Titel: | Ein „Paradoxon“ aus der mechanischen Wärmetheorie. |
Autor: | Johs. A. F. Engel |
Fundstelle: | Band 330, Jahrgang 1915, S. 289 |
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Ein „Paradoxon“ aus der mechanischen
Wärmetheorie.
Von Johs. A. F. Engel in Hamburg.
ENGEL: Ein „Paradoxon“ aus der mechanischen
Wärmetheorie
Die Behauptung, daß man mit einem Kilogramm Kohle 8000 Wärmeeinheiten oder mehr
erzeugen, oder doch nutzbar machen könne, klingt paradox, und doch ist dergleichen
möglich, so daß es nicht ausgeschlossen erscheint, eine neue Art der Wärmeerzeugung
in die Praxis eingefühlt zu sehen.
Es handelt sich um die Frage, ob man eine Kältemaschine unter Vernachlässigung der
Kälteleistung als Wärmeentwickler verwenden kann.
In den Motoren wird ein Teil der zugeführten Wärme in Arbeit verwandelt, und
alles Streben richtet sich darauf, diesen Teil recht groß zu machen. In den
Kreisprozessen der Kältemaschinen dagegen wird durch mechanische Arbeit eine
Wärmeänderung erzeugt. Je höher in den Motoren das Temperaturgefälle ist, um so
größer kann die Kraftleistung werden. Die Leistung der Kältemaschinen dagegen wird
um so größer, je kleiner das Temperaturgefälle ist.
Nun erzeugen die Kältemaschinen nicht nur Kälte im Verdampfer, sondern auch
Wärme im Kondensator. Stellt man diese Wärmeerzeugung als den eigentlichen neuen
Zweck einer solchen Maschine auf, dann kann bei geringem Temperaturgefälle eine sehr
große Wärmemenge nutzbar werden, die weitaus größer ist als die im zugehörigen Motor
verbrauchte Wärme.
Es ist gewissermaßen so, als ob die auf die Kältemaschine übertragene Kraft die
Eigenschaft der Hefe hätte. Die Kälte- oder Wärmeleistung ist nicht äquivalent
dieser Kraft, sondern diese gibt nur den Anstoß zu einer unverhältnismäßig großen
Wärmeumwälzung.
In zwei mechanisch verbundenen Kreisprozessen erzeugt ein großes Temperaturgefälle
von geringer Wärmemenge in dem ersten Kreisprozeß eine große Wärmemenge von geringem
Gefälle in dem zweiten, oder richtiger eine Wärmespaltung in einem Medium, nach
folgendem Schema:
Textabbildung Bd. 330, S. 290
Motor; Arbeitsmaschine.
Zweifellos ist die im Kompressor erzeugte Wärme äquivalent der aufgewandten Kraft.
Also diese Wärmemenge ist gering; aber bei der Verflüssigung des Dampfes wird bei
der höheren Temperatur die große Dampfwärme frei, die bei der niedrigen Temperatur
im Verdampfer gebunden wurde, und diese Wärmemenge ist
ausschlaggebend.
Ein kg Ammoniak bindet bei 0° C etwa 285 WE, und von diesen werden bei 30° C etwa 259
WE wieder frei. Die Kompressionsarbeit dagegen ist nur ungefähr äquivalent 40 WE.
Diese Zahlen veranschaulichen das Verhältnis von Kraft und Wärme. Die gleiche
Wärmeübertragung findet übrigens auch dort statt, wo Verdampfung und Verflüssigung
nicht in Betracht kommen, also bei den Zustandsänderungen der Luft in der
Kaltluftmaschine. Die Wärmeübertragung ist letzten Endes hier wie dort nur eine
Funktion des Temperaturgefälles auf den Adiabaten.
Ein Beispiel aus der Praxis möge sogleich als Beleg dienen. Eine gute Dampfmaschine
braucht ¾ kg Kohle für die PSe/Std. Eine PS/Std. ist
äquivalent 637 WE. Rechnet man den Heizwert der Kohle zu 5600 WE, so sind hier 4200
WE aufgewandt worden. Die Wärmeausnutzung ist also nur zu 15 v. H. angenommen
worden. In den Gas- und Dieselmotoren ist sie noch weithöher, der Wärmeaufwand
also noch geringer. Nun erzeugte eine untersuchte Eismaschine bei 14 ¾ PSe im Kondensator 72 500 WE pro Std., also für 1
PSe/Std. 4915 WE. Man hat also bei Anrechnung
aller Verluste mit den aufgewandten 4200 WE tatsächlich 4900 WE gewonnen. Die
gleiche Wärmemenge würde man durch den Dieselmotor schon bei einem Aufwand von 2200
WE gewinnen. Dabei ist der Umstand noch ungünstig, daß die Temperatur der Salzlösung
– 7°C war. Handelt es sich um Wärmeerzeugung, dann braucht man keine so niedrigen
Temperaturen.
Es werde z.B. die Aufgabe gestellt, für eine Badeanstalt große Wassermengen von 15° C
auf 22° C zu erwärmen. Dann kann man bis 27° C komprimieren und kann die
Flüssigkeit, Ammoniak oder schweflige Säure, bei 3° verdampfen. Die zu gewinnende
Wassermenge von ursprünglich 15° würde dann die Temperatur von 22° annehmen. Eine
ebenso große, nicht zu verwendende Wassermenge, ursprünglich ebenfalls von 15°,
würde dagegen mit etwa 8° abfließen.
Die absoluten Grenztemperaturen im Kreisprozeß wären also 300 und 276°. Theoretisch
könnte eine vollkommene Maschine bei diesen Temperaturen das
\frac{300}{300-276} fache, also das 12 ½-fache der
aufgewandten, 637 WE äquivalenten, Arbeit an Wärme erzeugen, oder vielmehr nutzbar
machen. In Wirklichkeit muß man noch etwa 18 v. H. für Verluste in der Maschine und
6 v. H. für die Unvollkommenheit des Kreisprozesses der Ammoniakmaschine abziehen,
so daß immerhin für die PSe/Std. bei einem
Kohlenverbrauch von ¾ kg = 4200 Wärmeeinheiten ein Wärmegewinn von etwa 6050 WE,
nämlich 637 × 12 ½ – 24 v. H herauskommen würde, also 8060 WE für 1 kg Kohle.
Hinzuzurechnen sind noch 3500 WE für die Abwärme der Dampfmaschine; denn diese Wärme
steht ja nach wie vor zur Verfügung. Nach dem Ausgeführten liegt die Frage nahe, ob
auch die elektrische Heizung, als eine bloße Verwandlung von Kraft in äquivalente
Wärme, vorteilhaft durch Zwischenschaltung einer zur Wärmeerzeugung dienenden
Kältemaschine verbessert werden könnte. Das könnte tatsächlich geschehen, wenn es
sich um Heizung im Großen handeln würde und, wenn Wasser von einer gewissen, wenn
auch geringen Temperaturhöhe, z.B. nur 20° C, kostenlos zur Verfügung stände. Diese
Vorbedingungen werden freilich selten zusammentreffen.
Vorstehendes enthält keinerlei Widerspruch gegen die Lehren der mechanischen
Wärmetheorie. Ueber die mögliche Verwertung entscheiden die Höhe der nötigen
Kapitalanlage und die Kosten der Wasserbeschaffung. Immerhin dürfte das Angeregte
nicht uninteressant sein. (Nach einem Vortrage im Hamburger Bezirksverein deutscher
Ingenieure am 18. Mai 1915.)