Titel: | Säkularium der Technischen Hochschule in München. |
Autor: | Landgroeber |
Fundstelle: | Band 342, Jahrgang 1927, S. 86 |
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Säkularium der Technischen Hochschule in
München.
Säkularium der Technischen Hochschule in München.
In diesem Jahre kann die älteste deutsche Hochschule auf einen 100jährigen
Bestand zurückblicken. Hervorgegangen ist dieser bedeutsame Träger des technischen
Fortschritts, wie fast alle anderen Hochschulen, aus der damals gegründeten
polytechnischen Zentralschule. Daß an dem Münchener Institut mit großem Erfolg
gearbeitet wurde, erhellt aus den Namen der Männer, die an ihr tätig waren und von
denen manche in die Geschichte der Technik für alle Zeiten eingeschrieben sind, wie
Fraunhofer, Reichenbach, Liebig, Bauernfeind, Wollny, Kraus, Carl v. Linde. Die
Hochschule hat aber außerdem noch den Ruhm, der Entwicklung der Technik selbst große
Dienste geleistet zu haben. Vor hundert Jahren haben die ersten Ansätze, die Technik
auf wissenschaftlicher Grundlage aufzubauen, Gestaltung gewonnen. Damals war der
Geist von Universität und Technikum, der die neuen Entwicklungen anbahnte, auf
beiden Seiten ein grundverschiedener. Wohl hätte man damals das Studium der Technik
unmittelbar an das Universitätsstudium anschließen können. Aber eine solche
Möglichkeit, den großen Kreis bedeutsamster wissenschaftlicher Probleme, welche die
Technik darbietet, in ihre Universitas einzuschließen, ist nach Prof. Dr. v. Dick
damals, hier wie anderwärts, bei der geringen Einschätzung der Technik und der
Techniker nicht verfolgt worden. Man beschränkte sich darauf, für die Ausbildung der
Verwaltungsbeamten Technologie in enzyklopädischer Form darzubieten. Fraunhofer und
Reichenbach haben einst den Plan zur Errichtung einer Hochschule ausgearbeitet.
Dieser wohldurchdachte Plan fand jedoch keine Verwirklichung.
Es waren allenthalben technische Fachschulen, aus denen sich die technischen
Lehranstalten zu Hochschulen der Technik in zäher Arbeit durchgerungen haben. Die
Zwischenstufen dieser Entwicklung müssen hier umgangen werden. Die Hochschule in
München hat von Anfang an die Gliederung, Inhalt der Lehrgebiete, freiem Betrieb der
Studien, Abwägung des Verhältnisses zwischen theoretischen und praktischen
Studien, Aufnahmebedingungen der Studierenden von vornherein den Charakter der
Hochschule mit dem Ziele einer allseitigen wissenschaftlichen Durchbildung erhalten.
Die freie Gestaltung gestattete in der Folge, alle Erweiterungen dem Ganzen
einzufügen, welche die rasche Entwicklung der Technik im Laufe der Jahre notwendig
gemacht hat. Die wachsenden Bedürfnisse erforderten wiederholt Neubauten, die in
ihrer Aufeinanderfolge zugleich auch die Entwicklungsstadien der Hochschule
wiedergeben. Der Hauptbau war anfangs für 600 Studierende bemessen. Die Frequenz der
jungen Anstalt stieg rasch an. Die Abteilung der Bauingenieure stand damals an der
Spitze, dem Bedarf an Ingenieuren beim Ausbau unserer Eisenbahnnetze
entsprechend.
Auf die Einrichtung von Laboratorien und Instituten für Unterricht und Forschung war
von Anfang an ein Hauptgewicht gelegt. Zu jener Zeit wurde praktischer Unterricht im
Laboratorium auch an den Universitäten, wenn überhaupt, erst in ganz bescheidenem
Maße geboten. Neu aber war – und damit ist die Münchener Hochschule allen anderen
vorangegangen – die Errichtung eines mechanisch-technischen Laboratoriums. Sie
entsprang dem Bedürfnis nach exakter Prüfung der Elastizitäts- und
Festigkeitsverhältnisse der Baumaterialien, damit der erhöhten Inanspruchnahme bei
Brücken- und Hallenbauten mit ihren wachsenden Spannweiten und ebenso den starken
Spannungen in ruhenden und bewegten Massen mit Sicherheit begegnet werden konnte.
Ein kleines, bescheidenes Haus, einem Schuppen mehr als einem Unterrichtsraum
gleichend, nahm die erste Prüfmaschine auf, deren zuverlässige Resultate in der
ganzen Welt zur Nachahmung und allenthalben als Norm dienten. Das kleine Häuschen
nahm bald darauf (1873) ein weiteres nicht weniger bedeutungsvolles Institut auf,
gleichfalls das erste seiner Art, das Laboratorium für theoretische Maschinenlehre.
Carl Linde hatte erkannt, wie wichtig und notwendig
es sei, für den Unterricht im Dampfmaschinenbau die physikalischen und
mechanischen Vorgänge im großen, am Dampfkessel und an der Dampfmaschine selbst zu
studieren, durch welche die Einsicht für die Forschung aus einem solchen, die
einzelnen Prozesse messend, verfolgendem Studium zu erwarten sei. Die mechanische
Wärmetheorie fand hier das ihren Größenverhältnissen entsprechende Instrumentarium
und Laboratorium der „Makrophysik,“ ohne welche heute keine technische
Hochschule mehr zu denken ist. Die nächste Organisation galt, auf Liebigs Anregung,
der Errichtung einer landwirtschaftlichen Abteilung, freilich dürftigsten Ausmaßes,
aber bald bedeutungsvoll für die Wirksamkeit berufenster Forscher (Soxhlet, Wollny,
Kraus) auf dem Gebiet der Agrikulturchemie, der Physik des Bodens, des Acker- und
Pflanzenbaues und der Tierzucht.
In den 80er Jahren ist mit der Vollendung des Hauptnetzes der Verkehrswege und mit
dem Emporwachsen der Großindustrie das Primat der Bauingenieur-Abteilung an die der
Maschineningenieure übergegangen. Standen dort die Interessen des Staates im
Vordergrund, so hier die vielseitigeren der Privatindustrie. Bauschingers
Laboratorium erhielt neue Anregungen durch Föppls Tätigkeit, welche der Entwicklung
des Maschinenbaues entsprechend, neben dem statischen die Probleme der Dynamik
theoretisch und experimentell mit einbezog. Ganz neues aber war für die
Elektrotechnik zu schaffen. Man hatte sie allzu lange nur als einen Anhang der
Experimentalphysik betrachtet und geglaubt, ihren Aufgaben im Rahmen des
physikalischen Laboratoriums allein gerechnet werden zu können. Langsam freilich
ging es vorerst voran. 1888 war ein Neubau für die elektrotechnischen Laboratorien
hergestellt. Mit der Erweiterung der Lehrgebiete mußten die Laboratorien für
Elektrophysik und Hochspannungstechnik vergrößert werden, um mit den jetzt zu
wichtigsten Versuchen gebrauchten Spannungen von 600000 Volt ohne Gefahr operieren
zu können.
Ein weiteres Gebiet, auf dem sich das physikalische Laboratorium zum technischen
erweitert hat, ist das der technischen Physik. Sie fand zuerst in Lindes
Laboratorium für Kältetechnik gastliche Aufnahme und tätige Mitwirkung und
konnte damit an den Forschungskreis anknüpfen, in welchem eines der
bedeutungsvollsten Probleme auf dem Gebiet der Wärmelehre durch die geniale
Verbindung physikalischer und technischer Arbeitsmethoden gelöst worden ist.
Inzwischen war der Besuch der Hochschule in stetigem Ansteigen begriffen, die Hörsäle
erwiesen sich nachgerade als völlig unzureichend, die Laboratorien der Physik und
der Chemie waren zumeist dreifach, ja vierfach besetzt. Ein entscheidender Schritt
war unabweisbar. Es wurden der damals größte chemische Hörsaal gebaut sowie die
großen, für das Maschinenbaulaboratorium und für Hydraulik bestimmten Hallen, ferner
noch Untersuchungsräume der Technischen Physik. Hohe, lichte Räume entstanden in
einem Neubau der Architektenabteilung, sowie im Erdgeschoß erweiterte Räume für die
Laboratorien der Bau- und Maschineningenieure. Keine Frage, die Technik von heute
steht im Zeichen des Konkurrenzkampfes mit unerbittlichen Gegnern, kann nur durch
die Höhe und Zuverlässigkeit der Leistung, nur durch Qualität, nicht durch Quantität
der Arbeit sich aufrecht erhalten, braucht Persönlichkeiten, die die Wege weisen.
Darum geht die heutige Erziehung mehr noch als vorher auf die Bildung des
Charakters, auf die Erziehung der Selbständigkeit, zu raschem Handeln mit eigener
Verantwortung; im geistigen zu tieferer Durchdringung der Probleme nach
wissenschaftlicher Grundlage und Methode, mag es sich um technische oder um
wirtschaftliche Fragen handeln. Ein weiterer Schritt war die Errichtung der
wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung. Sie hat drei Aufgaben: Volkswirte
auszubilden in engster Fühlung mit der Technik, Ingenieuren Kenntnis und Verständnis
für Volks- und Privatwirtschaftslehre und Rechtswissenschaften zu vermitteln,
endlich Kaufleuten des Großbetriebes eine wissenschaftliche Grundlage für ihren
weitreichenden Wirkungskreis darzubieten. Solchen Gedankengängen und Notwendigkeiten
trägt die neue Entwicklung Rechnung. Staat und Regierung haben die Pflichten, die
hier den dringenden Bedürfnissen erwachsen, klar erkannt und sind gewillt, sie trotz
aller Schwierigkeiten zu erfüllen.
Landgroeber.