Titel: | Die Entwicklungsmöglichkeiten der feinmechanischen Industrie und die Ausbildung ihrer Techniker. |
Autor: | C. Stein |
Fundstelle: | Band 341, Jahrgang 1926, S. 49 |
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Die Entwicklungsmöglichkeiten der
feinmechanischen Industrie und die Ausbildung ihrer Techniker.
Von Ingenieur C. Stein,
Spandau.
STEIN, Die Entwicklungsmöglichkeiten der feinmechanischen
Industrie.
Es ist nach dem Kriege von berufener und unberufener Seite schon viel geredet
und geschrieben worden über die „Aktivierung“ unserer Handelsbilanz, aber nur
in wenigen dieser Aeußerungen findet man nicht allein die Ansicht verfochten, daß es
anders werden müsse, sondern auch Wege gewiesen, wie es anders werden könne. Sehr
beachtenswerte Anregungen in dieser Hinsicht gibt ein Vortrag, den vor kurzem der
Vorsitzende des Vorstandes der Siemens & Halske A.-G., Dr. Franke, auf der Tagung des V. D. I. in Danzig gehalten hat. Die in diesem
Vortrag entwickelten Gedankengänge sind nicht nur bedeutsam für die Gestaltung
unserer Handelsbilanz, sondern auch für die künftige Entwicklung unserer
metallverarbeitenden Industrie. Es soll deshalb versucht werden, sie wenigstens in
den Umrissen hier wiederzugeben.
Deutschland ist seiner geographischen Lage nach nie reich an Bodenschätzen gewesen
und ist dadurch, daß ihm bei Friedensschluß wertvolle Gebiete verloren gingen, daran
noch ärmer geworden. Es muß mehr an Rohstoffen einführen als es ausführt und kann
also mit dem Ausland nur dann erfolgreich in Wettbewerb treten, wenn es Gegenstände
ausführt, deren Wert nicht hauptsächlich in dem verwendeten Material, das
Deutschland selbst teuer kaufen muß, sondern in der Veredlungsarbeit liegt; es muß
danach streben, möglichst wenig „Stoff“, dafür aber möglichst viel
„Arbeit“ auszuführen.
Von den Erzeugnissen der beiden großen Gruppen der Metallindustrie, des
Maschinenbaues und der Feinmechanik, haben die der zweiten ein im Verhältnis zum
Stoffwert höheren Arbeitswert. Von ihrer Ausfuhr kann also Deutschland einen
günstigen Einfluß auf die Handelsbilanz erwarten. Außerdem haben sie bei dem hohen
Wert geringes Gewicht, so daß die Frachtspesen verhältnismäßig niedrig sind.
Damit die günstigen Wirkungen, die die Ausfuhr feinmechanischer Erzeugnisse nach dem
eben gesagten auf die Handelsbilanz haben kann, auch wirklich voll zur Geltung
kommen, ist danach zu streben, die Fertigung selbst möglichst wirtschaftlich zu
gestalten. Ein Anfang dazu ist insofern in den letzten Jahren gemacht worden, als
man bei vielen feinmechanischen Geräten von der früher im handwerksmäßigen Betriebe
üblichen Einzelfertigung zur Massenfertigung und fließenden Fertigung in
fabrikmäßiger Betriebsform übergegangen ist. Um auf diesem Wege aber weiter
schreiten zu können – und zwar so, daß die Erzeugnisse sowohl dem Preis als der Güte
nach der Konkurrenz des Auslandes die Stirn bieten können – fehlt es in
Deutschland bisher noch an einer sehr wichtigen Voraussetzung: an der richtigen
Ausbildung der Konstrukteure und Fabrikations-Techniker. Daß hier der Hebel
angesetzt werden müsse, darauf hat unter anderem auch Direktor O. Richter
nachdrücklich hingewiesen (z.B. im Aufsatz „Feinmechanik und Maschinenbau“,
Zeitschrift des V. D. I. 1924, Nr. 42). Denn sowohl die Werkstoffe wie die
Konstruktionselemente und die Herstellungsverfahren der Feinmechanik sind entweder
ganz verschieden von denen des Maschinenbaus oder sie werden, wenn es die gleichen
sind, hier doch nach ganz anderen Gesichtspunkten beurteilt als dort. Nun gibt es
außer unseren technischen Hochschulen noch eine große Anzahl von Lehranstalten für
Maschinenbau, dazu noch 30 Fachschulen, zusammen mit rund 12000 Schülern. Dort
findet aber der angehende Ingenieur oder Techniker, der sich der Feinmechanik
zuwenden will, nirgends eingehende Belehrung über das ihn interessierende Gebiet.
Viele werden dadurch überhaupt abgeschreckt, die Feinmechanik als Beruf zu wählen,
andere, die zwar in einem feinmechanischen Werk praktisch gearbeitet haben, werden
dann, wenn sie auf der Hoch- oder Mittelschule nur von ganz anderen Dingen hören,
eben schließlich beim Maschinenbau bleiben, wo sie das Gehörte verwerten können. Und
die wenigen, die der Feinmechanik treu bleiben, müssen sich erst jahrelang
einarbeiten, bis sie sich mühselig die Erfahrungen gesammelt haben, die zu einer
nutzbringenden Tätigkeit in der feinmechanischen Industrie nötig sind. So kommt es,
daß der aufstrebenden feinmechanischen Industrie der Nachwuchs fehlt. Zwar haben
sich jüngst maßgebende Kreise dieser Industrie zu einem Verein zusammengeschlossen
und mit der Stadt Berlin die „Gauß“-Schule gegründet. Hier werden in einem
Tageskurs etwa 100 Schüler, in einem Abendkurs etwa 900 Schüler in verschiedenen
Fächern der Feinmechanik ausgebildet. Wenn man aber bedenkt, daß die Ausführ des
Maschinenbaus, an den Zahlen von 1913 gemessen im Jahre 1924 auf 60% herabgesunken,
die der Feinmechanik dagegen auf 114% gestiegen war, daß die Feinmechanik heute über
300 000 Menschen beschäftigt, der Maschinenbau etwa 600 000, so wird man zugeben
müssen, daß die Ausbildungsmöglichkeit nicht im Verhältnis steht zu der
wirtschaftlichen Bedeutung dieses Industriezweiges. Es ist unbedingt notwendig, daß
auf den Schulen auch den Wissensfächern der Feinmechanik der ihnen gebührende Platz
eingeräumt wird
und Stätten geschaffen werden, wo der Techniker nicht nur konstruieren, sondern auch
so konstruieren lernt, daß eine wirtschaftlich günstige
Massenfertigung möglich ist. Heute sind die Erfahrungen über feinmechanische
Fertigungen in den verschiedenen Betrieben zerstreut, jede Konstruktion muß
sozusagen neu erfunden werden. Auch heute noch werden häufig Werkstoffe verwendet,
die sich nachträglich als für den vorliegenden Zweck ungeeignet erweisen.
Hinsichtlich des Preises sind die Werkstoffe nach ganz anderen Grundsätzen
auszuwählen als im Maschinenbau. Oft ist der teurere Rohstoff wirtschaftlicher
zu verwenden, weil er sich leichter und billiger verarbeiten läßt. Seine Festigkeit
spielt für feinmechanische Geräte eine ganz andere Rolle als im Maschinenbau. Meist
sind durch die Apparate nur Bewegungen und nicht nennenswerte Kräfte zu übertragen.
Dafür sollen sie möglichst unempfindlich sein gegen Stöße beim Transport usw.
Während über die Konstruktionselemente des Maschinenbaus eine Reihe von Werken
Aufschluß geben, liegt über die der Feinmechanik erst ein Teil eines Atlasses vor,
der von dem schon vorher erwähnten Verein herausgegeben wird. Die Normung und
Typisierung der heute in regelloser Fülle vorhandenen Formen erfordert überhaupt
noch eine angestrengte Tätigkeit fachkundiger Leute. Von den Herstellungsverfahren
sind eine ganze Reihe, wie Löten, Kitten usw. dem Maschinenbauer ganz unzureichend
bekannt, andere wie Stanzen, Ziehen, Drücken von Feinblechen werden von ihm nur
selten angewandt – dem Feinmechaniker sind sie alle unentbehrlich, sie gehören ihm
„zum täglichen Brot“. Schließlich ist noch zu bedenken, daß bei
feinmechanischen Geräten – man denke an die Wählereinrichtungen einer
Selbstanschluß-Zentrale – oft viele gleichartige Elemente verwendet sind, die mit
größter Genauigkeit zusammenarbeiten und gegen andere austauschbar sein müssen. Die
Herstellung solcher Teile erfordert auch besondere Werkzeuge. Der Techniker, der von
der Hochschule kommt, wo er Maschinenbau studiert hat, steht den Anforderungen, die
die feinmechanische Technik stellt, ganz ratlos gegenüber – er muß nach Beendigung
seines Studiums ganz von vorn zu lernen anfangen, ehe er produktiv arbeiten kann. Im
Betrieb aber kann er nur das lernen, was gerade ausgeführt wird, umfassende
Kenntnisse, einen Ueberblick über das ganze Gebiet kann er sich auch hier nicht –
oder doch erst nach vielen Jahren erwerben.
Es ist also unabweisbar, daß an den technischen Schulen Lehrfächer für Feinmechanik
geschaffen werden, dort der Ausbildung des Feinmechanik-Ingenieurs mehr
Aufmerksamkeit als bisher geschenkt und daß die Feinmechanik, die berufen erscheint,
das wirtschaftliche Gedeihen Deutschlands weitgehend zu fördern, nicht in der
Ausbildung ihrer Hilfskräfte als Stiefkind behandelt wird.