Fehlanzeigen. Das Unterlager der A.E.G.-Zähler
besteht daher aus einem Saphirstein, auf dem eine feingeschliffene Kugel von
0,8 mm Durchmesser in Oel läuft. Auf dieser Kugel ruht der ausgehöhlte Lagerzapfen
des Ankers, der leicht magnetisiert ist, um ein Abfallen der Kugel beim Herausnehmen
des Ankers zu verhüten. Die Steinschleiferei und die Herstellung der feinen Kugeln
aus Abschnitten eines Stahldrahtes ist in einem hellen Räume vereinigt (Abb. 6), in dem die weitgehende Arbeitsteilung und die
mehrfache Kontrolle der Teile in den verschiedenen Fertigungsstufen auffällt.
In der Spulenwickelei werden täglich tausende von Zählerspulen hergestellt. Besonders
bemerkenswert sind von ihnen die Spannungsspulen, die mehrere tausend Windungen
feinsten Drahtes erhalten. Eine Maschine mit dreitausend Umdrehungen in der Minute
wickelt solche Spulen in wenigen Minuten, wobei jede Lage gegen die benachbarte
durch eine selbsttätig eingefügte Papier-Zwischenlage isoliert wird.
Triebkerne, Spulen und Traggerüste treffen an dem Wandertisch für die
Triebsystemmontage zusammen, die die erste Stufe der eigentlichen Aufbauarbeit
darstellt. An jeder Arbeitsstelle am Wandertisch wird ein neues Stück hinzugefügt,
und ein für den Einbau in den Zähler fertiges Aggregat verläßt den Saal.
Auch die Fabrikation der Bremsmagnete stellt überaus hohe Anforderungen an die
Betriebseinrichtungen. Hier ist die Wandergalvanik besonders bemerkenswert, in der
täglich Tausende von Stahlmagneten durch eine Reihe von Reinigungs- und
Galvanisisationsbädern geführt werden. Während früher zur Bewältigung dieser
Aufgaben etwa 50 Hilfskräfte benötigt wurden, die mit der giftigen Flüssigkeit bei
ungesunden Dämpfen arbeiten mußten, genügen heute einige wenige Arbeiterinnen, die
in einem gut gelüfteten Räume einfache Zubringer- und ungefährliche Reinigungsarbeit
verrichten.
Die vormontierten, sowie alle Einzelteile finden sich im 2. Stockwerk in der
Hauptmontage (Abb. 7) zusammen, in der getrennte
Wandertische für alle Stromarten laufen. In das auf der Grundplatte
befestigte Traggerüst wird das Triebsystem eingebaut, der Anker eingeführt, der
Magnet befestigt und schließlich das Zählwerk aufgesetzt. Die Kappe wird vorläufig
aufgepaßt, und die Zähler werden in besonderen Karren mit hohem Aufbau zu den
Eichräumen gefahren. An den Eichstationen (Abbildung
8) werden die Zähler einzeln geöffnet und geeicht. Hier ist die
Fließarbeit so durchgeführt, daß nicht das Arbeitsstück wandert, sondern die
Eicherinnen gehen von Tafel zu Tafel und nehmen jeweils nur eine bestimmte
Einstellung vor. Da diese Einstellungen voneinander unabhängig sind, ist das
Eichverfahren sehr vorteilhaft. Durch die Uebung, die die Eicherin sich allmählich
aneignet, geht die Eichung rasch und sehr genau vonstatten.
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Abb. 7. Zusammenbau der Zähler
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Abb. 8. Teilansicht der Eichstation.
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Abb. 9. Packerei.
Die geeichten Zähler kommen nun zum Lager und von dort zur Verpackung (Abb. 9), die gleichfalls auf Wandertischen vorgenommen
wird. Im Versandraum gehen die Kisten über eine Rollbahn im Erdgeschoß zur Waage und
können von hier aus bahnfertig mit Hilfe eines Kranes verladen werden.
Die Fließarbeit ist vor allem abhängig von der Lösung des Förderproblems. So finden
sich in der Zählerfabrik neben den Wandertischen, die übrigens selbst
A.E.G.-Fabrikat sind, Aufzüge, Kettenförderungen, Kastenhebekarren, und
Gestellkarren, die von A.E.G.-Elektrokarren gezogen werden. Rutschbahnen können mit
Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Apparate nur für kleine Einzelteile und für
kurze Wege angewendet werden.
Früher hatte man eine Bohrerei, Fräserei, Spritzerei, Stanzerei, Dreherei,
Blechnerei usw., durch die die ganze Masse verschiedener Erzeugnisse
hindurchgeleitet wurden, wobei Stauungen und Stockungen nicht zu vermeiden waren. In
der Fließarbeit ist eine Teilung der Werkabteilungen vorgenommen worden. In die
Arbeitsgänge sind Schweißmaschinen, Härteöfen, Bohrmaschinen, Lötkolben,
Poliermaschinen, ja sogar elektrisch betriebene Schraubenzieher eingeschaltet, deren
Anschaffung sich durch die dauernde Ausnutzung als Gewinn an Arbeitszeit sehr
schnell bezahlt macht.
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Abb. 10. Zwischenlager.
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Abb. 11. Material-Bereitstellung.
Unter allen Umständen müssen Stockungen in der Zufuhr vermieden werden. Aus diesem
Grunde werden nicht nur am Wandertisch selbst fortlaufend Stichproben entnommen,
sondern es ist auch als Schlußoperation jedes Arbeitsganges eine genaue Kontrolle
eingerichtet. Eine weitere Sicherheit besteht darin, daß für die wichtigsten
Arbeitsgänge Reservewandertische vorhanden sind. Zwischenlager (Abb. 10) in Verbindung mit einer
Materialbereitstellung (Abb. 11), welch letztere
jeweils nur für die an einem Tage zu leistende Arbeit erfolgt, und die zentral
geleitet und dauernd überwacht wird, verbürgen weiter einen hemmungslosen Fluß der
Arbeit.
Die Fließarbeit in den Werkstätten wird wertvoll ergänzt durch eine völlige
Neugestaltung des gesamten kaufmännischen Apparates, bei der die neuesten Ergebnisse
der be triebswirtschaftlichen Wissenschaft und der organisatorischen Praxis zur
Anwendung ge kommen sind.
Cr.