Titel: | August Thyssen |
Autor: | F. W. L. |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 70 |
Download: | XML |
August Thyssen
† 4. April 1926.
[August Thyssen.]
Neben Alfred Krupp dürfte August Thyssen an überragendster Stelle im
Wirtschaftsleben des rheinisch-westfälischen Industriebezirkes stehen. Beider
Lebenswerk hat viel Aehnlichkeit miteinander. Beide fingen aus kleinen Verhältnissen
an, waren unermüdliche Arbeiter, die sich trotz häufiger Fehlschläge und großer
Kreditsorgen niemals unterkriegen ließen. Beide spielten lange Zeit ihren eigenen
Geschäftsreisenden, machten am liebsten alle Arbeiten selbst, fingen beide mit etwa
60 Arbeitern an, vergrößerten ihre Werke in früher nie geahnter Weise und
hinterließen am Lebensende Werte, die in die Hundert Millionen Mark gehen.
Thyssen ist am 17. Mai 1842 in Eschweiler bei Aachen geboren. Sein Vater führte dort
ein kleines Bankgeschäft. Nach dem Besuch der Volks- und Rektoratsschule in
Eschweiler kam er auf die Realschule in Aachen. Mit Ernst studierte er an der
Technischen Hochschule in Karlsruhe (1859–61). Von 1861–62 hörte er Vorlesungen an
der Handelshochschule in Antwerpen. Fünfundzwanzigjährig verließ er am 1. April 1867
das Geschäft seines Vaters und wurde Teilhaber der Firma Thyssen, Fossoul & Co.
Damit begann der spätere Bergherr und Stahlkönig seine industrielle Laufbahn.
Nachdem diese Firma in eine ändere überging, löste er das Vertragsverhältnis und
machte sich selbständig. Er gründete mit seinem Vater zusammen die Firma Thyssen
& Co. in Styrum bei Mülheim an der Ruhr. Das Gründungskapital seines kleinen am
2. Oktober 1872 in Betrieb genommenen Bandeisenwalzwerks mit 5 Puddelöfen, einer
Luppenstraße und einer Bandeisenstraße, der Keimzelle seiner heutigen Riesenwerke
betrug 70000 Mark. Die erste Jahresproduktion belief sich auf 3000 Tonnen.
Sparsamkeit und umsichtige Wirtschaftsführung verhalfen ihm zu Gewinnen, die eine
verhältnismäßig schnelle Vergrößerung gestatteten. Bald wurde ein Röhrenwalzwerk,
ein Blechwalzwerk, eine Verzinkerei, ein Siemens-Martin-Walzwerk, eine Eisengießerei
und eine Maschinenfabrik angegliedert. 20 Jahre nach dem bescheidenen Anfang war die
Belegschaft auf 2500 Beamte und Arbeiter angewachsen, für die eine jährliche
Lohnsumme von 2,7 Millionen Mark verausgabt wurde.
Thyssen war der erste, der die Erfindung des Flußeisenverfahrens auszunutzen
versuchte. Mit geschäftlicher Klugheit und Voraussicht erkannte er als erster die
Zukunft der „gemischten Betriebsform“ mit eigener Rohstoffbasis. Um sich
von dem Rohstoffbezug von anderen unabhängig zu machen, ging er dazu über, sein Werk
unter solchen Gesichtspunkten auf eine breitere Grundlage zu stellen. Bei günstiger
Gelegenheit wurden in den 80er Jahren Anteile der Kohlenbergbaugewerkschaft
„Deutscher Kaiser“ in Hamborn erworben. Aus ihr machte er nach
Ueberwindung unsäglicher Schwierigkeiten beim Schachtabteufen das jetzige
Untennehmen, das als „Gewerkschaft Deutscher Kaiser“ eine der größten
Bergwerksanlagen der Welt ist. Sie war seine zweite industrielle Gründung. Auf
dieser Grundlage und zwar direkt am Rhein entstand ein Hochofenwerk, ein
Siemens-Stahlwerk und Walzwerkanlagen. Gleichzeitig mit der Verlegung eines großen
Teiles seiner Produktion an den Rhein bezweckte er eine Verbilligung der Versorgung
mit Eisenerzen. Ferner beschaffte er sich hierdurch eine bequeme Abfuhrmöglichkeit
seiner alle Produktionsstufen umfassenden Werkserzeugnisse sowie von Kohlen. Später
kam dann noch ein Walzwerk in Dinslaken, ein Hochofenwerk in Duisburg-Meiderich und
ein Thomasstahlwerk in Bruckhausen hinzu. Gleichzeitig entstanden eigene Gas- und
Wasserwerke, von denen Städte und Gemeinden in ihrem Bereich mitversorgt wurden. Um
die Jahrhundertwende begann Thyssen mit dem Erwerb von Eisenerzkonzessionen in
Lothringen, Südrußland und Nordfrankreich. Ferner baute er eigene Hafenanlagen in
Brasilien, Indien und am Schwarzen Meer. In Gemeinschaft mit Stinnes gründete er das
Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk. Dem damaligen Zug der Zeit mit dem Motiv
„Kohle geht nach Erz“ folgend, entstand 1910 auf der phosphorreichen
lothringischen Minette das Riesenstahlwerk Thyssen-Hagendingen mit 6 Hochöfen, 5
Bessemerbirnen im Thomaswerk, 1 Martinswerk mit 2 Oefen und 1 Elektrostahlwerk mit 3
Oefen. Durch den unglücklichen Ausgang des Krieges ist dieses 500000 t Rohstahl
erzeugende Werk verloren gegangen.
In dem von ihm errichteten Königreich der Schlote, Fördertürme und Hochöfen herrscht
Thyssen über sämtliche Produkte der Montanindustrie, Handel und Schiffahrt. Vor dem
Kriege waren in seinem Wirtschaftsgebilde weit über 40000 Personen mit einer
jährlichen Lohn- und Gehaltssumme von über 70000000 Mark beschäftigt. Thyssen
betrachtete den Trust nach amerikanischem System als das allein seligmachende Mittel zum Zweck,
die Gesamtindustrie einheitlich zu leiten, sie zu höchster Wirtschaftlichkeit zu
organisieren, um dadurch eine feste Preispolitik durchzuführen. Er war der erste in
Deutschland, der diesen Gedanken zu verwirklichen suchte. In diesem Bestreben konnte
sich jedoch der allgewaltige Schloßherr von Landsberg, seinem trutzigem Bergschloß,
nicht durchsetzen. Er mußte sich mit einem Zwischending, gewaltigen trustähnlichen
Industriezusammenballungen, aus Fusionen geschmiedet, begnügen. Nachdem er in die
Verwaltungen der bedeutsamsten Konzerne der rheinisch-westfälischen Montanindustrie
eingedrungen war, versuchte er als geborener Autokrat botmäßig die eigene
Persönlichkeit durchzusetzen. Da aber Hemmungen für diesen harten und selbständigen
Kopf nicht bestanden, andererseits aber die Großbanken in vielen Fällen die
eigentlichen Herren der Industrie waren, war ein Nebeneinanderarbeiten zwischen
diesen beiden Machtfaktoren unmöglich. Thyssen kehrte daher den großen Konzernen wie
z.B. der Gelsenkirchner-Bergwerks A.-G. und Phönix, die unter seiner Mitwirkung zu
nicht minder gewaltigen Unternehmen herangeblüht waren, den Rücken. Wer sich ihm in
den Weg stellte, wurde erbarmungslos über den Haufen gerannt. Von seinen Arbeitern
und Beamten verlangte er unbedingten, stummen Gehorsam. Organisationen,
Arbeitervertretungen, Wohlfahrtseinrichtungen, Herzensgüte und sogar Familiensinn
haben bei ihm nur wenig Interesse gefunden. Auf irgendwelche Anerkennung hat dieser
Fanatiker der Arbeit nie Wert gelegt. Auszeichnungen und Orden verschmähte er als
unsinnigen Behang. Ebenso wenig kannte er Schonung seiner eigenen, wenig robusten
Person. Jahrelang fuhr er, unscheinbar als Persönlichkeit, anstatt mit der Kutsche
oder mit dem Auto auf der elektrischen Straßenbahn durch Mülheim, schweigend aber
scharf beobachtend wie immer, in seine Betriebe, trotzdem sein jährliches Einkommen
vordem Kriege auf etwa 12 Millionen Mark geschätzt wurde. „Rast ich, so rost
ich“, seinen Wahlspruch, hat er bis an sein Lebensende befolgt. Er, der
trotz seines hohen Alters die Fäden seines riesigen Unternehmens fest in der Hand
hielt und sich kaum einen Lebensgenuß gönnte, stand auf dem Standpunkt, daß ebenso
wie die Arbeit den einzelnen Menschen gesund erhält, auch für ein krankes Volk das
beste und einfachste Gesundheitsmittel die Arbeit ist und bleibt. In seinem Werk
wird August Thyssen weiterleben. Der Mensch vergeht, das Werk besteht.
F. W. L.