Titel: | Die Anerkennung des Energiesatzes. |
Autor: | K. Schreber |
Fundstelle: | Band 340, Jahrgang 1925, S. 13 |
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Die Anerkennung des Energiesatzes.
Zum 75. Geburtstag der allgemeinen
Wärmelehre.
Von Dr. K. Schreber.
Schreber, Die Anerkennung des Energiesatzes.
1. Breitenentwicklung der Naturwissenschaften in der
Neuzeit. Die Aenderung der ganzen Weltanschauung, welche die
Renaissancezeit kenntlich macht und die sich querst auf dem Gebiet der Religion in
der Reformation zeigte, griff nicht ganz 100 Jahr später auch in die
Naturwissenschaften ein, indem Galilei, 1564–1642, den Satz vom Beharrungsvermögen,
daß jeder Körper in seinem Bewegungszustand beharre, bis er durch eine auf ihn
einwirkende Kraft aus ihm herausgerissen werde, schuf. Damit war. der Uebergang von
der Statik zur Dynamik gegeben, welche Newton, 1643–1727, in den Grundlagen
vollendete; die Mitglieder der Familie Bernoulli und ihre Zeitgenossen und
Nachfolger im 18. Jahrhundert bauten sie dann voll aus.
Bei Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden durch die Arbeiten Fahrenheits, 1686–1736,
und Richmanns, 1711–1755, die ersten Sätze der Wärmelehre, und am Ende desselben
Jahrhunderts schufen die Beobachtungen Franklins, 1706–1790, und Coulombs, 1736 bis
1806, einerseits und Galvanis, 1737–1798 und Voltas, 1745–1827, andererseits die
Anfänge der Lehre von der Elektrizität, welche bei Beginn des 19. Jahrhunderts schon
eine die spätere Entwicklung andeutende Breite hatte. Bedenkt man, daß sich neben
diesen Teilen der Physik ohne solche plötzlichen Sprünge, sondern verhältnismäßig
stetig auch die Optik entwickelt hatte, und durch die Arbeiten Fresnels, 1788 bis
1827, bei Beginn des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu einem kräftigen Wachstum gekommen
war, so begreift man, daß sich bei dieser Fülle neuer Tatsachen das Bedürfnis
herausstellte: Es muß ein neuer Begriff geschaffen werden, welcher diese scheinbar
so unvermittelt nebeneinander stehenden Tatsachen, deren Zusammengehörigkeit man
allerseits fühlte, zu einem einheitlichen Gebiet zusammenfaßte.
2. Die Schöpfer des neuen Begriffes. Diesen Begriff
erfaßte zum ersten Male und gleich mit vollem Bewußtsein seiner umfassenden
Bedeutung ein Außenseiter der Physik, der Arzt Robert Mayer, 1814–1878, der ihn 1842
in seiner in Liebigs Annalen der Chemie und Pharmazie veröffentlichten Arbeit:
„Ueber die Kräfte der unbelebten Natur“ bekannt gab.
Da, wie schon gesagt, die Breitenentwicklung der Physik zur Schaffung dieses neuen
Begriffes drängte,so ist es nicht verwunderlich, daß ihn ungefähr gleichzeitig
auch noch andere Forscher erkannten.
Der geschichtlich nächstfolgende ist der Engländer Joule, 1818–1889. Ebenfalls ein
Außenseiter der Physik, wenn auch nicht in dem Maße wie Mayer. Joele war zwar ein
reicher Bierbrauer, beschäftigte sich aber aus Liebhaberei schon seit langer Zeit
mit der Anstellung physikalischer Versuche. Bei seinen Untersuchungen über die
Wärmeentwicklung durch den elektrischen Strom galvanischer Elemente fand er das nach
ihm benannte Gesetz der Elektrizitätslehre. Durch die Fortsetzung dieser Versuche
gelangte er zu dem Satz von der zahlenmäßigen Verwandlung von Wärme und Arbeit
ineinander 1843 und schließlich im Jahre 1850Phil.
Trans London 1850, 1. Pogg Ann Ergänzungsband IV 1854. zu dem für
lange Zeit besten Wert für die Umrechnungszahl.
Der dritte Schöpfer des neuen Begriffes ist Helmholtz, 1821–1894. Er war, wenn er
auch Medizin studiert hatte und somit im strengen Sinne auch Außenseiter war, doch
seiner ganzen Anlage und seinem Nebenstudium nach Physiker, dem die Entwicklung der
Physik bekannt und geläufig war. Deshalb gelangte er 1847 zum Begriff der Energie
durch Weiterbildung der in der Physik schon heimischen Mechanistik. Er führt
sämtliche Erscheinungen auf die Wirksamkeit konservativer Kräfte zwischen den Atomen
und Molekeln, aus denen er die Körper zusammengesetzt denkt, zurück und darf nun auf
diese das schon 100 Jahre früher aufgestellte Gesetz von der Erhaltung der
lebendigen KraftZuerst von Daniell
Bernoulli in seiner Hydrodynamik 1738 deutlich ausgesprochen, nachdem es
schon Huygens benutzt hat. anwenden.
Zu bemerken ist, daß ihm Joules Arbeiten bekannt waren, so daß er nach den Regeln des
Patentamtes nicht zu den Schöpfern des Begriffes zu zählen wäre.
3. Vergleich des Arbeitsverfahrens der Schöpfer. Macht man
sich unbefangen an das Lesen der Arbeiten dieser Schöpfer des Energiebegriffes, so
erkennt man leicht, daß alle drei unabhängig voneinander gearbeitet haben. Ihre
Arbeitsverfahren sind zu verschieden, als daß einer von ihnen das von ihm angewandte
Verfahren hätte ersinnen können, nur um einem anderen den Ruhm einer Entdeckung streitig zu machen,
deren Bedeutung damals noch lange nicht erkannt war und auf deren Anerkennung alle
drei noch lange warten mußten.
Mayer beobachtete im Juni 1840 auf der Reede von Batavia, daß das Venenblut seiner
Schiffsmannschaft nicht so dunkel gefärbt sei, wie er es von der Heimat her gewohnt
warMayer Mechanik der
Wärme 1893 S. 12.. Diese Beobachtung wurde ihm von anderen auf
Java ansässigen Aerzten bestätigt. Da das Blut um so heller ist, je mehr es
Sauerstoff enthält, so wird also im warmen Klima nicht so viel Nahrung im Körper
oxydiert wie im kalten, d.h. die Wärmeerzeugung im Inneren des Körpers ist durch die
Wärmeabgabe nach außen bedingt. Von den vielen, welche diese Beobachtung auch schon
gemacht hatten, ist er der erste, der sich im Anschluß hieran die Frage vorlegte:
„Es ist zu wissen nötig, ob die direkt entwickelte Wärme allein, oder ob die
Summe der auf direktem und indirektem Wege entwickelten Wärme auf Rechnung des
Verbrennungsprozesses zu bringen ist“.aaO S.
14 In unsere jetzige Sprache übersetzt, heißt das: Es ist zu
wissen nötig, ob allein die Wärme, welche der Körper unmittelbar als solche abgibt,
der Oxydationswärme der Nahrung entspricht, oder ob noch die Wärme, welche durch
Reibung beim körperlichen Arbeiten, z.B. beim Drehen des Ankerspills, außerhalb des
Körpers entsteht, hinzuzuzählen sei. Für Mayer war mit der Stellung dieser Frage der
Energiesatz vollständig erkannt und er hatte nur noch die Aufgabe, auch andere von
der Richtigkeit und Wichtigkeit seines Satzes zu überzeugen.
Da sich Mayer während seines Studiums der Medizin nur so viel mit der Physik
beschäftigt hatte, wie zur Prüfung als Mindestmaß verlangt wurde, so machte ihm das
Eindringen in die Physik viel Schwierigkeiten; und ohne Physik, dessen war er sich
voll bewußt, konnte er die Aufgabe, welche er sich gestellt hatte, nicht so lösen,
daß ihn auch andere verstanden.
Ganz hat er diese Schwierigkeit nie überwunden. Mit den unglücklichen, an die
Naturphilosophie erinnernden allgemeinen Sätzen der Einleitung seiner
Veröffentlichung von 1842 hat er jedenfalls nur diese seine Unfähigkeit verdecken
wollen und hat sich damit selbst geschadet. Aber sein schöpferischer Geist sagte
ihm, daß trotz aller Schwierigkeiten in der Beweisführung sein Satz richtig sei. Er
übersieht sofort sämtliche Folgerungen, welche sich ziehen lassen, wie namentlich
aus der ausführlicheren Darstellung aus dem Jahre 1845 hervorgeht.
Joule hatte bei seinen Versuchen über den Zusammenhang der in einem Stromkreis
entwickelten Wärme mit der Wärmetönung in den galvanischen Elementen sein nach ihm
benanntes Gesetz der Elektrizitätslehre gefunden. Er erweiterte diese Versuche auf
die durch magnetelektrische Maschinen erzeugten Ströme und fand hierbei sein Gesetz
bestätigt. Da er hier den Strom durch mechanische Arbeit erzeugte, so „wurde es
ein Gegenstand größter Bedeutung, zu fragen, ob ein bestimmtes Verhältnis
zwischen dieser entwickelten Wärme und der aufgewendeten mechanischen Arbeit
besteht“Phil. Mag. 23, 1843.
435.. Er kam also erst 1843 auf dieselbe Frage, welche sich Mayer
schon 1840 gestellt und mit schöpferischem Geist sofort vollständig gelöst hatte.
Joule löste sie nur durch unentwegt fortgesetztes Messen.
Die ersten Versuche sprechen recht wenig für eine bestimmte Umrechnungszahl
zwischen Wärme und Arbeit. Die dritte Reihe seiner 1843 veröffentlichten Versuche
gibt in englischem Maß die Zahlen 1026 und 587. Aus derartig verschiedenen Zahlen
das Mittel zu bilden und dieses dann für eine unveränderlich feste Zahl zu erklären,
ist in der Physik jedenfalls wenig üblich. Joule war aber dennoch davon fest
überzeugt. Aehnlich wie sich Mayer durch allgemeine, philosophisch klingende Sätze,
die im Grunde nur dasselbe besagten, was er beweisen wollte, zu beruhigen suchte, so
stützte sich der frommgläubige Engländer auf seinen Gottesglauben: „Da ich
überzeugt bin, daß nur der Schöpfer die Macht zu zerstören besitzt, so stimme
ich mit Roget und Faraday überein, daß jede Theorie, welche in ihren Folgerungen
zur Vernichtung von Kräften führt, notwendig falsch sein muß“.Phil. Mag. 26 1845 369 bes. 382
unten.
Mag man nun über diese Berufung auf einen allmächtigen Schöpfer in den
Naturwissenschaften urteilen wie man will, wobei man die Stellung des Engländers zur
Religion beachten muß, diese Berufung ist hier jedenfalls ohne Wert, denn der
allmächtige Schöpfer hat die Natur so eingerichtet, daß Temperaturunterschiede,
Geschwindigkeitsunterschiede usw. verloren gehen und andere Größen, wie die Entropie
dauernd zunehmen; daß die Energie weder verloren geht noch zunimmt, muß eben
nachgewiesen werden, und dieser Nachweis ist ihm für die Umwandlung von Arbeit zu
Wärme im Laufe der Zeit sehr gut gelungen. Joules Satz reicht aber nur soweit, wie
er durch besondere Versuche nachgewiesen ist; darüber hinaus läßt er sich nicht
erweitern.
Helmholtz ist mathematisch ableitend vorgegangen. Er stellt die die ganze Physik
umfassende Annahme konservativer Kräfte an die Spitze seiner Arbeit und leitet
daraus streng mathematisch den Energiesatz ab, so daß sein Satz dann gleich für das
ganze Gebiet der Physik, selbst für noch nicht entdeckte Erscheinungen, gilt. Aber
es bleibt bei ihm die Unsicherheit wegen der Voraussetzung. Man kann jetzt, nachdem
Mayers Auffassung sich bewährt hat, den Gedankengang von Helmholtz umkehren und
sagen, wenn wir eine atomistische Zusammensetzung der Naturgegenstände annehmen, so
müssen zwischen den Atomen und Molekeln konservative Kräfte wirken, damit Mayers
Satz seine Gültigkeit behält.
Unter Benutzung einer von DuhemDuhem: Ziel und
Struktur der physikalischen Theorien deutsch von Adler 1908 besonders 4.
Kap. gegebenen Kennzeichnung der verschiedenen Völker kann man
sagen: Mayer hat als Deutscher mit schöpferischem Geist sofort das Ganze überblickt
und erkannt. Joule hat als Engländer durch ununterbrochen fleißiges Arbeiten
Beobachtung auf Beobachtung gehäuft, bis er zu einer befriedigenden Zahl gelangte.
Helmholtz hat wie ein Franzose, deren Arbeitsverfahren das mathematische ist und das
er bei seinem Studium der Physik kennengelernt hatte, aus einem an die Spitze
gestellten Satz alles abgeleitet.
4. Erfolglosigkeit der Schöpfer des neuen Begriffes. Sind
die drei Schöpfer des neuen Begriffes auf so verschiedenen Wegen zu ihm gelangt, daß
sich daraus sogar ihre Unabhängigkeit von einander unwiderleglich ergibt, so sind
sie andererseits darin einander gleich, daß keiner von ihnen für seine Erkenntnis
irgendwelche unmittelbare Anerkennung gefunden hat.
Am schlimmsten hat Mayer darunter leiden müssen Er hatte als Arzt für seine
Familie zu sorgen, und da er sich mit einer Sache beschäftigte, welche seinem
Arbeitsgebiet fern lag und die Pflichten für seine Familie zu vernachlässigen Anlaß
gab, so mußte gerade er, um den Vorwürfen der Familie zu entgehen, bemüht sein,
schnelle Anerkennung zu finden. Daß er sie nicht fand, hat ihn so erregt, daß er aus
Anlaß einer akuten Gehirnentzündung an das Irrenhaus gebracht wurde.
Joule konnte als unabhängiger reicher Besitzer einer gut gehenden Brauerei abwarten,
bis er Anerkennung fand. Wie lange auch er darauf warten mußte, erkennt man aus
einigen Stellen in den Arbeiten seines Landsmannes und Freundes W. Thomson,
1824–1907. Am 5. Juni 1848 trug dieser in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Cambridge „Ueber eine absolute Temperaturzählung, welche auf Carnots Theorie
der bewegenden Kraft des Feuers gegründet ist“ vorPhil. Mag. 33. 1848. 313.. Er
behauptet in dieser Arbeit, daß Wärme nicht anders verbraucht werden kann, als zur
Erwärmung von Körpern oder zur Aenderung des Zustandes von Körpern. „Die
Umwandlung von Wärme in Arbeit ist wahrscheinlich unmöglich, sicherlich aber
noch nicht entdeckt“. In einer Anmerkung dazu schreibt er: „Diese Ansicht
scheint allgemein geteilt zu werden von allen, welche über diese Sache
gearbeitet haben. Eine entgegengesetzte Meinung hat indessen Herr Joule aus
Manchester bekanntgegeben; einige sehr bemerkenswerte Entdeckungen, welche er in
bezug auf die Erzeugung von Wärme durch Reibung von bewegten Flüssigkeiten
gemacht hat und einige Versuche mit magnetelektrischen Maschinen scheinen eine
Verwandlung mechanischer Arbeit in Caloricum anzugeben. Indessen wird kein
Versuch angeführt, in welchem die umgekehrte Verwandlung nachgewiesen ist; aber
es muß zugegeben werden, daß in bezug auf diese grundlegenden Fragen der
gesamten Naturwissenschaften noch vieles im Dunkeln liegt.“ Im Text selbst
fährter dann fort: „In den Maschinen zur Erzeugung mechanischer Arbeit durch
das Hilfsmittel der Wärme müssen wir die Quelle der Kraft nicht in einer
Aufnahme und Verwandlung, sondern nur in einer Uebertragung der Wärme
sehen.“ Man muß sich erinnern, daß keine der damaligen Dampfmaschinen mehr
als 0,05 der aufgewendeten Wärme in Arbeit verwandelten und daß andererseits die
Genauigkeit, mit der man eine kalorimetrische Untersuchung der damaligen im
Vergleich mit den heutigen recht plumpen Dampfmaschinen hätte durchführen können,
unmöglich diesen Grenzwert erreicht hätte.
In dem am 2. Januar 1849 in der kgl. Gesellschaft zu Edinburg vorgetragenen Bericht
über Carnots Betrachtungen über die bewegende Kraft des FeuersPhil. Trans Roy Soc. Edinburgh XVI 1849
541. wiederholt er fast wörtlich dieselbe Ansicht über Joules
Versuche. Dabei muß man beachten, daß Joule schon durch seine Versuche auf anderem
Gebiete, namentlich durch sein Erwärmungsgesetz der Elektrizitätslehre sich einen
geachteten Namen als Physiker gemacht hatte. Ganz anders wie Mayer, der bis dahin
nur Arbeiten auf dem Gebiet des Energiesatzes veröffentlicht hatte.
Helmholtz ist zwar sehr schnell in seiner Laufbahn vorwärts gekommen, aber bei keiner
seiner Berufungen ist auch nur im geringsten auf seine Arbeit von der Erhaltung der
Kraft Rücksicht genommen worden; und mit dem Druck ist es ihm nicht besser ergangen
als Mayer. Auch seine Arbeit ist von Poggendorf abgewiesen worden, trotz der
Empfehlung, mit welcher Magnus sie diesem geschickt, hatte. Daß Poggendorf
wenigstens den Empfang bestätigt hat, im Gegensatz zur Behandlung von Mayers Arbeit,
ist eben nur eine Folge dieses Empfehlungsschreibens. Hätte Helmholtz dieses nicht
gehabt, so wäre auch seine Arbeit wie die von Mayer unbeantwortet liegen
geblieben.
Also unmittelbare Anerkennung hat keiner von diesen dreien gefunden; ihre Arbeiten
blieben alle gleichermaßen unbeachtet.
(Schluß folgt.)