Titel: | Ueber einige Modelle zur Veranschaulichung von Reibungserscheinungen. |
Autor: | Otto Mies |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 449 |
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Ueber einige Modelle zur Veranschaulichung von
Reibungserscheinungen.
Von Otto Mies in
Hamburg.
MIES: Ueber einige Modelle zur Veranschaulichung von
Reibungserscheinungen
Ein Körper vom Gewicht G ruhe auf einer wagerechten
Unterlage auf. Einer, in beliebiger wagerechter Richtung an ihm angreifenden Kraft
P widersteht eine in der Auflagerfläche
auftretende, gleich große und entgegengesetzt gerichtete Reibungskraft R (Abb. 1). Der Körper
bleibt in Ruhe, so lange die äußere Kraft den Grenzwert der Reibungskraft, der
gleich μ0G (= Reibungskoeffizient der Ruhe × Normalkraft) ist,
nicht überschreitet. Unterhalb dieser Grenze kann die Reibungskraft jeden beliebigen Wert und dabei jede beliebige Richtung annehmen. Sie spielt also für den Körper etwa die
Rolle einer Auflagerkraft, deren Größe und Richtung sich nach den am Körper
angreifenden Kräften richtet. Ganz anders dagegen verhält sich die Reibungskraft,
wenn zwischen dem Körper und seiner Unterlage Bewegung stattfindet; denn weder ihre
Größe noch ihre Richtung sind in diesem Falle von der am Körper angreifenden Kraft
P abhängig. Vielmehr hat ihre Größe den bestimmten
Wert μ G (= Reibungskoeffizient der Bewegung ×
Normalkraft), während ihre Richtung derjenigen der Geschwindigkeit v0 des Körpers relativ
zu seiner Unterlage entgegengesetzt ist (Abb. 2).
Die Reibungskraft vermag also in diesem Falle nur einer der Geschwindigkeit v0 gleichgerichteten
Kraft Widerstand zu leisten, so daß der Körper gegen eine Kraft senkrecht zur
Bewegungsrichtung völlig reibungsfrei gelagert erscheint. Er wird sich also in
Richtung der senkrecht zu v0 wirkenden Kraft P, auch wenn dieselbe
beliebig klein ist, in Bewegung setzen. Hat er nach einer gewissen Zeit in der
neuen Bewegungsrichtung die Geschwindigkeit v1 erlangt, während senkrecht dazu seine
Geschwindigkeit v0
dieselbe geblieben ist, so daß seine resultierende Geschwindigkeit gegen die
Unterlage v ist (Abb.
3), so hat die Reibungskraft bei unveränderter Größe μG ihre Richtung so verlegt, daß sie entgegengesetzt zu v wirkt. Die Kraft P
findet jetzt an der Komponente der Reibungskraft
R_p=R\,\mbox{cos}\,\varphi=\frac{R}{\sqrt{1+\left(\frac{v_0}{v_1}\right)^2}}
einen Widerstand, der um so größer ist, je größer v1 im Verhältnis zu v0 ist.
Textabbildung Bd. 328, S. 449
Abb. 1.
Textabbildung Bd. 328, S. 449
Abb. 2.
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Abb. 3.
Diese Erscheinungen sind zwar wissenschaftlich lange bekannt und werden auch in
manchen Lehrbüchern der technischen Mechanik eingehend behandelt, finden aber in
praktischen Fällen nicht immer die gebührende Beachtung. Um sie im Unterricht in
technischer Mechanik möglichst anschaulich vorzuführen, hat Prof. Dr. Eugen Meyer im Festigkeitslaboratorium der Technischen
Hochschule zu Berlin einige Modelle anfertigen lassen, über die ich auf seinen
Wunsch hier berichte.
Um zunächst die durch Abb. 3 dargestellten
Verhältnisse auf einfache Weise zu demonstrieren, setze man irgend einen schweren
Gegenstand, in Abb. 4 z.B. einen durch einen
Gewichtssatz beschwerten Kasten, auf eine wagerechte Tischplatte und befestige an
ihm zwei Zugschnüre so, daß ihre Richtungen sich rechtwinklig ungefähr im Schwerpunkt schneiden.
In eine der Schnüre werde eine stark dehnbare Schraubenfeder eingeschaltet, aus
deren Dehnung man auf die in der Zugschnur wirkende Kraft schließen kann. Die Feder
ist so schwach gewählt, daß sie den Zug nicht aushalten würde, der nötig wäre, den
schweren Kasten über den rauhen Tisch fortzubewegen. Das läßt sich durch den Versuch
ja leicht zeigen, etwa, indem man die Feder bis in die Nähe der äußersten zulässigen
Grenze anspannt und darauf unter Aufrechterhaltung des Federzuges in der Richtung
desselben den Kasten durch Anstoß in Bewegung setzt. Es zeigt sich dann, daß sich
die Bewegung nur durch Verstärkung des Federzugs, also bei Ueberanstrengung der
Feder, würde aufrechterhalten lassen. Das ändert sich jedoch, wenn man durch Zug an
der zweiten Schnur senkrecht zur Richtung der ersten den Kasten in Bewegung setzt.
Dann genügt die kleinste an der Feder ausgeübte Zugkraft, den Kasten in deren
Richtung in Bewegung zu setzen.
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Abb. 4.
Der durch diesen Versuch demonstrierte charakteristische Unterschied zwischen der
Reibung der Ruhe und der Reibung der Bewegung führt in praktischen Fällen zu
auffälligen Erscheinungen, die sich teils in erwünschter, teils aber auch in sehr
unerwünschter Weise bemerkbar machen. Auf ihnen beruht jedenfalls die Unsicherheit
aller Reibungsverbindungen, die ja vor allem bei den Befestigungsschrauben eine
große Rolle spielt. Jede durch Erschütterungen oder irgend welche zufällige Ursachen
bedingte kleine Verschiebung der verbundenen Teile in der Richtung senkrecht zur
stützenden Reibungskraft, hebt letztere auf und zerstört die im Ruhezustande
vorhandene Selbsthemmung. Auch das Schleudern gebremster Straßenfahrzeuge, das bei
Automobilen so häufig beobachtet wird und nicht selten die Ursache schwerer Unfälle
ist, sowie das Heranrutschen derselben mit den gebremsten Hinterrädern beim Anhalten
an die Bordsteine der Bürgersteige wird hierauf zurückzuführen sein. Befindet sich
der Wagen in normaler Fahrt, so rollen seine Räder auf dem Fahrdamm. Da beim Rollen
die sich berührenden Flächen von Rad und Straße sich nur senkrecht
gegeneinander-bewegen, ohne übereinander zu gleiten, so werden dieselben gegen eine
gegenseitige Verschiebung durch die Reibung der Ruhe gesichert. Jeder Kraft,
die eine solche Verschiebung anstrebt, widersteht diese Reibungskraft bis zu ihrem
größten Wert. Werden die Räder dagegen gebremst, so gleiten sie über den Fahrdamm in
der Fahrtrichtung, die volle Reibungskraft wirkt entgegengesetzt zur Fahrtrichtung,
so daß die Räder senkrecht zu derselben durch die kleinste Kraft zum Rutschen
gebracht werden können, also z.B. auf dem immer etwas geneigten Fahrdamm durch die
kleine Komponente der Schwerkraft. Dies läßt sich sehr anschaulich durch das in Abb. 5 dargestellte Modell eines vierräderigen Wagens
zeigenNach einer Anregung
von Dr.-Ing. J. Kirner, Stuttgart.,
dessen Hinterräder mit einer Bremsvorrichtung versehen sind; diese wirkt selbsttätig
und kann durch einen leichten Fingerdruck auf einen über der Wagenplatte gelagerten
Hebel ausgelöst werden. Man stellt eine schwach geneigte schiefe Ebene her, etwa
durch einseitiges Unterlegen eines Tisches, und setzt den Wagen mit eingebremsten
Hinterrädern durch Anstoß in der Längsrichtung der schiefen Ebene, welche wagerecht
sei, in Bewegung. Nachdem derselbe eine Strecke fortgerollt ist, löst man die
Bremsvorrichtung aus, und sofort macht der Wagen eine deutliche Schleuderbewegung:
Die Hinterräder gleiten an der schiefen Ebene herab, der Wagen dreht sich um eine
zur Fahrbahn senkrechte Achse und kommt zum Stillstand.
Textabbildung Bd. 328, S. 450
Abb. 5.
Vorteilhaft dagegen lassen sich die Eigentümlichkeiten der Reibung benutzen, wenn es
sich darum handelt eine Bewegung in einer bestimmten Richtung möglichst reibungsfrei
zu gestalten. Das ist z.B. der Fall bei Doppelschiebersteuerungen von
Dampfmaschinen, bei denen die Reibung zwischen Grund- und Expansionsschieber den
größten Teil der Verstellungswiderstände bildet, die der Regulator zu überwinden
hat. Konstruiert man den Expansionsschieber so, daß er in der Schubrichtung
verstellt wird, so fällt die gesamte Reibungskraft in die Verstellungsrichtung, ist
also in ihrem ganzen Betrage von der Verstellkraft zu überwinden. Macht man dagegen
den Expansionsschieber senkrecht zur Schubrichtung verstellbar, so hat man den durch
Abb. 3 dargestellten Fall, wenn man mit v0 die relative
Schubgeschwindigkeit zwischen Grund- und Expansionsschieber, mit v1 die
Verstellgeschwindigkeit des Expansionsschiebers bezeichnet. Der Verstellwiderstand
Rp ist dann um so
kleiner, je kleiner v1
im Verhältnis zu v0
ist. Zu der letzten Art von Schiebern gehören vor allem die Kolbenschieber, deren
Verstellung durch Drehung um die Schieberachse erfolgt. Ein weiteres Beispiel bieten diejenigen
hydraulisch betriebenen Festigkeitsmaschinen, bei denen die auf den Kolben ausgeübte
Kraft durch Messung des in dem Zylinder herrschenden Druckes bestimmt wird, sowie in
Umkehrung hiervon Druckzylinder, deren Druck zur Eichung von Manometern benutzt und
durch Gewichtsbelastung des Kolbens erzeugt und gemessen werden soll. Erhebliche
Reibungswiderstände, die der Kolben bei seiner Verschiebung in Richtung der
Längsachse erführe, würden diese Meßverfahren unbrauchbar machen, während
Reibungswiderstände, die der Kolben etwa beim Drehen um seine Achse erfährt, ohne
Einfluß auf die Messung sind. Bei der Ausführung des Versuchs erteilt man daher
zweckmäßig dem Kolben eine Drehbewegung so, daß seine Umfangsgeschwindigkeit v0 erheblich größer ist
als die beim Versuch auftretende Geschwindigkeit v1 seiner Längsverschiebung. Die in die
Achsenrichtung fallenden Komponenten der am Kolbenumfang auftretenden Reibungskräfte
sind dann um so kleiner, je größer die Umfangsgeschwindigkeit v0 im Verhältnis zur
Verschiebegeschwindigkeit v1 ist.
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Abb. 6.
In Abb. 6 ist ein Modell dargestellt, mit Hilfe
dessen sich diese Erscheinungen deutlich zeigen lassen. In einem Bügel aus
Flacheisen ist ein oben beschwerter Rundeisenstab in senkrechter Richtung
verschiebbar und drehbar gelagert. Unten stützt derselbe sich mit einer Spitze auf
ein durch zwei Schraubenfedern getragenes Querstück. In seinem mittleren Teil trägt
er eine Schnurscheibe, durch die er von einem Handantrieb aus in Drehung versetzt
werden kann. Oberhalb des Bügels ist eine Klemmvorrichtung mit hölzernen Backen
angebracht, durch die man den Stab festklemmen kann. Bei gelockerter Klemme ruht
wenn die Lager des Stabes als reibungsfrei angenommen werden, das Gewicht G von Stab nebst Beschwerung auf den Federn (Abb. 7) und dehnt diese um einen Betrag
s=\frac{O}{c}, wenn mit c die
Summe beider Federkonstanten bezeichnet wird. Man hebe nun den Stab etwas an und
klemme ihn mit Hilfe der Zwinge so fest, daß man auch durch einen starken Druck
der Hand den Stab nicht abwärts zu schieben, d.h. die senkrecht gerichtete Reibung
der Klemme nicht zu überwinden vermag. Versetzt man ihn hierauf jedoch durch den
Schnurtrieb in Drehung, so entsteht in der Klemme eine wagerecht gerichtete
Reibungskraft und der Stab beginnt sofort unter Wirkung seines Gewichtes nach
abwärts zu rutschen und die Federn zu dehnen. Unterbricht man die Drehung, so kann
man sich davon überzeugen, daß der Stab nach wie vor in der Klemme festsitzt und
sich von Hand nicht verschieben läßt. Bei dauernder Drehung kommt er nach einer
gewissen Zeit in derselben Stellung mit der Federdehnung 5 an, in der er bei
gelockerter Klemme im Gleichgewicht war. Ueber den Verlauf der Abwärtsbewegung des
Stabes kann man sich leicht in folgender Weise Klarheit verschaffen.
Textabbildung Bd. 328, S. 451
Abb. 7.
In Abb. 7 sei die Richtung von x nach unten positiv. Die durch die Klemme
hervorgerufene Reibungskraft sei mit R bezeichnet. Die
in die Achsenrichtung fallenden Kräfte sind die Komponente
R_p=R\,\mbox{cos}\,\varphi=R\,\frac{v_1}{\sqrt{{v_0}^2+{v_1}^2}}
der Reibungskraft, das Gewicht G und die Federkraft F = cx. Aus ihnen bestimmt
sich die Beschleunigung \frac{d^2\,x}{d\,t^2}, mit der die
Verschiebung vor sich geht. Vernachlässigt man zur Vereinfachung der Rechnung das
Quadrat der kleinen Verschiebungsgeschwindigkeit v1 gegen das der Umfangsgeschwindigkeit v0, so wird, wenn man
v_1=\frac{d\,x}{d\,t} setzt,
R_p=\frac{R}{v_0}\,\frac{d\,x}{d\,t} und man erhält unter
Berücksichtigung der Vorzeichen die Bewegungsgleichung
-\frac{G}{g}\,\frac{d^2\,x}{d\,t^2}-\frac{R}{v_0}\,\frac{d\,x}{d\,t}-c\,x+G=0,
die in der Mechanik als die Differentialgleichung der
gedämpften Schwingung bekannt ist. Ihre Lösung lautet
x=C_1\,e^{\alpha_1\,t}+C_2\,e^{\alpha_2\,t}+\frac{G}{c},
wo
\alpha_1=-\frac{R}{2\,v_0}+\sqrt{\left(\frac{R}{2\,v_0}\right)^2-\frac{c\,G}{g}},
\alpha_2=-\frac{R}{2\,v_0}-\sqrt{\left(\frac{R}{2\,v_0}\right)^2-\frac{c\,G}{g}}.
Die Bewegung ist aperiodisch, wenn
\frac{R}{2\,v_0}\,\>,\sqrt{\frac{c\,G}{g}} d.h.
R\,>\,2\,v_0\,\sqrt{\frac{c\,G}{g}}, also bei
hinreichend stark angezogener Klemme. Unter dieser Bedingung sind beide Werte für
a negativ. Die beiden ersten Glieder in dem
Ausdruck für x nehmen also mit wachsendem t ab und es nähert sich x
asymptotisch dem Wert \frac{G}{c}, d.h., bei der Drehung kommt
der Stab erst nach unendlich langer Zeit in die Gleichgewichtslage, die er ohne
Drehung bei gelockerter Klemme einnimmt. Um sich etwas näher über die Art der
Bewegung zu informieren, kann man die Konstanten c aus
den Grenzbedingungen, die beim Versuch vorliegen, bestimmen. Beginnt man die
Zeitrechnung in dem Augenblick, wo die Federkraft F = 0
ist, und läßt auch die Verschiebung in diesem Augenblick beginnen, so ist zur Zeit
t = 0 zugleich x = 0
und \frac{d\,x}{d\,t}=0. Als Grenzbedingungen ergeben sich
also die Gleichungen
0=C_1+C_2+\frac{G}{c}
0 = C1a1 + C2a2
woraus folgt
C_1=\frac{G}{c}\,\frac{\alpha_2}{\alpha_1-\alpha_2}
C_2=-\frac{G}{c}\,\frac{\alpha_1}{\alpha_1-\alpha_2}
so daß sich für x die Gleichung
ergibt
x=\frac{G}{c}\,\left(\frac{\alpha_2}{\alpha_1-\alpha_2}\,e^{\alpha_1\,t}-\frac{\alpha_1}{\alpha_1-\alpha_2}\,e^{\alpha_2\,t}+1\right)
Eine solche Bewegung ist in Abb. 7 graphisch
dargestellt, indem in senkrechter Richtung die Wege x,
in wagerechter die Zeit t aufgetragen wurden. Man
erkennt daraus, daß x zwar erst nach unendlich langer
Zeit den Wert s=\frac{G}{c} annimmt, daß dies aber praktisch
schon mit großer Genauigkeit nach kurzer Zeit geschehen ist.