Titel: Ist die Prallströmung physikalisch denkbar?
Autor: Hans Baudisch
Fundstelle: Band 337, Jahrgang 1922, S. 155
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Ist die Prallströmung physikalisch denkbar? Von Professor Dr. Hans Baudisch, Wien. BAUDISCH, Ist die Prallströmung physikalisch denkbar? In verschiedenen Veröffentlichungen1) habe ich den Versuch unternommen, nicht nur die Saugstrahlturbine, sondern auch die Kaplanturbine auf die sogenannte Prallströmung zurückzuführen. Meine Ausführungen haben von mehr denn einer Seite Zurückhaltung, wenn nicht offenen Widerspruch gefunden. Im Folgenden soll daher versucht werden, die Prallströmung auf die Grundgleichungen der Hydrodynamik aufzubauen. Die Arbeitsflüssigkeit wird hiebei als reibungsfrei angesehen, da die Prallströmung hier nur auf primäre Ursachen, nicht aber auf Sekundärerscheinungen zurückgeführt werden soll. Die Zähigkeit des Wassers, also dessen innere Reibung wird demnach vernachlässigt. Da das Wasser imstande ist, eine Schubspannung von etwa nur 0,00025 kg/cm2 auszuüben, ist dieser Wert als Differentialgröße für den Praktiker vernachlässigbar, soferne es sich um Klarstellung des Hauptsachverhaltes bei einem physikalischen Vorgange handelt. 1. Das Wesen der Prallströmung. Unter einer Prallströmung versteht man bekanntlich eine Strömung in einem um einen Winkel 9 plötzlich umlenkenden Knierohr, bei welcher im Idealfalle jede einzelne Stromlinie eine plötzliche Umlenkung um einen Winkel ϕ erfährt, sowie dies in Abb. 1 angedeutet ist. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Prallströmung, die als singuläre Lösung des natürlichen als bekannt vorausgesetzten Strömungsvorganges in einem derartigen Knierohr aufzufassen ist, sich nicht von selbst, sondern erst bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen einstellen wird. Schließen hiebei die Geschwindigkeiten c1 und c2 mit dem Prallquerschnitt ab die Winkel α1 und α2 ein, wobei
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Abb. 1.
ϕ + α1 + α2 = 180°              1. so schreibt sich die Kontinuitätsgleichung F1c1 = F2c2 mit F1sinα1=F2sinα2 auch in der Form c1 sin α1 = c2 sin α2               2.
2. Die hydrodynamischen Grundgleichungen. Es sollen nun jene Bedingungen untersucht werden unter welchen in allen Punkten vor dem Prallquerschnitt ein Druck p1 in allen Punkten hinter demselben ein größerer Druck p2 herrschen kann. Der Drucksprung p2 – p1 sei lediglich eine Wirkung der Massenträgheit des Wassers, nicht aber eine Folgeerscheinung der Zähigkeit der Flüssigkeit. Für eine ideale Flüssigkeit müssen die Eulerschen Gleichungen
gγδpδx=Xδvxδtvxδvxδxvyδvxδyvzδvxδz gγδpδy=Yδvyδtvxδvyδxvyδvyδyvzδvyδz gγδpδz=Zδvzδtvxδvzδxvyδvzδyvzδvzδz 3.
sowie auch die Kontinuitätsgleichung δvxδx+δvyδy+δvzδz=0               4. erfüllt sein, wobei X, Y, Z die äußeren Kräfte darstellen, welche auf ein Flüssigkeitselement vom Rauminhalt dx dy dz wirken, vx, vy, vz die Komponenten der Geschwindigkeit v darstellen, welche für dieses Flüssigkeitselement in den Richtungen der Koordinaten x, y, z maßgebend sind, wobei außerdem g die Beschleunigung der Schwere, γ das spezifische Gewicht der Flüssigkeit ist. Für den Sonderfall zweidimensionaler Strömung, für den Sonderfall stationärer Strömung, sowie schließlich für den Sonderfall des Entfalles der äußeren Kräfte ist
vz=0, δv1δz=δvyδz=δvzδz=0 δv1δt=δvyδt=δvzδt=0 X=Y=Z=O 5
wodurch sich die Gleichungen 3 und 4 auf
gγδpδx=vxδvxδx+vyδvxδy gγδpδy=vxδvyδx+vyδvyδy gγδpδz=0 6.
δvxδx+δvyδy=0               7. vereinfachen. Die dritte Eulersche Gleichung 6 besagt, daß der Druck in der z-Richtung wie zu erwarten, konstant ist. Diese Gleichung kann demnach im Folgenden, ebenso wie die Dimension dz des Flüssigkeitelementes außer acht bleiben.
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Abb. 2.
Faßt man nun in Abb. 2 ein sich gerade im Prallquerschnitt ab befindliches Flüssigkeitselement dx dy ins Auge, nimmt man an, daß die x-Richtung des beliebig gewählten Koordinatensystems x 0 y mit der Richtung der Geschwindigkeit c1 den beliebig gewählten Winkel ϑ einschließt, wählt man außerdem die Längen dx und dy im Interesse der Einfachheit der Entwicklungen so, daß sie gerade mit dem Prallquerschnitt ab abschneiden, so erhält man die Werte dy = dx tg (α1 – ϑ)               8.
δpδx=p1p2dx, δpδy=p2p1dy vx=c1cosϑ, vy=c1sinϑ δvxδx=c1cosϑc2cos(ϑ+φ)dx δvxδy=c1sinϑ+c2sin(ϑ+φ)dx δyxδx=c1cosϑ+c2cos(ϑ+φ)dy δvxδy=c1sinϑc2sin(ϑ+φ)dy 9.
Die Ausdrücke δvxδy und δvyδx ergeben sich hiebei, vorbehaltlich einer späteren Ueberprüfung, aus dem ersten Gleichungspaar 9, nach welchem δpδxdx=δpδydy               10. Durch Einführung in das erste Gleichungspaar 6 erhält man (vxδvxδx+vyδvyδy)dx=(vxδvyδx+vyδvyδy)dy oder vx(δvxδxdx+δvyδxdy)=vy(vxδvyδydy+δvxδydx), eine Gleichung, welche unbeschadet um die Größen vx und vy nur dann identisch erfüllt sein kann, wenn die Klammerausdrucke vorstehender Beziehung verschwinden, somit auch wenn δvxδy=δvyδydydx, δvyδx=δvxδxdxdy               11. Eine Einführung der Gleichungen 8 und 9 in die Beziehungen 6 und 7 ergibt unter Berücksichtigung der Werte 1 und 2 einerseits, daß die Kontinuitätsgleichung 7 restlos erfüllt ist, andererseits, daß die beiden ersten Eulerschen Gleichungen 6 unabhängig vom Werte ϑ die Form p2γp1γ=c1g(c1c2cosϑ)               12. annehmen. Da hiemit die Grundgleichungen der Hydromechanik erfüllt sind, ergibt sich der Schluß, daß diese Strömung physikalisch denkbar ist. Nach Vorstehendem wäre die Prallströmung sogar vorbehaltlos denkbar.
3. Einschränkung des Geltungsbereiches. Ehe jedoch voreilige Schlüsse gezogen werden, ist es zweckmäßig, den Geltungsbereich vorstehender Ableitung entsprechend einzuschränken. Die Werte δvxδy und δvyδx der Schar 9, welche auf dem Wege über die Beziehungen 10 und 11 ermittelt wurden, müssen auch mit jenen Werten dieser partiellen Differentialquotienten übereinstimmen, welche sich hiefür nach Abb. 2 zu $$\left{{\frac{\delta\,v_x}{\delta\,y}=\frac{-c_1\,cos\,\vartheta+c_2\,cos\,(\vartheta++\varphi)}{d\,y}}\atop{{\frac{\delta\,v_y}{\delta\,x}=\frac{-c_1\,sin\,\vartheta+c_2\,sin\,(\vartheta++\varphi)}{d\,x}}}\right\}\ \ \ \ 13.$$ ergeben. Setzt man diese Werte jenen aus der Schar 9 gleich, so erhält man unter abermaliger Berücksichtigung der Werte 1, 2 und 8 die Beziehung c1 cos α1 = – c2 cos α2,              14. entsprechend a) der natürlichen, jedoch hier wertlosen Lösung α1 = 180 – α2, ϕ = 0, b) der singulären Lösung, daß die Projektionen der Geschwindigkeiten c1 und c2 nicht nur senkrecht, sondern auch parallel zum Prallquerschnitt einander numerisch gleich sein müssen, woraus ersichtlich, daß eine Prallströmung nur für symmetrische Strömung, demnach z.B. für ϕ = 90°, α1 = α2 = 45°, c1 = c2 erfüllt ist. Ein vollkommen gleiches Ergebnis wäre durch unmittelbare Aufnahme der Beziehungen 13 in die Schar 9 erhalten worden. 4. Die Prallhöhe. Addiert man in Beziehung 12 beiderseits c22c122g so ergibt sich mit hp=cp22g=c22+c122c1c2cosφ2g              15. der Wert p2γ+c222g=p1γ+c122g+hp              16. welche Beziehung als erweiterte Bernoullische Gleichung bezeichnet werden kann. Der Wert cp aus Gleichung 15 kann nach dem Geschwindigskeitsdreiecke Abb. 3, welches mit c1 = c2, α1 = α2 für die symmetrische Strömung zu einem gleichschenkligen wird, zur Darstellung gebracht werden. cp kann als Prallgeschwindigkeit, hp als Prallhöhe bezeichnet werden. Die Prallhöhe stellt einen Lehnswert dar, welcher, der Massenträgheit des Wassers entnommen, diesem wieder,und zwar wieder als Auswirkung einer Trägheitserscheinung, rückerstattet werden muß, soll die Prallströmung überhaupt möglich sein. Die Rückgabe erfolgt in einem Energievernichter, da darin der Lehnwert hp wieder vernichtet werden muß, sie erfolgt in einem Stabilisator, da dieser die Aufgabe hat, die Prallströmung, die an sich labil wäre, zu stabilisieren. Zur Erleichterung des Entstehens der Prallströmung wird es sich empfehlen, in der Unstetigkeitsflache, also im Prallquerschnitt einen Prallerreger in Form von Stäben, Rosten oder dgl. einzubauen.
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Abb. 3.
5. Die erweiterte Bernouillische Gleichung. Gleichung 16 kann auch aus der Ueberlegung abgeleitet werden, daß die Arbeitsfähigkeit von 1 kg Wasser, ausgedrückt in m Wassersäule vor dem Prallquerschnitt sich zu p1γ+c122g, hinter demselben dagegen zu p2γ+c222g berechnet, wobei die Beziehung p1γ+c122g+mbds=p2γ+c222g              17. bestehen muß, sofern mbds die im Prallquerschnitt hinzutretende Beschleunigungssarbeit darstellt. Hiebei ist die Masse m=1g, die Beschleunigung b=co0dt=cpdt, so daß sich die Beschleunigungsarbeit auf mbds=1gcpdtds=1gcpdsdt=1gcpcp02=cp22g stellt. Eine Einführung in Beziehung 17 führt wieder auf Gleichung 16. Gilt diese Gleichung für den Uebergang von einem Punkte unmittelbar vor dem Prallquerschnitte zu einem Punkte unmittelbar hinter demselben, so kann dieselbe für das Rohrstück 1–2 zwischen den Querschnitten F1 und F2 (Abb. 3), welche gegenüber einer Vergleichsebene die Höhenlagen H1 und H2 aufweisen, auch in der noch allgemeineren Form (H2+p2γ+c222g)(H1+p1γ+c122g)=hp              18. geschrieben werden. Sie ist aber in dieser Form auch als bereits durchaus bekannt anzusehen, da z.B. Prof. D. Bánki, Budapest, in seinem Werk „Energieumwandlungen in Flüssigkeiten“ diese Energiegleichung erwähnt, hp, das ja pro kg Wasser auch als Arbeitswert bezeichnet werden kann, wird nach Bánki zwischen den Querschnitten F1 und F2 durch einen Generator zu-, oder durch einen Motor abgeführt. Als ein derartiger, wenn auch durchaus neuer Generator, der auf Borg arbeitet, tritt hier der Prall auf. 6. Anwendung auf ausdehnsam flüssige Arbeitsmittel. Bezeichnet man die in 1 kg einer ausdehnsamen Arbeitsflüssigkeit im Querschnitte F1 (Abb. 3) enthaltene innere Wärme mit U1, jene im Querschnitt F2 mit U2, so würde sich Gleichung 18 für ausdehnsam flüssige Arbeitsmittel mit A=1427 als Wärmewert der Arbeit auch in der Form (H2+p2γ2+c222g+U2A)(H1+p1γ1+c122g+U1A)=hp              19. schreiben. Da jedoch die Aenderung der Gewichtsenergie H2 – H1 in den meisten Fällen im Verhältnis zu den übrigen Energien so gering ist, daß sie vernachlässigt werden kann, so vereinfacht sich vorstehende Beziehung unter Einführung des spezifischen Volumens v=1γ auf (p2v2+c222g+U2A)(p1v1+c122g+U1A)=hp               20. Unter Einführung der sogenannten Gaswärme i = Apv + U geht diese Gleichung über in (i2+Ac222g)(i1+Ac122g)=Ahp              21. Die Prallströmung von Gasen und Dämpfen dürfte für die Entwicklung der Gas- und Dampfturbinen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein.