Titel: | Statisch unbestimmte Eisenbetonkonstruktionen. |
Autor: | K. Arndt |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 785 |
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Statisch unbestimmte
Eisenbetonkonstruktionen.
Von Regierungsbaumeister a. D. K. Arndt in
Berlin.
ARNDT: Statisch unbestimmte Eisenbetonkonstruktionen.
Eine der Grundvoraussetzungen für die Theorie der statisch unbestimmten Systeme
ist, daß der Endzustand des deformierten Körpers eindeutig von den gegebenen Lasten
abhängt, oder mit andern Worten, daß zu einem gegebenen Belastungszustand eine
dadurch eindeutig bestimmte Formänderung gehört; es wird also unveränderliche
Stützung und Gliederung vorausgesetztFöppl, Vorlesungen über technische Mechanik, Bd.
3 und 5. Müller-Breslau, Die graphische Statik der Baukonstruktionen, II, 1, S.
6.. Gegenstand der folgenden Untersuchung ist die Frage, in wie
weit statisch unbestimmte Eisenbetonkonstruktionen – so weit es sich um
Plattenbalken handelt, die vorwiegend auf Biegung beansprucht werden – dieser
Voraussetzung genügen.
Textabbildung Bd. 328, S. 785
Abb. 2. Belastung Xa = – l.Abb. 3.
Momentenfläche für den Zustand Xa = –
1.Abb. 4. Biegungslinie zugleich Einflußlinie für Xa.
Die Frage soll gleich an einem besonderen Fall behandelt werden. Es sei ein
Plattenbalken (Abb. 1)
auf drei Stützen mit gleichförmig verteilter Last gegeben. Als statisch
unbestimmbare Größe wird der Druck der Mittelstütze Xa gewählt. Den Zustand Xa = – 1 zeigt Abb. 2; die
dazugehörige Momentenfläche (Abb. 3) ist ein Dreieck von der Höhe \frac{l}{2}. Dazu
wird die Biegungslinie (Abb.
4) nach irgend einem der bekannten Verfahren (z.B. Mohr) gezeichnet oder analytisch berechnet; die Gleichung der elastischen
Linie lautet
y=x\,\frac{(3\,l^2-x^2)}{12\,E\,J}.
Die Biegungslinie ist zugleich Einflußlinie für Xa mit dem Multiplikator
\mu=\frac{1}{\delta_{aa}}=\frac{6\,E \,J}{l^3}.
Die Grundgleichung bei starren Lagern ist
O=\int\,\frac{\sigma}{E}\,\frac{\partial\,\sigma}{\partial\,X_a}\,d\,V
. . . . . . (1)
Sie führt nach einigen Umrechnungen auf den Ausdruck
X_a=\frac{\int\,\simga_0\,\sigma_2\,\frac{d\,V}{E}}{\int\,{\sigma^2}_a\,\frac{d\,V}{E}}
. . . . . . (2)
Mit Beachtung von
\sigma_0=\frac{M_0\,y}{J} und
\sigma_a=\frac{M_a\,y}{J} . . . (3)
geht Gleichung (2) über in
X_a=\frac{\int\,\int\,\frac{M_0\,M_a}{E\,J}\,y^2\,d\,x\,d\,F}{\int\,\int\,\left(\frac{M_a\,y}{J}\right)^2\,d\,x\,d\,F}
. . . . (4)
oder
\left{\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
{X_a=\frac{\int\,\frac{M_0\,M_a}{E\,J}\,d\,x}{\int\,\frac{{M_a}^2}{E\,J}\,d\,x}}\atop{\mbox{und
bei konstantem }E\,J\,X_a=\frac{\int\,M_0\,M_a\,d\,x}{{M_a}^2\,d\,x}}}\right\}\
.\ .\ .\ .\ (5)
Der Wert J bezieht sich dabei auf einen Querschnitt
nach Abb. 5.
Textabbildung Bd. 328, S. 786
Abb. 5.
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Abb. 6.
Nun kann man zur Berechnung von Xa auch von dem Zustand Xa = +1t
ausgehen, der mit dem Zustand Xa = – 1 völlig
gleichberechtigt ist. Führt man die Rechnung ähnlich wie oben durch, setzt
aber für
\sigma_a=\frac{M_a\,y_1}{J_1},
wobei sich y1 und J1 auf einen Querschnitt nach Abb. 6 beziehen, so erkennt man, daß die Lösung für
Xa nicht mehr
eindeutig ist. Man hat es also bei der Behandlung dieser Aufgabe mit einem Träger
mit verschiedenem Trägheitsmoment zu tun. Im Bereich der positiven Biegungsmomente
ist das Trägheitsmoment J, im Bereich der negativen
Momente das Trägheitsmoment J1, Der Nullpunkt der Momentenfläche ist aber nicht bekannt, da seine Lage wieder eine Funktion von
\frac{J_1}{J} ist. Für seine Lage gilt die Beziehung (vergl.
Abb. 7):
q\,\frac{l}{2}\,(l-\xi)-q\,\frac{(l-\xi)^2}{2}=\frac{M_1\,(l-\xi)}{l}
. (6)
wo M1 das Stützenmoment bezeichnet und
\xi=\frac{2\,M_1}{q\,l} . . . . . . (7)
oder wegen der Beziehung
M_1=\frac{q\,l^2}{\alpha}
\xi=\frac{2\,l}{\alpha} . . . . . . (8)
Mit a = 8 ergibt sich der bekannte Wert ξ = 0,25 l.
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Abb. 7.
Geht man von der Grundgleichung (1) aus, die man auch in der Form
O=\int\,\frac{M}{E\,J}\,\frac{\partial\,M}{\partial\,M_1}\,d\,x
. . . . (9)
schreiben kann, wenn man das Stützmoment als statisch
unbestimmbare Größe wählt, so hat man mit Beachtung von
M=\frac{q\,l}{2}\,x-\frac{q\,x^2}{2}-M_1\,\frac{(l-x)}{l} .
. (10)
und
M_a=\frac{\partial\,M}{\partial\,M_1}=\frac{l-x}{l} . . . .
. (11)
O=\frac{1}{E\,J_1}\,\int\limits_{x=0}^{x=\xi}\,\left(\frac{q\,l\,x}{2}-\frac{q\,x^2}{2}-\frac{M_1\,(l-x)}{l}\right)\,\left(\frac{l-x}{l}\,d\,x\right)+\frac{1}{E\,J}\,\int\limits_{x=\xi}^{x=l}\,\left(\frac{q\,l\,x}{2}-\frac{q\,x^2}{2}-M_1\,\left(\frac{l-x}{l}\right)\,\left(\frac{l-x}{l}\right)\,d\,x\right
(12)
Setzt man noch \frac{J_1}{J}=\beta und
M_1=\frac{q\,l^2}{\alpha}, dann nimmt Gleichung (12) die Form
an
O=\int\limits_{x=\xi}^{x=0}\,\left(\frac{q\,l\,x}{2}-\frac{q\,x^2}{2}-\frac{q\,l\,(l-x)}{\alpha}\right)\,\left(\frac{l-x}{l}\right)\,d\,x+\beta\,\int\limits_{x=\xi}^{x=l}\,\left(\frac{q\,l\,x}{2}-\frac{q\,x^2}{2}-\frac{q\,l\,(l-x)}{\alpha}\right)\,\left(\frac{l-x}{l}\right)\,d\,x
. (13)
Die Integration mit Berücksichtigung der Grenzen liefert nach einigen Umrechnungen
für a die Gleichung
O=(\beta-1)\,\left(1-\frac{4}{3\,\alpha}+\frac{2}{3\,\alpha^2}\right)-\frac{\beta\,\alpha^2}{24}-\frac{\alpha}{3}
. (14)
oder
\beta\,\frac{\alpha^4}{8}-\alpha^3+\alpha^2\,(3,3-3)-\alpha\,(4,3-4)+(2\,\beta-2)=0
(15)
Mit \frac{J_1}{J}=\beta=1 ergibt sich für a der bekannte Wert a = 8. In Abb. 8 ist der funktionale Zusammenhang der Gleichung
(15) für Werte a = 8 bis a= 14 aufgetragen.
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Abb. 8.
Als Beispiel ist der Versuchsbalken aus dem Werke von Scheit-Probst: Untersuchungen an durchlaufenden
Eisenbetonkonstruktionen J. Springer 1912, S. 28 ff. gewählt worden; der T-förmige
Querschnitt hat die Abmessungen nach Abb. 9, der
rechteckige nach Abb. 10. Mit n = 15 ergibt sich für Abb.
9
x=\frac{\frac{60\,.\,b^2}{2}+15\,.\,12,72\,.\,47}{60\,.\,8+15\,.\,12,72}=16,26\mbox{
cm},
J=\frac{60\,.\,16,26^3}{3}-\frac{35\,.\,8,26^3}{3}+15\,.\,12,72\,.\,30,74^2..
J = 259904 cm4.
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Abb. 9.
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Abb. 10.
Für Abb. 10 ergibt sich
x=-\frac{15\,(12,72+5,08)}{25}+\sqrt{\left[\frac{15\,.\,(12,72+5,08)}{25}\right]^2+\frac{30}{25}\,(12,72\,.\,47+5,08\,.\,3)}
x = 18,47 cm.
J_1=\frac{25\,.\,18,47^2}{3}+15\,[12,72\,.\,28,53^2+5,08\,.\,15,47^2]=226115\mbox{
cm}^4
also
ß = 0,87.
Für diesen Wert ergibt sich aus Abb. 8
a = 9,5; das Stützenmoment ist also
M_1=\frac{q\,l^2}{9,5}.
Mit n= 10 ergibt sich entsprechend
x = 13 und J = 189540 cm4,
ferner
x = 16,1 und J1 = 164900 cm4,
ß = 0,87.
Es ist also wieder a = 9,5 und
M_1=\frac{q\,l^2}{9,5}.
Die Versuche im Materialprüfungsamt zu Dresden lieferten bei der ersten
Versuchsreihe
a = 9,8
und bei der zweiten
a = 10,6.
Bei allen Ableitungen war angenommen, daß zwischen Formänderung und Biegungsmoment
Proportionalität bestehe; daß dies nicht der Fall ist, beweisen die Versuche des
deutschen Eisenbetonausschusses; darum dürfte sich noch eine weitere, wenn auch
geringfügige Verbesserung der von mir errechneten Werte ergeben, so daß die Theorie
den Versuchen aufs beste entspricht.