Titel: | Gibt es einen Aether? |
Autor: | P. Kirchberger |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 69 |
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Gibt es einen Aether?
KIRCHBERGER, Gibt es einen Aether?
Bekanntlich sind heutzutage das Funkwesen und namentlich der Rundfunk Trumpf.
Fast jede Zeitung hat ihre „Funkecke“ und die wenigen Zeitgenossen, die noch
nicht Rundfunkteilnehmer sind, werden beinahe mitleidig als rückständige Vertreter
der Menschheitsgattung betrachtet.
Dabei richtet sich das allgemeine Interesse naturgemäß auf die Einrichtungen an der
Gebe- und der Empfangsstelle, denn auf ihnen beruht ja die immer mehr vollkommene
Technik, die immer feinere Ausbildung dieses neuesten Mittels des Weltverkehrs. Was
sich zwischen der Sende- und der Empfangsstelle abspielt, bleibt naturgemäß im
Dunkel, oder man beruhigt sich bei dem Wort: es sind „Aetherwellen“. Aber
leider gehört dieses Wort auch zu denen, von denen schon Mephisto sagte: „Wo
Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ Dem Physiker
ist es zwar klar, was er unter „Wellen“ zu verstehen hat, aber ich bin doch
stark im Zweifel, ob die Mehrzahl derer, die so leichthin von „Aetherwellen“
sprechen, mit dem Worte „Wellen“, die heutzutage allein zulässige Vorstellung
verbindet. Was aber gar das Wort „Aether“ anbelangt, so wissen die größten
Gelehrten über ihn nicht viel mehr, ja vielleicht sogar weniger, als der krasseste
Laie.
Tatsächlich ist das Wort „Aether“ aus einer Zeit stehen geblieben, die ganz
andere wissenschaftliche Anschauungen hatte als die unsrige. Man dachte sich früher
das Licht, das sich ja, wie wir täglich sehen, durch den leeren, von keinerlei Stoff
erfüllten Weltraum fortpflanzt, als einen ähnlichen Vorgang, wie etwa die
Fortpflanzung der Schallwellen in festen Körpern: Irgendwelche Stoffteilchen werden
in schnellem Wechsel aus ihrer Ruhelage gebracht und durch elastische Kräfte wieder
zurückgezogen. Schon immer bestand bei dieser Anschauung die große, nie ganz
überwundene Schwierigkeit, daß der fragliche Aether, dessen Teilchen eben diese
Wellenbewegungen ausführen sollten, den Himmelskörpern bei ihrer Bewegung keinen
Widerstand bot. Aber nunmehr ist auch aus anderen Gründen diese Anschauung gänzlich
verlassen. Wir wissen mit aller Bestimmtheit, daß das Licht keine elastische,
sondern eine elektromagnetische Erscheinung ist; die in allen wesentlichen Punkten
bestehende Gleichheit zwischen den Lichtwellen und den Wellender drahtlosen
Telegraphie beweist es ja aufs deutlichste. Damit hat aber auch das Wort
„Wellen“ völlig die Bedeutung verloren, die man ihm gewöhnlich
beimißt.
Eine Welle stellt man sich gewöhnlich als einen Bewegungsvorgang vor, wie man ja auch
von „Wellenbewegungen“ spricht. Tatsächlich aber ist die Wellenbewegung nur
ein Beispiel für eine Welle, notwendig ist die Bewegung für diesen Begriff
keineswegs. Der Physiker versteht vielmehr unter Welle einen in regelmäßigem Wechsel
zu- und abnehmenden und hierbei im Räume vorwärts schreitenden Vorgang; welcher Art
dieser Vorgang ist, ist dabei ganz gleichgültig. Beim Licht und bei den
elektromagnetischen Wellen handelt es sich um das Auftauchen und Verschwinden
elektrischer und magnetischer Kräfte. Den regelmäßigen Wechsel, in dem dieser
Vorgang stattfindet und sich im Räume ausbreitet, nennen wir Welle. Nun sind wir
freilich in Verlegenheit, wenn wir erklären sollen, was eigentlich eine
„elektrische Kraft“ ihrem Wesen nach ist. Wir können von ihr ebenso wie
von der Schwerkraft nur die Wirkung angeben. Das mag ein Mangel sein, aber dieser
Mangel wird dadurch nicht behoben, daß man zur Erklärung der unerklärlichen Kraft
und ihrer ebenso unerklärlichen Aenderungen zu einem noch unerklärlicheren Stoff wie
dem „Aether“ seine Zuflucht nimmt, denn es ist ganz unbestreitbar, daß dieser
fragliche Aether die allergrößten Schwierigkeiten macht. Zu der Zeit, wo man sich
die Lichtwellen ganz anschaulich als elastische Wellen des Aethers dachte, hat man
sich kaum irgendwelche Vorstellungen über das gebildet, was wir den Stoff nennen.
Jeder sieht und fühlt um sich herum Körper, die aus Stoffen bestehen, und so hielt
man damals den Stoff für etwas Gegebenes, das zwar überall zur Erklärung aller
Vorgänge herangezogen werden durfte, selbst jedoch keiner Erklärung bedurfte. Zu
jener Zeit war es wohl verständlich, daß man sich den Aether als einen unendlich
feinen Stoff dachte und ihn damit hinreichend erklärt zu haben glaubte.
Nun haben sich aber auch unsere Anschauungen in diesem Punkte völlig gewandelt. Die
heutige physikalische Wissenschaft sieht im Stoff nichts Ursprüngliches mehr,
sondern sie ist gerade damit beschäftigt, eine Erklärung des Wesens des Stoffes zu
geben, ihn auf etwas
anderes Gegebenes zurückzuführen. Dieses Gegebene aber ist die Elektrizität. Aller
Stoff besteht nach unserer heutigen Schauung aus Atomen, jedes Atom aber stellt eine
Art Planetenwelt dar, in dessen Mittelpunkt sich ein elektrisch positiver Punkt, der
Atomkern, befindet, um den die Elektronen, elektrisch negative Einheiten, kreisen.
Es ist die gewaltigste Aufgabe der gegenwärtigen und künftigen Physik, aus dieser
Vorstellung von der Natur des Stoffs alle Eigenschaften seines eigentlichen Wesens
zu erklären. Großzügige und erfolgversprechende Ansätze hierzu bestehen bereits.
Ein Stoff in diesem Sinne kann nun der Aether unmöglich sein, denn wir wissen, daß
der einfachste Stoff, der sich in der eben erwähnten Weise aus elektrischen
Einheiten aufbaut, der Wasserstoff ist. Es würde aber keinen Fortschritt, sondern
einen Rückschritt der Wissenschaft bedeuten, wenn man auf eine einheitliche
Auffassung vom Wesen des Stoffe verzichten wollte, die sich gerade jetzt allmählich
durchsetzt, lediglich, um auch den Aether als einen Stoff bezeichnen zu können.
Wir kommen in diesem Zusammenhang auf die oben erwähnte Schwierigkeit nochmals
zurück, daß wir das Wesen der elektrischen Kraft nicht erklären können.
„Erklären“ heißt, unbekannte Dinge auf bekannte zurückzuführen. Darin
liegt, daß alle Erklärung einmal ein Ende hat. Etwas muß schließlich als
„gegeben“ oder „bekannt“, jedenfalls als einer Erklärung weder
fähig noch bedürftig vorausgesetzt werden. Dieses Letzte ist eben, nach dem
gegenwärtigen Stand der Dinge, die elektrische Kraft. Es ist nicht einzusehen, warum
sie sich dazu weniger eignen sollte, als etwa der „Stoff“, den die alten
Materialisten als selbstverständlich hinnehmen. Selbst wenn wir einen Aether
annehmen, kann die elektrische Kraft nur durch weitere Annahmen erklärt werden, die
selbst wiedergrößere Schwierigkeiten machen als das, was sie erklären sollen.
Wenn sich die Wissenschaft anschickt, einerseits in der neuzeitlichen Atomtheorie
den Stoff, andererseits durch die der elektrischen Kraft zugeschriebenen
regelmäßigen Aenderungen und das Fortschreiten im Raum auch das Licht und die
elektromagnetischen Wellen auf die Grundbegriffe der „elektrischen Kraft“ und
der „magnetischen Kraft“ zurückzuführen, so hat sie vorläufig genug getan.
Muß deshalb das Wort „Aether“ aus unserem Sprachgebrauch verschwinden? Dürfen
wir nicht mehr von „Aetherwellen“ sprechen? Ganz so weit brauchen wir wohl
nicht zu gehen. Denn eines müssen wir uns klar machen: Der Raum, wie wir ihn einmal
vorfinden, hat mancherlei Eigenschaften, die wir zwar nicht ganz befriedigend und
vor allem nicht anschaulich verständlich zu erklären vermögen, die aber doch nun
einmal vorhanden und von der allergrößten Wichtigkeit sind. Zu diesen Eigenschaften
gehört vor allem die Tatsache der Fortpflanzung des Lichtes und überhaupt der
elektromagnetischen Wellen und die unbedingte Durchlässigkeit für die Schwerkraft.
Ein bloß mathematisch gedachter Raum brauchte diese Eigenschaften nicht zu haben.
Rein mathematisch können wir uns Räume vorstellen, die das Licht so wenig
fortpflanzen, wie etwa ein luftleerer Raum den Schall. Diese Räume wären dann ewig
dunkel und könnten auf keine Weise erhellt werden. Man kann den Wunsch haben, dieses
Mehr an Eigenschaften, das der tatsächlich vorgefundene Raum einem bloß mathematisch
gedachten Raum gegenüber aufweist, auch durch ein Wort auszudrücken. Dann aber wäre
kaum ein Wort geeigneter als dieses altehrwürdige, schon der homerischen Sprache
geläufige Wort, das die Physik durch viele Jahrhunderte in vielen Sprachen und in
wechselnder Bedeutung begleitet hat, das Wort „Aether“.
Prof. Dr. P. Kirchberger.