Titel: | Der Kaimauerbau in Rotterdam. |
Autor: | F. Kerdyk, Laren N. H. |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 601 |
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Der Kaimauerbau in
Rotterdam.
Von F. Kerdyk,
Laren N. H.
Der Kaimauerbau in Rotterdam.
Mit der steten großartigen Entwicklung des Verkehrs im Hafen von Rotterdam ist
das Bedürfnis an unmittelbar an tiefem Fahrwasser gelegenen Kais Hand in Hand
gegangen, dem der Gemeindedienst für öffentliche Bauten nur mit der größten Mühe hat
gerecht werden können. Der an vielen Stellen für schwere Bauten höchst ungünstige
Boden hat den Hafenbauingenieuren außerdem die schwierigsten Aufgaben gestellt, die
zu verschiedenen Versuchen im Kaimauerbau Veranlassung gaben und zu einer
interessanten Reihe von Anlagen führten. Einen Vortrag des Gemeindeingenieurs H. A. van
Ysselsteyn, entnehmen wir die folgenden Mitteilungen„De Ingenieur“ 1907, No.
29..
Textabbildung Bd. 322, S. 601
Fig. 1. Kaimauer längs den „Boompjes“ (1853).Fig. 2. Kaimauer
längs dem Ostkai (1861).
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lag in Rotterdam kein Bedürfnis an
Kaimauern für einigermaßen tiefgehende Schiffe vor. Die hauptsächlich aus Ostindien
kommenden Frachtschiffe mußten, nachdem sie in Brouwershaven etwas gelichtet waren,
mit geringem Tiefgang den Voornschen Kanal durchfahren, worauf sie zur Entladung
durch Leichter an Pfählen im Fluß festgelegt oder in geringer Entfernung vom Ufer
mittels eines Gerüstes aus Balken und Brettern mit diesem verbünden wurden. Erst im
Jahre 1852 wurde für die Summe von etwa 163000 M. die 750 m lange Kaimauer längs den
„Boompjes“ (Fig. 1) verdungen, bei
der die untere Steinmasse bis gerade über Niedrigwasser „à pierre perdue“ in
den Fluß gestürzt und auf diese Unterlage ein Damm aus Basal taufgemauert wurde. Bei
dieser ersten Ausführungsart konnten die Schiffe noch nicht unmittelbar am Kai
liegen, aber sie brauchten auch nicht mehr gerade weit davon entfernt zu
bleiben. Der, Unterboden wurde vor dem Steinstürzen kaum verbessert. Der bei
diesem Bau gemachte Versuch mit den möglichst geringen Mitteln den größtmöglichen
Erfolg zu erzielen, rächte sich fast unmittelbar nach der Fertigstellung, als ein
Teil der Kaimauer einstürzte.
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Fig. 3.Kaimauer längs der Westseite des Eisenbahnhafens (1875).
Bei einer neuen, etwa acht Jahre später zur Ausführung gelangten Bauart (Fig. 2) war
das Ergebnis ein günstigeres, obwohl die Mauer in den letzten Jahren höchst
bedenkliche Risse und Verschiebungen zeigt, die eine Erneuerung binnen kurzem
notwendig erscheinen lassen. Der Grund ist darin zu suchen, daß die Fundierung,
welche ursprünglich zur Unterstützung der Berme diente, nachher ebenfalls für die
eigentliche Kaimauer herangezogen wurde. Der beträchtliche seitliche Bodendruck muß
hier die Pfähle schon etwas zum Durchbiegen gebracht haben, wodurch sie zur
Fundierung des Oberbaues ungeeignet wurden.
Ein weiterer, als mißlungen zu bezeichnender Versuch wurde von den Ingenieuren der
Staatseisenbahnen gemacht, als sie im Jahre 1875 die Kaimauer längs der Westseite
des Eisenbahnhafens, der im Trocknen bis 5 m – N. W. ausgegraben war, nach Fig. 3 konstruierten. Man beging hier den Fehler, vor
der Ausführung des Bauwerkes kein Gleichgewicht zwischen Erhöhung und Ausgrabung
hergestellt zu haben, was schon während des Baues unheilverkündende Risse in der
Mauer zur Folge hatte. Als das Wasser dann in den fertig gestellten Hafen
eingelassen wurde, hat die Mauer zwar standgehalten, aber sie war immer ein
Gegenstand der Besorgnis und mußte später über eine Länge von 1100m vollständig
erneuert werden.
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Fig. 4.Kaimauer längs der Ostseite des Eisenbahnhafens.
Inzwischen war nach Art der englischen Dockcompanies im Jahre 1872 der Rotterdamer
Handels verein gegründet worden, der für Privatrechnung den ringsum mit Kais
versehenen Binnenhafen, sowie eine Kaimauer längs der Ostseite des Eisenbahnhafens
ausführen ließ. Von den bei dieser Gelegenheit hergestellten Bauten sei hier als
Beispiel nur der letztgenannte Kai erwähnt (Fig. 4),
der ebenso wie die anderen, in ähnlicher Weise gebauten Mauern ungeachtet der sehr
hohen Herstellungskosten ein unbefriedigendes Ergebnis zeigte, besonders als man
einige Jahre später durch den größeren Tiefgang der Schiffe zur Ausbaggerung des
Hafens unmittelbar vor den Kais gezwungen war. Nur mittels schwerer Verankerungen
und durch Unterbringung großer Reissenkstücke konnte die Mauer vor dem Einsturz
geschützt werden. Aber auch diese Aushilfe war ungenügend, denn ein Teil des
Eisenbahnhafens mußte später mit neuen Kais versehen werden, während dem anderen
Teil noch immer Gefahr droht. Ohne Zweifel muß auch hier der Grund der mit den
Kaimauern des Rotterdamer Handelsvereins erfahrenen Enttäuschungen in dem Umstand
gefunden werden, daß vor Herstellung der Bauwerke kein Gleichgewichtszustand
zwischen der Erhöhung hinter der Mauer und der Austiefung an der Vorderseite
erreicht wurde. Besonders bei einem Kai des Freihafens hatte ein in der Nähe
gelegener Eisenbahndamm einen so starken Druck verursacht, daß die ursprüngliche
Mauer gänzlich nachgab.
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Fig. 5.Kaimauer längs dem Königshafen (1872–1876).
Die in Fig. 5 abgebildete Mauer längs dem Königshafen
ist nur deswegen erwähnenswert, weil mit dieser äußerst billigen Konstruktion
kaum schlechtere Ergebnisse wie mit den oben beschriebenen kostspieligen Anlagen
erzielt wurden. Hier wurde zwar der oben erwähnte Gleichgewichtszustand angestrebt,
aber man beging wieder den Fehler, die Unterstützung der Berme auch als Fundierung
der Mauer zu benutzen.
Anfangs der achtziger Jahre war es dringend notwendig, zu einer Entscheidung über die
mehr und mehr baufällige Kaimauer längs den Boompjes zu kommen, wo das Bedürfnis
nach einer zuverlässigen Konstruktion um so mehr hervortrat, als sich hier damals
die Herzader des Rotterdamer Handelsverkehrs befand. Glücklicherweise war es in
Uebereinstimmung mit der zu gleicher Zeit festgesetzten Normalisierung der
Uferlinien möglich, die neue Kaimauer weiter in den Fluß hinaus zu bauen. Dieser
Ausbau, welcher 7–16 m betrug, mußte vollständig unterrammt werden, was zusammen mit
den beiden Pfahlreihen, die hinter dem Standort der alten Mauer eingeschlagen
wurden, eine Fundierungsbreite von 10–18 m ergab (Fig.
6). An dem Untergrund wurde so viel wie nichts geändert; nur die alte
Mauer wurde abgebrochen und die schiefe Fläche überbrückt. Der Bau vollzog sich mit
Hilfe eines schwimmenden pneumatischen Caissons, der in unbelastetem Zustand weniger
wie 1,20 m Tiefgang hatte, d.h. etwas weniger wie der normale Unterschied zwischen
Ebbe und Flut. Er konnte also über die bei Niedrigwasser abgesägten Pfähle gebracht
werden, wurde dann belastet, die Pfahlköpfe kamen im Caisson ins Trockene, wurden
weiter abgesägt und die Fundierung konnte in der gewünschten Höhe fertiggestellt
werden. Die inneren Abmessungen des Caissons betrugen 6,60 bei 13,44 m, man stellte
ihn mit der Längsrichtung senkrecht zum Ufer, so daß jedesmal sieben Reihen
Querbalken verarbeitet wurden. Das Werk längs den Boompjes ist vorzüglich gelungen;
in den seitdem verflossenen 25 Jahren hat sich kein einziger Riß gezeigt. Die Kosten
dieser Mauer haben mit Einschluß der Taucherglocke nicht mehr als 1250 M. f. d.
laufende Meter betragen, wobei die Tiefe unmittelbar vor dem Kai 6–7 m betrug.
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Fig. 6.Kaimauer längs der „Boompjes“ (1883).
Beim Entwurf des Rheinhafens wurde, obwohl vorläufig anderswo genügende Kailänge zur
Verfügung stand, darauf gerechnet die Dämme später als Kais ausbauen zu können, was
zur Ausbaggerung einer Rinne bis 6,50 m – N. W. Veranlassung gab, in welche ein mit
der ausgebaggerten Lehm- und Schlammasse ausgefülltes Reisigwerk aufgebaut wurde
(Fig. 7). Das Ufer wurde mit der gleichen
Bodenmasse mittels einer mit dem Bagger gekuppelten Preßmaschine erhöht. Der so
aufgebaute Damm kostete alles in allem etwa 160 M. f. d. 1. m, von dem man
erwartete, daß er nach einer Erhärtung von wenigen Jahren einen geeigneten Boden für
eine Kaimauer nach Art der in Fig. 6 dargestellten
bilden würde. Als jedoch nach Eröffnung des Neuen Wasserweges schneller als man gehofft hatte, die
Holland–Amerika-Linie Kais an tiefem Wässer beanspruchte, wurden die Mauern am
Wilhelminahafen schon 1889 nach Fig. 8 vollendet.
Leider zeigte sich hier bald, daß die Bodenmasse noch nicht vollkommen zur Ruhe
gekommen war, woraus man weiterhin die Lehre zog, Bodenausfüllung beim Reisigwerk
ausschließlich mit scharfem Sand vorzunehmen. Aber diese Weisheit wurde nicht ohne
Lehrgeld erlangt, denn im Jahre 1898 stürzte eine Länge von 30 m der zuletzt
beschriebenen Mauer vornüber, als unmittelbar vor dem Kai eine etwas tiefere
Ausbaggerung vorgenommen wurde. Das gewählte Profil war hier sicher nicht schuld,
aber infolge der Zusammenziehung der zur Ausfüllung ungeeigneten Bodenmasse mußten
die Pfähle einen Horizontaldruck aufnehmen, gegen den sie keinen Widerstand leisten
konnten. Bei einer näheren Betrachtung des Unfalls stellte sich heraus, daß die
Tragpfähle geknickt, ja teilweise sogar unter dem eigentlichen Flußboden abgebrochen
waren, woraus man den Schluß zog, daß man die Pfähle nicht als im Boden eingeklemmt
betrachten durfte, da die weiche Schlammasse dafür ungenügenden Widerstand bot. Zum
Aufnehmen des Horizontaldrucks wurden von da an besondere Stützpfähle angeordnet,
während man bei Neuanlagen den Boden unter dem herzustellenden Reisigwerk 3 m tiefer
ausbaggerte und hier scharfen Sand einstürzte, in dem die Pfähle festen Boden
fanden.
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Fig. 7.Kaimauer längs dem Wilhelminakai, vorläufiges Reiswerk.
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Fig. 8.Kaimauer längs dem Wilhelminakai im fertigen Zustand.
Das Einrammen der Tragpfähle quer durch die Reisigwerke hindurch ist
selbstverständlich keine leichte Sache, weil der Widerstand des Reisigholzes leicht
zu Abweichungen der Pfahlrichtung führt. Anfänglich brachte man nach dem Einschlagen
die Pfahlköpfe vor der Verbindung mit den Querbalken mittels einer Winde in die
gewünschte Lage. Die dadurch erzeugten Spannungen in den Pfählen und in der
Flurkonstruktion hatten aber öfters nachteilige Wirkungen zur Folge, weshalb man
dazu überging, alle eingerammten Pfähle in ihrer ursprünglichen Lage zu lassen und
mittels besonderer Verbindungsbalken eine tragfähige Konstruktion etwa nach Fig. 9 herzustellen. Zwar scheint eine derartige
Anordnung etwas unordentlich, aber sie bietet volle Gewähr dafür, den gestellten
Anforderungen zu genügen.
Textabbildung Bd. 322, S. 603
Fig. 9.Flurkonstruktion.
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Fig. 10.
Eine Gefahr bestand immer darin, daß sich unter der einige Meter tiefen Sandschicht
noch eine Lehm- und Schlammschicht befand, die bis in eine Tiefe von 16 bis 17 m –
N. W. reichte und die durch das auf sie lastende Gewicht zusammengepreßt, zu
Senkungen und Verschiebungen in den Mauerwerken führen konnte. Es war hier kein
anderer Ausweg möglich, als die schlechte Bodenmasse vollständig auszubaggern, auf
den festen Unterboden bis auf 9,50 m – N. W. scharfen Sand zu stürzen und darauf erst das
Reisigwerk aufzubauen. Die Kosten der Reisigdämme stiegen dadurch zwar beträchtlich
(auf 750 M. f. d. l. m), aber man konnte sich nun wenigstens mit vollstem Vertrauen
auf den Unterboden verlassen. Nachdem man einmal zu dieser durchgreifenden Maßregel
übergegangen war, sind Risse oder sonstige Fehler denn auch nicht mehr
aufgetreten und die nach Fig. 10 hergestellten
Kaimauern entsprechen den höchsten Anforderungen.
(Schluß folgt.)