Titel: | Siemens & Halske. |
Fundstelle: | Band 337, Jahrgang 1922, S. 206 |
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Siemens & Halske.
Siemens & Halske.
Am 12. Oktober begeht das Haus Siemens & Halske den Tag seines 75jährigen
Bestehens. Die Firma wurde von dem damaligen Artillerieleutnant Werner Siemens und
dem Mechaniker Georg Halske 1847 gegründet. Zwei Jahre später trat Werner Siemens
nach seinem Abschiede aus dem Heeresdienste persönlich in die Firma ein, wie er sich
vorbehalten hatte.
Die nächste Bestimmung der Firma war die Herstellung von Telegraphengerät, dessen
erster Gegenstand der von Werner Siemens 1846 erfundene Zeigertelegraph mit
Selbstunterbrechung. Die Telegraphie wurde in allen ihren Verzweigungen gepflegt und
gefördert. Die Grundlagen dafür bildeten die Erfindungen von Werner Siemens. Die
Telegraphie ist in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens das Hauptgebiet der Firma
geblieben.
Werner Siemens hatte von vornherein seine Aufmerksamkeit auch auf das Ausland
gerichtet. Von großer Bedeutung für den Aufstieg der jungen Firma wurden in der
ersten Hälfte der 50er Jahre die ausgedehnten Telegraphenbauten in Rußland, die auch
die Gründung einer Zweigniederlassung in Petersburg unter Carl Siemens, einem der
Brüder Werners, zur Folge hatten. Ebenso konnte einige Jahre später in London eine
Zweigniederlassung errichtet werden, wiewohl in England schon ein erheblicher
Mitbewerb auf dem Gebiete der Telegraphie bestand. Die persönlichen Leistungen von
Werner Siemens als des gründlichsten Kenners des jungen technischen Zweiges und das
Geschick des schon in England ansässigen Bruders Wilhelm ermöglichten der Firma auch
dort festen Fuß zu fassen. Die Glanzleistung in der Telegraphie war der Bau der
Indoeuropäischen Telegraphenlinie in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, der von dem
Mutterhause und den beiden Filialen gemeinschaftlich durchgeführt wurde. Besitzer
der Gesamtfirma waren nach dem 1867 erfolgten Austritte von Halske die Brüder
Werner, Wilhelm und Carl Siemens.
Wie Werner Siemens der hervorragendste Pionier des Schwachstromes gewesen war, so
leitete er 1866 mit der Erfindung seiner dynamoelektrischen Maschine das Zeitalter
des Starkstromes ein. Die Erfolge des Starkstromes reiften aber sehr viel langsamer
als seiner Zeit die des Schwachstromes, und es verging mehr als ein Jahrzehnt, ehe
Maschinen und Geräte so weit ausgebildet waren, daß eine umfangreichere Verwendung
des Starkstromes möglich wurde. Sein Betätigungsfeld war zunächst auch nicht die
Kraftübertragung, an die Werner Siemens bei Erfindung seiner Maschine vor allem
gedacht hatte, sondern die elektrische Beleuchtung, für die vorläufig noch das
dringendere Bedürfnis vorlag. Mit der Erfindung der Differentiallampe 1878 war die
allgemeine Verwendung des Bogenlichtes ermöglicht, kurz danach kam dann von Amerika
die erste brauchbare Glühlampe. Werner Siemens zeigte 1879 auf der Berliner
Gewerbeausstellung mehrere Ausführungen der Kraftübertragung, namentlich eine kleine
elektrische Bahn, die den Ausgangspunkt für die elektrischen Bahnen überhaupt
gebildet hat.
Mit dem Uebergange in die 80er Jahre war die Starkstromtechnik zur ausgedehnteren
Anwendung reif geworden. An erster Stelle stand noch das elektrische Licht. Außer
Einzelanlagen entstanden Blockanlagen für Häusergevierte, der Bau von vollständigen
städtischen Zentralen stand vor der Tür. Als erste größere solcher städtischen
Anlagen bauten Siemens & Halske in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die
Zentralen in Berlin. In der Mitte dieses Jahrzehntes erschien der betriebsfähige
Akkumulator als wichtiges Glied für die Gleichstromanlagen und der Transformator,
der die Vorzüge des Wechselstromes nachdrücklich zeigte. Um 1890 erhielt der
Wechselstrom noch eine weitere wirksame Stütze durch den Drehstrommotor. Damit waren
alle wesentlichen Grundlagen für die fernere Entwicklung des Starkstromes gegeben,
in der wir uns jetzt noch befinden. – Auch der Schwachstrom erhielt in der Werdezeit
des Starkstromes eine bedeutungsvolle Bereicherung in dem 1877 von Bell verbesserten
Telephon.
Werner Siemens schloß sein schöpferisches Leben 1892. Schon zwei Jahre vorher hatte
er sich von der unmittelbaren Leitung der Firma zurückgezogen, deren Inhaber sein
Bruder Carl und seine Söhne Arnold und Wilhelm wurden. Das Petersburger Haus hatte
nach manchen Schwankungen in den Vorjahren im letzten Jahrzehnt sich ebenfalls dem
Starkstrome gewidmet und war zu neuer Blüte gelangt. Das Londoner Haus hatte bis zum
Tode William Siemens im Jahre 1883 mit großem Erfolge vornehmlich im Kabelwesen
gearbeitet und atlantische Kabel mit Hilfe des eigenen Kabeldampfers
„Faraday“ verlegt, darüber aber den Starkstrom nicht genügend gefördert
und stand deshalb jetzt am wenigsten günstig unter den Filialen. Zu diesen war seit
1879 eine neue in Oesterreich gekommen, die sich zu der größten Elektrizitätsfirma
in Oesterreich und Ungarn aufgeschwungen hat.
Von dem Aufstiege der Firma gab die zunehmende Belegschaft des Mutterhauses in Berlin
Kunde, wiewohl die Kopfzahl namentlich in den ersten 25 Jahren keinen unmittelbaren
Maßstab für die Bedeutung der Firma bildet, da die Unternehmungen über die
Werkstatttätigkeit weit hinausragten. So wurde im Berliner Hause erst um 1870 eine Kopfzahl der
Beamten und Arbeiter von 500 erreicht, die sich dann bis 1885 verdoppelte. Die
Zunahme hielt in verstärktem Maße an, die Kopfzahl betrug um 1890 schon etwa
3000.
Nach dem Tode ihres Begründers hat vornehmlich sein Sohn`Wilhelm v. Siemens die
Führung der Firma in der Hand gehabt. Er hat verstanden, ihr das Gepräge zu
bewahren, das ihr vom Vater gegeben war, die wirtschaftliche Entwicklung auf die
technischen Fortschritte zu gründen. Er hat der Verwaltung wie den technischen
Arbeiten gleichermaßen seine unausgesetzte Sorge gewidmet. Selbst ein schöpferischer
Techniker, hat er die verschiedensten Zweige der immer größer werdenden Betriebe mit
seinen Ideen befruchtet und im Bahnwesen, in der Glühlampentechnik und in der
Telegraphie neue Wege gewiesen. Er hat die Bedeutung des hochgespannten
Wechselstromes für den Betrieb von Vollbahnen frühzeitig erkannt und durch die von
ihm eingeleiteten, über mehrere Jahre fortgeführten Versuche, die mit den berühmten
Schnellbahnfahrten bei Zossen endeten, um die Jahrhundertwende für den Bau
elektrischer Vollbahnen die wichtigsten Grundlagen geschaffen. Durch seine Fürsorge
entstand die erste Glühlampe mit gezogenem Metallfaden. Mit seinem
Schnelltelegraphen erzielte er eine außerordentliche Steigerung der
Telegraphiergeschwindigkeit und damit der Ausnutzung der Hauptlinien.
Die 90er Jahre standen für die Firma im Zeichen der städtischen Zentralen und der
Entwicklung des Elektromotors in seiner Anpassung an die besondere Art der
Arbeitsmaschine. Die elektrischen Bahnen, die in dem vorhergehenden Jahrzehnte in
Deutschland noch ganz zurückgeblieben waren, erfuhren nun eine schnelle Ausdehnung.
Das kennzeichnendste Beispiel dafür war der Bau der Berliner Hoch- und
Untergrundbahn. Das ganze Gebiet der Hebemaschinen nahm in gegenseitigem Anpassen
mit dem Elektromotor neue Formen an. Wilhelm v. Siemens, der sich bis dahin
hauptsächlich mit dem Starkstrome befaßt hatte, und der der Entwicklung der
Maschinen auch weiterhin seine tatkräftige Sorge widmete, gab aber auch gleichzeitig
dem Schwachstrome im Hause neuen Antrieb und förderte namentlich das vorher noch
nicht in seiner ganzen Wichtigkeit gewürdigte Telephonwesen.
Im Jahre 1897, kurz vor Begehen ihrer 50jährigen Gedenkfeier, nahm die Firma die Form
einer Aktiengesellschaft an, da die Kommanditgesellschaft sich für die
Geschäftsführung als zu schwerfällig erwiesen hatte. Es war dabei die Absicht der
Familie Siemens, den überwiegenden Aktienbesitz in der Hand zu behalten. Sie hat
daran festgehalten, und immer ist die Leitung der Firma von Familienmitgliedern
ausgeübt. Die inneren Verhältnisse in der Firma wurden durch die Umwandlung in eine
Aktiengesellschaft nur unmerklich berührt. – Von erheblich größerer Bedeutung ist
der 1903 erfolgte teilweise Zusammenschluß mit der Elektrizitäts-Aktiengesellschaft
vorm. Schuckert & Co. in Nürnberg geworden. Die beiden Firmen vereinigten
im wesentlichen ihre Starkstrombetriebe zu den Siemens-Schuckertwerken, G. m. b. H.,
mit dem Sitze in Berlin. Diese Verbindung der auf gleichartiger Grundlage
arbeitenden Firmen ist für beide Teile nutzbringend gewesen.
Die weitere Entwicklung der Siemens & Halske A.-G. und der Siemens-Schuckertwerke
ist seitdem bis zum Kriege ein beständiges Anwachsen gewesen, bei dem Schwachstrom
und Gleichstrom sich um den Vorrang stritten. In dem Konzerne wird allen Richtungen
der Elektrotechnik gleichmäßige Pflege zuteil, und in ähnlicher Weise arbeiteten die
Zweigniederlassungen in Oesterreich-Ungarn, Rußland und England. Hier waren durch
die Vereinigung mit Schuckert ähnliche Geschäftsformen wie in Deutschland
entstanden, dazu war in Frankreich eine neue Zweigniederlassung hinzugekommen. Die
Kopfzahl der in Deutschland in den Siemenswerken Beschäftigten war bis zum Kriege
auf nahezu 60000 gestiegen.
Diesem Anwachsen entsprachen die räumlichen Veränderungen in der Firma. Die
ursprüngliche kleine Werkstatt in der Schöneberger Straße wurde schon 1851 mit
größeren Räumlichkeiten in der Markgrafenstraße vertauscht, die allmählich so weit
als möglich ausgedehnt wurde. Für den heranwachsenden Starkstrom wurde 1884 das
Charlottenburger Werk eröffnet, das später aber auch bald zu eng wurde. Mit dem Ende
des Jahrhunderts begann aber der große Umzug nach dem Nonnendamme bei Berlin, der
jetzigen Siemensstadt, und die Errichtung neuer Werke dort, während die alten
Werkstätten in der Markgrafenstraße aufgegeben wurden. Die meisten Betriebe des
Konzernes befinden sich jetzt in Siemensstadt, das Charlottenburger Werk hat
anstelle der früheren Vielseitigkeit seine Tätigkeit auf engere Gebiete beschränkt.
Das Werk zur Erzeugung von Kohleelektroden aller Art befindet sich in Lichtenberg
bei Berlin. In Nürnberg bilden zwei selbständige Werke den süddeutschen Zweig des
Konzernes.
Während des Krieges hat der Konzern, der schon vorher verschiedene Zweige der
Kriegsrüstung bearbeitete, in verstärktem Masse an der Rüstungsarbeit teilgenommen
und die Kopfzahl der deutschen Betriebe auf 64000 erhöht. Seitdem ist diese Zahl auf
mehr als 81000 gestiegen, und die Gesamtzahl aller im Siemens-Konzerne Beschäftigten
im In- und Auslande bleibt wenig unter 100000.
Noch während des Krieges verstarb Arnold v. Siemens, der älteste der die Firma
leitenden drei Brüder, und bald danach traf die Firma ein weiterer schwerer Verlust
durch den Tod von Wilhelm v. Siemens. Die Oberleitung ist damit auf den jüngsten
Bruder Carl Friedrich v. Siemens übergegangen.
Das Haus Siemens & Halske ist in seinem Aufsteigen auf der Grundlage
schöpferischer Arbeit unter fester und weitschauender Führung ein Wahrzeichen
deutschen Geistes geworden. Sein Schaffen ist ein Vorbild für das deutsche,
gewerbliche Leben, von dem allein die Wiedererstarkung des Vaterlandes erhofft
werden kann.