Titel: | Zucker, seine Geschichte und Bedeutung. |
Autor: | Landgraeber |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 159 |
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Zucker, seine Geschichte und
Bedeutung.
Zucker, seine Geschichte und Bedeutung.
Dem Prof. Dr. Barly an der Universität Liverpool soll
es gelungen sein, mit Hilfe ultra-violetter Strahlen auf rein chemischem Wege Zucker
herzustellen. Diese Erfindung wäre nicht nur industriell von großer Bedeutung,
sondern auch für die Naturwissenschaft, da man vielleicht herausbringen könnte, wie
die Pflanzen sich ihre chemischen Verbindungen aufbauen. Bei der Bedeutung des
Zuckers im Wirtschaftsleben der Völker soll im Nachstehenden allerlei von ihm
berichtet werden. Die Weltproduktion an Zucker betrug im Jahre 1923 18 Millionen,
1924 22 Millionen und heute wird sie auf etwa 25 Millionen Tonnen geschätzt.
Der Brauch, gewisse Speisen zu süßen, ist älter als die Kenntnis vom Vorhandensein
des Zuckers. Die Alten verwendeten Bienenhonig zum Süßen, später entdeckte man einen
Honig, den eine Art Rohrpflanze ausschwitzte. Nach einem Bericht des berühmten
griechischen Arztes Dioskurides, der im ersten Jahrhundert n. Chr. lebte, gebrauchte
man zum Süßen eine Honigsorte, welche man dem Rohr einer nur in Indien und Arabien
vorkommenden Pflanze, Sachara genannt, entnahm. – Wahrscheinlich waren nach
Reimerdes die Chinesen die ersten, die vor etwa 2000 Jahren aus Zuckerrohr eine dem
Zucker ähnliche Masse herstellten. Die übrigen Völker des Altertums kannten den
Zucker noch nicht. Nächst den Chinesen sollen die Araber die Bereitung von Zucker
aus Zuckerrohr verstanden haben; durch sie gelangte er nach Alexandrien und Venedig.
Während der Kreuzzüge machte die Christenheit die erste Bekanntschaft mit dem
Zucker. Kreuzfahrer verpflanzten das Zuckerrohr nach Sizilien, dort baute man es
bereits 1148, auf Cypern 1150 an. Kaiser Friedrich II. veranlaßte die Anlage der
ersten Raffinerien. Ueber Portugal kam das Zuckerrohr nach Madeira, Porto Santo, den
Kanarischen Inseln und schließlich nach Amerika. Seit 1506 finden wir es in
Westindien; 1643 begannen die Engländer es in St. Christoph und Barbados zu
kultivieren. Cortez legte in Mexiko die ersten Zuckerplantagen an. Der erste, 1550
unternommene Versuch der Franzosen, in Südfrankreich Zuckerrohr anzubauen, mißlang
völlig, da der Boden sich nicht dafür eignete. Man benutzte deshalb zum Süßen
vorläufig wilden Honig, während die Italiener, die schon 1319 mehrere 100 Zentner
Zucker nach London ausführten, für ihre Konditorwaren frühzeitig Zucker verwendeten.
In Schweden galt derselbe noch im 16. Jahrhundert als gesundheitsschädlich
(namentlich für den Magen), und überdies als Luxusartikel. Es erregte ungeheures
Aufsehen, als 1520 beim Leichenmahl eines höheren Beamten 4 Pfund Zucker verbraucht
worden waren. – Noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war der Zucker bei uns so
teuer, daß nurwohlhabende Leute ihn kaufen konnten. Man ging im allgemeinen
sparsam damit um und selbst bei der luxuriösen Hochzeit des Herzogs von Württemberg
(1511) süßte man alle Speisen und Getränke mit dem Saft von Süßholz. Als ungeheure
Verschwendung wurde es zu jener Zeit ausgelegt, daß Kaiser Ferdinand 1546, während
eines kurzen Aufenthalts in Mergentheim, 27 Pfund Zucker verbrauchte. Erst langsam
vermochte der Zucker sich durchzusetzen; auch in Deutschland verwendete man lange
Zeit hauptsächlich Honig und Sirup zum Süßen. Auf dem Lande ist bis in die Gegenwart
hinein vielfach an Stelle des Zuckers Sirup gebraucht worden. Wenig bekannt dürfte
es sein, daß man um die Wende des 16. Jahrhunderts Zucker als Schnupftabak
verwendete. Vornehme und reiche Leute hatten stets eine Dose mit feinem Zucker bei
sich, den sie ihren Bekannten anboten. – Die Kunst, den Zucker aus dem Saft des
Zuckerrohrs einzukochen, kam um die Mitte des 15. Jahrhunderts auf, die Kunst, ihn
zu raffinieren, wurde erst später von den Venetianern entdeckt. Die erste deutsche
Zuckerraffinerie ist 1573 in Augsburg begründet worden. 1597 folgte Dresden nach.
Die erste holländische Raffinerie entstand 1648. Zur Errichtung einer
Zuckerraffinerie beriefen die Engländer 1659 einige Deutsche. Die starke Nachfrage
nach Zucker führte zu Versuchen mit anderen zuckerstoffhaltigen Produkten. Dabei
entdeckte man den Ahornzucker, der aus dem Saft des in Nordamerika heimischen
Zuckerahorn gewonnen wird. Von größerer Bedeutung aber war es, daß es dem deutschen
Chemiker Marggraf im Anfange des 19. Jahrhunderts gelang, aus Rüben Zucker zu
gewinnen. (Die erste Rübenzuckerfabrik wurde in Freiberg errichtet.) Seit den 30er
Jahren kam die Rübenzucker-Industrie in Deutschland mehr und mehr in Aufnahme. Von
hier aus verbreitete sie sich nach Schweden, Holland, Belgien, Frankreich, Rußland,
Italien, Spanien und Amerika. Uebrigens ist der Zucker nicht nur ein wichtiges
Nährmittel (namentlich für den arbeitenden Menschen und für den Säugling), sondern
auch, was weniger bekannt sein dürfte, ein Medikament. Schon in alter Zeit brauchten
ihn die Frauen der Provence als ein die Geburt erleichterndes Mittel, und wie
neuerdings festgestellt worden ist, haben die Arbeiterinnen der Pariser
Zuckerfabriken außerordentlich leichte Geburten gehabt, wenn sie im letzten Stadium
der Schwangerschaft stündlich viermal 10–15 Gramm Zucker gegessen hatten. – Bei
Herzmuskelerkrankungen soll der Zucker als kraftspendendes „Heizmaterial“ für
den arbeitenden Muskel gute Dienste leisten. Gerade das Herz, das zeitlebens ständig
in Funktion ist und viel Arbeit zu verrichten hat, braucht bedeutende Mengen Zucker.
Deshalb verordnen die Aerzte Herzkranken vielfach täglich reichliche
Zuckerzufuhr in Gestalt süßer Mehlspeisen usw. Da die Datteln von allen Früchten den
höchsten Zuckergehalt haben, kommen auch Dattelkuren für Herzkranke in Frage. Bei
Bauchfellentzündungen hat man Zucker ebenfalls erfolgreich angewandt. Bringt man ihn
in den Körper hinein, so gerät er in Gärung und verwandelt sich in Milchsäure. Weil
nun die meisten Bakterien bekanntlich auf einem sauren Nährboden nicht gedeihen, so
sterben sie allmählich ab, so daß der Organismus auf diese Weise von den
Infektionserregern befreit wird. – Das Sacharin verdankt seine Entdeckung einem
Zufall. Der deutsche Chemiker Fahlberg war im Sommer 1878 in dem Laboratorium der
John-Hopkins-Universität zu Baltimore mit den Versuchen zur Darstellung bis dahin
noch unbekannter organischer Körper beschäftigt. Eines Abends fiel ihm zu Hause beim
Abendbrot der süße Geschmack des Brotes auf; er bemerkte aber bald, daß dieser von
seinen Händen herrührte, obwohl er sie nach Beendigung der Labaratoriumsarbeit
gewaschen hatte. Die Sache beschäftigte ihn so, daß ernoch am selben Abend in
sein Laboratorium zurückeilte, wo er sämtliche auf seinem Arbeitstisch befindlichen
Gläser und Schalen durchkostete. Dabei fand er, daß der Inhalt eines der Gläser
auffallend süß schmeckte. Die chemische Analyse ergab, daß es sich um das später von
ihm Sacharin genannte Benzoesäuresulfinid, also um einen Abkömmling des Benzols,
handelte. Fahlberg begriff, daß hier die Möglichkeit zur Gewinnung eines künstlichen
Süßstoffes gegeben war; er arbeitete in dieser Richtung weiter und im Jahre 1879 war
sein Erzeugnis so weit, daß es praktisch verwendbar erschien. Nach Deutschland
zurückgekehrt, bemühte Fahlberg sich um die Ausnützung seiner Erfindung im Großen,
nachdem er im Jahre 1884 in Neuyork bereits eine kleine Versuchsfabrik eingerichtet
hatte. Zusammen mit seinem Oheim A. List aus Leipzig wurde in Salbke-Westerhusen an
der Elbe die Fabrik errichtet, die seinen Namen und den seines Teilhaber strägt und
die lange Zeit das einzige Unternehmen dieser Art gewesen ist.
Landgraeber.